Als Hannchen wählte

[82] O Herr! es gehn wohl Viele

Auf gleichem Weg mit mir:

Sie streben nach dem Ziele,

Sie streben all' nach Dir.


Und ließen, leicht zu gehen,

Weit hinten eiteln Tand,

Doch eh' sie sichs versehen,

Gehn Zweie Hand in Hand.


Nur ich, Herr! geh' alleine,

Soll immer einsam gehn,

Und suche Dich, und weine,

Und kann Dich nicht erspäh'n.
[83]

O Herr! in welchen Gründen

Hast Du Dich mir versenkt?

Wo soll mein Herz nun finden

Den Quell, der rein mich tränkt?


Oft muß ich Blinde fragen,

Die viel am Wege stehn;

Sie können mir's nicht sagen,

Weil sie das Licht nicht sehn.


Sie zeigen hier und dorten

Und meinen, Du sei'st nah';

Und such' ich aller Orten,

So ist mein Heil nicht da.


Wenn aber Zweie wandern

Treu-innig Hand in Hand,

Da zeigt wohl Eins dem Andern

Das rechte Vaterland.


Gern zu einander reden

Von Deinen Wundern sie,

Fromm mit einander beten

Sie ihr Ave Marie. –
[84]

Doch hast Du andre Weise

Für mich, Herr! ausersehn,

So will ich meine Reise

Gern einsam weiter gehn;


Gieb mir nur zum Begleiter

Den einzig wahren Freund,

Den einzig sichern Leiter:

Den Geist, der aus dir scheint.


Frühling 1818.

Quelle:
Louise Hensel: Lieder. Paderborn 41879, S. 82-85.
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Lieder (Ausgabe von 1879)
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