[97] O Kreuz, o du mein Streitpanier,
Dich grüß' ich, heil'ges Kreuz!
Sei du mir Schmuck und höchste Zier,
Sei du mein einz'ger Reiz.
O Kreuz, du köstlich Gnadengut,
Sei tausendmal gegrüßt,
Ob jener theuern Purpurfluth,
Die an dir niederfließt!
Eh' Adam scheu aus Eden floh,
Sich tiefer Schuld bewußt,
Da war der Mensch noch reich und froh,
Des Vaters liebste Lust.
Unsel'ger Geist der Finsterniß,
Weh, daß dein schwarzer Neid
Ihn nieder von der Höhe riß
In Angst und Sünd' und Streit!
[98]
O, Schade, Schade, menschlich Herz,
Du warst so hoch gestellt!
Nun geh und ringe mit dem Schmerz;
Fremd bleibst du doch der Welt.
Dich martern Reu' und Sehnsucht nun,
Dich schreckt Gericht und Tod;
Du fühlst: in Gott nur kannst du ruhn,
Du bist verwandt mit Gott.
Und diesen Gott hast du gekränkt,
Ja, bis zum Tod betrübt,
Der Alles, Alles dir geschenkt,
Der dich so treu geliebt.
Ja, bis zum Tod, zum Kreuzestod
Hat Ihn dein Fall betrübt –
O, der unsäglich treue Gott,
Wie hat Er dich geliebt!
Dein Ungehorsam bricht das Herz,
Das dir ja Alles gab;
Dein' Hoffart zollt Ihm Hohn und Schmerz,
Dein Undank gräbt Sein Grab.
[99]
O Gott! mein Gott! mein einzig Gut!
Wie schwer verging ich mich!
Und dennoch bist Du mir noch gut –
Erbarm', erbarme Dich!
Du kennst noch Dein entstelltes Kind:
Ich bringe Dir Dein Kreuz;
Es ist mein Stab, denn ich bin blind,
Es ist mein Schmuck, mein Reiz.
Es ist mein Schwert, mein Streitpanier,
Mein Schild, mein Grubenlicht.
Herr! schwer ist es, doch trag' ich's Dir,
Bis mir das Herz dran bricht.
Berlin, 1818.
Ausgewählte Ausgaben von
Lieder (Ausgabe von 1879)
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