[407] In früher Kindheit Tagen
Von treuer Hand gepflegt,
Hat Gnade mich getragen,
Wie Mutterliebe trägt. –
Die Mutter that in Bildern
Mir, süßer Jesus! Dich
Und Deine Liebe schildern
Und lehrte glauben mich.
Sie wies mir, die da kamen
Zu Dir mit ihrem Leid,
Die Siechen, Blinden, Lahmen,
Die Deine Huld befreit.
Einst sah ich in Gedanken
Im stillen Dämmerschein
Daher die Schaaren wanken
Und dicht sich um Dich reih'n.
[408]
Da dacht' ich: Wenn Er käme
Und fragte, was ich wollt',
Was ich mir dann wohl nähme,
Und was ich bitten sollt'. –
O, rief ich, keine Gaben,
Nur Beten, Beten gieb!
Dann werd' ich Alles haben,
Dich selbst und Deine Lieb'.
Denn beten heißt ja ringen
Mit Deiner Gotteskraft,
Und beten ist ein zwingen,
Das Alles uns verschafft.
Die kleinen Hände schlossen
Sich ringend zum Gebet
Und schwere Thränen flossen
Wie Waizen, dicht gesä't.
O, gieb mir Beten! Beten!
Nichts Andres brauch' ich ja:
Wenn ich zu Dir kann reden,
Dann bist Du stets mir nah'. –
[409]
Und meine Sinne schwanden
Ob meinem heißen Fleh'n,
Bis mich die Mägdlein fanden,
Mir halfen schlafen geh'n. –
Du aber hast in Hulden
Seitdem mich stets erhört,
Trotz all der bittern Schulden,
Die bald mein Herz beschwert.
O, Dank für jene Stunde,
Die mir so viel gewährt!
Und Dank dem frommen Munde,
Der glauben mich gelehrt!
Und Dank dem treuen Engel,
Den Du mir, Herr! gesandt
Und der trotz schwerer Mängel
Sich nie von mir gewandt! –
Langenberg, 1851.
Ausgewählte Ausgaben von
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