Bei der Frohnleichnams-Prozession

[204] So laß mich denn mit Dir, mein Jesus, gehen!

Gehst Du voran, ist eben jede Bahn.

Nie will ich mehr nach Erdenfreuden spähen;

Auf Dich, o einzig Gut, nur will ich sehen:

Mit Dir vereint, was geht die Welt mich an? –


Er ist so gut – o, wer kann sie erfassen,

Die Huld, mit der Gott Seine Menschen liebt!

Sie hatten Ihn vergessen und verlassen,

Sie wollten gar die treue Hand noch hassen,

Die alles Gute väterlich uns giebt.


Doch lange konnt' Er solches Leid nicht sehen,

Sein ewig Herz that ganz in Lieb' erglühn;

Er wollte selbst als Mensch mit ihnen gehen,

Sie durch Sein Lehren, Wirken, Leiden, Flehen

Zurück in Seine Vaterarme ziehn.
[205]

Er kam herab, der ew'ge Gottessegen,

Und tauscht' um Schmach und Pein des Vaters Thron,

Und hat der Jungfrau in dem Schooß gelegen,

Und ging mit uns durch Glut und Sturm und Regen

Gleich einem armen schuld'gen Menschensohn.


Und als die letzte Nacht herangekommen,

Rief Er noch Seine Jünger um Sich her;

Da hat so zärtlich Abschied Er genommen,

In Wehmuth war Sein göttlich Herz beklommen. –

O, wer hat je geliebt wie Er, wie Er!


Und eh' Er Seine Arme ausgebreitet

Am Kreuz, die Menschen all' an Sich zu ziehn,

Hat Er uns noch dies sel'ge Mahl bereitet,

Das bis zum letzten Tag uns nun begleitet. –

O, betet an in heil'ger Liebe Glühn!


Unendlich Lieben, unnennbares Lieben:

Gott giebt Sich selbst als Speis' in unsern Mund!

Was kann uns noch erfreun, was noch betrüben?

Du bist bei uns, geliebter Gott! geblieben;

Dies Brod bezeugt uns ja den sel'gen Bund. –
[206]

So will ich treu mit Dir, mein Jesus! gehen;

Gehst Du voran, ist eben jede Bahn.

Nicht will ich mehr nach Erdenblumen spähen,

Auf Dich, o einzig Gut! nur will ich sehen,

Mit Dir vereint geht keine Welt mich an.


Und jeder Pulsschlag bringt mich Dir nun näher,

Und jeder Athem seufzt nach Dir, o Gott!

Und Liebe trägt mein Herz nun hoch und höher,

Und täglich fragt mein banges Sehnen weher:

Wann bringst du mich zu Ihm, o lieber Tod? –


Ich kann nicht lieben mehr, ich kann nicht leben,

In Ihm ist all mein Lieben, all mein Sein.

Längst hat sich Ihm mein volles Herz ergeben,

Drum möcht' ich ganz zu Ihm, in Ihm verschweben,

O, meine Liebe! O mein einzig Mein!


Und bis sie schlägt, die wonnevolle Stunde,

Die mich erlöst aus der Verbannung Qual,

Will ich mich freun an Deinem sel'gen Bunde,

Will grüßen Dich mit loberfülltem Munde;

Du mein, ich Dein in süßer Liebeswahl. –
[207]

Es giebt so manch Geschwätz in diesem Leben

Und täglich Neues will der Menschen Sinn;

Ich will nur Eins: Dir will ich mich ergeben,

Ich weiß nur Eins: nach Dir, Herr! muß ich streben,

Bis ich in Deinem Anschaun selig bin. –


Ja, laß mich treu mit Dir, mein Jesus! gehen;

Gehst Du voran, ist eben jede Bahn.

Nicht will ich mehr auf andre Freuden sehen,

Dich einzig suchen, grüßen, loben, flehen –

O zieh mich an, zieh mich allmächtig an!


Laß mich verrinnen, laß mich ganz versinken

In Dir, Du Quell der ganzen Seligkeit!

Aus Deinem Herzen laß mich Leben trinken,

Da wird mir Liebe, wird mir Ruhe winken,

Da bin ich Dein in sel'ger Ewigkeit. –


O selig, der dem Kindlein sich verbunden,

In niedrer Krippe seinen Gott erkennt!

O selig, der da ruht in Seinen Wunden!

Doch dreimal selig, der den Herrn gefunden

Im wundersüßen heil'gen Sacrament!


Düsseldorf, 1820.


Quelle:
Louise Hensel: Lieder. Paderborn 41879, S. 204-208.
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Lieder (Ausgabe von 1879)
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