Mein Emmaus

[216] Der Tag hat sich geneiget,

Kehr' ein, geliebter Gast!

Der Lärm des Tages schweiget

Und gönnt der Seele Rast.


Laß uns beim süßen Mahle

Und trauter Rede nun

Im milden Abendstrahle

Von schwerer Wand'rung ruh'n.


O, nicht vorüber gehe,

Nein, weile, holder Gast!

Allein in Deiner Nähe

Wird meiner Seele Rast.
[217]

Als Du auf fernen Wegen

Mir nahtest ernst und traut,

Hat Deines Wortes Segen

Mir Trost in's Herz gethaut.


Ob sich die Schatten strecken

Und wachsen riesengroß:

Nichts kann ein Herz erschrecken,

Das ruht in Deinem Schooß.


Mein Haupt an Deinem Herzen

Wie St. Johann beim Mahl,

Weiß ich von keinen Schmerzen,

Von keiner Todesqual.


Woll'st nicht von dannen fliehen,

Nicht lassen mich allein,

Bis ich mit Dir darf ziehen

Zum seligen Verein.


Sommer 1869.


Quelle:
Louise Hensel: Lieder. Paderborn 41879, S. 216-218.
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Lieder (Ausgabe von 1879)
Lieder: Ausgabe von 1879
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