Trost im Klagen

[185] Kann Dich ein sehnendes Herz, ein weinendes Auge noch rühren,

Lebt noch mein Bildniß in Dir, ach! so erbarme Dich mein!

Komm und befreie das Herz, dem Du Dich einst gnädig erzeigtest,

Komm und erfreue das Aug', das Dich verwundete einst.


Siehe, der Frühling ist da; es blühet die liebliche Schlehe

Und in den Wäldern erschallt längst schon der Nachtigall Lied.[186]

Unsere Maien sind grün – mich labt nicht ihr freundliches Grünen.

Duftende Veilchen erblüh'n, aber nicht freut mich ihr Duft. –


Einsam verbirgt sich die Taub' im dunkelen, wilden Gehölze,

Ruft durch die Stille des Hains, aber es schweiget der Hain.

Klage, du Arme, mir nur, du findest in mir die Gesellin:

Einsam und sehnend bist du, einsam und sehnend bin ich.


Siehe, ich weiß deinen Schmerz: der Liebste, den du dir erkoren,

Flog in die Ferne dahin, ließ dich Betrübte zurück.

Ach! auch der Einzige mein, den früh meine Seele erwählet,

Floh durch die Wolken hinauf, ließ mich Einsame zurück
[187]

Schwester, nun höre den Rath, den heut meine Seele ersonnen:

Fortan bewohnen nun Zwei liebend und sehnend den Hain,

Girren und klagen vereint und rufen den süßesten Namen,

Bis sich der Flügelein Paar stärker den Schultern enthebt.


Dann, o der Wonne! dann trägt uns über den Mond das Gefieder –

Dann, o der Wonne! dann wird Liebe mit Liebe vereint.

Ach, und das freudlose Heut – wir wollen es duldend ertragen,

Sind wir doch morgen schon Ihm selig dort oben geeint.


Sondermühlen, 1823.


Quelle:
Louise Hensel: Lieder. Paderborn 41879, S. 185-188.
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