[104] Und dünke mich jetzt im besten Theile1 des Leßingschen Werks, wo es die Vorschriften des Grafen einschränkt, wo es die Art der[104] Vorstellung Homers, und eines Künstlers unterscheidet, wo es ein Muster von praktischem Scharfsinne ist. Mit Verwunderung also muß jeder Leser, der Leßingen verstehet, die verwirrenden Widersprüche2 gelesen haben, die – – doch hierüber darf ich die Vertheidigung des Verfassers selbst3 als bekannt voraus setzen.
Ich gehe also ins Detail. »Homer bearbeitet sichtbare und unsichtbare Wesen; diesen Unterschied kann die Malerei nicht angeben, bei ihr ist alles sichtbar; und auf einerlei Art sichtbar.«4
»Das Mittel also, dessen sich die Malerei bedienet, uns zu verstehen zu geben, daß in ihren Kompositionen dieses oder jenes als unsichtbar betrachtet werden müsse, ist eine dünne Wolke.5
Diese Wolke scheint aus Homer selbst entlehnt zu seyn.6
Wer sieht aber nicht, daß bei dem Dichter das Einhüllen in Nebel und Nacht weiter nichts, als eine poetische Redensart, für unsichtbar machen, seyn soll? Es hat mich daher jederzeit befremdet, diesen poetischen Ausdruck realisirt, und eine wirkliche Wolke in dem Gemälde angebracht zu finden.«7
Mit dem Unterschiede, den Hr. L. angiebt, bin ich zufrieden; nur der Grund des Unterschiedes, den er angiebt, ist nicht der meine.
Wozu soll die Wolke bei dem Dichter und Maler? zur Verhüllung. Wo sie also nicht verhüllen kann, da ist sie nicht Wolke mehr, da bleibe sie weg. So bei dem Maler. Sie soll verhüllen, und verhüllet nicht: sie läßt den verhüllten Helden noch sichtbar: er steht hinter einer spanischen Wand, und rufft uns zu: »ich bin unsichtbar, ich soll nicht gesehen werden: ich bin nicht zu Hause.« Diese Ursache, dünkt mich, ist die wahre.
Aber die, daß die Wolke aus einem Dichter entlehnt, bei ihm nichts als eine Poetische Redensart, bei dem Künstler hingegen[105] eine wirkliche Wolke, und also ein Poetischer Ausdruck auf eine befremdende Weise realisirt sey; die Ursache scheint minder Stich zu halten.
Homers Nebel ist ein Poetischer Nebel; ist er aber damit eine Poetische Redensart, ein künstlicher Ausdruck, statt »unsichtbar werden?«8 Wenn Achilles nach dem in die Wolke verborgnen und schnell entrücken Hektor noch dreimal mit der Lanze zustößt: soll dieß »in der Sprache des Dichters weiter nichts heißen, als daß Achilles so wütend gewesen, daß er noch dreimal gestoßen, ehe er gemerkt, daß er keinen Feind vor sich habe?« Ich darf sagen, daß ich bei Homer »eine solche Phrasessprache des Dichters« nicht kenne, und nicht kennen mag. Homer, ein Feind aller künstlichen Figuren der Einkleidung, die nichts als solche, nichts als Poetischer Zierrath, seyn sollen, (nach Hrn. Leßings Erklärung, was ist diese Wolke, diese Poetische Redensart anders, als eine solche Wortblume?) Homer wird auf solchem Wege einer der nüchternen Dichter unsrer Zeiten, die Prosaisch denken, und Poetisch sprechen, deren gradus ad Parnassum die Zauberkammer ist, ihre Gedanken der Prose in eine Sprache des Dichters, in Poetische Redarten zu verwandeln. Bei solchen mag alsdenn eine prosaisirende Schulexposition Statt finden: »er ward mit einer Wolke bedeckt, das ist: er ward aus den Augen des Feindes weggebracht: Achill stieß dreimal nach dem dicken Nebel: das ist: er war so wütend, daß er noch nicht merkte, sein Feind sey weg.« Was käme aber heraus, wenn man so bei Homer läse, und auch seine Götter, ihren Himmel, ihre Geräthe u.s.w. durch ein solches, das ist: prosaisirte, und alles zu Poetischen Phrasibus machte.
Nein! Homer weiß von Redarten nichts, die nichts als solche wären. Der Nebel, in den die Götter hüllen, ist bei ihm wirklicher Nebel, eine verhüllende Wolke, die mit zum Wunderbaren[106] seiner Fiktion, mit zum Epischen μνϑος seiner Götter gehört. So lange er mich in dieser Poetischen Welt, in welcher Götter und Helden kämpfen, wie bezaubert, vest hält: so lange mich seine Minerva durch diese wunderbaren und schrecklichen Auftritte führt, und mir die Augen erhöht hat, nicht blos streitende Menschen, sondern auch kämpfende und verwundete Götter zu erblicken; so lange sehe ich auch diesen Nebel eben so gläubig, als den Gott selbst, der die Wolke um seinen Liebling webt. Beide, der Gott und seine Wolke, haben ein gleich Poetisches Wesen; wenn ich das eine prosaisire, muß auch hinter den andern ein Grammatisches das ist kommen, und dann verliere ich die ganze Mythische Schöpfung in Homer. Ich bin nicht mehr in dem Epischen Treffen eines Dichters; sondern in einer Historischen Feldschlacht: ich lese nach der Taktik: ich sehe nach dem gewöhnlichen Augenmaaße.
Hr. L. scheint darnach gesehen zu haben; wenigstens überredet er uns, darnach sehen zu können.9 »Keinen wirklichen Nebel sahe Achilles nicht, und das ganze Kunststück, womit die Götter unsichtbar machten, bestand auch nicht in dem Nebel – sondern in der schnellen Entrückung. Nur um zugleich mit anzuzeigen, daß die Entrückung so schnell geschehen, daß kein menschliches Auge dem entrückten Körper nachfolgen können, hüllet ihn der Dichter vorher in Nebel ein; nicht weil man anstatt des entrückten Körpers einen Nebel gesehen, sondern weil wir das, was in einem Nebel ist, unsichtbar denken.« Welche Unterscheidungen! welche Amphibolien! »Keinen wirklichen Nebel sahe Achilles nicht.« Ja! der Poetische Held sahe ihn, und dreimal stieß er noch mit seinem Spieße nach dem Nebel. »Das Kunststück, womit die Götter unsichtbar machten, bestand in der schnellen Entrückung!« Wunderbar! wo ich mir schon wirksame Götter, eine wunderbare Entrückung denken kann, und denke; bin ich da nicht ein Scrupler, am Nebel abdingen zu wollen? »Nur weil die Entrückung schnell vorgieng, hüllt ihn der Dichter ein; nicht, weil man einen Nebel[107] gesehen, sondern, weil wir das, was in einem Nebel ist, unsichtbar denken.« So! und deßwegen stößt Achilles dreimal nach dem Nebel, nicht, weil er einen Nebel sahe, sondern, weil er das, was in einem Nebel ist, sich als unsichtbar dachte! O der Homemerische Don-Quixote! o der Cervantische Homer!
»Neptun verfinstert die Augen Achilles; in der That aber sind des Achilles Augen nicht verfinstert, sondern – –« Was man uns doch sagen will! Neptun gießt dem Achilles Dunkel um die Augen, er rückt Aeneas fort: er hat ihn in Sicherheit gebracht, ihn ermahnt, nicht wider Achilles zu streiten, ihn verlassen – nun muß er erst zurück kommen, um dem Achilles den Nebel von seinen Augen zu nehmen,10 und Achilles – hat keinen Nebel vor Augen gehabt! es ist nur so so gesagt, daß seine Augen verdunkelt worden? – – Achilles bekommt das Licht seiner Augen wieder, er erseufzet, er stutzt über das Wunder: er sieht den Spieß auf der Erde, den Mann hinweg! er erstaunt, er spricht mit sich, mit seiner großen Seele, muthmaaßet auf die Götter – – »Wie? wird ein Homerischer Orthodox sagen, ist es nicht ein sträflicher Unglaube, an dem Nebel der Götter zu zweifeln, wenn man ein so augenscheinliches Wunder der Verblendung, eine so feierliche Scene sieht! Wer Homerische Götter glaubt, muß auch die Wolke [in] ihrer Hand glauben!« – –
Die Wolkendogmatik der Griechischen Götter muß Hrn. Leßing anders bekannt seyn, als mir: denn er fährt fort, Dinge zu behaupten, die wider alle schöne Sichtbarkeit Homerischer Erscheinungen laufen. »Unsichtbar seyn, sagt er, ist der natürliche Zustand der Götter Homers; es bedarf keiner Blendung, keiner Abschneidung der Lichtstralen, daß sie nicht gesehen werden; sondern es bedarf einer Erleuchtung, einer Erhöhung des sterblichen Gesichts, wenn sie gesehen werden sollen. Zwar läßt Homer auch Gottheiten sich dann und wann in eine Wolke hüllen, aber nur alsdenn, wenn sie von andern Gottheiten nicht wollen gesehen[108] werden.«11 Folgendes wird zeigen, daß Hr. L. in seiner Wolkentheorie der Griechischen Götter – – ein Ketzer sey.
»Unsichtbar seyn, ist der natürliche Zustand der Götter;« wie kommt es denn, wenn ich fragen darf, daß Götter wider Willen können gesehen werden? daß man sie unvermuthet überraschen darf, wenn sie nicht gesehen seyn wollen? Es war ein Glaubensartikel bei den Griechen, daß nichts gefährlicher sey, als ein solcher überraschender Anblick,12 und mancher unglücklicher Unschuldige hatte darüber ein Opfer werden müssen. Pallas, die keuscheste der Göttinnen, die vor Keuschheit sich selbst kaum nackt zu sehen wagte, die wohl am mindesten unter allen Göttinnen jene falsche Jungfernscheu besaß, sich zu verstecken, und doch wollen gesehnt zu werden, diese jungfräuliche Pallas wählet sich den sichersten, den geheimsten Ort, um ihre Gorgone abzulegen: sie badet sich, und ein eben so ehrlicher Tiresias überrascht sie, siehet sie wider seinen Willen, erblindet. Indessen um den Unschuldigen einiger Maaßen schadlos zu halten, giebt Pallas – ihm nicht das Gesicht wieder; denn dieß ließ ihre Jungfräulichkeit nicht zu; sondern die Gabe der Weissagung. Wie hätte Pallas wider ihren und Tiresias Willen überraschet werden können, wenn »unsichtbar seyn, der natürliche Zustand der Götter wäre?«
Wie der Pallas: so gieng es auch der badenden keuschen Diana. Kalydon sah sie, ebenfalls wider seinen und der Göttin Willen, und ward zu Steine. So gieng es selbst dem Jupiter, da er in seinem liebsten Vergnügen einmal seine Wolke vergessen hatte. Er ward, da er bei der Rhea schlief, von Haliakmon, wider Willen seiner, und seiner geliebten Beischläferin, und seines Ueberraschers, in seiner Schäferstunde gestört – wie das? wenn »unsichtbar seyn, der natürliche Zustand der Götter wäre.«
Ich will solche gestörte Schäferstunden der Götter und Göttinnen nicht aufzälen. Meine Muse ist diesmal nicht so, wie die Schwester des Amors, die
[109]
– – wie die Mädchen alle thun,
Verliebte gern beschleichet. –
Ich führe, statt aller, das Epigramm aus der Anthologie13 an, in seinem einfältigen Scherze, in seiner naiven Schalkheit: »Werde ja niemand in meinen Wassern eine der Najaden, oder die Venus mit ihren Gratien nackt gewahr: selbst wenn es ohne Vorsatz seyn sollte; denn immer ist nach Homers Ausspruche der offenbare Anblick der Götter gefährlich, und wer darf Homer widersprechen?« Um die verborgne Schalkheit einzusehen, die in diesem Epigramm liegt, merke man sich den Doppelsinn, der in dem Worte »offenbarer Anblick« liegt; der Epigrammatist meint nackt; Homer meint »ohne fremde Einkleidung, wie die Götter sind.« Die Stelle Homers bestätigt also unsere Meinung: und scheint gar ein Axiom in der Griechischen Mythologie geworden zu seyn.
Juno nämlich, die dem Achilles zu Hülfe will, macht den Lehrspruch:14 daß, wenn Achilles einen Gott gegen sich sehen würde: so müßte er erschrecken: denn »fürchterlich ist der Anblick der Götter, wenn sie offenbar, (wenn sie ohne Menschliche Einhüllung) erscheinen. Wie ist unsichtbar seyn also ihr natürlicher Zustand?
Nach diesem Axiom scheint Homer in seiner ganzen Götterdichtung zu verfahren. Sind die Götter unter sich, so sind sie auch unter sich sichtbar; sollen sie aber unter Menschen wirken – unerkannt oder erkannt, darnach richtet sich das Schema ihrer Erscheinung. Phöbus Apollo15 steigt vom Himmel herab in seiner ganzen Göttlichen Gestalt: Köcher und Bogen ruhen auf seiner Schulter: auf seiner Schulter klingen die Pfeile, bei seinem zornigen Gange. Nun hatte er sich schon von den Höhen des Himmels herabgelassen, und gieng der Nacht gleich: bis er sich weit von den Schiffen niedersetzen, und seine Pestbringenden Pfeile auslassen[110] konnte. Warum muß er sich der Nacht gleich, das ist: mit Dunkel bedeckt, bei den Griechen vorbei schleichen, und nur seine Gestalt annehmen, da er fern vom Anblicke der Schiffe und Menschen ist? – Wenn die Homerischen Götter schon an sich Menschlichen Augen unsichtbar sind, wenn es keiner Abschneidung der Lichtstralen bedarf, um nicht; sondern einer Erhöhung des Gesichts, um gesehen zu werden? Will ich nicht wieder zur heiligen Allegorie fliehen, so ist die Wolke vergebens.
Und wie oft hätte sie alsdenn Homer vergebens! In einem Nebel16 steigt Thetis aus dem Meere hervor, bis sie vor ihrem Sohn hinsaß, und sich ihm in Gestalt zu erkennen gab. In einer Wolke steigt sie zum Jupiter hinauf: eine dichte Wolke warf Jupiter17 um sich, da er auf Ida saß, die Schlacht übersehen, und nicht gesehen seyn wollte. Eine Wolke ist bei Homer mehr als einmal die Kleidung der Götter, wenn sie in einer Situation, die nicht auf andre würkt, in einer intransitiven Stellung erscheinen. Ihr Körper ist zwar nur, wie ein Körper, der Lebenssaft ihrer Adern ist nur gleichsam wie Blut,18 d.i. nichts so grob und irdisch, als ein Menschlicher Körper; doch aber immer Blut, das zu vergießen, ein Körper, der zu verwunden, wie weit mehr zu sehen ist. So wird Venus von Diomedes verwundet, ob er sie gleich als Göttin erkennet:19 und um sie zu trösten, erzählt ihre Mutter Dione,20 was schon von jeher die Himmlischen von den Sterblichen haben erleiden müssen, wie Mars von zween seiner tapferen Feinde gebunden, ins Gefängniß geworfen, dreizehen Monate lang gefangen gehalten, und mit genauer Noth vom Merkur heimlich gerettet sey: wie Juno verwundet, Pluto verwundet – – was darfs, die Mythologischen Geschichte her zu erzälen, die alle wenigstens so viel zeigen, daß nach der Homerischen Göttertheorie der Satz zu hoch klinge: Unsichtbar seyn, ist der Zustand[111] der Götter: einer Erhöhung des Gesichts bedarfs, um nur von Menschen gesehen zu werden, nicht aber einer Abbrechung der Lichtstralen, um nicht gesehen zu seyn.« Brauchts dieses nicht einmal, wie unmöglich, daß ein Gott wider Willen erkannt, gebunden, verwundet werde? Wenn er den Menschlichen Augen seiner Natur nach nicht bloß entgeht, sondern dieselben durch ein Wunder erst erhöhet werden sollen, wie sinnlos alsdenn, seiner Natur nach, verwundbar, für den Helden überwindlich zu seyn? Man wird mir antworten: um einen Gott, um eine Göttin zu erkennen, mußten dem Diomedes erst von einer andern Göttin die Augen eröffnet werden; allein hier rede ich nur von dem Verwundbarseyn durch seine Natur,21 und schließe gerade hin: ein verwundbarer Körper muß auch ein durch seine Natur nicht unsichtbarer Körper seyn: wenn unser Auge ihn der Natur desselben nach nicht treffen könnte; wie könnte nach der Natur des Götterleibes meine Hand ihn treffen?
Warum aber Minerva dem Diomedes erst den Nebel von den Augen nehmen mußte, um Götter und Menschen in der Schlacht zu unterscheiden?22 Ich kann gerade weg sagen: weil er Poetisch einen Nebel vor den Augen hatte; allein ich will Homer Prosaisch erklären. Wenn die Homerischen Götter unmittelbar auf Menschen, und mit Menschen wirken; z.E. streiten, kämpfen, Pferde lenken, kurz, Menschliche Thaten thun wollen: so nehmen sie durchgängig bei Homer auch bloß Menschliche Gestalten an: es heißt alsdenn jedesmal bei Homer: »er gleichte sich diesem, oder jenem Helden.«23 Und freilich in dieser Gleichung war der Gott nicht zu erkennen: denn er war Menschlich eingekleidet: nur aus den übermenschlichen[112] Thaten, aus völlig wunderbaren Begebenheiten schlossen die Helden, daß hie oder da ein Gott seine Hand mit im Spiele haben müsse. Sie fürchteten sich also, einem so verkleideten Gotte zu begegnen, weil es bei ihnen eine Maxime geworden: »keiner lebt lange, der einem Gotte widersteht, oder schadet.« Mit Griechischer Ehrlichkeit fragt ein Held den andern, so offen zu seyn, und zu sagen: ob er ein Gott, oder ein Sterblicher sey? damit er wisse, mit wem er zu thun habe. Und mit Himmlischer Offenherzigkeit entdeckt sich der Gott, wenn er ins Gedränge geräth, daß man ihm aus dem Wege weichen sollte. – – Kurzum! weil das ganze Homerische Treffen voll verkleidet wandelnder Götter ist, weil der Dichter diese Hypothese wissentlich [bei] allen Helden und Streitern voraus setzt: freilich so gehört eine Minerva dazu, um diese eingekörperten Wesen vor andern Menschen kennbar zu machen. Aber nicht also, daß sie das Gesicht Diomedes erhöhen dorfte, um Unsterbliche zu sehen: denn die Unsterblichen glichen hier Menschen; sondern, um ihm diese und jene, mordende Figur kennbar zu machen, daß sie etwas mehr sey, als wofür er sie ansehe, daß sie kein Mensch, sondern ein wandelnder Gott sey,24 u.s.f. kurz! hier erscheinen die Götter in einem hindernden Vehikulum gleichsam, und in diesem Vehikulum sollen sie kennbar, nicht sichtbar werden.
Nun aber falle das Vehikulum weg, lasset sie blos Götter seyn: die Wunde, der Schmerz bleibt ihnen, er ist nicht mit der Gestalt weggefallen, in der sie sich Menschlich verkörpert. Mars schreit auf – verläßt die Schlacht, und geht Himmelauf: die Gestalt des Acamas ist also weg, und sehet da! die Wolkenhülle ist um ihn: mit Wollen gehet er zum Himmel.25 Und noch in seiner Himmlischen Gestalt fühlt er den Schmerz, den ihm ein Mensch zufügen konnte? ist die Wunde nicht der Gestalt Acamas geblieben? sie gehört Mars: der Himmlische Arzt muß sie heilen; sein Göttlicher Körper war seiner Natur nach also verwundbar, wie[113] also eben seiner Natur nach nicht sichtbar? oder gar nicht anders als unsichtbar?
Nein! mein Homer ist viel zu sinnlich, als daß er sein ganzes Gedicht durch von so geistigen Göttern, und von so seinen Allegorien, was die Wolke hie und da bedeutet? wissen sollte. Einem Persischen Epopöisten würde eine solche innere Unsichtbarkeit der Götter gefallen haben; allein ein Griechisches Auge will in der Epopee auch an Gottheiten schöne Körper und Himmlische Gestalten erblicken: es will sie schon ihrer Natur nach in dieser schönen Sichtbarkeit sehen, und nicht erst durch ein Wunder, oder durch die außerordentliche Gnade des Dichters, eine Erleuchtung, eine Erhöhung des sterblichen Gesichts nöthig haben, sie anzuschauen. Für solch ein Auge sind die Griechischen Götter geschaffen. Hat aber der Dichter es nöthig, sie nicht sehen zu lassen: so kleide er sie in eine Wolke; er werfe Nebel vor unsere Augen. Eine solche Wolke, in der sie erschienen, hat außerdem ja so manche hohe Nebenbegriffe: den Begriff des Himmlischen und Erhabenen, der einem Himmlischen Wesen zukommt: ist sie glänzend, so der prächtigste Thron eines überirdischen Regenten; dunkel, so das Gewand des Zornigen und Fürchterlichen; schön düftend, so die Verkündigerin einer lieblichen angenehmen Gottheit – alle diese Nebenideen liegen schon in unserm sinnlichen Verstande: sie haben den Dichtern aller Zeiten die vortreflichsten Bilder geschaffen: und Homer sollte diesen edlen Gebrauch der Wolke unterlassen, nicht eingesehen haben? Er allein hätte damit uns blos ein Hokuspokus einer Poetischen Redensart machen wollen, um hier eine Entrückung, dort eine innere Unsichtbarkeit, doch nicht so gerade heraus zu sagen – ich sage nochmals, so kenne ich Homer nicht.
Freilich in den spätern Zeiten, da man die Homerische Mythologie quintessenziirte, und aus ihr ein paar Tropfen Metaphysischen Geist abzog: da wußte man nicht gnug von der innern Unsichtbarkeit der Götter, von ihren mystischen Erscheinungen, von dem Ueberirdischen ihrer Epiphanien u.s.w. zu vernünfteln; allein solche Theophanien, solche seine Metaphysik über die Natur der Götter,[114] gehört in den Kreis der spätern Platonisten und Pythagoräer, und in das heilige Murmeln ihrer Geheimnisse. Ich denke doch aber, daß wir hier nicht über Jamblichus, sondern Homer, reden.
– Kurz! ich bin mit der Ursache zufrieden, daß, wenn der Maler mit seiner Wolke nicht unsichtbar machen kann, er auch dem Dichter die Wolke nicht nachäffen darf: und was brauchts da weitere Allegorien und Deutungen über den Dichter, unter denen der Dichter verlohren geht? Nach meinem Gefühle gebührt den Griechischen Göttern die schönste Sichtbarkeit und Jugend als ein Prädikat ihres Wesens: und ohne solche sich einen Apollo, einen Bacchus, einen Jupiter denken zu sollen, sich die Unsichtbarkeit als den natürlichen Zustand der Götter vorstellen zu müssen – das kann keine Griechische Seele: kein Griechischer Dichter und Künstler, ja selbst kein weiser Epikur. Mit dem Begriffe schöner Sichtbarkeit geht das Wesen der Götter, das Leben ihrer Geschichte und Thaten, die so genau bestimmten Stuffen ihrer Ibealgestalten, das Anziehliche ihres Umganges mit Menschenkindern: das ganze Kraftvolle der Mythologie verlohren. Ich sehe nicht mehr die schönen sinnlichen Griechischen Götter: ich sehe sichtbar seyn wollende Phantome! Mit einer solchen Hypothese ist meine beste Mythologische und Poetische, und Kunstentzückung getödtet! Ich mag die ketzerische Neuigkeit nicht: ich bleibe bei der alten Griechischen Rechtgläubigkeit.
1 | p. 119–149. [444–462]. |
2 | Klotz geschnittene Steine hin und wieder. |
3 | Hamb. [neue] Zeitung. 1768 No. 97. [VIII, 2 fgg. L.]. |
4 | Laok. p. 130. [450] |
5 | p. 137. [454] |
6 | p. 137. |
7 | p. 137. 138. [455]. |
8 | p. 137. |
9 | p. 138. 139. [455–6]. |
10 | Iliad. Y.v. 341. 342. etc. |
11 | Laok. p. 140. 141. [456–7] |
12 | Callimach. hymn. in Pallad. Dianam etc. |
13 | Anthol. L. IV. c. 19. epigr. 33. |
14 | Iliad. Y. v. 131. Χαλεποὶ δὲ ϑεοὶ φαίνεσϑαι ἐναργεῖς. |
15 | Iliad. A. v. 47. (νυκτὶ ἐοικώς) |
16 | Iliad. A. v. 359. (ἠΰτ᾽ ὀμίχλη) |
17 | Iliad. Θ. v. 50. |
18 | Iliad. E. v. 340–342. |
19 | Ibid. v. 330. 331. |
20 | Ibid. v. 381. |
21 | Auch Götter gegen Götter sind verwundbar, und Jupiter läßt der Juno und Minerva drohen, daß, wenn sie nicht zurückwichen, er sie auf zehn Jahre lang unheilbar verwunden wolle. Θ 404. 415. |
22 | Iliad. E. v. 116–130. |
23 | Neptun. (Iliad. N. 45.) είσάμενος Κάλχαντι – Minerva (Iliad. X. 227.) Δηϊφόβω εϊκυια – – (Iliad. Δ. 86. 87.) Π δ άνδριί ίκέλη Λαοδόκω etc. |
24 | Iliad. E. 127–130. |
25 | Iliad. E. 867. |
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