[52] Der große Winkelmann hat uns die schöne Griechische Natur so Meisterhaft gezeiget, daß wohl keiner, als ein Unwissender und Fühlloser, es leugnen wird, »ihr Hauptgesetz in der bildenden Kunst sey Schönheit gewesen.« Deß ohngeachtet dünkt mich noch die erste Quelle mit einigen ihrer Adern unentdeckt: warum die Griechen in Bildung des Schönen so hoch gekommen, um allen Völkern der Erde hierinn den Preis abzulaufen? Herr Leßing giebt auch ein Supplement1 dazu, da er uns den Griechen, im Gegensatz mit dem Kunstgeschmack unserer Zeit, als einen Künstler zeiget, der der Kunst nur enge Grenzen gesetzt, und sie blos auf die Nachahmung schöner Körper eingeschränket: »sein Künstler schilderte nichts, als das Schöne.«
Nichts, als das Schöne? Nun ja! mein Leser, ich habe die weisen Erinnerungen und Einschränkungen gelesen, die man wider diesen Leßingschen Satz sehr gelehrt aufgeworfen; allein man muß L. erst verstehen, ehe man ihn widerlegt. Will er sagen, daß die Griechen nichts Häßliches gebildet? Ich glaube nicht, und wünsche an einem andern Orte2 die Worte weg: »die Griechen haben nie eine Furie gebildet.« Denn gienge sein Satz so weit: so hätte Hr. Klotz noch in jedem seiner künftigen Schriftchen Gelegenheit, ein Beispiel anzubringen, daß die Alten auch Furien, Medusen u.s.w. gebildet hätten – etwas, was wohl jeder weiß, der etwa ein Museum durchlaufen.
Oder hätten die Alten das Gesetz gehabt, häßliche Figuren auch schön zu bilden, weil was gebildet werde, schön seyn müsse?[52] Ich weiß, daß man ihn auch so verstanden, und alsdenn die liebe Meduse statt Alles angeführt; allein auch dieß ist nicht die Verbindung des Sinnes.
Ich verstehe ihn so: es sei bei den Griechen kein herrschender, kein Hauptgeschmack gewesen, das erste beste zu schildern und zu bilden, um blos durch die Nachahmung Werth zu erhalten, blos durch Aehnlichkeit sich als Künstler zu zeigen: sondern hier habe ihr Geschmack das Schöne zum Hauptgegenstande gemacht, um nicht blos mit leidigen Geschicklichkeiten zu pralen. Und in diesem Verstande bleiben folgende Bestimmungen ja von selbst eingeschlossen.
Um von einem herrschenden Geschmacke zu urtheilen, nehme man nicht jede einzelne Beispiele: denn die Pausons, Pyreicus und andre Rhyparographen, so lange sie nicht Schulen ziehen, und diese mit andern, mit den Schilderern der Schönheit noch nicht um den Vorzug streiten dörfen, hindern nichts.
Um von einem herrschenden Geschmacke zu urtheilen, muß man die Worte eines Gesetzgebers,3 eines Politischen Philosophen, nicht als Beweis des Gangbaren annehmen: denn sie sagen, was da seyn sollte, nicht was da ist.
Die besten Zeugen eines herrschenden Geschmacks sind die öffentlichen Kunstwerke, die Anordnungen der Obrigkeit: und da Hr. Leßing auch vorzüglich auf diese gesehen, so lehrt man ihn ja nichts neues, wenn man sich vernehmen läßt:4 »Der griechische Künstler schilderte nichts, als das Schöne –« »Entgegengesetzte Zeugnisse der Schriftsteller und Beispiele der Künstler bestimmen mich, dieser Beobachtung engere Grenzen zu setzen, und sie bloß auf öffentliche Denkmäler einzuschränken.« Ich denke, daß das Hrn. L.erste Quelle gewesen, und er sucht ja vielleicht Anordnungen, wo selbst keine sind.5[53]
Um von einem herrschenden Geschmacke zu urtheilen, nehme man ferner nicht Tempelwerke, wo Religion die Hauptabsicht gewesen, oder der Geschmack der Religion nicht geändert werden konnte. Hr. L. macht sich diese Einschränkung selbst,6 und sie ists, die seinen Satz so mildert, daß, ich gestehe es, er freilich durch ihn so viel oder so wenig bedeuten kann, als er will.
Um endlich vom herrschenden Geschmacke zu urtheilen, nehme man freilich nicht alle Zeiten gleich, sondern die, da der Geschmack schon ausgebildet, da er durch keine Kakozelio verdorben erscheint: im ersten Fall ist noch kein Gesetz gegeben, im zweiten ists eine Zeitlang unter die Bank gebracht; deßwegen aber noch immer Landesgesetz. – Und nach diesen Bestimmungen kann L. allerdings vest setzen: »daß bei den Alten die Schönheit das höchste Gesetz der bildenden Künste gewesen.«
Allein bei welchen Alten? seit wenn? wie lange? welche Unter- welche Nebengesetze? Und woher ists bei den Griechen so vorzüglich, vor allen Nationen, höchstes Gesetz geworden? Andre wichtige Fragen, wo bei der letzten mir W. selbst kaum ein Gnüge thut.
Hr. L. kommt auf zwo Situationen, die hierin einschlagen: »daß bei den Alten auch die Künste bürgerlichen Gesetzen unterworfen gewesen, und was die bildenden Künste auf den Charakter einer Nation wirken können.«7, Allein, über beides konnte er sich nur im Vorbeigehen erklären. Es muß aus Gründen hergeleitet werden können: wie bei den Griechen Gesetze über die Kunst nicht blos, wie weit es Hr. L. nimmt, erlaubt; sondern nöthig gewesen – wie bei ihnen Kunst und Poesie und Musik weit mehr zum Wesentlichen des Staats gehöret habe, als jetzt – wie der Staat also nicht ohne sie, als seine damaligen Triebfedern, und[54] sie nicht ohne Staat haben seyn können – wie also die Wirkung der Nation auf die Kunst, und der Kunst auf die Nation nicht blos Physisch und Psychologisch, sondern auch großen Theils Politisch gewesen – wie bei den Griechen also aus so manchen Ursachen, und nicht blos ihres Nationalcharakters, sondern auch ihrer Erziehung, Lebensart, des Grades ihrer Cultur, ihrer Religion und ihres Staats wegen, die Bildung der Schönheit mehr Eindrücke haben können, und mehr Eindrücke habe annehmen müssen. Ein wichtiges Problem,8 zu dessen Auflösung mehr, als einige Känntniß der Griechen von der Oberfläche her gehöret. Unsern gewöhnlichen Graeculis also, die jetzt nach dem Modegeschmacke von nichts so gern, als von Kunst, von Schönheit der Griechen sprechen, ist ein Gedanke hieran so wenig eingefallen, daß sie alles glauben erklärt zu haben, wenn sie von nichts, als einer gewissen seinen schönen Empfindung der Griechen für die Kunst, und für die Schönheit, schwatzen; von einer Empfindung, die sie gehabt, die Römer nicht gehabt, und die jetzt in unsern Deutschen Neugriechen wieder auflebe. Alle Klotzische Schriften sind von diesem süßen Geschwätze voll:9 denn freilich aus einer gewissen unnennbaren Empfindung, aus einem sechsten Sinne für die Schönheit, kann man alles, was man will, ohne Kopfbrechen ausfinden. – Ein Philosophischer Kopf, wie Leßing, konnte mit solcher qualitas occulta nicht zufrieden seyn: und welcher halbphilosophische Kopf wird sich denn damit lächelnd begnügen können?
Doch nicht zu weit vom Laokoon. Wenn bei den Griechen Schönheit das höchste Gesetz der Kunst war: so mußten gewaltsame Stellungen, häßliche Verzerrungen vom Künstler entweder gemieden, oder herabgesetzt werden: und L. giebt davon die besten Exempel.[55] Indessen hat er Wiederspruch gefunden, und einer seiner Wiedersprecher10 ist, wenn er jetzt einen Stein findet, der dafür, jetzt einen, der dawider zu seyn scheinet, auch im Wechselfieber bald für, bald gegen den Satz, daß der geneigte Leser endlich nicht weiß, wie ihm ist. Ob sich hier nicht ein fester Faden ziehen ließe?
Zuerst also: der Mythische Cirkel der alten Griechen war ohne Wiederspruch der Schönheit gebildet: ihre Götter und Göttinnen waren nicht, wie die Aegyptischen, Allegorische Ungeheuer: noch, wie die Persischen und Indischen, beinahe ohne Bild: noch, wie die Hetrurischen, traurige und unanständige Figuren; sondern an Bildung reizend dem Auge. In der ganzen Natur der Dinge fanden die Griechen keine bessere Vorstellung der Göttlichen Natur, wie eines Inbegrifs der Vollkommenheiten, als die Menschliche Gestalt; und wiederum, welches zu beweisen wäre, keine der Gottheiten war so charakterisirt, daß sie immer häßlich hätte gebildet werden müssen, um das zu seyn, was sie seyn sollte. Die Götterbegriffe der Griechen waren von Dichtern bestimmet, und diese Dichter waren Dichter der Schönheit.
Die Griechen hatten z.E. einen Jupiter, der freilich nicht immer μειλιχιος, der auch oft der Zornige, der Grimmige war: und der Dichter konnte ihn seinem Zwecke gemäß schildern. Wie aber der Künstler? Wer will denn immer gern einen zornigen Jupiter sehen, da sein Zorn doch mit dem Ungewitter übergeht? Was also natürlicher, als daß er zu dem ewigen Anblicke seines Kunststückes den Anblick einer schönen Größe lieber wählte, und ihm nur hohen Ernst in sein Gesicht schuf? – Nun kann es freilich, und insonderheit in der ältern Zeit der Religion, auch Abbildungen des Zorns gegeben haben: allein, was thut dieß? der Hauptbegriff bei Jupiter, selbst wenn er den Donner wirft, bleibt doch – hoher Ernst, schöne Größe; dieß ist seine bleibende Gestalt, jene geht vorüber.[56]
Venus, wenn sie um den Adonis trauret, raset bei Moschus fürchterlich: auch Juno kann königlich zanken, und Apollo tapfer zürnen – allein ist diese Raserei, dieß zänkische Gesicht, dieser Zorn im Antlitze denn wohl ihre beständige Mine, ihr nothwendiger Charakterzug? Nicht! er ist übergehend, er ist eine vorbeiziehende Wolke: nun soll der Künstler Venus, Apollo, Juno bilden; – will er nicht Unsinn, oder Eigensinn beweisen, so wird er die Mine nehmen, die Venus, Apollo, Juno eigen ist: in der sie sich zeigen würden, wenn sie ihm zur Bildung erschienen, und dieß ist – eine Gestalt der Schönheit.
Doch immer aber gab es ja auch im Mythischen Zirkel der Griechen Figuren, denen die Häßlichkeit ein Charakterzug war: z.E. Medusenköpfe, Bacchanten, Giganten, Silenen, Furien u.s.w. Medusa gehe voraus, denn Pallas trägt sie auf ihrem mächtigen Schilde. Meduse, ist sie eine Gestalt, die nothwendig häßlich gebildet werden muß, von der man nur eine Gestalt wüßte, die im höchsten Grade fürchterliche? Die so viel über die himmlische Bildung der Meduse, als von einem Ich weiß nicht, warum? und einer Paradoxie reden,11 sollten wissen, daß Medusen diese Bildung eigenthümlich, daß sie eine Reizende gewesen, die Neptun zur Liebe beweget, und darüber von der jungfräulichen Minerve verwandelt worden.12 Nun sollte sie der Künstler bilden: zwo Gestalten lagen vor ihm und er wählte – die schöne vor ihrer Verwandlung: aber um sie als Meduse zu bezeichnen, flocht er Schlangen in ihre Haare.
Um diese Schlangen zu erklären, weiß ich da keinen andern Rückweg, als mich »auf das besondere Gefühl der Griechen und Römer für die Schlangen« zu beruffen?13 ein besonderer Appetit,[57] der – hier aber nichts erklärt. Eine schöne Meduse ohne Schlangen wäre nicht mehr känntlich, nicht mehr Meduse – ein bloß schönes Gesicht gewesen; so und aus keinem Schlangenappetit mußte also der Künstler diesen Charakterzug brauchen. Und warum sollte ers nicht? Wann er die Schlangen in die Haare versteckt, so können sie zieren; und was an ihnen hervorblickt, ist das was häßliches? Schrecklich, und nicht häßlich; aber dieß Schreckliche gemäßigt, mit einem schönen Antlitze contrastirt, ist angenehm; es erweckt den Begriff des Außerordentlichen, von der Macht der Göttin, ist also hier als Charakterzug nöthig, und zum viel fassenden Eindrucke tauglich: es erhebt die Schönheit. Meduse also dorfte nicht nothwendig ein Bild der Häßlichkeit seyn.
Und die Furien eben so wenig. Die Ehrwürdigen: so nannten die Athenienser sie, und so konnten sie die Künstler bilden: »weder an ihren Bildnissen, sagt Pausanias,14 noch an den Abbildungen der unterirdischen Götter, die im Areopagus stehen, ist was fürchterliches wahrzunehmen.« Und wenn nicht an den Furien; an den eigentlichen Rach- und Plagegöttinnen: wenn nicht an den unterirdischen Göttern; wenn nicht selbst im Areopagus, dem ernsthaftesten Orte zu Athen – wo und an welchen Bildungen hätte denn das Gräuliche der Hauptcharakter seyn müssen?
Ich darf also behaupten, daß alle Mythische Figuren des Zirkels, die als Hauptfiguren, einzeln, ihrem innern und beständigen Charakter gemäß, haben erscheinen sollen, das Widerliche und Gräßliche nie zur nothwendigen Bildung haben dorften. Selbst bis auf den Schlaf und den Tod15 erstreckt sich dieß, die beide als Knaben in den Armen der Nacht ruhend vorgestellt wurden, und[58] so gar bis auf die höllischen Götter – schönes Feld von Vorstellungen für den Künstler, dem also seine Religion es wenigstens nicht auflegte, zur Schande des Geschmacks, und zum Ekel der Empfindung arbeiten zu müssen. Da waren keine Bilder des Abscheues, wie in der skandinavischen und andern Nordischen Religionen: keine Fratzenvorstellungen, wie in den Mythologien der heidnischen Mittagländer: kein Knochenmann, der den Tod, kein Ungeheuer, das den Teufel vorstellen sollte, wie nach den Idolen unseres Pöbels; unter allen Völkern der Erde haben die Griechen, was den sinnlichen, den bildsamen Theil der Religion anbetrift, die beste Mythologie gehabt: selbst die Kolonien ihrer Religion, nicht ausgenommen.
Zweitens: doch aber gab es ja so häufige Vorstellungsarten, Situationen, und Geschichte ihrer Religion, die immer auch für den Künstler widerliche Gestalten liefern mußten, wenn nicht als Haupt- so als Nebenideen: wie nun? Als Nebenideen freilich, und eine Mythologie, die nichts als Gestalten in seliger Ruhe lieferte, wäre für den Dichter gewiß eine todte, einförmige Mythologie gewesen, und hätte keine Griechen an Poesie hervorbringen können. Gnug aber, daß dieß Nebenideen, untergeordnete Begriffe, wandelbare Vorstellungen waren; bei solchen befand sich der Dichter recht wohl und der Künstler auch noch so unbequem nicht.
Ein Jupiter z.E. der die Giganten unter seinem Wagen hat, kann und soll auf sie, als auf Ungeheuer, als auf widrige Gestalten seinen Blitz schleudern; aber diese Gestalten sind ja nicht der Hauptanblick: sie sind mit ihrem Gräßlichen dem Jupiter untergeordnet, und also da, das Majestätische in ihm zu vermehren; nicht also wider das Hauptgesetz der Kunst. Ein schöner Bacchus unter taumelnden Mänaden, und ausgelassenen mit Pausbacken blasenden Bacchanten, unter Silenen und Satyrs, wird um desto herrlicher und schöner erscheinen. Die fürchterliche Meduse auf dem Brustharnische der Pallas wird die männliche Schönheit ihrer Göttinn[59] noch mehr erheben: denn hier ist sie nicht Hauptfigur, sondern Zierrath der Kleidung. So Perseus mit seiner Gorgone: Vulcanus, der hinkende, mitten im Saale der Götter: so Cerberus unter den Füßen des majestätischen Pluto – wie manches Papier wäre mit Einwendungen geschont, wenn man bedacht hätte, daß in einer Composition von Figuren auf eine Nebengestalt ja nicht das Hauptgesetz fallen könne, ohne das Ganze zu verderben.
Drittens: was ich von den Griechischen Göttern gesagt, gilt auch von ihren Helden. Weder ihre Heroen, noch Menschliche Helden haben zu ihrem Hauptzuge eine Klosterheiligkeit, eine verzückte Andacht, eine bußfertige Verzerrung, oder eine sich wegwerfende Demuth. Allein also, für sich selbst genommen, läßt der Held hoher Schönheit Platz, insonderheit wenn er als Hauptperson in seiner bleibenden Fassung erschiene. Setzet ihn aber auch in ein Medium der Hinderniß: seine Seele werde von Zorn, von Jammer, von Betrübniß erschüttert: freilich wird er nicht den stoischen Weisen machen; aber die empfindliche Natur seiner Menschheit, wird sie seiner höhern Natur wiedersprechen dörfen?
Hier stehe die Abschilderung Agamemnons in dem Opfer der Iphigenia. Timanthes verhüllte ihn: warum aber hat er ihn verhüllet? Er hat sich, sagt Plinius,16 in den traurigen Physiognomien erschöpft, so daß er dem Vater eine noch traurigere geben zu können verzweifelte. Dieß läßt Hr. L. den Plinius sagen,17 und – – wiederlegt also die von ihm gegebene Ursache mit Recht: denn es ist wahr, »daß mit dem Grade des Affekts sich auch die ihm entsprechenden Züge des Gesichts verstärken; daß der höchste Grad die allerentschiedensten Züge habe, und nichts sey der Kunst leichter, als diese auszudrücken.« Plinius hätte also Unrecht, und der Schriftsteller18 noch mehr Unrecht, der ohne diese von L. angegebne Ursache zu entkräften, Plinius glaubt, blos weil er idoneus auctor ist. Aber wie wenn Plinius dieß nicht gesagt hätte?[60]
Plinius Stelle ist diese: Timanthes cum moestos pinxisset omnes, praecipue patruum & tristitiae omnem imaginem consumpsisset,patris ipsius vultum velavit, quem digne non poterat ostendere. Was sagt nun Plinius? daß Timanth sich an traurigen Physignomien erschöpft, daß er dem Vater keine traurigere hätte geben können? nicht! sondern daß diese noch traurigere seiner nicht würdig gewesen wäre, daß er ihn in derselben nicht würdig hätte zeigen können. Ich will dem Valerius Maximus19 folgen, wie er Timanths Gemälde angiebt: Kalchas erscheint betrübt, Ulysses traurig, Ajax stößt eben ein Ach! aus, Menelaus windet die Hände – wie nun Agamemnon? nicht anders als starr, sinnlos, betäubt, die Züge des Gesichts eisern angeheftet, oder – rasend: denn so äußert sich, dünkt mich, der höchste Affekt. Würde sich da nun Agamemnon würdig zeigen? der Anblick eines Starrsehenden, ist er würdig eines Vaters? kaum! und der die Hände windende Menelaus, der ächzende Ajax, der traurige Ulysses, der betrübte Kalchas würden gerührter scheinen, als der starre Vater selbst. So erscheine dieser rasend? ein unnütz rasender Held, ein knirschender Agamemnon ist ein unwürdiger Anblick. Wenn Menschen sein Kind ertödten: so rette ers: er winde Kalchas das Opfermesser aus der Hand, und mache sich nicht durch sein Geschrei, durch seinen vergeblichen Schmerz unnütz. Wollen aber Götter das Opfer, fodert es das Wohl der Griechen; ists einmal zugestanden; König, so wisse dich zu fassen: und wenn dein väterlich Herz bricht, so – wende dein Auge weg; verhülle dein Antlitz: so erscheinst du würdig des Vaters, und des Königes, und des empfindbaren Griechen und des Patriotischen Helden.
Auch würdig der Kunst des Malers? Mit dem vorigen zusammen; ob aber dieser letzte Zweck der Einige und Hauptzweck gewesen? ob die schönen Raisonnemens eintreffen, die Hr. L. dem Timanthes Schuld giebt,20 »daß er die Grenzen seiner Kunst[61] gekannt, daß er das Häßliche, das Verzerrende im Gesicht Agamemnons gerne gelindert hätte; da es aber nicht angieng – so habe er ihn verhüllet. Die Verhüllung sey eben ein Opfer, das der Künstler der Schönheit gebracht habe;« weiß ich nicht; wenigstens konnte ihm das Opfer nicht schwer werden, denn er brachte es aus fremden Mitteln. Mehr als ein Dichter21 hatte schon im Schauspiele den Agamemnon verhüllet, und Timanth dorfte also nicht erst mit sich darüber vernünfteln. Er wäre frech gewesen, wenn er, was der Dichter verhüllt hatte, hätte entblössen wollen, zumal es auf seine Kunst so sehr zutraf. Warum ihn aber der Dichter verhüllt? ob etwa einem künftigen Timanthes zu gut? ob etwa eine Figur zu verhüten, die sich nicht malen ließe? ob um der Kunst ein Opfer zu bringen? Der Kunst freilich; aber kaum dem Pinsel des Timanthes, sondern seinem eigenen Schauspiel, und der Grazie desselben! Nicht, als wenn diese bei der Opferung eines Kindes einen stoischen Helden foderte; so unmenschlich ist die Griechische Grazie nicht. Nicht, als wenn sie einen betrübten ächzenden Vater nicht duldete; warum nicht, wenn es damit gethan wäre? Aber hier sollte er den höchsten Ton des väterlichen Schmerzes, und des entsetzlichsten Jammers: ihn sollte ein Held anstimmen, der zugleich König war, der dadurch die Griechen rettete, der ihnen die Opferung versprochen hatte: dieser also sein Wort brechen, sein Volk nicht lieben, dafür auch nicht etwas Saures thun wollen? Er lasse sie opfern, er rase nicht wie ein Klageweib vergebens umher: er wende sein Auge ab, und weine väterliche Thränen: so erscheint er – würdig dem Könige und dem Vater, mithin auch würdig der Theatralischen Grazie. Nur da diese einer andern Person, einer Clytemnestra, einer Hekuba und andern Helden noch wahrscheinlicher manches hätte erlauben können, was sie in dieser Situation, diesem Agamemnon nicht erlaubte: so sieht man, daß auch bei Euripides diese Verhüllung mehr ein Opfer für seinen Helden in dieser Situation, als für den Helden absolut,[62] oder absolut für die Grazie der Schauspielkunst gewesen; und daß die Grazie einer fremden Kunst hier gewiß ganz beiseite trete.
Indessen, wie es sey: so bleibt Timanthes Gemälde, selbst bis auf den schreienden Ajax desselben,22 für Hrn. Leßing, und selbst der rasende Ajax, die fürchterliche Medea, der leidende Herkules, der seufzende Laokoon; und immer zehn Beispiele gegen ein gegenseitiges bestätigen seinen Satz, »wie sehr die griechischen Künstler das Häßliche vermieden, und wie sorgfältig auch in den schwersten Fällen Schönheit gesucht.« Sollte man aber in der neuern Zeit, mit Ausdehnung der Kunst auch über die Grenzen des Schönen, das Wesen derselben haben ändern, und ihr ein neues Obergesetz: »Wahrheit und Ausdruck« geben wollen?23 oder sollte diese Uebertragung über die Grenzen des Schönen nicht auch zu unsrer Zeit blos »Eigenschaft des Geschmacks in der und jener Schule« und also eine Kakozelie seyn, an der es den Griechen bei ihrem Pauson und Pyreicus auch nicht fehlte? die Frage wird sich im folgenden mehr ergeben. »Wenn man in einzelnen Fällen den Maler und Dichter« (und also auch die Kunst zwoer Zeiten) »mit einander vergleichen will, so muß man vor allen Dingen wohl zusehen, ob sie beide ihre völlige Freiheit gehabt haben, ob sie ohne allen Zwang auf die höchste Wirkung ihrer Kunst haben arbeiten können.«24 Und wer hat hier in einer freiern Luft geathmet?
1 | Laok. p. 9–22. [380–87] |
2 | Laok. p.16. [384]. |
3 | Laok. p. 11. [381] not. b. wo Hr. L. die Worte Aristoteles anführet. |
4 | Hr. Klotz Geschichte der Münzen p. 41. 42. |
5 | Laok. p. 12. [382] das Gesetz der Thebaner εις το χειρον ist mir noch zweifelhaft. |
6 | Laok. p. 103. [435]. |
7 | Laok. pag. 12–15. [382–3]. |
8 | Ein Programm des Hrn. Prof. Heine, de caussis fabularum seu mythorum veterum physicis, hat mir mehr Gnüge gethan, als die ganze Philosophie des Banier; wie überhaupt dieser würdige Kenner der Alten von seinen Griechen das Schwerste gelernt: stille Grösse, ruhige Fülle, auch im Vortrage und Ausdrucke. |
9 | S. Klotz Gesch. der Münzen p. 106. 107. |
10 | Klotz Act. litt. conf. mit der Gesch. Der Münzen, und diese mit der Schrift über die geschnittenen Steine. |
11 | Klotz Gesch. der Münzen p. 46. 47. |
12 | Pausanias erzält ihre Geschichte noch bequemer für die Kunst; v. Corinth. [II] c. 21. |
13 | Klotz Gesch. der Münz. p. 47. »Es ist wahr, daß unser Gefühl über diesen Punkt eben so verschieden von dem Gefühl der Griechen und Römer ist, als von der Empfindung des Kannibalen« u.s.w. |
14 | In Attic. [I] c. 28. |
15 | Laok. p. 121. [445] Die Leßingische Erklärung des διεστραμμενους τους ποδας scheint dem Sprachgebrauche zu wiedersprechen; und wenn es aufs Muthmaßen ankäme, könnte ich eben so sagen: »sie schliefen mit über einander geschlagnen Füßen« d.i. des einen Fuß streckte sich über den andern hin, um die Verwandtschaft des Schlafs und Todes anzuzeigen u.s.w. |
16 | Lib. XXXV. Sect. 15. |
17 | Laok. p. 18. 19. [385–6] |
18 | Klotz act. litter. Vol. III. p. 291. |
19 | Valer. Maxim. lib. VIII. Cap. 11. |
20 | Laok. p. 19. [386; gekürzt] |
21 | Z.E. Euripides in seiner Iphigenia u.s.w. |
22 | Hr. L. kann dem Valerius immer glauben: denn auf den schreienden Ajax fällt in dem Gemälde nicht das Hauptaugenmerk: und also auch nicht der Mittelpunkt, die Nerve seines Satzes: der das Ganze der Composition, nicht eine Nebenfigur treffen will. |
23 | Laok. p. 10. 23. [380. 388]. |
24 | p. 102. [435]. |
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