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[130] New York, März 1900.


Lieber Freund, es gibt doch komische kleine Züge in den Menschen! Wie ein Kreuzfahrer ist Hofer aus seiner fernen Diözese ausgezogen. In elendem Boot auf dem grossen Kanal und in knarrendem Karren auf durchlöcherten Wegen ist er zuerst nach Peking gefahren, um vor kommendem Unheil zu warnen; und als man dort nicht auf ihn hört, zieht er weiter über Amerika nach[130] Europa, um da seine Stimme zu erheben. Selbstsüchtige Zwecke sprechen dabei nicht mit, auch nicht Angst um eigene Sicherheit – er will von vielen Unschuldigen eine grosse Gefahr abwenden, verhindern, dass die Stecklinge westlicher Zivilisation, die so mühsam im fernen Osten gepflanzt wurden, in einer grossen Katastrophe vernichtet werden, er will die »Pekinger Taubblinden« um jeden Preis retten.

Aber das Triviale wohnt nahe beim Sublimen, und die Beschäftigung mit der Kirche schärft den Sinn fürs Praktische. Kleine Vorteile soll man auch auf dem Wege zu den höchsten Aufgaben mitnehmen. Während seiner New Yorker Rasttage hat Hofer den ihm gänzlich unbekannten Charles W. O'Doyle besucht und ihn auf Grund des chinesischen Ursprungs seiner Millionen für die Missionshäuser angebettelt. O'Doyle hat ihm eine bedeutende Summe gegeben, denn diesem grossen Mann ist sein Katholizismus ein Luxusgegenstand, den er sich etwas kosten lässt. Er und mehr noch die Prinzess von Armenfelde schmücken sich mit dieser Religion, die ihnen wie ein Symbol der Vornehmheit erscheint, und der sie unter ihren Landsleuten viel Bekanntschaften in höheren sozialen Kreisen verdanken, die sie ohnedem schwerlich je gemacht hätten. In den Vereinigten Staaten ist der[131] Katholizismus trés-bien porté, wie Madame Baltykoff neulich sagt.

Das Komischste aber ist, dass Hofers Appell an O'Doyles Wohltätigkeit und dessen Spürsinn für das Sensationelle in Geschäften mir eine grosse Bilderbestellung eingetragen haben!

O'Doyle und seine Tochter waren eben bei mir. Er teilte mir gleich Hofers Besuch mit und liess durchblicken, dass die Summe, die er ihm für die Mission angewiesen habe, allein schon die Reise wert sei. Dann sagte er, er glaube, Hofer habe recht mit seinen schlimmen Prophezeiungen; sie stimmten überein mit den Voraussagungen seiner Hongkonger Geschäftsfreunde.

»Um China wird sich in diesem Sommer alles drehen,« sagte O'Doyle. »Ich täusche mich selten, wenn ich mal solche Behauptungen aufstelle. Sollten Sie Geld in China haben, rat ich jetzt zu verkaufen, können später billig wieder kaufen – ganzes Geschäftsgeheimnis in den paar Worten: billig kaufen, hoch verkaufen. Zu merkwürdig, dass immer noch Menschen durchaus umgekehrt operieren wollen.«

Nachdem ich ihm versichert, dass ich weder in China noch anderswo Geld habe, fuhr er fort: »Gehen diesen Sommer in unser Cottage nach Newport. Baue dort kleinen Pavillon für Nachmittagstee.[132] Habe chinesischen Pagodenstil gewählt, ausgeschweifte Dächer, bunte Kacheln, viele Drachen, kleine Glöckchen; habe mich dazu entschlossen, weil dies Jahr, wie gesagt, nur von China gesprochen werden wird. Teepagode wird a great success sein! Brauche zur inneren Dekoration chinesische Ansichten; wollen Sie sie malen?«

Ich ging auf diesen Vorschlag gern ein und musste meine Mappen chinesischer Skizzen bringen, von denen ich so manche gemalt habe, während Sie zuschauten. Vater und Tochter suchten gleich aus. Die Prinzess war für das Malerische: ein Sonnenuntergang auf dem Yangtse, verwitterte alte Mauern in Hangtschau, ein Gewühl von Booten bei Kanton gefielen ihr, aber der alte O'Doyle verwarf das alles. »Ich will lauter Pekinger Bilder haben,« sagte er, »dort liegt die Hauptgefahr, hat Hofer gesagt, davon wird gesprochen werden.«

Es sind wohl noch nie Bilder nach merkwürdigerem Grundsatz bestellt worden!

Schliesslich entschied er sich für einen Eckturm der Pekinger Stadtmauer, für eine Ansicht der Kaiserstadt mit den goldgelben Dächern der Paläste und für ein Stadttor, durch das eine Truppe chinesischer Soldaten zieht – das behagte ihm besonders, denn er meinte, sie sähen alle wie Räuber, Aufrührer und Mörder aus und würden daher sehr[133] typisch sein, wenn es im Sommer wirklich zu Unruhen käme. Er stellte mir in Aussicht, noch mehr zu bestellen – vielleicht will er abwarten, ob die weiteren Nachrichten aus China so lauten, dass die Bilder wirklich ein aktuelles Interesse gewinnen.

Es war komisch, O'Doyles Geschäftsspürsinn auf Bildersujets angewandt zu sehen, aber es beängstigte mich doch sehr, von Revolten und Fremdenverfolgungen so ruhig reden zu hören, als von Umständen, die man im voraus eskomptiert, durch die Aktien steigen oder sinken. Aber die Erinnerung an den Winter 98 hat mich beruhigt. Da sprach man ja auch von den stets näher rückenden Kangsu-Truppen, die ihren rückständigen Sold in Peking bei den Fremden erplündern wollten, und es kam auch wirklich zu vereinzelten Angriffen, als aber nach wenigen Tagen die Gesandtschaftswachen einmarschierten, erscholl nicht mal ein Ruf gegen das Häuflein bewaffneter Fremdlinge, und ihre blosse Gegenwart genügte, um in der wogenden See gelber Menschenmassen um uns herum Ruhe zu halten.

Es wird wohl diesmal wieder so werden![134]

Quelle:
Elisabeth von Heyking: Briefe, die ihn nicht erreichten, Berlin 521903, S. 130-135.
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