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[200] New York, 17. Juni 1900.


Mit Angst und Spannung heute früh die Zeitung geöffnet, Schlimmes erwartend, aber doch nicht dies[200] Entsetzliche: »Die Gesandtschaften angegriffen, ein Gesandter ermordet« – und diese Mitteilung selbst – dunkel, gerüchtweise, wie Unheilsbotschaften sich im Osten stets verbreiten, so dass man noch tausendfach Unheimlicheres dahinter vermutet. Alle telegraphische Verbindung mit Peking ist abgeschnitten. Die Nachrichten sickern durch auf geheimnisvollen Umwegen. Es ist, als ob hinter einer verschlossenen Türe eine grausige Tragödie sich abspielte – plötzlich hört man Stöhnen, Blut rinnt über die Schwelle, man weiss nicht, was geschehen ist, fühlt nur, dass es Furchtbares, Unerhörtes sein muss, da, hinter der Tür – man möchte helfen, das Schloss sprengen, die Tür einstossen, eilen und retten – und man kann und kann nicht. Es ist wie ein quälendes Alpdrücken.

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Elisabeth von Heyking: Briefe, die ihn nicht erreichten, Berlin 521903, S. 200-201.
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Der Tag anderer. Von der Verfasserin der, Briefe, die ihn nicht erreichten