Der Blinde

[149] Man setzt ihn hinter einen Gartenzaun.

Da stört er nicht mit seinen Quälerein.

»Sieh dir den Himmel an!« Er ist allein.

Und seine Augen fangen an zu schaun.


Die toten Augen. »O, wo ist er, wie

Ist denn der Himmel? Und wo ist sein Blau?

O Blau, was bist du? Stets nur weich und rauh

Fühlt meine Hand, doch eine Farbe nie.


Nie Purpurrot der Meere. Nie das Gold

Des Mittags auf den Feldern, nie den Schein

Der Flamme, nie den Glanz im edlen Stein,

Nie langes Haar, das durch die Kämme rollt.


Niemals die Sterne. Wälder nie, nie Lenz

Und seine Rosen. Stets durch Grabesnacht

Und rote Dunkelheit werd ich gebracht

In grauenvollem Fasten und Karenz.«


Sein bleicher Kopf steigt wie ein Lilienschaft

Aus magrem Hals. Auf seinem dürren Schlund

Rollt wie ein Ball des Adamsapfels Rund.

Die Augen quellen aus der engen Haft,


Ein Paar von weißen Knöpfen. Denn der Strahl

Des weißen Mittags schreckt die Toten nicht.

Der Himmel taucht in das erloschene Licht

Und spiegelt in dem bleiernen Opal.
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Quelle:
Georg Heym: Dichtungen und Schriften. Band 1, Hamburg, München 1960 ff., S. 149-151.
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