Die Schläfer

Jakob van Hoddis gewidmet


Es schattet dunkler noch des Wassers Schoß,

Tief unten brennt ein Licht, ein rotes Mal

Am schwarzen Leib der Nacht, wo bodenlos

Die Tiefe sinkt. Und auf dem dunklen Tal,


Mit grünem Fittich auf der dunklen Flut

Flattert der Schlaf, der Schnabel dunkelrot,

Drin eine Lilie welkt, der Nacht Salut,

Den Kopf von einem Greise gelb und tot.


Er schüttelt seine Federn wie ein Pfau.

Die Träume wandern wie ein lila Hauch

Um seine Schwinge, wie ein blasser Tau.

In ihre Wolke taucht er, in den Rauch.


Die großen Bäume wandern durch die Nacht

Mit langem Schatten, der hinüber läuft

Ins weiße Herz der Schläfer, die bewacht

Der kalte Mond, der seine Gifte träuft


Wie ein erfahrner Arzt tief in ihr Blut.

Sie liegen fremd einander, stumm, im Haß

Der dunklen Träume, in verborgner Wut.

Und ihre Stirn wird von den Giften blaß.


Der Baum von Schatten klammert um ihr Herz

Und senkt die Wurzeln ein. Er steigt empor

Und saugt sie aus. Sie stöhnen auf vor Schmerz.

Er ragt herauf, am Turm der Nacht, am Tor
[177]

Der blinden Stille. In die Zweige fliegt

Der Schlaf. Und seine kalte Schwinge streift

Die schwere Nacht, die auf den Schläfern liegt

Und ihre Stirn mit Qualen weiß bereift.


Er singt. Ein Ton von krankem Violett

Stößt an den Raum. Der Tod geht. Manches Haar

Streicht er zurück. Ein Kreuz, Asche und Fett,

So malt er seine Frucht im welken Jahr.
[178]

Quelle:
Georg Heym: Dichtungen und Schriften. Band 1, Hamburg, München 1960 ff., S. 170-171,177-179.
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