Die blinden Frauen

Die Blinden gehn mit ihren Wärterinnen,

Schwarze Kolosse, Moloche aus Ton,

Die Sklaven vorwärts ziehn. Und sie beginnen

Ein Blindenlied mit lang gezogenem Ton.


Sie ziehn wie Chöre auf mit starkem Schritte,

Im Eisenhimmel, der sie kalt umspannt.

Der Wind türmt auf der großen Schädel Mitte

Ihr graues Haar wie einen Aschenbrand.


Sie tasten sich an ihrem großen Stabe

Die lange Straße auf zu ihrem Kamm.

Auf ihrer ungeheuren Stirnen Grabe

Brennt eines dunklen Gottes Pentagramm.


Der Abend hängt wie eine Feuertonne

Am Horizont auf einem Pappelbaum.

Der Blinden Arme stechen in die Sonne

Wie Kreuze schwarz am frohen Himmelssaum.
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Georg Heym: Dichtungen und Schriften. Band 1, Hamburg, München 1960 ff., S. 227-228,230-231.
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