Luna 1

Den blutrot dort der Horizont gebiert,

Der aus der Hölle großen Schlünden steigt,

Sein Purpurhaupt mit Wolken schwarz verziert,

Wie um der Götter Stirn Akanthus schweigt,


Er setzt den großen goldnen Fuß voran

Und spannt die breite Brust wie ein Athlet,

Und wie ein Partherfürst zieht er bergan,

Der Schläfe goldenes Gelock umweht.


Hoch über Sardes und der schwarzen Nacht,

Auf Silbertürmen und der Zinnen Meer,

Wo mit Posaunen schon der Wächter wacht,

Der ruft vom Pontos bald den Morgen her.


Zu seinem Fuße schlummert Asia weit,

Ein blauer Schatten, unterm Ararat

Des Schneehaupt schimmert durch die Einsamkeit,

Bis wo Arabia in das weiche Bad


Der Meere mit den weißen Füßen steigt,

Und fern im Süden, wie ein großer Schwan,

Sein Haupt der Sirius auf die Wasser neigt

[Und singend schwimmt hinab den Ozean.]


Mit großen Brücken, blau wie blanker Stahl,

Mit Mauern weiß wie Marmor ruhet aus

Die große Ninive im schwarzen Tal,

Nur wenig Fackeln werfen noch hinaus
[239]

Ihr Licht, wie Speere weit, wo dunkel braust

Der Euphrat, der sein Haupt in Wüsten taucht.

Die Große ruht, um ihre Stirne saust

Ein Schwarm von Träumen, die vom Wein noch raucht.


Hoch auf der Kuppel, auf dem dunklen Strom

Belauscht allein der bösen Sterne Bahn

In weißem Faltenkleid ein Astronom,

Der neigt sein Szepter dem [Aldebaran],


Der mit dem Monde kämpft um weißern Glanz,

Wo ewig strahlt die ‹Nacht›, und ferne stehn

Am Wüstenrand, im blauen Lichte ganz

Einsame Brunnen, und im Winde wehn


Ölwälder fern um leere Tempel lind,

Ein See von Silber, und in schmaler Schlucht

Uralter Berge tief im Grunde rinnt

Ein Wasser sanft um dunkler Ulmen Bucht.
[240]

Quelle:
Georg Heym: Dichtungen und Schriften. Band 1, Hamburg, München 1960 ff., S. 236-237,239-241.
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