Dritte Scene.


[366] Vorige. Rose's Mutter aus der Thüre links tretend.


MUTTER.

Kinder, was geht hier vor? Erklär' mir, Rose –

ROSE an Brünnow herantretend, sehr ernst.

Ihr gebt mir Euer Ehrenwort, bevor

Die Stadt befreit ist, keinem andern Gegner,

Als dem da draußen, Euch zu stellen. Wollt Ihr?


Da Brünnow zögert.


Ihr könnt mir dieses Wort nicht weigern, Freund,

Soll ich von Eurem Vaterlandsgefühl

Nicht schlechter denken, als von Eurem Muth.

BRÜNNOW.

Ihr fordert viel; – doch was versagt' ich Euch!

Verzeiht, daß ich dem Streit nicht früher auswich.

Mein Wort ist Euch verpfändet. Lebet wohl!


Mit einer Verbeugung gegen die Frauen ab.


MUTTER.

Nun sagt nur, Kinder –

ROSE auf Heinrich zugehend.

Heinrich, hab' ich das

Um dich verdient? Wenn dir das Elternhaus

Nicht heimisch ist, wie sonst, wer trägt die Schuld?

Sind wir verwandelt, wir nicht mehr die Alten?

Du wardst ein Andrer, und wie viel ich leide,

Seit wir vom Heiligsten verschieden denken,

Das wissen meine Nächte.[366]

HEINRICH ergriffen.

Rose, Mutter,

O, habt Geduld mit mir! Ich weiß, die Andern

Sehn mich mit vorwurfsvollen Augen an,

Wie einen abgefallnen Sohn der Stadt.

Und doch – Gott weiß, daß ich ihr Bestes will!

Nur lernt' ich, über diese engen Mauern

Hinauszublicken in die weite Welt,

Und kann, was ich erkannt, mir nicht verleugnen.

Ich sah den großen Mann, wie er zurückkam

Von Austerlitz aus der Dreikaiserschlacht.

Er hielt Revue; die Stadt war siegberauscht.

Die Glocken Notredame's erklangen noch

Von des Tedeums Feier in die Salven,

Die vom Montmartre dröhnten. Dichtgedrängt

Auf allen Plätzen stand das Volk. Da kam er

Auf seinem Schimmel langsam angeritten,

Und wie sein Auge durch die Reihen flog,

Fuhr's wie ein Blitz des Schicksals durch die Herzen,

Ein Schlag in allen: diesem Mann gehört

Die Zukunft einer Welt!


Lärmen auf der Straße, lauter Zuruf.


Hoch Nettelbeck! Hoch Vater Nettelbeck!


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1872–1910, S. 366-367.
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