Zweite Scene.


[362] Vorige. Heinrich tritt hastig durch die Mittelthür ein.


HEINRICH.

Ich störe?

ROSE steht auf, geht ihm freundlich entgegen.

Heinrich, guten Tag! Was bringst du?

Du bist erregt.

HEINRICH.

Ich bringe Neuigkeiten,

Die bald dem Unerträglichen – so hoff' ich –

Ein Ende machen.

ROSE lebhaft.

Einen Sieg der Unsern?

Abzug des Feindes?

HEINRICH.

Thorheit! – der Besatzung![362]

Der Commandant empfing so eben einen

Parlamentär.

ROSE sich schmerzlich abwendend.

Wär's möglich? Nein – es kann nicht!

Verrath? – Er kann uns nicht verrathen wollen!

BRÜNNOW.

Kein Mann, der Ehre liebt, befürchtet das.

HEINRICH.

Der Ehre liebt? Herr, mit Verlaub: die Ehre,

Die der Soldat so breit im Munde führt –

ROSE.

Heinrich!

HEINRICH.

– ist freilich ein besondres Ding,

Mit dem der Bürger nichts zu schaffen hat.

BRÜNNOW.

Das merk' ich allerdings.

HEINRICH.

Sie spotten, Herr.

Ein billiges Vergnügen. Jeder Stand

Hat seine Ehre; auch der Würfelspieler,

Der hinterm grünen Tisch die Nacht hindurch

Sein Alles einsetzt mit gelassner Miene;

Der Tänzer auf dem Seil hat seine Ehre

Und bricht für sie den Hals; der Gaukler selbst –

BRÜNNOW.

Sie bringen Ihre Ehre, mein Verehrter,

In seltsame Gesellschaft. Hoffentlich

Läßt sich die Bürgerehre, die auch ich

Zu kennen meine, nicht so tief herab.

HEINRICH.

Nein, höh're Ziele kennt sie, als den Ehrgeiz,

Das Glück von Tausenden wehrloser Menschen

Um ein paar Fechterkünste preiszugeben,

Und statt zu weichen der Nothwendigkeit,

Sich ihr kopfüber in den Weg zu werfen,

Auf daß sie uns zermalme.[363]

BRÜNNOW.

Wundersam,

Wie ein so weiser, so vorsicht'ger Bürger

Sich just in einer Festung angesiedelt,

Wo Fechterkünste doch am Platze sind.

HEINRICH.

Festung? Wär' unsre arme Stadt befestigt,

Wie sich's gebührt, und Widerstand nicht Wahnsinn,

Ich thäte selbst mit Freuden Waffendienst.

Wie aber? Ward dies Colberg seit den Zeiten

Des alten Fritz nicht fast ein offner Platz?

Liegt auf den eingesunknen Wällen nicht

Von Nesseln überwuchert das Geschütz

Und die Laffette fault im Magazin?

BRÜNNOW.

Nun, um so mehr –

HEINRICH.

Der Feind, wenn's ihm beliebte,

In Einem Sturme fegt' er die Besatzung

Von den Bastionen, und die heißen Köpfe,

Die jetzt von Heldenfeuer glühn, sie würden

Sehr unsanft abgekühlt. Ja, käm' Ihr Hauptmann,

Der Schill, der glücklich jetzt das Weite suchte –

BRÜNNOW.

Ich muß Sie bitten, diesen Namen nur

Mit Achtung auszusprechen.

HEINRICH.

Läugnen Sie's,

Dafern Sie können, daß Ihr Schill allein

Den Wahnsinn angefacht, Colberg zu halten,

Auch gegen jegliche Vernunft, auch gegen

Des Königs eigne Meinung. Würde Der

Nicht eilen, uns Verstärkung herzusenden,

Wenn ihm, da Magdeburg und Küstrin gefallen,

Dies schwache Bollwerk noch am Herzen läge?

Hätt' er nicht statt des siebzigjähr'gen Alten

Uns einen jüngern Gouverneur geschickt?[364]

Er aber wußte: Alles ist umsonst,

Colberg muß fallen! Also schütze man

Den Bürger vor den Schrecken der Belagrung

Und thue gleich, was man mit Ehren kann.

Da kam Ihr Schill, da ward dem Nettelbeck

Der sonst schon starre Nacken noch gesteift,

Die Bürger aufgeschreckt, der Commandant

Bestürmt, am morschen Nest herumzuflicken,

Ein Rennen gab's, hier eine Handvoll Erde,

Dort eine Maulwurfsschanze aufgewühlt,

Bis selbst Ihr Schill, der Posse überdrüßig,

Die arme Stadt sich selber überließ

Und ihrem bessern Stern, der hoffentlich

Dem Aberwitz heimleuchtet, heute noch!

BRÜNNOW.

So wähnen Sie, mit Ihrem Krämerwitz.

HEINRICH.

Herr, mäß'gen Sie die Zunge!

BRÜNNOW.

Da Sie nicht

Auf schärfre Waffen Rede stehn, so müssen

Sie schneid'ge Worte sich gefallen lassen.


Will gehen.


HEINRICH.

Nicht von der Stelle!

ROSE.

Heinrich!

HEINRICH.

Wie? Auch du

Trittst gegen mich? Gut denn! So lassen Sie

Uns rasch entscheiden, wer von Beiden ferner

Hier aus- und eingehn soll.

BRÜNNOW sich kalt verneigend.

Ich bin bereit.

ROSE.

Ihr werdet nicht gehn, Brünnow![365]

HEINRICH sich hastig nach der Thür wendend.

Kommen Sie!


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1872–1910, S. 362-366.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Colberg
Dramatische Dichtungen: Bändchen 5. Colberg
Colberg: Historisches Schauspiel in Fünf Akten (German Edition)

Buchempfehlung

Holz, Arno

Papa Hamlet

Papa Hamlet

1889 erscheint unter dem Pseudonym Bjarne F. Holmsen diese erste gemeinsame Arbeit der beiden Freunde Arno Holz und Johannes Schlaf, die 1888 gemeinsame Wohnung bezogen hatten. Der Titelerzählung sind die kürzeren Texte »Der erste Schultag«, der den Schrecken eines Schulanfängers vor seinem gewalttätigen Lehrer beschreibt, und »Ein Tod«, der die letze Nacht eines Duellanten schildert, vorangestellt. »Papa Hamlet«, die mit Abstand wirkungsmächtigste Erzählung, beschreibt das Schiksal eines tobsüchtigen Schmierenschauspielers, der sein Kind tötet während er volltrunken in Hamletzitaten seine Jämmerlichkeit beklagt. Die Erzählung gilt als bahnbrechendes Paradebeispiel naturalistischer Dichtung.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon