Fünfte Scene.


[423] Es kommen wieder Kirchgänger, besonders Frauen und Kinder. Zuletzt Rose. Das Geläut hört auf. Dann Nettelbeck.


ROSE bleibt stehen und nähert sich dann einer der beiden Schildwachen am Commandantenhause.

Sagt, ist Herr Nettelbeck im Hause droben?

SOLDAT.

Ja, Jungfer.

ROSE.

Bleibt er lang?

SOLDAT.

Ich weiß nicht, Jungfer.

ROSE.

Ich dank' Euch.


Kommt langsam in den Vordergrund.


Ich will warten, bis er kommt.

Wie könnt' ich heut auch in die Kirche treten,

So andachtslos und traurig, wie ich bin!

Wär' ich der innern Stimme nur gefolgt

Und hätte längst dem Pathen meinen Kummer

Vertraut, es wäre nicht so weit gekommen!

Gottlob, da ist er!


Nettelbeck tritt aus dem Commandantenhause und bleibt an der Schwelle stehen.


NETTELBECK ins Haus hineinsprechend.

Seid nur ohne Sorgen![423]

Was menschenmöglich ist, das wird geschehn.

Ich rapportir' Euch gleich auf Bastion Preußen.


Hinaustretend, für sich.


Ich Thor hab' mit dem Himmel einst gehadert,

Als er den Sohn mir früh genommen. Jetzt

Erkenn' ich: es war gut. Dem Jungen wär'

Sein Pflichttheil Vaterliebe kaum geblieben,

Seit dieser prächt'ge Mann das Herz mir stahl.


Kommt die Stufen herunter, sieht in die Luft.


Noch immer Süd-Süd-Ost! Das ist nicht gut.

Wer weiß an welchen Küsten unser Pulver

Herumkreuzt. – Rose, Wetterkind, du hier?

ROSE.

Ich hab' auf Euch gewartet, lieber Pathe.

Ihr müßt mir helfen.

NETTELBECK.

Nun natürlich! Mir

Fehlt's ohnehin an Arbeit. Na, was giebt's?

Was macht die Mutter?

ROSE.

Ach, Ihr kennt sie ja.

Sie schwebt in hundert Aengsten Tag und Nacht,

Und seit die Gertrud neulich auf dem Markt

Getroffen ward von einem Bombenstück,

Hat sie sich nicht mehr vor die Thür gewagt.

Doch was das Schlimmste: Heinrich –

NETTELBECK.

Will der Querkopf

Sich noch nicht geben?

ROSE.

Seit dem Tag, wo ich

Von Memel wiederkam, hat er das Haus

Nicht mehr betreten, außer, wenn ich fern war.

Er schläft in seinem Speicher! Trifft er mich

Zufällig auf der Straße, sieht er weg.

Ach, Pathe, muß die schwere Prüfungszeit

Die nächsten Herzen von einander reißen?[424]

NETTELBECK.

Sieht weg? Der Hansnarr, der für solche Schwester

Dem Herrgott sollt' auf seinen Knieen danken,

Sieht weg? Den soll doch gleich –

ROSE.

Sprecht Ihr mit ihm!

Der Mutter bricht's das Herz. Denn auch zu ihr

Ist er so rauh und fremd. Und doch, ich weiß,

Ihm ist nicht wohl dabei!

NETTELBECK.

Der Hochmuthsteufel

Steift ihm den Nacken. Was sich nicht will schicken

Nach seinem Kopf, das schimpft er Narrenkram.

Ei freilich, er versteht's! Wir Alten sind

Pfahlbürger, ob uns auch in Ost und West

So mancher Wind schon um die Nase ging,

Als er noch in der Wickel lag. Der Großhans,

Weil er Französisch schnackt und in Paris

Den Bonaparte sah, – doch wart! Dem woll'n wir

Was ganz Apartes sagen!


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1872–1910, S. 423-425.
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