[436] Wachtmeister Weber sitzt auf der Bank neben der Thür zur Rechten, mit dem Schlafe kämpfend. Nettelbeck sehr abgerissen, das Gesicht von Staub und Rauch geschwärzt, tritt eilig durch die Thür im Hintergrunde ein.
NETTELBECK.
Wo ist der Commandant?
WEBER auffahrend.
Wer da?
NETTELBECK.
Gut Freund.
Die Augen auf! Ich bin's. Nur fix, nur flink:
Wo steckt der Commandant?
WEBER.
Herr Nettelbeck,
Ein alter Mann, wie Sie, der sollte klug sein
Und Morgens um Glock fünf, statt andre Leute
Zu molestiren, selbst ein bischen nicken,
Wenn achtundvierzig Stunden lang die Bomben
Gebrummt wie's Weltgericht.[436]
NETTELBECK.
Hört, guter Freund,
's ist keine Zeit zu Redensarten. Geht
Und weckt den Commandanten.
WEBER.
Ich? Nein, Herr,
Und wenn's noch ganz Wer anders mir beföhle,
Als Sie, der Sie nur als Civilperson –
NETTELBECK.
Der Dienst verlangt's; verstanden, Unt'roff'zier?
WEBER.
Der Dienst? Nein, Herr Captän, den kenn' ich besser.
Im Reglement steht's nicht, daß sich der Mensch
Das Schlafen abgewöhnen soll, wie's Stehlen
Und Saufen. Mein Major kann mehr als Andre;
Sechs Nächte schlief er bloß im Stehn. Heut ist
Die siebente, da könnt Ihr ihm die Pritsche
Nicht unterm Leibe wegziehn, wenn Ihr nicht
Ein Unmensch seid.
NETTELBECK.
Es thut mir leid genug;
Doch wenn der Feind Parlamentäre schickt –
WEBER.
Laßt ihnen einen guten Kaffee kochen,
Herr Nettelbeck. An Feuer fehlt es nicht,
Die Stadt brennt ja an allen Ecken. Zwieback
Will ich noch liefern.
Zieht ein Stück aus der Tasche.
NETTELBECK.
Nun genug gespaßt,
Hört Er?
WEBER.
Nein, ich bin taub.
NETTELBECK.
So soll Er fühlen!
Packt ihn am Arm, ihn wegzustoßen. Weber macht sich los, ergreift die Bank und stellt sich damit vor die Thüre rechts.
[437]
WEBER.
Erst nehmt die Schanze, Herr. Oho! Wir haben
Hier nicht umsonst den Festungskrieg gelernt.
Doch wenn Ihr Lärm macht, scheer' ich mich den Kukuk
Um Euer graues Haar – und schmeiß' Euch 'raus!
NETTELBECK.
Was? Du? Das woll'n wir doch erleben. – Holla!
Herr Commandant!
WEBER.
Wollt Ihr wol Ruhe halten?
NETTELBECK.
Herr Commandant!
WEBER.
Nun schlag' doch gleich das Wetter –
Springt hinter der Bank vor und will auf Nettelbeck los.
Ausgewählte Ausgaben von
Colberg
|
Buchempfehlung
»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«
72 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro