Fünfte Scene.


[465] Rose mit dem gepackten Korb links aus der Kammer.


ROSE.

Fort? Alle fort? – Was hält nur mich zurück?

Ach, was die Mutter sagte, fühl' ich wohl:

Es wär' ein Glück zu sterben, wo wir lebten!

Uns ist kein frohes Leben mehr bereitet;

Die Welt ist fremd, das Heimweh folgt uns nach

Und die Erinnrung. – Heinrich! Welchen Schicksal

Erwartet ihn? Das ist das Bitterste;

Das wird mir nachgehn über Land und See,

Und wär' das Kissen unter fremdem Dach

Auch noch so weich, wo soll ich Ruhe finden,[465]

Wenn mir die Stimme des Verlornen folgt

In jeden Traum!


Sie steht in Schmerz versunken mitten auf der Bühne. Heinrich erscheint draußen vor dem Fenster rechts.


HEINRICH.

Rose!

ROSE zusammenfahrend.

O Gott!

HEINRICH.

Bist du allein?

ROSE.

Ist's möglich?

Heinrich!

HEINRICH.

Bist du allein?

ROSE zum Fenster eilend.

Das Haus ist leer.

O sprich, du bist gerettet? du bist frei?

HEINRICH springt ins Zimmer.

Gerettet von der Schmach und frei zu sterben

Und sterbend meine Ehre reinzuwaschen.

O Schwester, dieser Mann, deß heil'ges Leben

An einem Zittern meines Fingers hing,

O er ist furchtbar! Bis zum Abgrund riß er mich

Der Schande, der Verzweiflung, daß ich dort

Mit Schaudern meines Wahnsinns inne würde.

Dann zog er seine starke Hand hinweg

Und überließ mich meinem guten Engel.

Ja, Rose, diese Stunde schuf mich neu!

Das Leben, das ich jetzt dem Vaterlande

Zum Opfer bringe, ist ein neugebornes,

Und nicht mehr wird es dir ein Vorwurf sein,

Daß ich dein Bruder war.

ROSE.

Heinrich, dies Wort

Löscht alle Schmerzen aus in meiner Seele,

Und tragen kann ich, was noch kommen mag.[466]

HEINRICH sich sanft von ihr losmachend.

Laß! Es ist Scheidens Zeit. Schwester, mir ist,

Als hätt' ich eine Welt dir noch zu sagen;

Doch eine Bitte drängt sich Allem vor.

ROSE.

Sprich!

HEINRICH.

Gieb mir unsres Vaters Waffen. Sieh,

Ich bin auf weitem Umweg hergeschlichen,

Denn Niemand wag' ich ins Gesicht zu blicken,

Eh ich's mit Wunden mir verdient. Da sah ich

Am Schleusenthor 'nen Trupp vom Schill'schen Corps.

Ich weiß, sie werden mich nicht von sich weisen,

Sobald sie meinen ernsten Willen sehn.

Gieb mir die Waffen!

ROSE.

Hier sein Degen, Heinrich.

Du wirst ihn führen seiner werth. Und hier –

Nimm das Gewehr.

HEINRICH.

Grüß unsre gute Mutter, –

Gedenke mein!

ROSE.

So lange noch ein Herz

In diesem Leibe schlägt! Leb wohl!

HEINRICH sie umarmend.

Auf ewig!


Er eilt zum Fenster und schwingt sich hinaus. Draußen dauert die Kanonade fort.


ROSE.

Auf ewig – lebewohl – und gute Nacht!


Am Fenster ihm nachblickend.


Wie gerne folgt' ich dir! Du darfst im Sturm

Dein Loos vollenden, dein Geschick versöhnen,

Ich seh' dir müßig nach in deinen Tod.[467]

Und doch, o Gott, der du mein Flehn erhört,

Dank für den Trost, daß ich ihn so verliere!


Wieder hinausblickend.


Nun ist er schon den Wall hinab – er wirft

Sich in den Graben – schwimmt hindurch, die Waffe

Hoch überm Haupt – nun drüben – nun ein Blick,

Der letzte noch, zu mir zurück – fahrwohl!


Winkt mit der Hand.


Nun sehn dich meine Augen niemals wieder!


Bedeckt die Augen mit der Hand.


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1872–1910, S. 465-468.
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