Wein

[78] Du mein Wein, Adelsblut der Natur,

Nicht wahr, du lebst,

Du fließendes Juwel?[78]

Wenn du dich im Lenz erhebst

Und an die Fässer pochst,

Willst du hinaus,

Unband du,

Hinaus zu den Deinen,

Die da blühen und innig duften

Auf sanfterlesenen Hängen um braunes Gemäuer.

Wie's da rüttelt dein Feuer,

Dein Leben!

Wie viel Geschlechter hast du schon selig gemacht:

Männer mit reinheitstarrenden Ehrenkrausen

Auf rankendem, schwarzdamastenem Taft,

Du glutetest ihnen die kühnen, hellen Augen,

Die weit die Lande umfassen

Und folgen den palmenzuwinkenden Schiffen,

Wagemutigen Meeresboten,

Die den gedankenglutenden Westen,

Den süßentzündeten Süden

Mit stählernem Norden

Tauschen wollen.

Du nährst die schwimmende Träne des Mannes,

Der allüberwindenden Stärke,

Die Träne, die nur Sieger fühlen ...

Und an die klar gestaltete Glut

Deiner rebkrausen Ratskellerfenster,

Die tief in die Seele

Scheinen festliche Andacht,

Schlug das welterobernde Lachen

All dieser sieghaft heitern Geschlechter.

Du aber throntest

Hoch auf mächtigem Rund

Deines flüssigen Reiches:

Eine bübisch lächelnde, schelmische Sonne.


Quelle:
Peter Hille: Gesammelte Werke. Berlin 1916, S. 78-79.
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