Niemand zufrieden

[103] Eine frisch erblühte Blume

Fand ihr Leben gar gering,

Und sie sah sich um und wünschte:

Wär' ich doch ein Schmetterling!

Nicht gebannt an diesen Boden

Zög' ich frei durch Wies' und Feld;

Mir gehörte Erd' und Himmel,

Ja, die ganze weite Welt! –


Als sie kaum das Wort gesprochen,

Kam ein Schmetterling herzu,

Und er sprach: o schöne Blume,

Hätt' ich doch ein Loos wie du!

In der Hut der Menschen lebst du

Ruhig deine Tage hin,

Während ich ein armer Flüchtling

Auf der schönen Erde bin. –


Und erfüllet ward ihr Wünschen,

Ehe kaum ein Jahr verging:

Schmetterling ward eine Blume,

Und die Blum' ein Schmetterling.

Und da hört' ich beide wieder,

Als ich just im Garten ging –

Schmetterling sprach: wär' ich Blume!

Blume: wär' ich Schmetterling!


Quelle:
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Kinderlieder, Hildesheim/New York 1976, S. 103-104.
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