Balduin an Judith

[48] Kan Judith durch den Dunst des Traurens etwas lesen,

Beschwemmt die heisse Fluth nicht gantz ihr schönes Licht,

So fall auf dessen Brief, der stets ihr Knecht gewesen,

Ein angenehmer Blick, der Sinn und Siegel bricht.

Mein weinen solte zwar zu deinen Thränen flüssen,

Und durch ein gleiches Ach begleiten deine Noth,

Es solte dieser Brief von nichts, als Seuffzen wissen,

Und bloß in dem bestehn, ist denn dein Adolph todt?

Ich weiß, ich solte nicht die treuen Seuffzer stöhren, –[48]

Die ihrem Könige bezahlen wahre Schuldt,

Doch heisse Liebe will nichts von Verzuge hören,

Du kennst ihr Feuer wohl, es ist voll Ungedult.

Und Judith dencke doch wer diesen Brief geschrieben,

Du weist es gar genung, es ist desselben Handt,

Der durch der Jahre Lauf dir rein und treu verblieben,

Ja stets gefochten hat vor deines Vatern Landt.

Gedencke Königin auf unsrer Jugend Flammen,

Wie mich das zarte Garn der schönen Augen fieng,

Wie uns offt unverhofft der Vater fand beysammen,

Da nichts als Lieb und Lust mit uns zu Rathe gieng.

Erwege, wie ich dich oft in den Morgenstunden

Als der gekröhnte Lentz mit Bluhmen sich geziert,

Dich Bluhme dieser Zeit bey Rosen habe funden,

Und deine Hand geküst, die hundert Lilgen führt.

Wie oft hab ich gesagt: von tausent Nachtigalen

Ist deiner Stimme Klang, O Schöne, zugericht,

Wie schön auch die Natur kan die Granaten mahlen,

So gleichen sie gewis doch deinen Lippen nicht.

Wie ofte hab ich dir die flüchtigen Narzissen

Mit Rosen untermengt auf deine Brust gelegt?

Und hab aus Schertz gesagt: Ihr Bluhmen solt' es wissen,

Daß auch der Winter hier Euch gleichen Zierath hegt.

Daß hier ein warmer Schnee mit Bluhmen ist umgeben,

Dem Luft und Jahres Zeit kein Blat versehren kan;

Und daß den Rosen, so auf gleichen Bergen schweben,

Kein Nordwind noch zur Zeit hat einig Leid gethan.

Wie wünscht ich dazumahl ein Lusthauß hier zubauen,

Doch das Verhängnüß riß den ersten Grundstein ein,

Ich muste dich betrübt in fremden Händen schauen,

Du soltest Königin und ich ein Sclave seyn.

Doch dieser Sclave führt auch Feuer in dem Hertzen,

Er liebt und dient zugleich, beklagt und suchet dich,

Erkennst du seine Treu, so glaub auch seinen Schmertzen,

Ist meine Pein von dir, so kom und heile mich.

Es steht dir übel an üm Todte stets zuweinen,

Wer fodert solches doch von deiner Augen Pracht?

Die schöne Sonne soll mit mehrern Strahlen scheinen,

Die meines Geistes Trieb zu einer Göttin macht,[49]

Dem Todten hat dein Mund in Wahrheit nicht geschworen,

Kein Eyd verbindet uns auch in den Sarg zugehn,

Die Schätze deiner Brust sind vor kein Grab gebohren,

Der Himmel heisset Sie stets in dem Lichte stehn.

Die Todten und zugleich sich selbst darzu begraben,

Ist zwar ein Wunderwerck, doch keines Ruhmes werth,

Wer tod ist kan durch Leid nicht Hülf und Rettung haben,

Und keine Freundschafft hat dergleichen Dienst begehrt.

Wer ewig weinen will, beweint des Himmels Willen,

Und trägt das grosse Joch mit nasser Ungedult,

Die höchste Traurigkeit muß endlich sich bestillen,

Und sagen, dieses hat des Himmels Spruch gewolt.

Verlaß die Leiche nun mit Thränen wohl genetzet,

Auch dieser Balsam fault, und modert mit der Zeit;

Du hast mit treuer Hand sie traurig beygesetzet,

Was willst du ferner thun in dieser Sterbligkeit;

Vergiß dich selber nicht und deines Leibes Gaben,

Die Blüthe wird beklagt, die ohne Frucht erstirbt,

Und dencke das ein Stein, der ewig liegt vergraben,

Zwar seinen Werth behält, doch keinen Ruhm erwirbt.

Darf ich, O Königin, mich endlich noch erwegen,

Fünff Wörter beyzuthun: Nimm mich zu Diensten an!

Mein Willen soll sich dir zu deinen Füssen legen,

Weil Balduin so gut als Adolph lieben kan.

Hat dieser dazumahl mich schmertzlich weggetrieben,

Als deinem Vater Er gekrönt zuwohl gefiehl,

So kanst als Wittbe du mich kühnlich wieder lieben,

Es ist kein neues Werck, es ist das alte Ziel.

Ich bin kein König zwar, doch reine Lieb und Tugendt

Ist älter in der Welt, als diß, was Krone heißt,

Du kennest ungerühmt das Ansehn meiner Jugendt,

So auf den Grund gericht sich nicht nach Firnüß reist.

Erlaube mir daß ich dich darf Gemahlin nennen,

Dein Wort vergnüget mich, den Vater frag ich nicht,

Sein Eyfer ist zuschwach den Knoten aufzutrennen,

Der durch die heisse Hand der Lieb ist zugericht.

Verlaß, so bald du kanst, den weissen Strand der Britten,[50]

Und nim den nechsten Weg zu deines Vatern Land,

Und darff ich ferner dich um etwas grosses bitten,

So schäme dich doch nicht vor deines Dieners Hand;

Ich werde dich alsdann aus deinem Wege leiten,

Der Liebe Nordstern muß getreue Kühnheit seyn;

Wer in der glatten Welt stets nach der Schnur will schreiten,

Der stelle nur forthin das gehen gäntzlich ein.

Laß einen engen Brief mich lehren deinen Willen,

Dein Wincken ist mein Schluß, ich lebe nur durch dich,

Ein halbes Wort wird mich bewegen und bestillen,

Nach deinen Silben regt des Geistes Nadel sich.

Willst du zwey Leichen nicht zu Grabe sehen tragen,

So nimm als Wittib dich verlaßner Seelen an,

Und zeige, daß dein Mund die Todten zwar beklagen,

Doch auch was Leben hat empfindlich lieben kan.

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band36, Stuttgart [o.J.], S. 48-51.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Hannibal

Hannibal

Grabbe zeigt Hannibal nicht als großen Helden, der im sinnhaften Verlauf der Geschichte eine höhere Bestimmung erfüllt, sondern als einfachen Menschen, der Gegenstand der Geschehnisse ist und ihnen schließlich zum Opfer fällt. »Der Dichter ist vorzugsweise verpflichtet, den wahren Geist der Geschichte zu enträtseln. Solange er diesen nicht verletzt, kommt es bei ihm auf eine wörtliche historische Treue nicht an.« C.D.G.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon