Erste Szene

[375] ALTENWYL. Mein lieber Kari, ich rechne dir dein Kommen doppelt hoch an, weil du nicht Bridge spielst und also mit den bescheidenen Fragmenten von Unterhaltung vorliebnehmen willst, die einem heutzutage in einem Salon noch geboten werden. Du findest bekanntlich bei mir immer nur die paar alten Gesichter, keine Künstler und sonstige Zelebritäten – die Edine Merenberg ist ja außerordentlich unzufrieden mit dieser altmodischen Hausführung, aber weder meine Helen noch ich goutieren das Genre von Geselligkeit, was der Edine ihr Höchstes ist: wo sie beim ersten Löffel Suppe ihren Tischnachbar interpelliert, ob er an die Seelenwanderung glaubt, oder ob er schon einmal mit einem Fakir Bruderschaft getrunken hat.

CRESCENCE. Ich muß Sie dementieren, Graf Altenwyl, ich hab drüben an meinem Bridgetisch ein ganz neues Gesicht, und wie die Mariette Stradonitz mir zugewispelt hat, ist es ein weltberühmter Gelehrter, von dem wir noch nie was gehört haben, weil wir halt alle Analphabeten sind.

ALTENWYL. Der Professor Brücke ist in seinem Fach eine große Zelebrität und mir ein lieber politischer Kollege. Er genießt es außerordentlich, in einem Salon zu sein, wo er keinen Kollegen aus der gelehrten Welt findet, sozusagen als der einzige Vertreter des Geistes in einem rein sozialen Milieu, und da ihm mein Haus diese bescheidene Annehmlichkeit bieten kann –[375]

CRESCENCE. Ist er verheiratet?

ALTENWYL. Ich habe jedenfalls nie die Ehre gehabt, Madame Brücke zu Gesicht zu bekommen.

CRESCENCE. Ich find die berühmten Männer odios, aber ihre Fraun noch ärger. Darin bin ich mit dem Kari einer Meinung. Wir schwärmen für triviale Menschen und triviale Unterhaltungen, nicht, Kari?

ALTENWYL. Ich hab darüber meine altmodische Auffassung, die Helen kennt sie.

CRESCENCE. Der Kari soll sagen, daß er mir recht gibt. Ich find, neun Zehntel von dem, was unter der Marke von Geist geht, ist nichts als Geschwätz.

NEUHOFF zu Helene. Sind Sie auch so streng, Gräfin Helene?

HELENE. Wir haben alle Ursache, wir jüngeren Menschen, wenn uns vor etwas auf der Welt grausen muß, so davor: daß es etwas gibt wie Konversation: Worte, die alles Wirkliche verflachen und im Geschwätz beruhigen.

CRESCENCE. Sag, daß du mir recht gibst, Kari!

HANS KARL. Ich bitte um Nachsicht. Der Furlani ist keine Vorbereitung darauf, etwas Gescheites zu sagen.

ALTENWYL. In meinen Augen ist Konversation das, was jetzt kein Mensch mehr kennt: nicht selbst perorieren, wie ein Wasserfall, sondern dem andern das Stichwort bringen. Zu meiner Zeit hat man gesagt: wer zu mir kommt, mit dem muß ich die Konversation so führen, daß er, wenn er die Türschnallen in der Hand hat, sich gescheit vorkommt, dann wird er auf der Stiegen mich gescheit finden. – Heutzutag hat aber keiner, pardon für die Grobheit, den Verstand zum Konversationmachen und keiner den Verstand, seinen Mund zu halten – ah, erlaub, daß ich dich mit Baron Neuhoff bekannt mache, mein Vetter Graf Bühl.

NEUHOFF. Ich habe die Ehre, von Graf Bühl gekannt zu sein.

CRESCENCE zu Altenwyl. Alle diese gescheiten Sachen müßten Sie der Edine sagen – bei der geht der Kultus für die bedeutenden Menschen und die gedruckten Bücher ins Uferlose. Mir ist schon das Wort odios: bedeutende Menschen – es liegt so eine Präpotenz darin!

ALTENWYL. Die Edine ist eine sehr gescheite Frau, aber sie[376] will immer zwei Fliegen auf einen Schlag erwischen: ihre Bildung vermehren und etwas für ihre Wohltätigkeitsgeschichten herausschlagen.

HELENE. Pardon, Papa, sie ist keine gescheite Frau, sie ist eine dumme Frau, die sich fürs Leben gern mit gescheiten Leuten umgeben möchte, aber dabei immer die falschen erwischt.

CRESCENCE. Ich wundere mich, daß sie bei ihrer rasenden Zerstreutheit nicht mehr Konfusionen anstellt.

ALTENWYL. Solche Wesen haben einen Schutzengel.

EDINE tritt dazu durch die Mitteltür. Ich seh, ihr sprechts von mir, sprechts nur weiter, genierts euch nicht.

CRESCENCE. Na, Edine, hast du den berühmten Mann schon kennengelernt?

EDINE. Ich bin wütend, Graf Altenwyl, daß Sie ihn ihr als Partner gegeben haben und nicht mir. Setzt sich zu Crescence. Ihr habts keine Idee, wie ich mich für ihn interessier. Ich les doch die Bücher von die Leut. Von diesem Brückner hab ich erst vor ein paar Wochen ein dickes Buch gelesen.

NEUHOFF. Er heißt Brücke. Er ist der zweite Präsident der Akademie der Wissenschaften.

EDINE. In Paris?

NEUHOFF. Nein, hier in Wien.

EDINE. Auf dem Buch ist gestanden: Brückner.

CRESCENCE. Vielleicht war das ein Druckfehler.

EDINE. Es hat geheißen: Über den Ursprung aller Religionen. Da ist eine Bildung drin, und eine Tiefe! Und so ein schöner Stil!

HELENE. Ich werd ihn dir bringen, Tant Edine.

NEUHOFF. Wenn Sie erlauben, werde ich ihn suchen und ihn herbringen, sobald er pausiert.

EDINE. Ja, tun Sie das, Baron Neuhoff. Sagen Sie ihm, daß ich seit Jahren nach ihm fahnde.


Neuhoff geht links ab.


CRESCENCE. Er wird sich nichts Besseres verlangen, mir scheint, er ist ein ziemlicher –[377]

EDINE. Sagts nicht immer gleich »snob«, der Goethe ist auch vor jeder Fürstin und Gräfin – ich hätt bald was gsagt.

CRESCENCE. Jetzt ist sie schon wieder beim Goethe, die Edine!


Sieht sich nach Hans Karl um, der mit Helene nach rechts getreten ist.


HELENE zu Hans Karl. Sie haben ihn so gern, den Furlani?

HANS KARL. Für mich ist ein solcher Mensch eine wahre Rekreation.

HELENE. Macht er so geschickte Tricks? Sie setzt sich rechts, Hans Karl neben ihr.


Crescence geht durch die Mitte weg, Altenwyl und Edine haben sich links gesetzt.


HANS KARL. Er macht gar keine Tricks. Er ist doch der dumme August!

HELENE. Also ein Wurstel?

HANS KARL. Nein, das wäre ja outriert! Er outriert nie, er karikiert auch nie. Er spielt seine Rolle: er ist der, der alle begreifen, der allen helfen möchte und dabei alles in die größte Konfusion bringt. Er macht die dümmsten Lazzi, die Galerie kugelt sich vor Lachen, und dabei behält er eine élégance, eine Diskretion, man merkt, daß er sich selbst und alles, was auf der Welt ist, respektiert. Er bringt alles durcheinander, wie Kraut und Rüben; wo er hingeht, geht alles drunter und drüber, und dabei möchte man rufen: »Er hat ja recht!«

EDINE zu Altenwyl. Das Geistige gibt uns Frauen doch viel mehr Halt! Das geht der Antoinette zum Beispiel ganz ab. Ich sag ihr immer: sie soll ihren Geist kultivieren, das bringt einen auf andere Gedanken.

ALTENWYL. Zu meiner Zeit hat man einen ganz an deren Maßstab an die Konversation angelegt. Man hat doch etwas auf eine schöne Replik gegeben, man hat sich ins Zeug gelegt, um brillant zu sein.

EDINE. Ich sag: wenn ich Konversation mach, will ich doch woanders hingeführt werden. Ich will doch heraus aus der Banalität. Ich will doch wohintransportiert werden!

HANS KARL zu Helene, in seiner Konversation fortfahrend. Sehen Sie, Helen, alle diese Sachen sind ja schwer: die Tricks von[378] den Equilibristen und Jongleurs und alles – zu allem gehört ja ein fabelhaft angespannter Wille und direkt Geist. Ich glaub, mehr Geist, als zu den meisten Konversationen. –

HELENE. Ah, das schon sicher.

HANS KARL. Absolut. Aber das, was der Furlani macht, ist noch um eine ganze Stufe höher, als was alle andern tun. Alle andern lassen sich von einer Absicht leiten und schauen nicht rechts und nicht links, ja, sie atmen kaum, bis sie ihre Absicht erreicht haben: darin besteht eben ihr Trick. Er aber tut scheinbar nichts mit Absicht – er geht immer auf die Absicht der andern ein. Er möchte alles mittun, was die andern tun, soviel guten Willen hat er, so fasziniert ist er von jedem einzelnen Stückl, was irgendeiner vormacht: wenn er einen Blumentopf auf der Nase balanciert, so balanciert er ihn auch, sozusagen aus Höflichkeit.

HELENE. Aber er wirft ihn hinunter?

HANS KARL. Aber wie er ihn hinunterwirft, darin liegts! Er wirft ihn hinunter aus purer Begeisterung und Seligkeit darüber, daß er ihn so schön balancieren kann! Er glaubt, wenn mans ganz schön machen tat, müßts von selber gehen.

HELENE vor sich. Und das hält der Blumentopf gewöhnlich nicht aus und fällt hinunter.

ALTENWYL zu Edine. Dieser Geschäftston heutzutage! Und ich bitte dich, auch zwischen Männern und Frauen: dieses gewisse Zielbewußte in der Unterhaltung!

EDINE. Ja, das ist mir auch eine horreur! Man will doch ein bißl eine schöne Art, ein Versteckenspielen –

ALTENWYL. Die jungen Leut wissen ja gar nicht mehr, daß die Sauce mehr wert ist als der Braten – da herrscht ja eine Direktheit!

EDINE. Weil die Leut zu wenig gelesen haben! Weil sie ihren Geist zu wenig kultivieren!


Sie sind im Reden aufgestanden und entfernen sich nach links.


HANS KARL zu Helene. Wenn man dem Furlani zuschaut, kommen einem die geschicktesten Clowns vulgär vor. Er ist förmlich schön vor lauter Nonchalance – aber natürlich gehört zu dieser Nonchalance genau das Doppelte wie zu den andern ihrer Anspannung.[379]

HELENE. Ich begreif, daß Ihnen der Mensch sympathisch ist. Ich find auch alles, wo man eine Absicht merkt, die dahintersteckt, ein bißl vulgär.

HANS KARL. Oho, heute bin ich selber mit Absichten geladen, und diese Absichten beziehen sich auf Sie, Gräfin Helene.

HELENE mit einem Zusammenziehen der Augenbrauen. Oh, Gräfin Helene! Sie sagen »Gräfin Helene« zu mir?


Huberta erscheint in der Mitteltür und streift Hans Karl und Helene mit einem kurzen, aber indiskreten Blick.


HANS KARL ohne Huberta zu bemerken. Nein, im Ernst, ich muß Sie um fünf Minuten Konversation bitten – dann später, irgendwann – wir spielen ja beide nicht.

HELENE etwas unruhig, aber sehr beherrscht. Sie machen mir angst. Was können Sie mit mir zu reden haben? Das kann nichts Gutes sein.

HANS KARL. Wenn Sies präokkupiert, dann um Gottes willen nicht!


Huberta ist verschwunden.


HELENE nach einer kleinen Pause. Wann Sie wollen, aber später. Ich seh die Huberta, die sich langweilt. Ich muß zu ihr gehen. Steht auf.

HANS KARL. Sie sind so delizios artig.


Ist auch aufgestanden.


HELENE. Sie müssen jetzt der Antoinette und den paar andern Frauen guten Abend sagen. Sie geht von ihm fort, bleibt in der Mitteltür noch stehen. Ich bin nicht artig: ich spür nur, was in den Leuten vorgeht, und das belästigt mich – und da reagier ich dagegen mit égards, die ich für die Leut hab. Meine Manieren sind nur eine Art von Nervosität, mir die Leut vom Hals zu halten. Sie geht.


Hans Karl geht langsam ihr nach.
[380]


Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 2–5: Dramen, Band 4, Frankfurt a.M. 1979, S. 375-381.
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