[381] Neuhoff und der berühmte Mann sind gleichzeitig in der Tür links erschienen.
DER BERÜHMTE MANN in der Mitte des Zimmers angelangt, durch die Tür rechts blickend. Dort in der Gruppe am Kamin befindet sich jetzt die Dame, um deren Namen ich Sie fragen wollte.
NEUHOFF. Dort in Grau? Das ist die Fürstin Pergen.
DER BERÜHMTE MANN. Nein, die kenne ich seit langem. Die Dame in Schwarz.
NEUHOFF. Die spanische Botschafterin. Sind Sie ihr vorgestellt? Oder darf ich –
DER BERÜHMTE MANN. Ich wünsche sehr, ihr vorgestellt zu werden. Aber wir wollen es vielleicht in folgender Weise einrichten –
NEUHOFF mit kaum merklicher Ironie. Ganz wie Sie befehlen.
DER BERÜHMTE MANN. Wenn Sie vielleicht die Güte haben, der Dame zuerst von mir zu sprechen, ihr, da sie eine Fremde ist, meine Bedeutung, meinen Rang in der wissenschaftlichen Welt und in der Gesellschaft klarzulegen – so würde ich mich dann sofort nachher durch den Grafen Altenwyl ihr vorstellen lassen.
NEUHOFF. Aber mit dem größten Vergnügen.
DER BERÜHMTE MANN. Es handelt sich für einen Gelehrten meines Ranges nicht darum, seine Bekanntschaften zu vermehren, sondern in der richtigen Weise gekannt und aufgenommen zu werden.
NEUHOFF. Ohne jeden Zweifel. Hier kommt die Gräfin Merenberg, die sich besonders darauf gefreut hat, Sie kennenzulernen. Darf ich –
EDINE kommt. Ich freue mich enorm. Einen Mann dieses Ranges bitte ich nicht mir vorzustellen, Baron Neuhoff, sondern mich ihm zu präsentieren.
DER BERÜHMTE MANN verneigt sich. Ich bin sehr glücklich, Frau Gräfin.
EDINE. Es hieße Eulen nach Athen tragen, wenn ich Ihnen sagen[381] wollte, daß ich zu den eifrigsten Leserinnen Ihrer berühmten Werke gehöre. Ich bin jedesmal hingerissen von dieser philosophischen Tiefe, dieser immensen Bildung und diesem schönen Prosastil.
DER BERÜHMTE MANN. Ich staune, Frau Gräfin. Meine Arbeiten sind keine leichte Lektüre. Sie wenden sich wohl nicht ausschließlich an ein Publikum von Fachgelehrten, aber sie setzen Leser von nicht gewöhnlicher Verinnerlichung voraus.
EDINE. Aber gar nicht! Jede Frau sollte so schöne tiefsinnige Bücher lesen, damit sie sich selbst in eine höhere Sphäre bringt: das sag ich früh und spät der Toinette Hechingen.
DER BERÜHMTE MANN. Dürfte ich fragen, welche meiner Arbeiten den Vorzug gehabt hat, Ihre Aufmerksamkeit zu erwecken?
EDINE. Aber natürlich das wunderbare Werk »Über den Ursprung aller Religionen«. Das hat ja eine Tiefe, und eine erhebende Belehrung schöpft man da heraus –
DER BERÜHMTE MANN eisig. Hm. Das ist allerdings ein Werk, von dem viel geredet wird.
EDINE. Aber noch lange nicht genug. Ich sag gerade zur Toinette, das müßte jede von uns auf ihrem Nachtkastl liegen haben.
DER BERÜHMTE MANN. Besonders die Presse hat ja für dieses Opus eine zügellose Reklame zu inszenieren gewußt.
EDINE. Wie können Sie das sagen! Ein solches Werk ist ja doch das Grandioseste –
DER BERÜHMTE MANN. Es hat mich sehr interessiert, Frau Gräfin, Sie gleichfalls unter den Lobrednern dieses Produktes zu sehen. Mir selbst ist das Buch allerdings unbekannt, und ich dürfte mich auch schwerlich entschließen, den Leserkreis dieses Elaborates zu vermehren.
EDINE. Wie? Sie sind nicht der Verfasser?
DER BERÜHMTE MANN. Der Verfasser dieser journalistischen Kompilation ist mein Fakultätsgenosse Brückner. Es besteht allerdings eine fatale Namensähnlichkeit, aber diese ist auch die einzige.
EDINE. Das sollte auch nicht sein, daß zwei berühmte Philosophen so ähnliche Namen haben.[382]
DER BERÜHMTE MANN. Das ist allerdings bedauerlich, besonders für mich. Herr Brückner ist übrigens nichts weniger als Philosoph. Er ist Philologe, ich würde sagen, Salonphilologe, oder noch besser: philologischer Feuilletonist.
EDINE. Es tut mir enorm leid, daß ich da eine Konfusion gemacht habe. Aber ich hab sicher auch von Ihren berühmten Werken was zu Haus, Herr Professor. Ich les ja alles, was einen ein bißl vorwärtsbringt. Jetzt hab ich gerad ein sehr interessantes Buch über den »Semipelagianismus« und eines über die »Seele des Radiums« zu Hause liegen. Wenn Sie mich einmal in der Heugasse besuchen –
DER BERÜHMTE MANN kühl. Es wird mir eine Ehre sein, Frau Gräfin. Allerdings bin ich sehr in Anspruch genommen.
EDINE wollte gehen, bleibt nochmals stehen. Aber das tut mir ewig leid, daß Sie nicht der Verfasser sind! Jetzt kann ich Ihnen auch meine Frage nicht vorlegen! Und ich wäre jede Wette eingegangen, daß Sie der Einzige sind, der sie so beantworten könnte, daß ich meine Beruhigung fände.
NEUHOFF. Wollen Sie dem Professor nicht doch Ihre Frage vorlegen?
EDINE. Sie sind ja gewiß ein Mann von noch profunderer Bildung als der andere Herr. Zu Neuhoff. Soll ich wirklich? Es liegt mir ungeheuer viel an der Auskunft. Ich würde fürs Leben gern eine Beruhigung finden.
DER BERÜHMTE MANN. Wollen sich Frau Gräfin nicht setzen?
EDINE sich ängstlich umsehend, ob niemand hereintritt, dann schnell. Wie stellen Sie sich das Nirwana vor?
DER BERÜHMTE MANN. Hm. Diese Frage aus dem Stegreif zu beantworten, dürfte allerdings Herr Brückner der richtige Mann sein.
Eine kleine Pause.
EDINE. Und jetzt muß ich auch zu meinem Bridge zurück. Auf Wiedersehen, Herr Professor.
Ab.
DER BERÜHMTE MANN sichtlich verstimmt. Hm. –
NEUHOFF. Die arme gute Gräfin Edine! Sie dürfen ihr nichts übelnehmen.[383]
DER BERÜHMTE MANN kalt. Es ist nicht das erste Mal, daß ich im Laienpublikum ähnlichen Verwechslungen begegne. Ich bin nicht weit davon, zu glauben, daß dieser Scharlatan Brückner mit Absicht auf dergleichen hinarbeitet. Sie können kaum ermessen, welche peinliche Erinnerungen eine groteske und schiefe Situation, wie die in der wir uns soeben befunden haben, in meinem Innern hinterläßt. Das erbärmliche Scheinwissen, von den Trompetenstößen einer bübischen Presse begleitet, auf den breiten Wellen der Popularität hinsegeln zu sehen – sich mit dem konfundiert zu sehen, wogegen man sich mit dem eisigen Schweigen der Nichtachtung unverbrüchlich gewappnet glaubte –
NEUHOFF. Aber wem sagen Sie das alles, mein verehrter Professor! Bis in die kleine Nuance fühle ich Ihnen nach. Sich verkannt zu sehen in seinem Besten, früh und spät – das ist das Schicksal –
DER BERÜHMTE MANN. In seinem Besten.
NEUHOFF. Genau die Seite verkannt zu sehen, auf die alles ankommt –
DER BERÜHMTE MANN. Sein Lebenswerk mit einem journalistischen –
NEUHOFF. Das ist das Schicksal –
DER BERÜHMTE MANN. Die in einer bübischen Presse –
NEUHOFF. – des ungewöhnlichen Menschen, sobald er sich der banalen Menschheit ausliefert, den Frauen, die im Grunde zwischen einer leeren Larve und einem Mann von Bedeutung nicht zu unterscheiden wissen!
DER BERÜHMTE MANN. Den verhaßten Spuren der Pöbelherrschaft bis in den Salon zu begegnen –
NEUHOFF. Erregen Sie sich nicht. Wie kann ein Mann Ihres Ranges – Nichts, was eine Edine Merenberg und tutti quanti vorbringen, reicht nur entfernt an Sie heran.
DER BERÜHMTE MANN. Das ist die Presse, dieser Hexenbrei aus allem und allem! Aber hier hätte ich mich davor sicher gehalten. Ich sehe, ich habe die Exklusivität dieser Kreise überschätzt, wenigstens was das geistige Leben anlangt.
NEUHOFF. Geist und diese Menschen! Das Leben – und diese Menschen! Alle diese Menschen, die Ihnen hier begegnen,[384] existieren ja in Wirklichkeit gar nicht mehr. Das sind ja alles nur mehr Schatten. Niemand, der sich in diesen Salons bewegt, gehört zu der wirklichen Welt, in der die geistigen Krisen des Jahrhunderts sich entscheiden. Sehen Sie doch um sich: eine Erscheinung wie die Figur dort im nächsten Zimmer, vom Scheitel bis zur Sohle sich balancierend in der Selbstsicherheit der unbegrenzten Trivialität – von Frauen und Mädchen umlagert – Kari Bühl.
DER BERÜHMTE MANN. Ist das Graf Bühl?
NEUHOFF. Er selbst, der berühmte Kari.
DER BERÜHMTE MANN. Ich habe bis jetzt keine Gelegenheit gehabt, ihn kennenzulernen. Sind Sie befreundet mit ihm?
NEUHOFF. Nicht allzusehr, aber hinlänglich, um ihn Ihnen in zwei Worten erschöpfend zu charakterisieren: absolutes, anmaßendes Nichts.
DER BERÜHMTE MANN. Er hat einen außerordentlichen Rang innerhalb der ersten Gesellschaft. Er gilt für eine Persönlichkeit.
NEUHOFF. Es ist nichts an ihm, das der Prüfung standhielte. Rein gesellschaftlich goutiere ich ihn halb aus Gewohnheit; aber Sie haben weniger als nichts verloren, wenn Sie ihn nicht kennenlernen.
DER BERÜHMTE MANN sieht unverwandt hin. Ich würde mich sehr interessieren, seine Bekanntschaft zu machen. Glauben Sie, daß ich mir etwas vergebe, wenn ich mich ihm nähere?
NEUHOFF. Sie werden Ihre Zeit mit ihm verlieren, wie mit allen diesen Menschen hier.
DER BERÜHMTE MANN. Ich würde großes Gewicht darauf legen, mit Graf Bühl in einer wirkungsvollen Weise bekannt gemacht zu werden, etwa durch einen seiner vertrauten Freunde.
NEUHOFF. Zu diesen wünsche ich nicht gezählt zu werden, aber ich werde Ihnen das besorgen.
DER BERÜHMTE MANN. Sie sind sehr liebenswürdig. Oder meinen Sie, daß ich mir nichts vergeben würde, wenn ich mich ihm spontan nähern würde?
NEUHOFF. Sie erweisen dem guten Kari in jedem Fall zuviel Ehre, wenn Sie ihn so ernst nehmen.[385]
DER BERÜHMTE MANN. Ich verhehle nicht, daß ich großes Gewicht darauf lege, das feine und unbestechliche Votum der großen Welt den Huldigungen beizufügen, die meinem Wissen im breiten internationalen Laienpublikum zuteil geworden sind, und in denen ich die Abendröte einer nicht alltäglichen Gelehrtenlaufbahn erblicken darf.
Sie gehen ab.
Ausgewählte Ausgaben von
Der Schwierige
|
Buchempfehlung
Der Held Gustav wird einer Reihe ungewöhnlicher Erziehungsmethoden ausgesetzt. Die ersten acht Jahre seines Lebens verbringt er unter der Erde in der Obhut eines herrnhutischen Erziehers. Danach verläuft er sich im Wald, wird aufgegriffen und musisch erzogen bis er schließlich im Kadettenhaus eine militärische Ausbildung erhält und an einem Fürstenhof landet.
358 Seiten, 14.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro