Zweiter Auftritt


[301] Im Turm. Fünfeckiges Gemach mit engem vergitterten Fenster. Hinten in einer Ecke eine kleine eiserne Tür. An der Wand ein großes Kruzifix. Eine hölzerne Bank, ein Eimer, ein Waschbecken. Im Hintergrund auf halbverbranntem Stroh sitzt Sigismund. Er trägt einen reinlichen Anzug aus Zwilch und hat nackte Füße, aber ohne Ketten. Man hört von draußen aufsperren.


ANTON tritt herein. Aufgeschaut, Sigismund, der Toni ist zurück. Ja, wo war denn der Toni? das möchtest gern wissen. Ist keine Zeit zum Erzählen. Gründlich gemacht wird. Er nimmt einen Besen, der nächst der Tür lehnt, sprengt aus dem Eimer Wasser auf den Boden und fängt an auszukehren.

SIGISMUND sieht auf ihn, schweigt.

ANTON im Kehren. Kriegst einen Besuch oder gar ihrer mehr. Er schnuppert in die Luft. Was ist das? hast gezündelt im Stroh? Bist leicht zwei Jahr alt, oder zweimal zehn und zwei dazu? Versteckst deine Händ? Da schau! Brandstifter! Sollen wir dir die Händ in eine hölzerne Geigen sperren? Mächtig viel Stroh verbrannt, Reiser, alles! – Gnad dir Gott, wenns ein Wächter bemerkt hätt. – Was hast getrieben und zu welchem End?

SIGISMUND antwortet nicht.[301]

ANTON sanfter. War dir, du wärst ein Köhler? Köhlers Kunst ist Feuer niederhalten, nicht anfachen! Gib Antwort!

SIGISMUND schüttelt den Kopf.

ANTON hat wieder zu kehren angefangen. Hast gemeint, du wärst ein Schmied? Blasbalg treten, Eisen schlagen? willst so hoch hinaus?

SIGISMUND schüttelt wieder den Kopf.

ANTON hält inne mit dem Kehren. Bald dus nicht sagst, wird der Toni schiech. Freut dich das Böse? Bist ein Teufel? Ein Sotek bist! Ein Spirifankerl. Fledermauskrallen werden dir wachsen!

SIGISMUND hebt stumm flehend die Hände.

ANTON. Also sags. Du sollst reden mit mir. Reden ist Menschheit. Wenn die Viehheit reden könnt, wären Wolf und Bär die Herren, täten kommandieren auf der Welt. An der Red erkennt man den Mann. – Hast wollen schlafen gehen, Licht auslöschen? – du hast vergessen wie man tut, hast den Kien ins Stroh gesteckt, hast gemeint, so löscht man ihn aus? Darauf hast dir einen Schippel Haar ausgerissen, haben gebrannt lichterloh und gestunken wie dem Teufel sein Huf? Ja?

SIGISMUND. Groß war mein Feuer!

ANTON. O du gspaßiger Vogel! wie deine Haar verbrannt waren, hast das Gewand ausgezogen, dem Lohfeuer nachgeschmissen, hast geschrien: Feuer, zieh die Hosen an, damit dich niemand glanzen sieht!

SIGISMUND schnell. Mein Vater war im Feuer.

ANTON. Wie hat er denn ausgeschaut? Ein Feuergesicht, ein rauchiger Mantel, ein blaulodernder Bauch und glühende Schuh?

SIGISMUND sieht weg. Mein Vater hat kein Gesicht!

ANTON. Feuernärrischer Lapp, einen Tunker hast gmacht am Stroh, und die Glut hat dir die Haar versengt: geträumt hat dir das Übrige.

SIGISMUND. Mir hat nicht geträumt! Das Feuer war da und ich war da, so hab ich das Feuer gesehen und das Feuer hat mich gesehen!

ANTON. Du Fledermaus! [302] Sprengt geweihtes Wasser über ihn aus einem kleinen bleiernen Becken, das unterm Kruzifix an der Mauer hängt. Aufräumen jetzt! Bist ein Mensch? der grauste sich, wenn ein Zimmer ausschaut wie dem Teufel seine Bettstatt.

SIGISMUND angstvoll. Anton, was ist denn das: ein Mensch wie ich ein Mensch bin?

ANTON gießt ihm Wasser ins Becken. Da, wasch dir dein Gesicht, so kommst auf andere Gedanken. Man hört die Tür von außen aufsperren. Da hast ein Tüchel. Wirft ihm ein bunt baumwollenes Tuch zu, Sigismund wischt sich ab. Und jetzt! da schau hin! heimgsucht wirst! das ist jetzt ein fideles Gefängnis. Geht bald zu wie in einem Taubenschlag.


Von außen ist die eiserne Tür geöffnet worden. Eine Bauernfrau, Sigismunds Ziehmutter, ist eingetreten, bleibt unweit der Tür stehen. Sigismund kehrt sein Gesicht gegen die Wand.


BÄUERIN tritt näher, zu Anton. Ist derselbige krank? weiß er nichts von sich?

SIGISMUND verbirgt Kopf und Hände im Stroh.

BÄUERIN. Sieben Jahr hab ich ihn nicht gesehen. Ists wahr, daß ihm Krallen gewachsen sind? glühende Augen, wie bei einem bösen Nachtvogel?

ANTON. Gelogen! zeig deine Händ, Sigismund. – Dort ist er, schau Sie!

SIGISMUND faßt sich. Mutter, bist du zu mir gekommen?

BÄUERIN tritt zu ihm. Dein Haar ist wirr. Wo hast du deinen Kamm? Gib ihn mir, daß ich dich kämme.

ANTON reicht ihr aus einer Wandnische einen bleiernen Kamm.

BÄUERIN kämmt Sigismund das Haar. Ebenbild Gottes, halt auf dich. Weißt nicht mehr, wie die Bäuerinnen durch den Zaun gespäht, wegen deiner weißen Wangen, rabenschwarzen Haare? Milch und Honig vor die Tür gestellt, ich dich hab verstecken müssen, Fensterladen zurammeln! Streng war das Verbot!

SIGISMUND. Wo ist der Mann?

BÄUERIN. Der Ziehvater ist tot seit vier Jahren. Bet mit mir für[303] seine Seele: Gegrüßt seist du Maria, voll der Gnaden. – Hast mich verstanden. Bet mit mir. Siehst ihn nie wieder.

SIGISMUND. Ich seh ihn recht oft. Erst vorige Nacht. Er liegt hinterm Ofen in einer ganz finsteren Kammer. Ist das die Hölle wo sie liegen, auf feurigen Betten, ihnen mit Angelhaken die Zunge aus dem Mund gerissen wird? – oder sind wir schon hier in der Hölle?

BÄUERIN greift nach ihrem Rosenkranz. Bet mit. Bet um Erleuchtung.

SIGISMUND. Ich möchte wohl, aber es läßt mich nicht. – Ich brings nicht auseinander, mich und das andere. Es wächst mit mir zusammen. Unken und Asseln, Mauern und Türm. Es ist alles bald groß bald klein, daß mir schwindelt. Ein Strohhalm wie ein Balken legt sich auf meine Seel, zerquetscht sie. Einen Turm, einen Berg blas ich vor mir hin wie Staub, so – ist meine Seele so stark?

BÄUERIN. Deine Seele ist ein Web aus reinem unverlöschlichem Licht, so wie das Linnen, das gebunden war an seinen vier Zipfeln, darin das Gewürm war und die Tiere der Erde. Bind es auf, fällt das Getier heraus, das weiße Tuch aber bleibt rein und fährt leuchtend wieder hinauf zum Himmel, von da es heruntergehalten worden ist.

SIGISMUND. Wo ist aber meine Seele?

BÄUERIN. Wie denn, wie fragst du da?

SIGISMUND. Ich frag recht. – Weißt du noch das Schwein, das der Vater geschlachtet hat, und es schrie so stark und ich schrie mit – und wie ich dann kein Fleisch hab anrühren können, und hättet ihr mir mit Gewalt die Zähn aufgebrochen, auch nicht. Dann ist es an einem Kreuzholz gehangen, im Flur an meiner Kammertür; das Innere so finster, ich verlor mich darin. – War das die Seele, die aus ihm geflohen war in dem letzten schrecklichen Schrei? und ist meine Seele dafür hinein in das tote Tier?

BÄUERIN. Du sprichst nicht recht. Bet mit mir: Vater unser, der du bist in dem Himmel –

SIGISMUND. Mutter, nimm mich zu dir! dein Gesicht ist wie ein Apfel und auch wieder erdig, deine Augen wasserhell wie[304] Ewiges. Nimm mich zu dir hinüber: denn wo bist du und wo bin ich?

BÄUERIN. Wir sind vereinigt an einem leiblichen Ort, und wenn du mit mir betest, dann sind wir auch geistlich an einem Ort.

SIGISMUND. Du bist nicht meine Mutter dem Fleisch nach, so hörst du nicht meine Stimme, die zu dir ruft!

BÄUERIN. Ich höre deine Stimme.

SIGISMUND. Nicht die wahre, die wird nicht gehört mit diesen Ohren, sondern die wird gehört von der Mutter zum Kind mit Ohren, die unter dem Herzen sind. Wo ist meine Mutter dem Fleische nach? warum hilft sie mir nicht? wo ist mein leiblicher Vater, daß er mich im Stich läßt! da er mich doch gemacht hat! Ich recke die Hände und schreie nach ihm: Vater!

BÄUERIN zeigt aufs Kruzifix. Da ist dein Vater und dein Erlöser! Sieh hin auf den! – drück dir sein Bild ins Herz, das Herz ist weich, das Bild ist hart, drücks ein, wie einen Stempel und Prägestock!

SIGISMUND sieht lange hin, ahmt die Stellung nach, mit ausgebreiteten Armen; dann läßt er die Arme sinken. Ich brings nicht auseinander, mich mit dem und aber mich mit dem Tier, das aufgehangen war an einem queren Holz und ausgenommen und innen voller blutiger Finsternis. Mutter, wo ist mein End und wo ist dem Tier sein End?

BÄUERIN. Hab dein Leiden lieb! reiß' heraus aus dir und Opfers Ihm auf unter seine blutigen Füß!

SIGISMUND. Ich kann mein Leiden nicht ausreißen aus mir! ist alles eins mit mir! bleibt dann nichts drin!

BÄUERIN. Du mußt können! Schau an seine brechenden liebevollen Augen –

SIGISMUND schließt die Augen. Kanns nicht sehen. In mir ist rotes Feuer und Finsternis. Er soll mir helfen!

BÄUERIN. Auf die Augen! Schau hin! verlassen vom Vater im Himmel! Mit Dornen gekrönt, mit Ruten geschlagen, ins Gesicht gespien die Kriegsleut! erschau das!

SIGISMUND. Umgekehrt! hat frei herumgehen dürfen! auf einem Schiff fahren! Hochzeit mitessen! Burg einreiten aufm Palmesel und alle gejubelt um ihn![305]

BÄUERIN. Schau hin, Bock du, widerspenstiger! Dahin hat ihn 's Schiff gefahren! dahin hat ihn die Eselin getragen! Nägel durch die Händ! die Knöchel durchschlagen! den Leib angestochen! Auf die Augen! Fest die Augen auf ihn! an ihn denken bei Tag und Nacht oder du gehst verloren!

SIGISMUND verhält sich die Augen mit der Hand.

BÄUERIN tritt hart an ihn.

SIGISMUND schreit auf. Mutter, erzürne mich nicht! Ah!

BÄUERIN tritt zurück.

SIGISMUND. Keinen Leib an meinen Leib! Messer und Ketten, Prügel und Stein, aber keinen Leib.

BÄUERIN faltet ihre Hände, betet. Ihr heiligen vierzehn Nothelfer, ihr starken Kämpfer und Diener Gottes, wunderbar in der Kraft, fest in der Beständigkeit des Glaubens, stehend vor Gottes Thron, verherrlichet und gekrönt mit goldenen Kronen, fahret herbei, diesem zu Hilfe, tuet ab von ihm gefletschte Zähne, geballte Fäuste, lieber lasset die Hände abfallen, die Füße lahmen, die Augen erblinden, die Ohren ertauben und bewahret seine Seele vor der Gewalttat und dem Übel. Amen.

SIGISMUND still wie zuvor. Mutter, du bist nicht meine Mutter, aber ich war dir anvertraut und du hast mir Essen gegeben anstatt meiner Mutter – du wendest dich und gehst von mir fort? Weißt du denn, was geschehen wird mit mir?


Hinten ist die Tür abermals aufgesperrt worden und Julian ist eingetreten. An der Tür wird eine andere Person sichtbar, die wartet. Bäuerin neigt sich, küßt Julian den Rock.


JULIAN bleibt stehen.

SIGISMUND flüchtet auf sein Strohlager. Anton! schau hin! da ist mein Mörder über die Schwelle getreten!

JULIAN. In der Art ist er gesänftiget? Hat das Weib nichts Besseres vermocht? und du –

ANTON halblaut zu Sigismund. Meinen Herrn darfst nicht schelten! Das wär halt keine Manier. So was darf man sich nicht einmal im Stillen denken, geschweig denn herausschreien.

JULIAN tritt näher. Sigismund, ich bin zu dir gekommen. Winkt, Anton gibt ihm einen niedrigen Holzstuhl ohne Lehne, auf den er sich setzt.[306] Ich komme, um dir Freude zu bringen, Sigismund. Achte gut auf das, was mein Mund jetzt spricht: du hast eine schwere, lange Prüfung überstanden. Fassest du meine Rede?

SIGISMUND zittert, sagt nichts.

JULIAN. Du hast viel ausgestanden. Dein Leben war hart und einsam. Zuzeiten hat Angst und Kummer dein Gemüt verstört. Aber die Prüfung, habe ich mir sagen lassen, hat dich nicht töricht gemacht, sondern weise.

SIGISMUND verbirgt seine Hände unter den Zwilchärmeln.

JULIAN. Achtest du auf mich?

SIGISMUND. Du bist oberste Gewalt über mir, vor dir zittere ich. Ich weiß, daß ich dir nicht entrinnen kann. Er verbirgt unwillkürlich seine Hände. Ich sehe auf deine Hände und deinen Mund, damit ich wohl verstehe, was du willst.

JULIAN. Gewalt ist von oben verliehen. Von einem Höheren als ich bin, merke wohl. Ich war aber dein Retter. Heimlich goß ich Öl deiner Lebenslampe zu; durch mich allein ist noch Licht in dir. Das merke dir. Dünke ich dir so fremd, Sigismund? Hab ich dich nicht einen Winter lang neben mir an einem hölzernen Tische sitzen lassen und vor dir das große Buch aufgeschlagen und darin dir Bild für Bild die Dinge der Welt gewiesen, und sie dir mit Namen genannt und dich dadurch ausgesondert unter deinesgleichen?

SIGISMUND schweigt.

JULIAN. Hab ich dir nicht erzählt, von Moses mit den Tafeln und Noah mit der Arche und Gideon mit dem Schwert und David mit der Harfe, von Rom, der großen, mächtigen Stadt und ihren Kaisern, und daß von ihnen unsere erlauchten Könige abstammen? Hab ich dir nicht Begriff gegeben, von Herr und Knecht, von Fern und Nah, von Himmlisch und Irdisch? Antworte mir!

SIGISMUND starrt zu Boden.

JULIAN. Hab ich dich nicht erzogen, will sagen: gezogen nach oben, heraus gezogen aus der Tiernatur, die auf die Erde starrt, weil sie gebacken ist aus Leim und Asche und dein Angesicht nach oben gerissen zum Gewölb des Himmels,[307] dahinter Gott wohnt? – Blick auf, gib Antwort auf der Stelle! Oder leugne, wenn du kannst!

SIGISMUND nickt.

JULIAN. Ungeheure Wohltat hab ich dir demnach erwiesen. Hineingetreten bin ich in deine Finsternis, wie der Mond, die silberne, gekrümmte Lampe, zu der die Heiden beten. Anbeten solltest du mich dafür nach Recht, niederfallen vor mir und den Zipfel meines Rockes fassen!

SIGISMUND. Ungleich dem Tier hab ich Begriff von meiner Unkenntnis. Ich kenne, was ich nicht sehe, weiß, was fern von mir ist. Dadurch leide ich Qual wie kein Geschöpf.

JULIAN. Wunderbarer Vorzug! Danke mir! Preise mich noch mit dem letzten Atemzug! Zum Betrachter der Gestirne hab ich dich gemacht, zum Genossen der Engel! Einen gewaltigen Magier habe ich aus dir gemacht, gleich Adam und Moses! denn ich habe das Wunder der Sprache in deinen Mund gelegt.

SIGISMUND birgt sich leise stöhnend im Stroh.

JULIAN. Ha! so liebe ich dich, Sigismund: denn dadurch wird der Mund des Menschen gewaltig, daß er in die Buchstaben seinen Geist eingießt, rufend und befehlend! – Warum stöhnst du?

SIGISMUND. Ein furchtbares Wort aber ist: das wiegt alle anderen auf!

JULIAN. Was ist das für ein Wort? wie heißt das Wort? Ich bin begierig, was das für ein Zauberwort ist!

SIGISMUND. Sigismund! Er fährt sich mit den Fingern über die Wangen und den Leib hinab. Wer ist das: ich? Wo hats ein End? Wer hat mich zuerst so gerufen? Vater? Mutter? Zeig mir sie!

JULIAN. Deine Eltern haben dich von sich getan. Du warst schuldig vor ihnen.

SIGISMUND. Grausig ist das Tier. Es frißt die eigenen Jungen, noch feucht aus dem Mutterleib. Meine Augen habens gesehen. Und doch ist es unschuldig.

JULIAN. Forsche nicht, bis der Vorhang zerreißt. Steh auf dir selber! allein! So hab ich dich ausgestattet! Kriechende und[308] reißende Getiere, an denen dein kindischer Sinn hängt, sind aus der Erde gewirkt, Bäume und Fische aus Wasser, Vögel aus Luft, Sterne aus Feuer, du aus noch reinerem Feuer. Lichtgeist, vor dem Engel knien! Feuersohn, oberster! Erstgeborener!

SIGISMUND. Warum redest du so groß zu mir? was schwingst du in der Hand, das funkelt und glüht?

JULIAN. Wonach Hirsch und Adler und Schlange lechzen: daß sie durch Pflanzen und Steine, durch Tränke und Bäder ihr Leben erneuern: denn zweimal geboren wird der Auserwählte. Feuerluft schwinge ich in der Hand, Elixier des neuen Lebens, balsamische Freiheit!

SIGISMUND schaudert vor dem Fläschchen in Julians Hand zurück.

JULIAN leise zu Anton. Sprich ihm zu! Sag ihm von einer Reise!

ANTON. Hurra! Sigismund! wir machen eine Reis! groß ist die Welt! schön ist die Welt! auf ausm Stroh!

SIGISMUND. Weh! muß ich für immer ganz ins Dunkle zurück!

JULIAN. Ans Licht! So nah ans Licht, daß nur ein junger Adler nicht blind wird. – Trink dies.

SIGISMUND. Du hast mich gelehrt, daß sie Gefangene in einem Trunk vergeben. Sag mir zuvor, wer ich bin, und ich folge dir wie ein Lamm.


Julian ist zur Tür getreten und hat gewinkt. Ein vermummter Diener, der einen Becher trägt, ist eingetreten. Julian nimmt den Becher, gießt aus dem Fläschchen ein, birgt das Fläschchen wieder in seiner Gürteltasche. Der Diener verschwindet.


JULIAN hält Sigismund den Trank hin. Du bist du. Dir fehlt die schimmernde Ahnung, was das heißt: Leben. Höre: durch Taten ist die Welt bedingt. Hast du Begriff, was Taten sind? Trink und sieh zu.

SIGISMUND fällt nieder. Sag mir, wer ich bin?

ANTON. Sie werdens dir schon sagen, bald du wo eingetroffen bist! Nur nicht im voraus viel fragen, das macht die Leut aufsässig! Bürst ihn weg, den Trank!

SIGISMUND weicht zurück. Ich hab Angst! Ich kenne es seinen Blicken an, daß ich sterben muß, Anton![309]

JULIAN. Genug geredet. Es ist Zeit, daß wir unsere Reise antreten.

SIGISMUND. Hilf mir, Anton!

ANTON kniet neben Sigismund nieder. Nur leben lassen, Euer Gnaden! nur nicht umbringen! ist so ein junges Blut! Man kann ihm einen Maulkorb vors Gesicht hängen, daß er mit niemandem mehr reden kann, nur am Leben lassen, Euer Gnaden!

JULIAN. Sollen dich die Knechte mit Fäusten packen, dich zwingen zu deinem Heil?

SIGISMUND. Kommst du mir so? Er steht auf, und verharrt einen Augenblick in tiefem Sinnen, dann. – Ich trinke. Nimmt den Becher und trinkt aus, indem er Julian dabei unausgesetzt ansieht; dann gibt er ihm den Becher zurück. Und ich zieh dich nach, vor Gottes Gericht. Er sieht Julian unverwandt an, sein Gesicht verändert sich. Ah! du! ich zieh dich nach! Nach diesem Aufschrei taumelt er und schließt die Augen. Er geht ein paar Schritte nach hinten und setzt sich auf den Boden.

JULIAN indem er auf Sigismund hinsieht. Zieh mich nach auf den Thron!


Anton schneuzt sich. Julian winkt ihn heran, gibt ihm den Becher. Sigismund sitzt auf dem Boden, sein Kopf sinkt gegen die Mauer.


ANTON läßt den Becher fallen, will hin. Ich muß ihm den Kopf halten! er soll nicht sterbender am harten Stein lehnen.

JULIAN hält ihn. Schweig, Narr! wer redet vom Sterben! der fängt jetzt erst zu leben an.

ANTON. Schaun doch Euer Gnaden, wie sanft er ausschaut! Kniet bei Sigismund, streichelt ihm die Füße. Sieht denn Euer Gnaden nicht, er hat einen Heiligenschein überm Gesicht! o du heiliger verklärter Marterer du!

JULIAN. Nichts sehe ich, als die angekündigte Wirkung des Elixiers. Der Trank ist das Honorar wert.


Sigismund schlägt die Augen auf.


ANTON hei ihm knieend. Da schaust her! jetzt hat sich der Heiligenschein[310] in ihn hineingezogen, wie die Fetten in einen Krapfen! – Das muß ein Gutes sein, der Elixier. Ich möcht wohl das Becherl ausschlecken.

JULIAN setzt den Fuß darauf. Untersteh dich!

SIGISMUND richtet sich auf, geht gegen vorne. Welche Versammlung von Gedanken in mir. Mächtig stehen sie in meiner Brust, wie gekrönte Könige.

ANTON. Jetzt hat der so martialische Gedanken!

SIGISMUND mit einem lächelnden Ausdruck. Es glaubt der Mensch, er tue übel an seinesgleichen oder gut: aber wer berührt das Innere? Das ist unberührbar. – Ich habe geklagt, daß mein Vater verborgen sei. Er lacht leise. Mein Vater ist ja bei mir. Der Mensch erkennt schwer, was ihm nahe ist: er sieht die Mauern, aber er sieht nicht, wer mit im Zimmer ist. Hier innen Er kreuzt die Arme über der Brust. sind die vier Enden der Welt; schneller als der Adler flieg ich von einem zum andern, und doch bin ich aus einem Stück und dicht wie Ebenholz: das ist das Geheimnis.

ANTON. Jetzt redt der Bub so schön, wie ausm Büchl!

JULIAN. Schweig und ruf die Knechte!

ANTON geht gegen die Eisentür, die angelehnt ist. Sind schon da!


Sigismund nähert sich den beiden freundlich, aber nicht als ob er sie erkennte. Zwei vermummte Knechte sind leise eingetreten, halten sich nahe der Türe.


SIGISMUND zu Julian und Anton, aber wie zu Fremden. Fürchtet euch nicht in unserer Versammlung, ihr Nichtgestorbenen! und sehet ihr auch Engel, die hinter mir stehen? Engel und Teufel sind eins: sie haben den gleichen heimlichen Gedanken. Er tritt noch einen Schritt vor. Seht ihr auf meinen Mund, daß ich ihn euch sage? Eines Menschen Mund ist wie eine Blume, aber unverwelklich! Aus ihm steigt die Lobpreisung. Der Mensch ist eine einzige Herrlichkeit, und er hat nicht zuviel Leiden und Schmerzen, sondern ihrer zu wenig. Das sage ich euch! Mit veränderter Stimme.[311] Es hebt mich auf. Ganz weg ist alle Furcht. Nur die Füße werden auf einmal so kalt. Wärm sie mir, Anton.

ANTON bei ihm. Erkennst mich denn?

SIGISMUND. Heb sie mir in den feurigen Ofen, darin wandeln singend die Jünglinge, meine Brüder: Herr Gott, dich loben wir! Von Angesicht zu Angesicht! Auserlesen! Er wirft die Hände nach oben. Vater – in deine Hände – Fällt zusammen.


Die zwei vermummten Knechte treten vor.


JULIAN. Das fürstliche Gewand bereitgelegt? die Schuh, der Gürtel, alles? Ihn einkleiden, ehrerbietig!


Die Knechte nehmen Sigismund auf.


JULIAN hat seinen Mantel über ihn gebreitet, dann zu Anton. Den Reisewagen anschirren lassen! Die Eskorte soll bereit sein zum Aufsitzen. Die Wache ins Gewehr treten. Wink draußen aus dem Fenster.


Anton zieht sein Tüchel heraus, läuft hinaus. Die Knechte tragen Sigismund hinaus. Julian folgt. Trompetensignal draußen.[312]

Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 2–5: Dramen, Band 3, Frankfurt a.M. 1979, S. 301-313.
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