[483] Theodor ist plötzlich erschienen.
MELANIE zählt zu Ende. Siebenundfünfzig, achtundfünfzig, neunundfünfzig ...
THEODOR. Neunundfünfzig waren es schon immer. Es ist demgemäß alles in Ordnung!
MELANIE erschrickt über seine plötzliche Nähe. Haben Sie je meine Perlen in der Hand gehabt?
THEODOR. In der Hand nicht, aber am Hals hab ich sie gezählt. Ich habe sehr gute Augen, unsereins muß manchmal in unbeachteter[483] Haltung warten, und da sucht man sich eine Beschäftigung.
MELANIE ordnet etwas an ihrem Kleid.
THEODOR. Auch ich habe wahrgenommen, daß die Kleider nicht ordentlich gepackt waren, ich habe demgemäß der dienenden Person Befehle gegeben, die Toiletten ordentlich zu bügeln und instand zu setzen.
MELANIE. Ich danke Ihnen, Franz.
THEODOR. Das ist meine Schuldigkeit. Ferner wäre dieses: Euer Gnaden haben, höre ich, befohlen, daß die Koffer auf den Boden geschafft werden. Es wäre allerdings für einen längeren Aufenthalt das Richtige. Im anderen Falle wäre es vielleicht ratsamer, die Koffer ganz in der Nähe zu haben.
MELANIE unsicher. Ich habe die Absicht gehabt, eine Woche oder zehn Tage hierzubleiben.
THEODOR mit einem eigentümlichen Lächeln. Wenn Euer Gnaden allen zum Trotz diese Absicht werden durchführen wollen –
MELANIE. Was meinen Sie mit »allen zum Trotz«?
THEODOR. Ich meine eine Unbequemlichkeit, der eine unbegleitete Dame in einem fremden Haus ausgesetzt ist!
MELANIE. Was wollen Sie damit sagen? Was für Unbequemlichkeit?
THEODOR immer mit dem gleichen ominösen Lächeln. Beispielsweise die Dachreparatur am heutigen Nachmittag. Wie sollen sich da Euer Gnaden in gebührender Weise zurückziehen, Siesta abhalten, wenn da gehämmert wird, unmittelbar unter dem Fenster. Das sind sehr peinliche Sachen.
MELANIE. Das Dach wird repariert?
THEODOR wieder mit diesem Lächeln. Natürlich, man könnte es noch aufschieben. Aber wenn beispielsweise heute nacht ein Wind käme, da sind solche Gitterteile am Blech, die klappern, daß kein Mensch ein Auge zumachen kann da droben, und gerade da zwischen Euer Gnaden Ihrem Fenster und Herrn Baron seinem nächtlichen Arbeitszimmer. Freilich, wenn kein Wind ist, da müßte schon gerade jemand herumlaufen, bereits wie ein Somnambuler, damit es zu einem Klappern käme. Aber wer sollte bei uns solche Exkursionen unternehmen? Wer, frage ich? [484] Er sieht Melanie scharf an, dann abspringend. Aber es ist eben bei uns sehr windig. Da droben ist eine Zugluft, bereits wie auf einem Berggipfel. Ich bitte nur gütigst zu sehen, da fliegen ja etliche Papierbogen gerade herum wie die Hexen. Das ist mir sehr peinlich, daß ich das wahrnehme. Das könnten nämlich sehr gut lose Blätter aus dem Herrn seinem Tagebuch sein, – diese sogenannten Notizblätter, aus denen er dann seine Romane zusammensetzt. Da bin ich sehr aufgeregt, denn das sind große Diskretionssachen. Er nennt nämlich in diesen Notizen immer alles sehr stark beim Namen, das darf in keine gemeinen Hände fallen!
MELANIE. Wo sehen Sie solche gräßlichen Blätter herumfliegen?
THEODOR. Da droben! Aber da können Euer Gnaden nicht wissen, wie mich das aufregt. Für Euer Gnaden hat das keine Bedeutung, ob so was in unrechte Hände kommt, aber für mich, der ich in diesem Haus die Verantwortung trage für alles – –
MELANIE. So gehen Sie doch, laufen Sie hinauf und bringen Sie diese Blätter auf die Seite. Da sehen Sie nur, jetzt trägt der Wind eins davon. Da hängts an der Dachrinne. Das ist ja – ich geh mit Ihnen, ich helfe Ihnen.
THEODOR bemerkt den General, der im Hintergrund erschienen ist. Ich werde gleich hinaufeilen. Aber Euer Gnaden werden begrüßt vom Herrn General. Bitte sich demgemäß umzudrehen.
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