Fünfte Szene

[521] GÄRTNER von oben rechts, meldet dem Theodor. Die Mascotte ist gesattelt!


Gleichzeitig mit dem Gärtner ist die Baronin aufgetreten, die die Meldung hört.

Marie, Melanie, General, Dienerpersonal folgen ihr.


THEODOR. Vorführen![521]

BARONIN. Wer reitet denn aus, jetzt so spät abends?

THEODOR. Der Herr Baron wird die Damen begleiten zu Pferd!

BARONIN zu den Damen. Ich wußte es ja, natürlich begleitet Sie der Jaromir!

MELANIE. Ich wußte gar nicht, daß Fräulein Am Rain auch abreist?


Melanie und Marie ziehen ihre Mäntel an, die ihnen die Jungfer und die Beschließerin reichen. Theodor nimmt der Beschließerin mit einem geringschätzigen Blick Maries Mantel aus der Hand und hilft Marie hinein.

Brocken von Gesprächen währenddessen.


ANNA zu Marie. Jedenfalls schickst du uns gleich eine Nachricht, wie du deinen Vater gefunden hast, obwohl ich ja ein so gutes Gefühl habe, daß du ihn viel wohler finden wirst als du hoffst.

GENERAL. Ich beneide Jaromir um diesen Ritt im Mond über die Anwiesen. Wenn ich denke, daß ich drei Jahre auf keinem Pferd gesessen bin – wirst du mir nächstens die Mascotte für einen Morgenritt anvertrauen?

JAROMIR. Es wird für mich und für die Mascotte die größte Auszeichnung sein. Zu Melanie, ihr in den Mantel helfend. Sie haben recht gehabt, tausendmal recht!

MELANIE. Gottlob, daß Sie das einsehen!

BARONIN zu Marie, die, völlig angezogen, etwas abseits steht, sehr gütig. Und wir beide haben doch kaum ein Wort miteinander gesprochen, das tut mir sehr leid!

MARIE nicht mehr imstande, ihre Tränen zurückzuhalten, beugt sich über ihre Hand und küßt sie. O danke, danke!

ANNA zu Jaromir, auch abseits der übrigen. Hast du deine Handschuhe und den Reitstock? Ich bringe sie dir! Ab ins Haus.

GENERAL. Meine Damen, es ist die höchste Zeit, wenn Sie den Zug erreichen wollen!

BARONIN. Daß dieser Aufenthalt nur so kurz war, ist wirklich eine schmerzliche Überraschung für uns.


Geht ab.
[522]

JAROMIR dem Anna Hut, Reitstock und Handschuhe gebracht hat. Anna, wenn ich dir sagen könnte, wie ich dich sehe! Seit du hier so zu mir gesprochen hast – wie ich dich sehe, so eine Seligkeit!

ANNA mit süßer Freude. Du-mich-wirklich? Du mich auch? Ja, von was kommt denn das?

JAROMIR. Das Ganze ist so unbegreiflich! Ich werde nie imstande sein, etwas so Ungeheueres zu verstehen, – wie es heut in mir zustande gekommen ist, und hinter dem Ganzen, wenn ich jetzt bedenk, liegt so eine Planmäßigkeit, als ob jemand es darauf angelegt hätte, mich zu mir selber zu bringen und dadurch auch ganz zu dir – aber wer?

ANNA. Wer? Halt der, durch den alles geschieht! Was er für Werkzeuge dazu gebraucht, das können wir ja nie durchschauen!

JAROMIR. Anna!


Küßt ihr die Hand.


ANNA will sie wegziehen. Nicht! Ich bins heute nicht mehr wert!

JAROMIR. Du – nicht wert? Ah Gott!

STIMME DER BARONIN über die Terrasse her. Jaromir! Jaromir!

JAROMIR. Wie soll ich denn jetzt weg?

ANNA. Du mußt aber weg, und ich muß hinauf!

JAROMIR. Wie ist denn die Baby jetzt? Schläft sie unruhig?

ANNA. Nur die erste Stunde. Dann so fest, daß sie nichts hört, aber gar nichts!

JAROMIR. Ja, dann darf ich also zu dir kommen?

ANNA versteht, was sie gesagt hat ohne es sagen zu wollen, schämt sich sehr. Jetzt schäm ich mich, daß ich das so gesagt hab! Ich habe ja gar nicht an das gedacht!

THEODOR über die Terrasse. Herr Baron, es ist die höchste Zeit! Die Damen sitzen im Wagen.

JAROMIR reißt sich los. Darf ich kommen – über die Wendeltreppe? Laß mir die Tür offen. Wirst du, ja? Auch, wenn ichs nicht verdient habe!? Läuft weg, bleibt nochmals stehen. Du! Läuft schnell fort.


Anna nickt und steht wie betäubt.
[523]


Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 2–5: Dramen, Band 4, Frankfurt a.M. 1979, S. 521-524.
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