Prolog zu dem Buch »Anatol«

[44] Hohe Gitter, Taxushecken,

Wappen nimmermehr vergoldet,

Sphinxe, durch das Dickicht schimmernd ...

... Knarrend öffnen sich die Tore. –

Mit verschlafenen Kaskaden

Und verschlafenen Tritonen,

Rokoko, verstaubt und lieblich,

Seht ... das Wien des Canaletto,

Wien von siebzehnhundertsechzig ...

... Grüne, braune stille Teiche,

Glatt und marmorweiß umrandet,

In dem Spiegelbild der Nixen

Spielen Gold- und Silberfische ...

Auf dem glattgeschornen Rasen

Liegen zierlich gleiche Schatten

Schlanker Oleanderstämme;

Zweige wölben sich zur Kuppel,

Zweige neigen sich zur Nische

Für die steifen Liebespaare,

Heroinen und Heroen ...

Drei Delphine gießen murmelnd

Fluten in ein Muschelbecken ...

Duftige Kastanienblüten

Gleiten, schwirren leuchtend nieder

Und ertrinken in den Becken ...

... Hinter einer Taxusmauer

Tönen Geigen, Klarinetten,

Und sie scheinen den graziösen

Amoretten zu entströmen,

Die rings auf der Rampe sitzen,

Fiedelnd oder Blumen windend,

Selbst von Blumen bunt umgeben,[44]

Die aus Marmorvasen strömen:

Goldlack und Jasmin und Flieder ...

... Auf der Rampe, zwischen ihnen

Sitzen auch kokette Frauen,

Violette Monsignori ...

Und im Gras, zu ihren Füßen

Und auf Polstern, auf den Stufen

Kavaliere und Abbati ...

Andre heben andre Frauen

Aus den parfümierten Sänften ...

... Durch die Zweige brechen Lichter,

Flimmern auf den blonden Köpfchen,

Scheinen auf den bunten Polstern,

Gleiten über Kies und Rasen,

Gleiten über das Gerüste,

Das wir flüchtig aufgeschlagen.

Wein und Winde klettert aufwärts

Und umhüllt die lichten Balken,

Und dazwischen farbenüppig

Flattert Teppich und Tapete,

Schäferszenen, keck gewoben,

Zierlich von Watteau entworfen ...


Eine Laube statt der Bühne,

Sommersonne statt der Lampen,

Also spielen wir Theater,

Spielen unsre eignen Stücke,

Frühgereift und zart und traurig,

Die Komödie unsrer Seele,

Unsres Fühlens Heut und Gestern,

Böser Dinge hübsche Formel,

Glatte Worte, bunte Bilder,

Halbes, heimliches Empfinden,

Agonien, Episoden ...[45]

Manche hören zu, nicht alle ...

Manche träumen, manche lachen,

Manche essen Eis ... und manche

Sprechen sehr galante Dinge ...

... Nelken wiegen sich im Winde,

Hochgestielte weiße Nelken,

Wie ein Schwarm von weißen Faltern,

Und ein Bologneserhündchen

Bellt verwundert einen Pfau an.


Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke. Erste Reihe in drei Bänden, Band 1, Berlin 1924, S. 44-46.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Gedichte: Ausgabe 1924
Der Brief des Lord Chandos: Schriften zur Literatur, Kunst und Geschichte
Erzählungen
Jedermann: Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes
Der Schwierige: Lustspiel in drei Akten
Der Rosenkavalier: Komödie für Musik in drei Aufzügen von Hugo von Hofmannsthal. Textausgabe

Buchempfehlung

Lessing, Gotthold Ephraim

Philotas. Ein Trauerspiel

Philotas. Ein Trauerspiel

Der junge Königssohn Philotas gerät während seines ersten militärischen Einsatzes in Gefangenschaft und befürchtet, dass er als Geisel seinen Vater erpressbar machen wird und der Krieg damit verloren wäre. Als er erfährt, dass umgekehrt auch Polytimet, der Sohn des feindlichen Königs Aridäus, gefangen genommen wurde, nimmt Philotas sich das Leben, um einen Austausch zu verhindern und seinem Vater den Kriegsgewinn zu ermöglichen. Lessing veröffentlichte das Trauerspiel um den unreifen Helden 1759 anonym.

32 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon