Brief aus Bad Fusch

[137] Es regnet seit fünf Tagen und fünf Nächten.

Der wilde Wind ist wach auf allen Wegen

Die ganze Nacht. Die blassen Blätter zittern,

Dann fallen kalte Tropfen; kaltes Rieseln

Ist Tag und Nacht an allen Fenstern, Gurgeln

Und Plätschern in der Rinne und am ärgsten

Das Rauschen nachts im angeschwoll'nen Mühlbach.

Wir können nicht mehr lesen in den Zimmern,

Wir müssen immer horchen auf das Rauschen

Der angeschwoll'nen Bäche. Und es dämmert

Unendlich lang. Dann wirds auch immer kälter.

Die Knechte sagen, daß es sicher schneit

Auf allen Bergen und auch bald herunten;

Doch sieht man nichts vor schwerem kalten Regen.

Die Knechte können nichts im Freien tu'n.

So sitzen sie den ganzen Tag beisammen

In einer niedern Stube, wo die Fenster

Vergittert sind und reden von Gespenstern:

Vom Sandmann, der die Kinderaugen tötet,

Vom toten Gast und von berühmten Mördern,

Besessenen und nächtlichen Vampyren.

Wir sitzen abends in dem weißen Zimmer,

Dem mit den alten unbequemen Möbeln

Aus der Kongreßzeit, wo auch das Klavier steht ...

Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 1: Gedichte, Dramen, Frankfurt a.M. 1979, S. 137-138.
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