Der Teufelsteich

[115] [115] Thörichte Freunde des todten Alten,

Fahrend in ausgeleierten Gleisen,

Tanzend nach verklungenen Weisen,

Möge dies Mährlein euch unterhalten.

Lenau[116]


Die Leute nennen ihn den Teutelsteich.

Die alte Müllersch, die mit Krücken wirft,

Die Hurenlieder singt und Kräuter trocknet,

Und die der Pfundwirth immer Hexe schimpft –

Wahrscheinlich weil die Kathi schwanger geht,

Weil morgen Markt ist und sein Bier nichts taugt –

Die alte Müllersch hat's nicht weit von ihm.

Ihr wisst, auf Christenleute Worte werfen,

Die um ihr Renommee wie Kletten baumeln,

Sie Höllenunflad, Fegefeuerzangen

Und Teufelsfricassee betituliren,

Ist nicht mein Amt. Ich bin kein Leutepriester.

Ich bin nur sozusagen Philosoph.

Ich züchte Bienen, schneide Haselruthen

Und bläu den Jungens meine Fibel ein.

Doch diese Müllersch ... wie? Ihr kennt sie nicht?

Ei, was Ihr sagt! 'S ist ja dasselbe Weibsbild,

Das neulich über diesen Zaun geschielt,[117]

Grad als der Toni sich den Fuss verstauchte

Und meine Mietze sieben Junge warf!

Zum Kukuk, Herr, entsinnt Ihr Euch denn nicht?

Ach, geht! Ihr sasst ja grad auf dieser Bank

Und suchtet Euer weisses Taschentuch.

Nicht wahr? Ein Schluckanfall! Nun ja, ich sag's ja!

Hm? Und mein Altchen? Ach, die gute Seele!

Hat sie nicht dreimal Euch ins Kreuz gestukt?

Glaubt mir, ich hab's Euch immer schon gesagt,

Sie hat Euch lieb; weit lieber noch als mich;

So lieb, wie ihr Kanarienvögelchen.

Und als ihr Mittelchen nicht gleich verschlug?

Lief sie nicht händeringend nach dem Brunnen

Und stolperte dann über diesen Pflock,

Den ich erst Ostern so hübsch rund geschnitzt

Und jetzt zu Pfingsten grün bemalen wollte?

Und ging mir selber, da ich still dabei stand

Und blaue Ringel in den Flieder blies,

Ging mir nicht einszweidrei das Pfeifchen aus?

Die Hexe aber, die es ausgeblasen,

Die mir mein Altchen beinah lahm geschielt

Und Euch den Schluckauf in den Hals gewünscht,

That unschuldsvoll wie ein Marienbildchen,

Griff dreimal an ihr gelbes Kopftuch, nieste,

Sah blinzelnd in die Sonne und verschwand

Dann endlich hinkend hinter jenem Kirschbaum.

Mag Lux, der Glöckner auf den Melibocus,

Ihr mal gelegentlich um Mitternacht

Mit seinem Kuhschwanz das Genick abdrehn![118]

Der neue Amtmann wird sie hoffentlich,

Wenn unser Herrgott nichts dagegen hat

Und Pfarrers Köchin nicht dahinter kommt,

– Wie ich mir denke, noch so vor Johanni –

An irgend ein Spital verauktioniren.

Wenn's der Gemeinde, der das rothe Schulhaus

Schon unverschämt viel Geld gekostet hat,

Nur nicht das Futter aus dem Säckel reisst!

Das Jahr fünf Thaler wird's ihr freilich kosten.

Dass doch ein Weibsbild so verflucht schwer stirbt!

Na, gut, dass wenigstens das alte Rauchloch,

Drin sie seit Jahren schon herumspelunkt,

Von unserm Dörflein so hübsch abseits liegt!

Die Kühe milchen so wie so schon schlecht.

Wer weiss, wenn sie die Alte grünlich anspuckt,

Ob sie nicht Frösche mit fünf Beinen kalben?


Doch von der Müllersch, die mit Krücken wirft,

Die Hurenlieder singt und Kräuter trocknet,

Und die der Pfundwirth immer Hexe schimpft,

–Sein Schwager Forstwart will sogar drauf wetten,

Dass sie nach Kümmel stinkt und Taback kaut –

Von dieser Müllersch wollt ihr ja nichts hören.

Ihr wollt nur wissen, was die Ofenbank

Am Abend, wenn das Feuer auf den Dielen

Sich blassroth zwischen Kalmusblättern malt

Und weiss der Winter durch die Scheiben lugt,

Was dann die Ofenbank sich plappermäulig,

Indess die Mädels ihre Spindeln drehn,[119]

Vom Teufelsteich zu colportiren weiss.

Nun gut. So hört denn zu.


Vom Teufelsteich


Mag's bis zur Kathe von der alten Müllersch,

So ungefähr drei Vaterunser weit sein.

Ihr wisst, die Haide fängt schon früher an.

Um seine Ufer, die von Scherben starren,

Von Stiefelsohlen und Papier umkränzt,

Dehnt sie sich nackt und dürr wie ein Gerippe.

Sand, nichts als Sand und immer wieder Sand,

Soweit die Raben ihre Flügel blähn!

Drei alte Silberpappeln rauschen nur

Gespenstisch in den dunklen Abendhimmel,

Und blutroth drunterhin schwankt eine Blume.

Die einzige, die hier zu blühen wagt.

Denn niemals singt ein Vogel ihr ein Lied,

Ihr Duft erstickt in der verfaulten Luft

Und in den Wassern darf sie sich nicht spiegeln.

Denn die sind kohlschwarz wie das Herz des Teufels.

Das Boot, das ruderlos im Schilf verfault,

Hat längst der Sumpfpilz wie ein böser Aussatz

Mit grossen, grünen Buckeln übertupft

Und um die Kette, die durchs Wasser schleift,

Klebt Schlamm und Entengrütze fingerdick.

Die Planken, die verspaakt, zurechtzubasteln,

Hat sich bisher noch niemand träumen lassen.

Wozu auch? Karpfen giebt's dort nicht zu angeln

Und Krötensuppe mag der Pfarrer nicht.[120]

Klaus Tom, der Fischer, hat sein graues Netz

Nur noch zum Staat vor seiner Thür zu hängen!

Punkt fünf Uhr morgens steht der Racker auf,

Probirt sein Süpplein, gähnt, schlurft in sein Gärtchen,

Stäubt dort das morsche Bretterbänklein ab,

Stopft sich gemüthlich seinen Türkenkopf,

Schlägt dann das rechte übers linke Bein,

Pafft wie ein Schornstein, zählt die Sommerwolken

Und merkt daneben, was die Fliegen summen.

Zu Frühstück schickt ihm dann der alte Matthies,

Der neulich erst den schwarzen Stern gepachtet,

Ein Kümmelchen mit Pommeranzen rüber.

Ein Kümmelchen! Das heisst wohl mehr ein Kümmel.

Man lutscht bequem ein Viertelstündchen dran.

Natürlich ist man dann zu Mittag hungrig!

Dreimal die Woche Häring, einmal Fleisch

Und Samstag Abend ein Gebacknes extra!

Na, mir kann's recht sein! Seit der Geizhalssepp

Ihm erst um Lichtmess den Gefallen that

Und sich zum Vesperbrod auf seinem Strohsack

Mit einem Hühnerbein die Gurgel einstiess,

Darf sich sein Päthling schon sein Süpplein schmälzeln!

Fünf alte Strümpfe, wie ein Weib sie trägt,

Mit Doppelkronen aus der Schwedenzeit,

Sind auch für unsereins kein Katzendreck.

Nur Schade, dass das Blech der Armenbüchs,

Noch niemals, wenn der Protz dran rumgeschielt,

»Schöndank« geklimpert! Doch – was schwatz ich da!

Klaus Tom, der Fischer, der sein graues Netz[121]

Nur noch zum Staat vor seine Thür gehangen,

Der seinen Türkenkopf mit Gold beschlug

Und Kümmel nur mit Pommeranzen trinkt,

Klaus Tom, der Glückspilz, geht bei Licht besehn

Euch ja noch wenger als die Müllersch an.

Die alte Müllersch, die mit Krücken wirft,

Und die der Pfundwirth immer Hexe schimpft!


Nicht wahr, Ihr wolltet doch nur wissen, Herr,

Was sich die alten Weiberzungen hier

Um Mitternacht, wenn Hans das Gruseln lernt

Und Grete näher an den Ofen rückt,

Was dann die alten Weiberzungen hier

Vom Teufelsteich sich in die Ohren zischeln?

Nun gut. So hört denn zu. Mein Grossohm Pankraz,

Der's selbst mit angesehn, hat's mir verbürgt.


Denkt Euch die Haide, die sich meilenweit

Nackt, braun und baumlos, dass das Herz Euch weh thut,

Wenn Ihr ans Waldgrün Eurer Heimath denkt,

Bis fernhin in den Horizont verliert.

Weiss durch die Silberpappeln um den Teich

Segelt ein Sommerfaden. Es ist Abend.

Schwarz liegt das Wasser da, schwarz wie die Sünde,

Und drüber, wie ein blutender Rubin,

Neigt sich die zauberhafte Blume ...

Der Nebel, der phantastisch sie umwindet,

Rollt sich jetzt auf und ringelt wie ein Wurm

Sich weiss und langsam bis ins Dorf hinein.[122]

Jetzt knarrt die Kirchhofsthür, ein Schlüssel dreht sich

Und auf die Christuskreuze tropft der Thau.

Der fahle Schwefelstreif im Westen stirbt,

Vom Wald her brüllt verirrt noch eine Kuh,

Und durch den dunkelblauen Himmel tropfen

Ihr Licht die Sterne. Alles still ...

Nur dass der Nachtwind, der im Schlafe träumt,

Mal ab und zu mit seinen Flügeln schlägt,

Und dass die Unkenmuhme tief im Teich

Bisweilen ihre dumpfen Glocken läutet.

Da – plötzlich! schreit die alte Thurmuhr Zwölf

Und mitten aus dem schwarzen Rachen reckt

Sich weiss und lautlos in die dunkle Nacht

Ein nackter Frauenarm ...

Das Wasser, das wie Mondlicht ihn umfliesst,

Ballt sich zu grossen, runden Tropfen, glitzert

Und rollt dann wieder langsam in die Fluth.


Indessen wächst der Arm und wächst und wächst.


Das Griechenweib, das einst Homer besang,

Und das noch heut als Vampyr durch die Nacht irrt,

Verkriechen müsst es sich vor seiner Schönheit,

Wenn er nicht – Krallen statt der Nägel hätte!


Indessen wächst der Arm und wächst und wächst.


Doch kaum, dass ihn die Sterne droben sehn,

So fängt ihr Licht auch schon zu flackern an,[123]

Als ob sie's eiskalt, wie ein Fieber packte,

Und mehr als einer zittert wie ein Kind,

Das nachts durch eine dunkle Stube gehn soll.


Indessen wächst der Arm und wächst und wächst.


Er wächst und wächst, bis seine Klaue schliesslich

Sich jäh und rund um den Orion klaftert,

Ihn knisternd aus dem blauen Himmel gräbt

Und mitleidslos den angstvoll Zitternden

Hinunter in die schwarze Tiefe krallt!

Dann reckt er wieder langsam sich empor,

Pflückt die Plejaden, löscht den Uranus

Mit einem Tupf drauf wie ein Windlicht aus,

Bringt den Saturn erst, dann die Venus um

Und ruht nicht eh'r von seinem grausen Handwerk,

Als bis er sich die lieben, goldnen Dinger,

Alle,

Bis auf den letzten! in den Sumpf gekrallt.

Doch der schreit auf, wie ihn das Unheil packt,

Die Morgennebel, die ums Schilf sich winden,

Umschleiern rosenroth den Sonnenaufgang

Und links vom Dorf herüber krähn die Hähne.

Nackt, braun und baumlos dehnt die Heide jetzt

Sich wieder fern bis in den Horizont

Und rund aus seinem Scherbengürtel gähnt

Der alte Tümpel, schwarz wie immer ...

Doch wenn ein Sonntagskind vorüber geht,

Sieht's roth und tellergross in seiner Mitte[124]

Wie Blut durchs todte Wasser blitzen,

Und mitten wieder durch den Blutfleck schwimmen,

Die fleckigen Kadaver gelb gedunsen,

Drei todte Kröten ...


Wenn sie mein Grossohm nicht, der alte Pankraz,

Mit seinen eignen Augen selbst gesehn,

Ich würde meine Dose hier drauf wetten,

Dass dieses Märlein nur ein Märlein ist!

Doch giebt's ja manches, Herr, auf dieser Welt,

Was in den Katechismus schlecht hineinpasst.

Wozu soll also dies Histörchen hier

Durchaus erstunken und erlogen sein?

Die alte Müllersch beispielsweise hat,

Wenn sie betrunken Abends durch das Dorf trollt,

Schon manches vor sich in den Wind geschwatzt.

Was unsereinem sehr zu denken giebt.


Man munkelt so von einer Enkelin,

Die sie in alter, längstverschollner Zeit,

Als noch die Möbel krumm verschnörkelt waren

Und die Soldaten hinten Zöpfe trugen,

An unserm König seinen Ohm verschachert.

Demselben der – ich glaube, bei Kollin war's –

Sich die Blessur links in den Arm geholt,

Als er mit seinen ungrischen Schwadronen

Die zwölfte Batterie zusammenritt.

Ihr kennt ihn, Herr, gewiss aus Euern Büchern

Den Prinzen Theodor! Gott hab ihn selig.[125]


Der Schnurrbart hing ihm unter seiner Nase

Zu beiden Seiten wie ein schwarzer Pechdraht.

O, er sah forsch aus! Der Husarendolman,

Der roth um seine Schultern flatterte,

Wird Euch noch heut im alten Residenzschloss

Für einen Gulden vom Portier gezeigt.

Das dumme Mädel aber war zu jung,

Ich mein, zu jung, um nicht verrückt zu sein,

Warf ihm den golden Krimskrams vor die Füsse,

Spieh nachts wie toll ihm mitten ins Gesicht,

Riss sich den seidnen Plunder frech vom Leib

Und lief bei Nacht und Nebel auf die Haide.

Der Wenzel aber, den sie lieb gehabt,

Vor dem sie weinend auf den Knieen lag,

Der Wenzel lachte auf, wie ein Besessner,

Biss sich in die geballte Faust, schrie: Hure!

Und stiess den armen Klumpen Weib dann schliesslich

Mit seinem Fuss wie eine Hündin fort.


Drei Tage drauf fand Barthel Franz, der Wildrer,

Der grade Holz für seine Weiber stahl,

Den rothen Prinzen unter einem Ahorn.

Die Kugel war von einem Kreuz geritzt

Und ihm gerade durch die Brust gegangen.

Der Mussjöh Feldscheer, der mit seinem Wäglein

Ein Stündlein drauf aus Schöppstedt ankutschirt kam,

Hat nur die Achseln dazu zucken können.

Ja, wo der tolle Wenzel einmal zuschoss,

Da hat kein Pflästerchen mehr hacken wollen![126]

Das Blutgeld aber, das dann die Justiz

Noch selbgen Tags, auf seinen Kopf gesetzt,

Hat sich kein Christenmensch verdienen wollen.

Am Aschermittwoch war die Residenz

Vom Kärntnerthor bis an den Elsterplatz

Schwarz ausdrapirt wie ein Paradesarg,

Und am Charfreitag schwamm der Wenzel schon

Als Leichtmatrose nach Amerika.

Postmeisters Günter, den sein Corporal

So krumm genommen, bis er desertirt war,

Sah ihn in Boston dann als Seifensieder.

So Stücker zehn bis fünfzehn Jahre freilich

Mocht's her sein, dass er ausgekniffen war!

Das arme Mädel, die Sabine aber

War unterdess in unsern Teich gesprungen. –


Doch lassen wir den alten Schnickschnack, Herr!

Das Kirchhofsgras, das über ihn gewachsen,

Wird, wenn es Zeit, auch über uns sich biegen.

Was? Teufel! Zeigt die Sonnenuhr schon Sieben? ...

Pst! Still doch! Hört Ihr? Unser Altchen ruft schon!

Wenn wir noch länger diesen Zaun hier schief stehn,

Sperrt uns der Amtmann noch ins Spritzenhaus.

Vergesst auch dort nicht Euer Taschenbuch!

Und dieser Bleistift? Eurer? Na, denn kommt!

Doch lasst den Bauch Euch nicht zu heftig knurren:

'S giebt heut nicht viel. Nur ein Kartoffelsüpplein![127]


Quelle:
Arno Holz: Buch der Zeit. Berlin 21892, S. 115-129.
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