Eichendorff

[151] [151] Mein Gott, Dir sag ich Dank,

Dass Du die Jugend mir bis über alle Wipfel

In Morgenroth getaucht und Klang

Und auf des Lebens Gipfel

Vom Herzen unbewacht

Den falschen Glanz gewendet,

Dass ich nicht taumle ruhmgeblendet,

Da nun herein die Nacht

Dunkelt in ernster Pracht.

Eichendorff[152]


Ferndrüben hinter den Bäumen

Ist eben ein Glöcklein verhallt,

Nun will ich hier liegen und träumen

Den Mittag im stillen Wald.


Hoch über mir rauschen die Wipfel

Und kühl herweht's aus der Kluft,

Und fernhin verschwimmen die Gipfel

Der Berge in bläulichem Duft.


Verschlafen zwitschern und nicken

Die Vögel im grünen Tann,

Und wie verzaubert blicken

Die wilden Rosen mich an.


Nun wird mir vor Weh und vor Wonne

Das Herz so weit, so weit!

Und ich denk an die goldene Sonne

Der schönen Jugendzeit.[153]


Da sang ich so lustige Weisen

Und ward es doch nimmer müd,

Denn herrlich ist es zu reisen,

Zu reisen im sonnigen Süd!


Dort raunen die Brunnen und rauschen

Verschlafen die ganze Nacht,

Und Marmorbilder lauschen,

Wenn die Sternlein am Himmel erwacht.


Dann singen die Mandolinen

Das alte Lied von den Zwei'n,

Und in sinkende Tempelruinen

Spinnt silbern der Mond sich ein.


Von einer Vigne zur andern,

Dahin über Thäler und Höhn,

Wie träumend sang ich im Wandern:

O Welschland, wie bist du doch schön!


Doch, Herz, hör auf zu träumen,

Denn dahin ist die alte Zeit,

Und über dir rauscht in den Bäumen

Die grüne Einsamkeit.


So manche seiner Flocken

Blies mir der Winter aufs Haupt,

Und meine braunen Locken

Sind alle schon grau verstaubt.[154]


Nur du, mein Herz, bliebst das alte

Und schlägst noch so süss, so süss –

O, dass dich dein Herrgott erhalte:

Gott grüss dich, mein Herz, Gott grüss![155]


Quelle:
Arno Holz: Buch der Zeit. Berlin 21892, S. 151-157.
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