X. Gesang.

[566] Aiolos, der Winde erregt und stillt, entsendet ihn mit günstigem West und gibt ihm die Gewalt über die andern in einem Zauberschlauch. Nahe vor Ithaka öffnen ihn die Genossen; der Sturm wirft sie nach dem schwimmenden Eilande zurück, woher, von Aiolos verjagt, sie in die fabelhafte Westgegend geraten. Die Laistrygonen vertilgen elf Schiffe; in den übrigen erreicht er Aiaia. Kirke verwandelt die Hälfte der Seinigen in Schweine. Er selbst, durch ein Heilkraut des Hermes geschützt, gewinnt die Liebe der Zauberin und rettet die Freunde. Nach einem Jahre fordert er Heimkehr; Kirke befiehlt ihm zuvor, zum Eingange des Totenreichs am Okeanos zu schiffen und den Teiresias zu befragen. Elpenors Tod.


Und wir kamen zur Insel Aiolia. Diese bewohnte

Aiolos, Hippotes' Sohn, ein Freund der unsterblichen Götter.

Undurchdringlich erhebt sich rings um das schwimmende Eiland

Eine Mauer von Erz und ein glattes Felsengestade.

Kinder waren ihm zwölf in seinem Palaste geboren,

Lieblicher Töchter sechs und sechs der blühenden Söhne.

Und er hatte die Töchter den Söhnen zu Weibern gegeben.

Bei dem geliebten Vater und ihrer herrlichen Mutter

Schmausen sie stets, bewirtet mit tausend köstlichen Speisen.

Und das duftende Haus erschallt von Tönen der Flöte

Tages, aber des Nachts ruht neben der züchtigen Gattin

Jeder auf prächtigen Decken im schöngebildeten Bette.

Und wir kamen zu ihrer Stadt und schönem Palaste.

Einen Monat bewirtet' er mich und forschte nach allem,

Ilions Macht, der Achaier Schiffen und unserer Heimfahrt;

Und ich erzählt ihm darauf umständlich die ganze Geschichte.

Als ich nun weiter verlangte und ihn um sichre Geleitung

Bat, versagt' er mir nichts und rüstete mich zu der Abfahrt.

Und er gab mir, verschlossen im dichtgenäheten Schlauche

Vom neunjährigen Stiere, das Wehn lautbrausender Winde.

Denn ihn hatte Kronion zum Herrscher der Winde geordnet,

Sie durch seinen Befehl zu empören oder zu schweigen.

Und er knüpfte den Schlauch mit glänzendem silbernem Seile

Fest in dem hohlen Schiffe, daß auch kein Lüftchen entwehte.

Vor mir ließ er den Hauch des freundlichen Westes einherwehn,

Daß sie die Schiff' und uns selbst heimführeten. Aber dies sollte

Nicht geschehn; denn wir sanken durch eigene Torheit in Unglück.[567]

Schon durchsegelten wir neun Tag' und Nächte die Wogen;

Und in der zehnten Nacht erschien uns das heimische Ufer,

Daß wir schon in der Nähe die Feuerwachen erblickten.

Jetzo schlummert ich ein, ermüdet von langer Arbeit;

Denn ich lenkte beständig das Steuer und ließ der Gefährten

Keinen dazu, um geschwinder das Vaterland zu erreichen,

Und die Genossen besprachen sich heimlich untereinander,

Wähnend, ich führte mit mir viel Gold und Silber zur Heimat,

Aiolos' Ehrengeschenke, des hippotadischen Königs.

Und man wendete sich zu seinem Nachbar und sagte:

Wunderbar! Dieser Mann gewinnt die Achtung und Liebe

Aller Menschen, wohin er auch kommt, in Städten und Ländern!

Aus der troischen Beute wie manches unschätzbare Kleinod

Bringet er mit. Und wir, die alle Gefahren geteilet,

Kehren am Ende doch mit leeren Händen zur Heimat!

Nun hat Aiolos dieses Geschenk aus besonderer Freundschaft

Ihm verehrt. Auf, laßt uns denn eilen und sehen, was dies sei,

Wieviel Silber und Gold in diesem Schlauche doch stecke!

Also sprach man. Es siegte der böse Rat der Genossen,

Und sie lösten den Schlauch, und mit einmal entsausten die Winde.

Plötzlich ergriff sie der Sturm und schleuderte weit in das Weltmeer

Hin die Weinenden, ferne vom Vaterlande. Da fuhr ich

Schnell aus dem Schlaf und erwog in meiner unsträflichen Seele:

Ob ich vom Schiffe hinab in die tobenden Wogen mich stürzte

Oder es schweigend erduldet' und noch bei den Lebenden bliebe.

Aber ich duldet' und blieb und lag mit verhülletem Antlitz

Auf dem Verdeck, und es warf der Orkan lautbrausend die Schiffe

Nach der aiolischen Insel zurück; es seufzten die Männer.

Allda stiegen wir aus an den Strand und schöpften uns Wasser.

Schnell bereiteten uns die Gefährten ein Mahl bei den Schiffen.

Und sobald wir das Herz mit Trank und Speise gestärket,

Eilt ich, von unserem Herold und einem Gefährten begleitet,

Zu der herrlichen Burg des Aiolos. Diesen erblickt ich

Sitzend mit seinem Weib und seinen Kindern beim Schmause.

Und wir gingen ins Haus und setzten uns neben den Pfosten

Auf die Schwelle dahin; sie erschraken im Herzen und fragten:

Siehe, woher, Odysseus? Welch böser Dämon verfolgt dich?[568]

Haben wir doch die Fahrt so sorgsam gefördert, damit du

Heim in dein Vaterland, und wohin dir's beliebte, gelangtest?

Also sprach man; und ich antwortete traurigen Herzens:

Meine bösen Gefährten, die sind mein Verderben, mit diesen

Ein unseliger Schlaf! Ach helft mir, Freunde! Ihr könnt es.

Also wollt ich sie mir mit schmeichelnden Worten gewinnen.

Aber sie schwiegen still; der Vater gab mir zur Antwort:

Hebe dich eilig hinweg von der Insel, du ärgster der Menschen!

Denn es geziemet mir nicht zu bewirten noch weiter zu senden

Einen Mann, den die Rache der seligen Götter verfolget!

Hebe dich weg, denn du kommst mit dem Zorne der Götter beladen!

Also sprach er und trieb mich Seufzenden aus dem Palaste,

Und wir steuerten jetzo mit trauriger Seele von dannen.

Aber den Männern entschwand das Herz am ermüdenden Ruder,

Unserer Torheit halber, weil weiter kein Ende zu sehn war.

Als wir nun sechs Tag' und Nächte die Wogen durchrudert,

Landeten wir bei der Feste der Laistrygonen, bei Lamos'

Stadt Telepylos an. Hier wechseln Hirten mit Hirten;

Welcher heraustreibt hört das Rufen des, der hereintreibt.

Und ein Mann ohne Schlaf erfreute sich doppelten Lohnes,

Eines als Rinderhirte, des andern als Hirte der Schafe;

Denn nicht weit sind die Triften der Nacht und des Tages entfernet.

Jetzo erreichten wir den trefflichen Hafen, den ringsum

Himmelanstrebende Felsen von beiden Seiten umschließen

Und wo vorn in der Mündung sich zwo vorragende Spitzen

Gegeneinander drehn; ein enggeschlossener Eingang!

Meine Gefährten lenkten die gleichgezimmerten Schiffe

Alle hinein in die Bucht und banden sie dicht beieinander

Fest; denn niemals erhob sich eine Welle darinnen,

Weder groß noch klein, rings herrschet spiegelnde Stille.

Ich allein blieb draußen mit meinem schwärzlichen Schiffe

An dem Ende der Bucht und band es mit Seilen am Felsen,

Kletterte dann auf den zackichten, weitumschauenden Gipfel.

Aber es zeigte sich nirgends die Spur von Stieren und Pflügern,

Sondern wir sahn nur Rauch von der Erd am Himmel hinaufziehn.

Jetzo sandt ich Männer voraus, das Land zu erkunden,

Was für Sterbliche dort die Frucht des Halmes genössen,[569]

Zween erlesne Gefährten; ein Herold war ihr Begleiter.

Und sie stiegen ans Land und gingen die Straße, worauf man

Holzbeladene Wagen vom hohen Gebirge zur Stadt fährt.

Ihnen begegnete dicht vor der Stadt ein Mädchen, das Wasser

Schöpfte, des Laistrygonen Antiphates rüstige Tochter.

Diese stieg zu der Nymphe Artakia sprudelnder Quelle

Nieder; denn daraus schöpften die Laistrygonen ihr Wasser.

Und sie traten hinzu, begrüßten das Mädchen und fragten,

Wer dort König wäre und welches Volk er beherrschte.

Jene wies sie sogleich zum hohen Palaste des Vaters.

Und sie gingen hinein in die Burg und fanden des Königs

Weib, so groß wie ein Gipfel des Bergs, und ein Grauen befiel sie.

Jene rief den berühmten Antiphates aus der Versammlung,

Ihren Gemahl, der ihnen ein schreckliches Ende bestimmte.

Ungestüm packt' er den einen Gefährten und tischte den Schmaus auf.

Aber die übrigen zween enteilten und flohn zu den Schiffen.

Und er erhub ein Gebrüll durch die Stadt, und siehe, mit einmal

Kamen hierher und dorther die rüstigen Laistrygonen

Zahllos zuhauf; sie glichen nicht Menschen, sondern Giganten.

Diese schleuderten jetzt von dem Fels unmenschliche Lasten

Steine herab; da entstand in den Schiffen ein schrecklich Getümmel,

Sterbender Männer Geschrei und das Krachen zerschmetterter Schiffe.

Und man durchstach sie wie Fische und trug sie zum scheußlichen Fraß hin.

Während diese die Männer im tiefen Hafen vertilgten,

Eilt ich geschwind und riß das geschliffene Schwert von der Hüfte

Und zerhaute die Seile des blaugeschnäbelten Schiffes.

Dann ermahnt ich und trieb aufs äußerste meine Genossen,

Hurtig die Ruder zu regen, daß wir dem Verderben entrönnen;

Keuchend schlugen sie alle die Flut, aus Furcht vor dem Tode.

Aber glücklich enteilte mein Schiff von den hangenden Klippen

Über das Meer; die andern versanken dort all in den Abgrund.

Also steuerten wir mit trauriger Seele von dannen,

Froh der bestandnen Gefahr, doch ohne die lieben Gefährten.

Und wir kamen zur Insel Aiaia. Diese bewohnte

Kirke, die schöngelockte, die hehre melodische Göttin,

Eine leibliche Schwester des allerfahrnen Aietes.

Beide stammten vom Gotte der menschenerleuchtenden Sonne;[570]

Ihre Mutter war Perse, des großen Okeanos Tochter.

Allda liefen wir still mit unserm Schiff ans Gestade,

In die schirmende Bucht; ein Gott war unser Geleiter.

Und wir stiegen ans Land, wo wir zween Tag' und zwo Nächte

Ruhten, zugleich von der Arbeit und von dem Kummer entkräftet.

Als nun die Morgenröte des dritten Tages emporstieg,

Nahm ich die Lanz in die Hand und hängte das Schwert um die Schulter,

Eilte vom Schiff und bestieg den Hügel, ob ich vielleicht wo

Spuren von Menschen erblickte und ihre Stimme vernähme.

Als ich jetzt von der Höhe des schroffen Felsens umhersah,

Kam es mir vor, daß Rauch von der weitumwanderten Erde

Hinter dem dicken Gebüsch aus Kirkes Wohnung emporstieg.

Jetzo sann ich umher und erwog den wankenden Vorsatz,

Hin nach dem dunkeln Rauche zu gehn und weiter zu forschen.

Dieser Gedanke erschien nur Zweifelndem endlich der beste:

Erst zu dem schnellen Schiffe zu gehn am Strande des Meeres,

Meine Genossen mit Speise zu stärken und Späher zu senden.

Als ich schon nahe war dem gleichberuderten Schiffe,

Da erbarmte sich mein, des Einsamen, einer der Götter.

Und es lief ein gewaltiger Hirsch mit hohem Geweihe

Mir auf den Weg; er sprang aus der Weide des Waldes zum Bache

Lechzend hinab, denn ihn brannten bereits die Strahlen der Sonne.

Diesen schoß ich im Lauf und traf ihm die Mitte des Rückgrats,

Daß die eherne Lanz am Bauche wieder herausfuhr;

Schreiend stürzt' er dahin in den Staub, und das Leben entflog ihm.

Hierauf zog ich, den Fuß anstemmend, die eherne Lanze

Aus der Wunde zurück und legte sie dort auf den Boden

Nieder. Dann brach ich am Bache mir schwanke weidene Ruten,

Drehete links und rechts ein klafterlanges Geflechte

Und verband die Füße des mächtigen Ungeheuers;

Hängt es mir über den Hals und trug es zum schwärzlichen Schiffe,

Auf die Lanze gestützt; denn einer Schulter und Hand war

Viel zu schwer die Last des riesenmäßigen Tieres.

Vor dem Schiffe warf ich es hin und redete jedem

Meiner Genossen zu mit diesen freundlichen Worten:

Lieben, wir werden ja doch, trotz unserm Grame, nicht früher

Sinken in Aides Reich, eh der Tag des Schicksals uns abruft![571]

Auf denn, solange das Schiff noch Trank und Speise verwahret,

Eßt nach Herzensbegier, damit uns der Hunger nicht töte!

Also sprach ich, und schnell gehorchten sie meinem Befehle,

Kamen aus ihren Hüllen am Ufer des wüsten Meeres

Und verwunderten sich des riesenmäßigen Hirsches.

Und nachdem sie die Augen an seiner Größe geweidet,

Wuschen sie ihre Hände, das herrliche Mahl zu bereiten.

Also saßen wir dort den Tag, bis die Sonne sich neigte,

An der Fülle des Fleisches und süßen Weines uns labend.

Als die Sonne nun sank und Dunkel die Erde bedeckte,

Legten wir uns zum Schlummer am Strande des rauschenden Meeres.

Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,

Rief ich alle Gefährten zur Ratsversammlung und sagte:

Höret jetzo mich an, ihr meine Genossen im Unglück!

Freunde, wir wissen ja nicht, wo Abend oder wo Morgen,

Nicht, wo die leuchtende Sonne sich unter die Erde hinabsenkt,

Noch wo sie wiederkehrt: drum müssen wir schnell uns bedenken,

Ist noch irgendein Rat; ich sehe keinen mehr übrig.

Denn ich umschauete dort von der Höhe des zackichten Felsens

Diese Insel, die rings das unendliche Meer umgürtet:

Nahe liegt sie am Land, und in der Mitte der Insel

Sah ich Rauch, der hinter dem dicken Gebüsche hervorstieg.

Also sprach ich; und ihnen brach das Herz vor Betrübnis,

Da sie des Laistrygonen Antiphates Taten bedachten

Und des Kyklopen Gewalt, des grausamen Menschenfressers.

Und sie weineten laut und vergossen häufige Tränen.

Aber sie konnten ja nichts mit ihrer Klage gewinnen.

Jetzo teilt ich die Schar der wohlgeharnischten Freunde

In zween Haufen und gab jedwedem einen Gebieter.

Diesen führte ich selbst, der edle Eurylochos jenen.

Eilend schüttelten wir im ehernen Helme die Lose,

Und das Los des beherzten Eurylochos sprang aus dem Helme.

Dieser machte sich auf mit zweiundzwanzig Gefährten,

Weinend gingen sie fort und verließen uns trauernd am Ufer.

Und sie fanden im Tal des Gebirgs die Wohnung der Kirke,

Von gehauenen Steinen, in weitumschauender Gegend.

Ihn umwandelten rings Bergwölfe und mähnichte Löwen,[572]

Durch die verderblichen Säfte der mächtigen Kirke bezaubert.

Diese sprangen nicht wild auf die Männer, sondern sie stiegen

Schmeichelnd an ihnen empor mit langen wedelnden Schwänzen.

Also umwedeln die Hunde den Hausherrn, wenn er vom Schmause

Wiederkehrt; denn er bringt beständig leckere Bissen:

Also umwedelten sie starkklauige Löwen und Wölfe.

Aber sie fürchteten sich vor den schrecklichen Ungeheuern.

Und sie standen am Hofe der schöngelocketen Göttin

Und vernahmen im Haus anmutige Melodieen.

Singend webete Kirke den großen unsterblichen Teppich,

Fein und lieblich und glänzend, wie aller Göttinnen Arbeit.

Unter ihnen begann der Völkerführer Polites,

Welcher der liebste mir war und geehrteste meiner Genossen:

Freunde, hier wirket jemand und singt am großen Gewebe

Reizende Melodieen, daß rings das Getäfel ertönet;

Eine Göttin oder ein Weib! Wir wollen ihr rufen!

Also sprach Polites; die Freunde gehorchten und riefen.

Jene kam und öffnete schnell die strahlende Pforte,

Nötigte sie, und alle, die Unbesonnenen! folgten.

Nur Eurylochos blieb, denn er vermutete Böses.

Und sie setzte die Männer auf prächtige Sessel und Throne,

Mengte geriebenen Käse mit Mehl und gelblichem Honig

Unter pramnischen Wein und mischte betörende Säfte

In das Gericht, damit sie der Heimat gänzlich vergäßen.

Als sie dieses empfangen und ausgeleeret, da rührte

Kirke sie mit der Rute und sperrte sie dann in die Kofen.

Denn sie hatten von Schweinen die Köpfe, Stimmen und Leiber,

Auch die Borsten; allein ihr Verstand blieb völlig wie vormals.

Weinend ließen sie sich einsperren; da schüttete Kirke

Ihnen Eicheln und Buchenmast und rote Kornellen

Vor, das gewöhnliche Futter der erdaufwühlenden Schweine.

Und Eurylochos kam zu dem schwärzlichen Schiffe geeilet,

Uns das herbe Verhängnis der übrigen Freunde zu melden.

Aber er konnte kein Wort aussprechen, so gern er auch wollte.

Denn die entsetzliche Angst beklemmte sein Herz; die Augen

Waren mit Tränen erfüllt, und Jammer umschwebte die Seele.

Lange hatten wir all ihn voll Erstaunen befraget;[573]

Endlich hub er an und erzählte der Freunde Verderben:

Edler Odysseus, wir gingen, wie du befahlst, durch die Waldung,

Fanden im Tal des Gebirgs die schöngebauete Wohnung,

Von gehauenen Steinen, in weitumschauender Gegend.

Allda wirkte jemand und sang am großen Gewebe:

Eine Göttin oder ein Weib! Ihr riefen die andern!

Jene kam und öffnete schnell die strahlende Pforte,

Nötigte sie, und alle, die Unbesonnenen! folgten.

Ich allein blieb draußen, denn ich vermutete Böses!

Aber mit einmal waren die andern verschwunden, und keiner

Kehrte zurück, solang ich auch saß und nach ihnen mich umsah!

Also sprach er; und ich warf eilend das silberbeschlagne

Große eherne Schwert um die Schulter samt Bogen und Köcher,

Und befahl ihm, mich gleich desselbigen Weges zu führen.

Aber er faßte mir flehend mit beiden Händen die Kniee

Und wehklagete laut und sprach die geflügelten Worte:

Göttlicher, lasse mich hier und führe mich nicht mit Gewalt hin!

Denn ich weiß es, du kehrst nicht wieder von dannen und bringest

Keinen Gefährten zurück! Drum laß uns geschwinde mit diesen

Fliehn! Vielleicht daß wir noch dem Tage des Fluches entrinnen!

Also sprach er; und ich antwortete wieder und sagte:

Nun, so bleibe denn du, Eurylochos, hier auf der Stelle!

Iß und trink dich satt bei dem schwarzen gebogenen Schiffe!

Aber ich geh allein! denn ich fühle die Not, die mich hintreibt!

Also sprach ich und ging von dem Schiff und dem Ufer des Meeres.

Jetzo nähert ich mich, die heiligen Tale durchwandelnd,

Schon dem hohen Palaste der furchtbaren Zauberin Kirke,

Da begegnete mir Hermeias mit goldenem Stabe

Auf dem Wege zur Burg, an Gestalt ein blühender Jüngling,

Dessen Wange sich bräunt im holdesten Reize der Jugend.

Dieser gab mir die Hand und sagte mit freundlicher Stimme:

Armer, wie gehst du hier so allein durch die bergichte Waldung,

Da du die Gegend nicht kennst? Bei Kirke sind deine Gefährten,

Eingesperrt wie Schweine in dichtverschlossenen Ställen.

Gehst du etwa dahin, sie zu retten? Ich fürchte, du kehrest

Nicht von dannen zurück, du bleibest selbst bei den andern.

Aber wohlan! ich will dich vor allem Übel bewahren![574]

Nimm dies heilsame Mittel und gehe zum Hause der Kirke,

Sicher, von deinem Haupte den Tag des Fluches zu wenden.

Alle verderblichen Künste der Zauberin will ich dir nennen.

Weinmus rührt sie dir ein und mischt ihr Gift in die Speise:

Dennoch gelingt es ihr nicht, dich umzuschaffen; die Tugend

Dieser heilsamen Pflanze verhindert sie. Höre nun weiter.

Wann dich Kirke darauf mit der langen Rute berühret,

Siehe, dann reiße du schnell das geschliffene Schwert von der Hüfte,

Spring auf die Zauberin los und drohe sie gleich zu erwürgen.

Diese wird in der Angst zu ihrem Lager dich rufen,

Und nun weigre dich nicht und besteige das Lager der Göttin,

Daß sie deine Gefährten erlös und dich selber bewirte.

Aber sie schwöre zuvor der Seligen großen Eidschwur,

Daß sie bei sich nichts anders zu deinem Schaden beschlossen,

Daß sie dir Waffenlosem nicht raube Tugend und Stärke.

Also sprach Hermeias und gab mir die heilsame Pflanze,

Die er dem Boden entriß, und zeigte mir ihre Natur an:

Ihre Wurzel war schwarz und milchweiß blühte die Blume;

Moly wird sie genannt von den Göttern. Sterblichen Menschen

Ist sie schwer zu graben; doch alles vermögen die Götter.

Und der Argosbesieger enteilte zum hohen Olympos

Durch die waldichte Insel; ich ging zum Hause der Kirke

Hin, und viele Gedanken bewegten des Gehenden Seele.

Und ich stand an der Pforte der schöngelocketen Göttin,

Stand und rief; und die Göttin vernahm des Rufenden Stimme,

Kam sogleich und öffnete mir die strahlende Pforte,

Nötigte mich herein; und ich folgte mit traurigem Herzen.

Hierauf führte sie mich zu ihrem silberbeschlagnen

Schönen prächtigen Thron mit füßestützendem Schemel,

Mischte mir dann ein Gemüs, im goldenen Becher zu trinken,

Und vergiftet' es tückisch mit ihrem bezaubernden Safte.

Und sie reichte mir's hin; ich trank es, und ohne Verwandlung.

Drauf berührte sie mich mit der Zauberrute und sagte:

Gehe nun in den Kofen und liege bei deinen Gefährten.

Also sprach sie: da riß ich das schneidende Schwert von der Hüfte,

Sprang auf die Zauberin los und drohte sie gleich zu erwürgen.

Aber sie schrie und eilte gebückt, mir die Kniee zu fassen,[575]

Laut wehklagend rief sie die schnellgeflügelten Worte:

Wer, wes Volkes bist du, und wo ist deine Geburtsstadt?

Staunen ergreift mich, da dich der Zaubertrank nicht verwandelt!

Denn kein sterblicher Mensch ist diesem Zauber bestanden,

Welcher trank, sobald ihm der Wein die Zunge hinabglitt.

Aber du trägst ein unbezwingliches Herz in dem Busen!

Bist du jener Odysseus, der, viele Küsten umirrend,

Wann er von Ilion kehrt im schnellen Schiffe, auch hierher

Kommen soll, wie der Gott mit goldenem Stabe mir saget?

Lieber, so stecke dein Schwert in die Scheid und laß uns zusammen

Unser Lager besteigen, damit wir, beide versöhnet

Durch die Freuden der Liebe, hinfort einander vertrauen!

Also sprach sie, und ich antwortete wieder und sagte:

Kirke, wie kannst du begehren, daß ich dir freundlich begegne,

Da du meine Gefährten im Hause zu Schweinen gemacht hast

Und mich selber behältst und mir arglistig befiehlest,

In die Kammer zu gehn und auf dein Lager zu steigen,

Daß du mich Waffenlosen der Tugend und Stärke beraubest?

Nein! Ich werde nimmer dein Lager besteigen, o Göttin,

Du willfahrest mir denn, mit hohem Schwur zu geloben,

Daß du bei dir nichts anders zu meinem Verderben beschließest!

Also sprach ich; und eilend beschwor sie, was ich verlangte.

Als sie es jetzo gelobt und vollendet den heiligen Eidschwur,

Da bestieg ich mit Kirke das köstlichbereitete Lager.

Und in dem hohen Palaste der schönen Zauberin dienten

Vier holdselige Mägde, die alle Geschäfte besorgten.

Diese waren Töchter der Quellen und schattigen Haine

Und der heiligen Ströme, die in das Meer sich ergießen.

Eine von diesen bedeckte die Throne mit zierlichen Polstern:

Oben legte sie Purpur und unten den leinenen Teppich.

Und die andere stellte die schönen Tische von Silber

Vor die Throne und setzte darauf die goldenen Körbe.

Und die dritte mischte in silberner Schale den süßen

Herzerfreuenden Wein und verteilte die goldenen Becher.

Aber die vierte Magd trug Wasser und zündete Feuer

Unter dem großen Dreifuß an, das Wasser zu wärmen.

Und nachdem das Wasser im blinkenden Erze gekochet,[576]

Führte sie mich in das Bad und strömt' aus dem dampfenden Kessel

Lieblichgemischtes Wasser mir über das Haupt und die Schultern

Und entnahm den Gliedern die geistentkräftende Arbeit.

Als sie mich jetzo gebadet und drauf mit Öle gesalbet,

Da umhüllte sie mir den prächtigen Mantel und Leibrock,

Und dann führte sie mich ins Gemach zum silberbeschlagnen

Schönen künstlichen Thron mit füßestützendem Schemel.

Eine Dienerin trug in der schönen goldenen Kanne

Über dem silbernen Becken das Wasser, beströmte zum Waschen

Mir die Händ' und stellte vor mich die geglättete Tafel.

Und die ehrbare Schaffnerin kam und tischte das Brot auf

Und der Gerichte viel aus ihrem gesammelten Vorrat

Und befahl mir zu essen. Doch meinem Herzen gefiel's nicht,

Sondern ich saß zerstreut und ahndete Böses im Herzen.

Kirke bemerkte mich jetzt, wie ich dasaß, ohne die Speise

Mit den Händen zu rühren, versunken in tiefe Schwermut;

Und sie nahte sich mir und sprach die geflügelten Worte:

Warum sitzest du so wie ein Stummer am Tische, Odysseus,

Und zerquälst dein Herz und rührest nicht Speise und Trank an?

Ist dir noch bange vor Hinterlist? Du mußt dich nicht fürchten!

Denn ich habe dir's ja mit hohem Eide geschworen!

Also sprach sie; und ich antwortete wieder und sagte:

Kirke, welcher Mann, dem Recht und Billigkeit obliegt,

Hätte das Herz, sich eher mit Trank und Speise zu laben,

Eh er die Freunde gerettet und selbst mit Augen gesehen?

Darum, wenn du aus Freundschaft zum Essen und Trinken mich nötigst,

Gib sie frei und zeige sie mir, die lieben Gefährten!

Also sprach ich. Sie ging, in der Hand die magische Rute,

Aus dem Gemach und öffnete schnell die Türe des Kofens

Und trieb jene heraus, in Gestalt neunjähriger Eber.

Alle stellten sich jetzt vor die mächtige Kirke, und diese

Ging umher und bestrich jedweden mit heilendem Safte.

Siehe, da sanken herab von den Gliedern die scheußlichen Borsten

Jenes vergifteten Tranks, den ihnen die Zauberin eingab.

Männer wurden sie schnell und jüngere Männer denn vormals,

Auch weit schönerer Bildung und weit erhabneren Wuchses.

Und sie erkannten mich gleich und gaben mir alle die Hände;[577]

Alle huben an, vor Freude zu weinen, daß ringsum

Laut die Wohnung erscholl. Es jammerte selber die Göttin.

Und sie nahte sich mir, die hehre Göttin, und sagte:

Edler Laertiad, erfindungsreicher Odysseus,

Gehe nun hin zu dem rüstigen Schiff am Strande des Meeres;

Zieht vor allen Dingen das Schiff ans trockne Gestade

Und verwahrt in den Höhlen die Güter und alle Geräte.

Dann komm eilig zurück und bringe die lieben Gefährten.

Also sprach sie und zwang mein edles Herz zum Gehorsam.

Eilend ging ich zum rüstigen Schiff am Strande des Meeres

Und fand dort bei dem rüstigen Schiffe die lieben Gefährten,

Welche trostlos klagten und häufige Tränen vergossen.

Wie wenn im Meierhofe die Kälber den Kühen der Herde,

Welche satt von der Weide zum nächtlichen Stalle zurückgehn,

Alle mit freudigen Sprüngen entgegeneilen (es halten

Keine Gehege sie mehr, sie umhüpfen mit lautem Geblöke

Ihre Mutter): so flogen die Freunde, sobald sie mich sahen,

Alle weinend heran; und ihnen war also zumute,

Als gelangten sie heim in Ithakas rauhe Gefilde

Und in die Vaterstadt, wo jeder geboren und groß ward.

Und sie jammerten laut mit diesen geflügelten Worten:

Göttlicher Mann, wir freun uns so herzlich deiner Zurückkunft,

Als gelangten wir jetzo in Ithakas heimische Fluren!

Aber wohlan, erzähl uns der übrigen Freunde Verderben!

Also riefen sie aus; und ich antwortete freundlich:

Laßt uns vor allem das Schiff ans trockne Gestade hinaufziehn

Und in den Höhlen die Güter und alle Geräte verwahren!

Und dann machet euch auf, mich allesamt zu begleiten,

Daß ihr unsere Freund' in Kirkes heiliger Wohnung

Essen und trinken seht; denn sie haben da volle Genüge!

Also sprach ich; und schnell gehorchten sie meinem Befehle.

Nur Eurylochos suchte die übrigen Freunde zu halten,

Und er red'te sie an und sprach die geflügelten Worte:

Arme, wo gehen wir hin? Welch heißes Verlangen nach Unglück

Treibt euch, in Kirkes Wohnung hinabzusteigen? Sie wird uns

Alle zusammen in Schwein', in Löwen und Wölfe verwandeln

Und uns Verwandelte zwingen, ihr großes Haus zu bewachen![578]

Ebenso ging es auch dort den Freunden, die des Kyklopen

Felsengrotte besuchten, geführt von dem kühnen Odysseus!

Denn durch dessen Torheit verloren auch jene das Leben!

Also sprach er; und ich erwog den wankenden Vorsatz,

Mein geschliffenes Schwert von der nervichten Hüfte zu reißen

Und sein Haupt, von dem Rumpfe getrennt, auf den Boden zu stürzen,

Ob er gleich nahe mit mir verwandt war. Aber die Freunde

Sprangen umher und hielten mich ab mit flehenden Worten:

Göttlicher Held, wir lassen ihn hier, wenn du es befiehlest,

Bleiben an dem Gestad, um unser Schiff zu bewahren.

Aber führe du uns zu Kirkes heiliger Wohnung.

Also sprachen die Freunde und gingen vom Strande des Meeres.

Auch Eurylochos blieb nicht bei dem gebogenen Schiffe,

Sondern folgte, geschreckt durch meine zürnende Drohung.

Aber der übrigen Freund' in der Wohnung hatte die Göttin

Sorgsam gepflegt, sie gebadet, mit duftendem Öle gesalbet

Und mit schönen Gewanden, mit Rock und Mantel bekleidet.

Und wir fanden sie jetzo im Saal beim fröhlichen Schmause.

Als sie einander gesehn und sich nun alles erzählet,

Weinten und jammerten sie, daß rings die Wohnung ertönte.

Aber sie nahte sich mir, die hehre Göttin, und sagte:

Edler Laertiad, erfindungsreicher Odysseus!

Reget jetzo nicht mehr den unendlichen Jammer! Ich weiß ja,

Wieviel Elend ihr littet im fischdurchwimmelten Meere

Und wieviel ihr zu Lande von feindlichen Männern erduldet.

Aber wohlan! Eßt jetzo der Speis und trinket des Weines,

Bis ihr so frischen Mut in eure Herzen gesammelt,

Als womit ihr zuerst der vaterländischen Insel

Rauhe Gefilde verließt. Nun seid ihr entkräftet und mutlos

Und erinnert euch stets der mühsamen Irren, und niemals

Stärkt euch die Freude den Mut: ihr habt sehr vieles erlitten!

Also sprach sie und zwang ihr edles Herz zum Gehorsam.

Und wir saßen ein ganzes Jahr, von Tage zu Tage

An der Fülle des Fleisches und süßen Weines uns labend.

Als nun endlich das Jahr von den kreisenden Horen erfüllt ward

Und mit dem wechselnden Mond viele Tage waren verschwunden,

Da beriefen mich heimlich die lieben Gefährten und sagten:[579]

Unglückseliger, denke nun endlich des Vaterlandes,

Wenn dir das Schicksal bestimmt, lebendig wiederzukehren

In den hohen Palast und deiner Väter Gefilde.

Also bewegten die Freunde mein edles Herz zum Gehorsam.

Und wir saßen den ganzen Tag, bis die Sonne sich neigte,

An der Fülle des Fleisches und süßen Weines uns labend.

Als die Sonne nun sank und Dunkel die Erde bedeckte,

Legten sich meine Genossen im schattigen Hause zum Schlummer.

Und ich bestieg mit Kirke das köstlichbereitete Lager,

Faßt ihr flehend die Knie; und die Göttin hörte mein Flehen.

Und ich red'te sie an und sprach die geflügelten Worte:

Kirke, erfülle mir jetzt das Gelübde, so du gelobtest,

Mich nach Hause zu senden! Mein Herz verlanget zur Heimat

Und der übrigen Freunde, die rings mit Weinen und Klagen

Meine Seele bestürmen, sobald du den Rücken nur wendest.

Also sprach ich; mir gab die hehre Göttin zur Antwort:

Edler Laertiad, erfindungsreicher Odysseus,

Länger zwing ich euch nicht, in meinem Hause zu bleiben.

Aber ihr müßt zuvor noch eine Reise vollenden,

Hin zu Aides' Reich und der strengen Persephoneia,

Um des thebaiischen Greises Teiresias Seele zu fragen,

Jenes blinden Propheten mit ungeschwächtem Verstande.

Ihm gab Persephoneia im Tode selber Erkenntnis,

Und er allein ist weise; die andern sind flatternde Schatten.

Also sagte die Göttin; mir brach das Herz vor Betrübnis.

Weinend saß ich auf Kirkes Bett und wünschte nicht länger

Unter den Lebenden hier das Licht der Sonne zu schauen.

Als ich endlich mein Herz durch Weinen und Wälzen erleichtert,

Da antwortet ich ihr und sprach die geflügelten Worte:

Kirke, wer soll mich denn auf dieser Reise geleiten?

Noch kein Sterblicher fuhr im schwarzen Schiffe zu Ais.

Also sprach ich; mir gab die hehre Göttin zur Antwort:

Edler Laertiad, erfindungsreicher Odysseus,

Kümmre dich nicht so sehr um einen Führer des Schiffes!

Sondern richte den Mast und spanne die schimmernden Segel;

Dann sitz ruhig, indes der Hauch des Nordes dich hintreibt.

Aber bist du im Schiffe den Ozean jetzo durchsegelt[580]

Und an dem niedern Gestad und den Hainen Persephoneiens

Voll unfruchtbarer Weiden und hoher Erlen und Pappeln:

Lande dort mit dem Schiff an des Ozeans tiefem Gestrudel,

Und dann gehe du selber zu Aides' dumpfer Behausung.

Wo in den Acheron sich der Pyriphlegethon stürzet

Und der Strom Kokytos, ein Arm der stygischen Wasser,

An dem Fels, wo die zween lautbrausenden Ströme sich mischen;

Nahe bei diesem Orte gebiet ich dir, edler Odysseus,

Eine Grube zu graben von einer Ell ins Gevierte.

Rings um die Grube geuß Sühnopfer für alle Toten,

Erst von Honig und Milch, von süßem Weine das zweite,

Und das dritte von Wasser, mit weißem Mehle bestreuet.

Dann gelobe flehend den Luftgebilden der Toten:

Wenn du gen Ithaka kommst, eine Kuh, unfruchtbar und fehllos,

In dem Palaste zu opfern und köstliches Gut zu verbrennen

Und für Teiresias noch besonders den stattlichsten Widder

Eurer ganzen Herde, von schwarzer Farbe, zu schlachten.

Hast du den herrlichen Scharen der Toten geflehet, dann opfre

Einen Bock und ein Schaf von ungezeichneter Schwärze,

Ihre Häupter gekehrt zum Erebos; aber du selber

Wende dein Antlitz zurück nach den Fluten des Stromes. Dann werden

Viele Seelen kommen der abgeschiedenen Toten.

Jetzo ermahn und treib aufs äußerste deine Gefährten,

Beide liegenden Schafe, vom grausamen Erze getötet,

Abzuziehn und ins Feuer zu werfen und anzubeten

Aides' schreckliche Macht und die strenge Persephoneia.

Aber du reiße schnell das geschliffene Schwert von der Hüfte,

Setze dich hin und laß die Luftgebilde der Toten

Sich dem Blute nicht nahn, bevor du Teiresias ratfragst.

Und bald wird der Prophet herwandeln, o Führer der Völker,

Daß er dir weissage den Weg und die Mittel der Reise,

Und wie du heimgelangst auf dem fischdurchwimmelten Meere.

Also sprach sie; da kam die goldenthronende Eos,

Und sie bekleidete mich mit wollichtem Mantel und Leibrock;

Aber sich selber zog die Nymphe ihr Silbergewand an,

Lang, anmutig und fein, und schlang um die Hüfte den schönen

Goldgetriebenen Gürtel und schmückte das Haupt mit dem Schleier.[581]

Aber ich ging durch die Burg und ermunterte meine Gefährten,

Trat zu jeglichem Mann und sprach die freundlichen Worte:

Lieget nun nicht länger vom süßen Schlummer umduftet!

Laßt uns reisen, denn schon ermahnt mich die göttliche Kirke!

Also sprach ich und zwang ihr edles Herz zum Gehorsam.

Aber ich führt auch von dannen nicht ohne Verlust die Gefährten.

Denn der jüngste der Schar, Elpenor, nicht eben besonders

Tapfer gegen den Feind noch mit Verstande gesegnet,

Hatte sich heimlich beiseit' auf Kirkes heilige Wohnung,

Von der Hitze des Weins sich abzukühlen, gelagert.

Jetzo vernahm er den Lärm und das rege Getümmel der Freunde;

Plötzlich sprang er empor und vergaß in seiner Betäubung,

Wieder hinab die Stufen der langen Treppe zu steigen,

Sondern er stürzte sich grade vom Dache hinunter; der Nacken

Brach aus seinem Gelenk, und die Seele fuhr in die Tiefe.

Zu der versammelten Schar der übrigen sprach ich im Gehen:

Freunde, ihr wähnt vielleicht, zur lieben heimischen Insel

Hinzugehn; doch Kirke gebeut eine andere Reise,

Hin zu Aides Reich und der strengen Persephoneia,

Um des thebaiischen Greises Teiresias Seele zu fragen.

Als sie dieses vernommen, da brach ihr Herz vor Betrübnis;

Jammernd setzten sie sich in den Staub und rauften ihr Haupthaar:

Aber sie konnten ja nichts mit ihrer Klage gewinnen.

Während wir nun zu dem rüstigen Schiff am Strande des Meeres

Herzlich bekümmert gingen und viele Tränen vergießend,

Ging auch Kirke dahin und band bei dem schwärzlichen Schiffe

Einen Bock und ein Schaf von ungezeichneter Schwärze,

Leicht uns vorüberschlüpfend. Denn welches Sterblichen Auge

Mag des Unsterblichen Gang, der sich verhüllet, entdecken?

Quelle:
Homer: Ilias / Odyssee. München 1976, S. 566-582.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Odyssee
Universal-Bibliothek Nr. 280: Odyssee
Odyssee
Ilias · Odyssee
Die Odyssee
Odyssee

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

In Paris ergötzt sich am 14. Juli 1789 ein adeliges Publikum an einer primitiven Schaupielinszenierung, die ihm suggeriert, »unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen«. Als der reale Aufruhr der Revolution die Straßen von Paris erfasst, verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Für Schnitzler ungewöhnlich montiert der Autor im »grünen Kakadu« die Ebenen von Illusion und Wiklichkeit vor einer historischen Kulisse.

38 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon