XII. Gesang.

[600] Ankunft in Meer und Tageslicht bei Aiaia. Elpenors Bestattung. Kirke meldet die Gefahren des Wegs: erst die Sirenen, dann rechts die malmenden Irrfelsen, links die Enge zwischen Skylla und Charybdis; jenseits diesen die Sonnenherden in Thrinakia. Abfahrt mit Götterwind. Nach Vermeidung der Sirenen läßt Odysseus die Irrfelsen rechts und steuert an Skyllas Fels in die Meerenge, indem Charybdis einschlurft; Skylla raubt sechs Männer. Erzwungene Landung an Thrinakia, wo, durch Sturm ausgehungert, die Genossen heilige Rinder schlachten. Schiffbruch; Odysseus auf den Trümmern zur schlurfenden Charybdis zurückgetrieben, dann nach Ogygia zur Kalypso.


Als wir jetzo die Flut des Ozeanstromes durchsegelt,

Fuhren wir über die Woge des weithinwogenden Meeres

Zur aiaiischen Insel, allwo der dämmernden Frühe

Wohnung und Tänze sind und Helios' leuchtender Aufgang.

Jetzo landeten wir am sandigen Ufer der Insel,[600]

Stiegen alsdann aus dem Schiff ans krumme Gestade des Meeres,

Schlummerten dort ein wenig und harrten der heiligen Frühe.

Als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,

Sandt ich einige Freunde zur Wohnung der göttlichen Kirke,

Unsers toten Gefährten Elpenors Leichnam zu holen.

Eilig fällten wir Holz auf der höchsten Spitze des Landes

Und bestatteten ihn mit vielen Tränen und Seufzern.

Als der Tote nunmehr und des Toten Rüstung verbrannt war,

Häuften wir ihm ein Grab und errichteten drüber ein Denkmal,

Pflanzten dann hoch auf das Grab sein schöngeglättetes Ruder.

Also bestellten wir dies nach der Ordnung. Doch unsre Zurückkunft

Aus dem Reiche der Nacht blieb Kirke nicht lange verborgen;

Denn bald kam sie geschmückt, und ihre begleitenden Jungfraun

Trugen Gebacknes und Fleisch samt rotem funkelnden Weine.

Und sie trat in die Mitte, die hehre Göttin, und sagte:

Arme, die ihr lebendig in Aides' Wohnung hinabfuhrt,

Zweimal schmeckt ihr den Tod, den andre nur einmal empfinden.

Aber wohlan, erquickt euch mit Speis und funkelndem Weine

Hier, bis die Sonne sinkt; und sobald der Morgen sich rötet,

Schifft! Ich will euch den Weg und alle Gefahren des Weges

Selbst verkünden, damit nicht hinfort unselige Torheit,

Weder zu Wasser noch Land, euch neuen Jammer bereite.

Also sprach sie und zwang der Edlen Herz zum Gehorsam.

Also saßen wir dort den Tag, bis die Sonne sich neigte,

An der Fülle des Fleisches und süßen Weines uns labend.

Als die Sonne nun sank und Dunkel die Erde bedeckte,

Legten sich jene zur Ruh am festgebundenen Schiffe.

Aber mich nahm bei der Hand die Göttin, führte mich abwärts,

Legte sich neben mir nieder und fragete, was mir begegnet.

Und ich erzählte darauf umständlich die ganze Geschichte.

Jetzt antwortete mir die hohe Kirke und sagte:

Dieses hast du denn alles vollbracht; vernimm nun, Odysseus,

Was ich dir sagen will: des wird auch ein Gott dich erinnern.

Erstlich erreichet dein Schiff die Sirenen; diese bezaubern

Alle sterblichen Menschen, wer ihre Wohnung berühret.

Welcher mit törichtem Herzen hinanfährt und der Sirenen

Stimme lauscht, dem wird zu Hause nimmer die Gattin[601]

Und unmündige Kinder mit freudigem Gruße begegnen;

Denn es bezaubert ihn der helle Gesang der Sirenen,

Die auf der Wiese sitzen, von aufgehäuftem Gebeine

Modernder Menschen umringt und ausgetrockneten Häuten.

Aber du steure vorbei und verklebe die Ohren der Freunde

Mit dem geschmolzenen Wachse der Honigscheiben, daß niemand

Von den andern sie höre. Doch willst du selber sie hören,

Siehe, dann binde man dich an Händen und Füßen im Schiffe,

Aufrecht stehend am Maste, mit festumschlungenen Seilen,

Daß du den holden Gesang der zwo Sirenen vernehmest.

Flehst du die Freunde nun an und befiehlst die Seile zu lösen:

Eilend feßle man dich mit mehreren Banden noch stärker!

Sind nun deine Gefährten bei diesen vorüber gerudert,

Dann bestimm ich den Weg nicht weiter, ob du zur Rechten

Oder zur Linken dein Schiff hinsteuern müssest; erwäg es

Selber in deinem Geist. Ich will dir beide bezeichnen.

Hier stürmt gegen den Fuß der überhangenden Klippen

Hochaufbrausend die Woge der bläulichen Amphitrite.

Irrende Klippen nennt sie die Sprache der seligen Götter.

Selbst kein fliegender Vogel noch selbst die schüchternen Tauben

Eilen vorbei, die Zeus, dem Vater, Ambrosia bringen,

Sondern der glatte Fels raubt eine von ihnen beständig!

Aber der Vater erschafft eine andre, die Zahl zu ergänzen.

Und noch nimmer entrann ein Schiff, das ihnen sich nahte,

Sondern zugleich die Trümmer des Schiffs und die Leichen der Männer

Wirbelt die Woge des Meers und verzehrende Feuerorkane.

Eins nur steurte vorbei von den meerdurchwandelnden Schiffen,

Argo, die Allbesungne, da sie von Aietes zurückfuhr;

Und bald hätte die Flut auch sie an die Klippe geschmettert,

Doch sie geleitete Here, die waltende Göttin Jasons.

Dorthin drohn zween Felsen: der eine berühret den Himmel

Mit dem spitzigen Gipfel, vom düsterblauen Gewölke

Rings umhüllt, das nimmer zerfließt; und nimmer erhellen

Heitere Tage den Gipfel, im Sommer oder im Herbste.

Keiner vermöchte hinauf und keiner hinunter zu steigen,

Wenn er auch zwanzig Händ' und zwanzig Füße bewegte,

Denn der Stein ist so glatt, als wär er ringsum behauen.[602]

In der Mitte des Felsens ist eine benachtete Höhle,

Abendwärts, gewandt nach des Erebos Gegend, allwo ihr

Euer gebogenes Schiff vorbeilenkt, edler Odysseus.

Von dem Boden des Schiffes vermöchte der fertigste Schütze

Nicht den gefiederten Pfeil bis an die Höhle zu schnellen.

Diese Höhle bewohnt die fürchterlich bellende Skylla,

Deren Stimme hell wie der jungen saugenden Hunde

Winseln tönt, sie selbst ein greuliches Scheusal, daß niemand

Ihrer Gestalt sich freut, wenn auch ein Gott ihr begegnet.

Siehe, das Ungeheuer hat zwölf abscheuliche Klauen

Und sechs Häls' unglaublicher Läng, auf jeglichem Halse

Einen gräßlichen Kopf, mit dreifachen Reihen gespitzter,

Dichtgeschlossener Zähne voll schwarzen Todes bewaffnet.

Bis an die Mitte steckt ihr Leib in der Höhle des Felsens,

Aber die Köpfe bewegt sie hervor aus dem schrecklichen Abgrund,

Blickt heißhungrig umher und fischt sich rings um den Felsen

Meerhund' oft und Delphine und oft noch ein größeres Seewild

Aus der unzähligen Schar der brausenden Amphitrite.

Noch kein kühner Pilot, der Skyllas Felsen vorbei fuhr,

Rühmt sich verschont zu sein; sie schwinget in jeglichem Rachen

Einen geraubeten Mann aus dem blaugeschnäbelten Schiffe.

Doch weit niedriger ist der andere Felsen, Odysseus,

Und dem ersten so nahe, daß ihn dein Bogen erreichte.

Dort ist ein Feigenbaum mit großen laubichten Ästen;

Drunter lauert Charybdis, die wasserstrudelnde Göttin.

Dreimal gurgelt sie täglich es aus und schlurfet es dreimal

Schrecklich hinein. Weh dir, wofern du der Schlurfenden nahest!

Selbst Poseidaon könnte dich nicht dem Verderben entreißen.

Darum steure du dicht an Skyllas Felsen und rudre

Schnell mit dem Schiffe davon. Es ist doch besser, Odysseus,

Sechs Gefährten im Schiff zu vermissen als alle mit einmal!

Also sprach sie; und ich antwortete wieder und sagte:

Göttin, ich flehe dich an, verkünde mir lautere Wahrheit:

Kann ich nicht dort dem Strudel der wilden Charybdis entfliehen,

Aber Skylla bestrafen, sobald sie die Meinigen anfällt?

Also sprach ich; mir gab die hohe Göttin zur Antwort:

Unglückseliger, denkst du auch hier der kriegrischen Taten[603]

Und der Gewalt und weichst nicht einmal unsterblichen Göttern?

Denn nicht sterblich ist jene; sie ist ein unsterbliches Scheusal,

Furchtbar und schreckenvoll und grausam und unüberwindlich.

Nichts hilft Tapferkeit dort, entfliehn ist die einzige Rettung.

Denn verweilst du am Felsen, zum Kampfe gerüstet, so fürcht ich,

Daß dich das Ungeheuer von oben herunter noch einmal

Mit sechs Rachen ereil und dir sechs Männer entreiße.

Rudre denn hurtig vorüber und rufe die Göttin Krataiis,

Skyllas Mutter, an, die die Plage der Menschen geboren:

Diese wird sie bezähmen, daß sie nicht ferner dir schade.

Jetzo erreichst du die Insel Thrinakia. Siehe, da weiden

Viele fette Rinder und Schafe des Sonnenbeherrschers:

Sieben Herden der Rinder und sieben der trefflichen Schafe,

Fünfzig in jeglicher Herd; und diese vermehren sich niemals,

Noch vermindern sie sich. Zwo Göttinnen pflegen der Weide,

Lieblichgelockte Nymphen, Lampetia und Phaetusa,

Die mit der schönen Neaira der Hochhinwandelnde zeugte.

Denn die göttliche Mutter, sobald sie die Töchter erzogen,

Sandte sie fern hinweg, in Thrinakias Insel des Vaters

Fette Schafe zu hüten und sein schwerwandelndes Hornvieh.

Wenn du nun, eingedenk der Heimfahrt, diese verschonest,

Siehe, dann mögt ihr, obzwar unglücklich, gen Ithaka kehren.

Wenn du sie aber beraubst, alsdann weissag ich Verderben

Deinem Schiff und den Freunden, und so du auch selber entrinnest,

Kehrst du doch spät, unglücklich und ohne Gefährten zur Heimat.

Also sprach sie; da kam die goldenthronende Eos;

Und die hohe Göttin verließ mich und ging durch die Insel.

Aber ich eilte zum Schiff und ermahnete meine Gefährten,

Einzusteigen und schnell am Ufer die Seile zu lösen.

Und sie traten ins Schiff und setzten sich hin auf die Bänke,

Saßen in Reihn und schlugen die graue Woge mit Rudern.

Jene sandte vom Ufer dem blaugeschnäbelten Schiffe

Günstigen segelschwellenden Wind zum guten Begleiter,

Kirke, die schöngelockte, die hehre melodische Göttin.

Eilig brachten wir jetzt die Geräte des Schiffes in Ordnung,

Saßen dann still und ließen vom Wind und Steuer uns lenken.

Jetzo begann ich und sprach zu den Freunden mit inniger Wehmut:[604]

Freunde, nicht einem allein noch zweenen gebührt es zu wissen,

Welche Dinge mir Kirke, die hohe Göttin, geweissagt.

Drum verkünd ich sie euch, daß jeder sie wisse, wir mögen

Sterben oder entfliehen dem schrecklichen Todesverhängnis.

Erst befiehlt uns die Göttin, der zauberischen Sirenen

Süße Stimme zu meiden und ihre blumige Wiese.

Mir erlaubt sie allein, den Gesang zu hören; doch bindet

Ihr mich fest, damit ich kein Glied zu regen vermöge,

Aufrecht stehend am Maste, mit festumschlungenen Seilen.

Fleh ich aber euch an und befehle die Seile zu lösen:

Eilend fesselt mich dann mit mehreren Banden noch stärker!

Also verkündet' ich jetzo den Freunden unser Verhängnis.

Und wie geflügelt entschwebte, vom freundlichen Winde getrieben,

Unser gerüstetes Schiff zu der Insel der beiden Sirenen.

Plötzlich ruhte der Wind; von heiterer Bläue des Himmels

Glänzte die stille See; ein Himmlischer senkte die Wasser.

Meine Gefährten gingen und falteten eilig die Segel,

Legten sie nieder im Schiff und setzten sich hin an die Ruder;

Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen.

Aber ich schnitt mit dem Schwert aus der großen Scheibe des Wachses

Kleine Kugeln, knetete sie mit nervichten Händen,

Und bald weichte das Wachs, vom starken Drucke bezwungen

Und dem Strahle des hochhinwandelnden Sonnenbeherrschers.

Hierauf ging ich umher und verklebte die Ohren der Freunde.

Jene banden mich jetzo an Händen und Füßen im Schiffe,

Aufrecht stehend am Maste, mit festumschlungenen Seilen,

Setzten sich dann und schlugen die graue Woge mit Rudern.

Als wir jetzo so weit, wie die Stimme des Rufenden schallet,

Kamen im eilenden Lauf, da erblickten jene das nahe

Meerdurchgleitende Schiff und huben den hellen Gesang an:

Komm, besungner Odysseus, du großer Ruhm der Achaier!

Lenke dein Schiff ans Land und horche unserer Stimme.

Denn hier steurte noch keiner im schwarzen Schiffe vorüber,

Eh er dem süßen Gesang aus unserem Munde gelauschet.

Und dann ging er von hinnen, vergnügt und weiser wie vormals.

Uns ist alles bekannt, was ihr Argeier und Troer

Durch der Götter Verhängnis in Trojas Fluren geduldet:[605]

Alles, was irgend geschieht auf der lebenschenkenden Erde!

Also sangen jene voll Anmut. Heißes Verlangen

Fühlt ich, weiter zu hören, und winkte den Freunden Befehle,

Meine Bande zu lösen; doch hurtiger ruderten diese.

Und es erhuben sich schnell Eurylochos und Perimedes,

Legten noch mehrere Fesseln mir an und banden mich stärker.

Also steuerten wir den Sirenen vorüber; und leiser,

Immer leiser verhallte der Singenden Lied und Stimme.

Eilend nahmen sich nun die teuren Genossen des Schiffes

Von den Ohren das Wachs und lösten mich wieder vom Mastbaum.

Als wir jetzo der Insel entruderten, sah ich von ferne

Dampf und brandende Flut und hört ein dumpfes Getöse.

Schnell entflogen den Händen der zitternden Freunde die Ruder;

Rauschend schleppten sie alle dem Strome nach, und das Schiff stand

Still, weil keiner mehr das lange Ruder bewegte.

Aber ich eilte durchs Schiff und ermahnete meine Gefährten,

Trat zu jeglichem Mann und sprach mit freundlicher Stimme:

Freunde, wir sind ja bisher nicht ungeübt in Gefahren;

Und nicht größere drohet uns jetzt, als da der Kyklope

Mit unmenschlicher Kraft im dunkeln Felsen uns einschloß;

Dennoch entflohn wir auch jener durch meine Tugend und Weisheit,

Und ich hoffe, wir werden uns einst auch dieser erinnern.

Auf denn, Geliebteste, tut, was ich euch jetzo befehle!

Ihr, schlagt alle des Meers hochstürmende Woge mit Rudern,

Sitzend auf euren Bänken! Vielleicht verstattet Kronion

Zeus, daß wir durch die Flucht doch diesem Verderben entrinnen.

Aber dir, o Pilot, befehl ich dieses (verschleuß es

Tief im Herzen, denn du besorgst das Steuer des Schiffes!):

Lenke das Schiff mit aller Gewalt aus dem Dampf und der Brandung

Und arbeite gerad auf den Fels zu, daß es nicht dorthin

Unversehens sich wend und du ins Verderben uns stürzest!

Also sprach ich, und schnell gehorchten sie meinem Befehle.

Aber von Skylla schwieg ich, dem unvermeidlichen Unglück,

Daß nicht meine Gefährten, aus Furcht des Todes, die Ruder

Sinken ließen und all im Schiffe zusammen sich drängten.

Jetzo dacht ich nicht mehr des schreckenvollen Gebotes,

Welches mir Kirke geboten, mich nicht zum Kampfe zu rüsten,[606]

Sondern ich gürtete mich mit stattlichen Waffen und faßte

Zween weitschattende Speer' in der Hand und stieg auf des Schiffes

Vorderverdeck; denn ich hoffte, die Felsenbewohnerin Skylla

Dorther kommen zu sehn, um mir die Freunde zu rauben.

Aber ich schaute sie nirgends, obgleich die Augen mir schmerzten,

Da ich nach jeder Kluft des braunen Felsen emporsah.

Seufzend ruderten wir hinein in die schreckliche Enge:

Denn hier drohete Skylla und dort die wilde Charybdis,

Welche die salzige Flut des Meeres fürchterlich einschlang.

Wenn sie die Flut ausbrach, wie ein Kessel auf flammendem Feuer

Brauste mit Ungestüm ihr siedender Strudel, und hochauf

Spritzte der Schaum und bedeckte die beiden Gipfel der Felsen.

Wenn sie die salzige Flut des Meeres wieder hineinschlang,

Senkte sich mitten der Schlund des reißenden Strudels, und ringsum

Donnerte furchtbar der Fels und unten blickten des Grundes

Schwarze Kiesel hervor. Und bleiches Entsetzen ergriff uns.

Während wir nun in der Angst des Todes alle dahinsahn,

Neigte sich Skylla herab und nahm aus dem Raume des Schiffes

Mir sechs Männer, die stärksten an Mut und nervichten Armen.

Als ich jetzt auf das eilende Schiff und die Freunde zurücksah,

Da erblickt ich schon oben die Händ' und Füße der Lieben,

Die hoch über mir schwebten; sie schrien und jammerten alle

Laut und riefen mir, ach! zum letzten Male! beim Namen.

Wie am Vorgebirge mit langer Rute der Fischer

Lauernd den kleinen Fischen die ködertragende Angel

An dem Horne des Stiers hinab in die Fluten des Meeres

Wirft und die zappelnde Beute geschwind ans Ufer hinaufschwenkt:

Also wurden sie zappelnd empor an dem Felsen gehoben.

Dort an der Höhle fraß sie das Ungeheuer, und schreiend

Streckten jene nach mir, in der grausamsten Marter, die Händ' aus.

Nichts Erbärmlichers hab ich mit meinen Augen gesehen,

So viel Jammer mich auch im stürmenden Meere verfolgte!

Als wir jetzo die Felsen der Skylla und wilden Charybdis

Flohn, da erreichten wir bald des Gottes herrliche Insel,

Wo die Herden des hochhinwandelnden Helios weiden,

Viele treffliche Schaf' und viel breitstirniges Hornvieh.

Als ich noch auf dem Meer im schwarzen Schiffe heranfuhr,[607]

Hört ich schon das Gebrüll der eingeschlossenen Rinder

Und der Schafe Geblök. Da erwacht' in meinen Gedanken

Jenes thebaiischen Sehers, des blinden Teiresias, Warnung

Und der aiaiischen Kirke, die mir aufs strengste befohlen,

Ja die Insel zu meiden der menschenerfreuenden Sonne.

Und mit trauriger Seele begann ich zu meinen Gefährten:

Höret meine Worte, ihr teuren Genossen im Unglück,

Daß ich euch sage, was mir Teiresias' Seele geweissagt

Und die aiaiische Kirke, die mir aufs strengste befohlen,

Ja die Insel zu meiden der menschenerfreuenden Sonne;

Denn dort würden wir uns den schrecklichsten Jammer bereiten.

Auf denn, Geliebteste, lenkt das Schiff bei der Insel vorüber!

Also sprach ich; und jenen brach das Herz vor Betrübnis.

Aber Eurylochos gab mir diese zürnende Antwort:

Grausamer Mann, du strotzest von Kraft und nimmer ermüden

Deine Glieder, sie sind aus hartem Stahle gebildet!

Daß du den müden Freunden, von Arbeit und Schlummer entkräftet,

Nicht ans Land zu steigen erlaubst, damit wir uns wieder

Auf der umflossenen Insel mit lieblichen Speisen erquicken,

Sondern befiehlst, daß wir die Insel meiden und blindlings

Durch die dickeste Nacht im düstern Meere verirren!

Und die Stürme der Nacht sind fürchterlich; Schiffe zertrümmert

Ihre Gewalt! Wo entflöhn wir dem schrecklichen Todesverhängnis,

Wenn nun mit einmal im wilden Orkan der gewaltige Südwind

Oder der sausende West herwirbelte, welche die Schiffe

Oft auch gegen den Willen der herrschenden Götter zerschmettern?

Laßt uns denn jetzo der Nacht aufsteigenden Schatten gehorchen

Und am Ufer ein Mahl bei dem schnellen Schiffe bereiten.

Morgen steigen wir ein und steuern ins offene Weltmeer.

Also sprach er; und laut rief jeder Eurylochos Beifall.

Und ich erkannte jetzt, daß ein Himmlischer Böses verhängte.

Drauf antwortet ich ihm und sprach die geflügelten Worte:

Freilich, Eurylochos, zwingt ihr mich einzelnen leicht zum Gehorsam.

Aber wohlan! jetzt schwöret mir alle den heiligen Eidschwur:

Wenn wir irgendwo Herden von Rindern oder von Schafen

Finden, daß keiner mir dann, durch schreckliche Bosheit verblendet,

Weder ein Rind noch ein Schaf abschlachte, sondern geruhig[608]

Esse der Speise, die uns die unsterbliche Kirke gereicht hat!

Also sprach ich, und schnell beschwuren sie, was ich verlangte.

Als sie es jetzo gelobt und vollendet den heiligen Eidschwur,

Landeten wir in der Bucht mit dem starkgezimmerten Schiffe,

Nahe bei süßem Wasser; und meine Gefährten entstiegen

Alle dem Schiff und bereiteten schnell am Ufer die Mahlzeit.

Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war,

Da beweineten sie der lieben Freunde Gedächtnis,

Welche Skylla geraubt und vor der Höhle verschlungen;

Auf die Weinenden sank allmählich der süße Schlummer.

Schon war die dritte Wache der Nacht, und es sanken die Sterne,

Siehe, da sendete Zeus, der Wolkenversammler, der Windsbraut

Fürchterlich zuckenden Sturm, verhüllt' in dicke Gewölke

Meer und Erde zugleich; und dem düstern Himmel entsank Nacht.

Als nun die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte,

Zogen wir unser Schiff in die felsenbeschattete Grotte,

Welche die schönen Reigen und Sitze der Nymphen verbirget.

Jetzo rief ich die Freunde zur Ratsversammlung und sagte:

Freunde, wir haben ja noch im Schiffe zu essen und trinken;

Darum schonet der Rinder, daß uns kein Böses begegne!

Diese Rinder und Schafe sind jenes furchtbaren Gottes

Helios Eigentum, der alles siehet und höret.

Also sprach ich; und zwang ihr edles Herz zum Gehorsam.

Aber der Süd durchstürmte den ganzen Monat, und niemals

Hub sich ein anderer Wind als der Ost und der herrschende Südwind.

Doch solang es an Speis und rotem Weine nicht fehlte,

Schoneten jene der Rinder, ihr süßes Leben zu retten.

Und da endlich im Schiffe der ganze Vorrat verzehrt war,

Streiften sie alle aus Not, vom nagenden Hunger gefoltert,

Durch die Insel umher, mit krummer Angel sich Fische

Oder Vögel zu fangen, was ihren Händen nur vorkam.

Jetzo ging ich allein durch die Insel, um einsam die Götter

Anzuflehn, ob einer den Weg mir zeigte zur Heimkehr.

Als ich, die Insel durchgehend, mich weit von den Freunden entfernet

Am windfreien Gestade, da wusch ich die Händ' und flehte

Alle Götter an, die Bewohner des hohen Olympos,

Und sie deckten mir sanft die Augen mit süßem Schlummer.[609]

Aber Eurylochos reizte die andern Freunde zum Bösen:

Höret meine Worte, ihr teuren Genossen im Unglück.

Zwar ist jeglicher Tod den armen Sterblichen furchtbar,

Aber so jammervoll ist keiner, als Hungers sterben.

Auf denn und treibt die besten der Sonnenrinder zum Opfer

Für die Unsterblichen her, die den weiten Himmel bewohnen.

Kommen wir einst zurück in Ithakas heimische Fluren,

Seht, dann weihen wir schnell dem hohen Sonnenbeherrscher

Einen prächtigen Tempel, mit köstlichem Schmucke gezieret.

Aber beschließt der Gott, um gehörnete Rinder entrüstet,

Unser Schiff zu verderben und ihm willfahren die Götter:

Lieber will ich mit einmal den Geist in den Fluten verhauchen,

Als noch lang hinschmachten auf dieser einsamen Insel!

Also sprach er, und laut rief jeder Eurylochos Beifall.

Und sie trieben die besten der Sonnenrinder zum Opfer

Eilend daher; denn nahe dem blaugeschnäbelten Schiffe

Weideten jetzt breitstirnig und schön die heiligen Rinder.

Diese umstanden die Freunde, den Göttern flehend, und streuten

Zarte Blätter, gepflückt von der hochgewipfelten Eiche;

Denn an Gerste gebrach es im schöngebordeten Schiffe.

Also fleheten sie und schlachteten, zogen die Haut ab,

Schnitten die Lenden aus, umwickelten diese mit Fette

Und bedeckten sie drauf mit blutigen Stücken der Glieder.

Auch an Weine gebrach es, das brennende Opfer zu sprengen;

Aber sie weihten mit Wasser die röstenden Eingeweide.

Als sie die Lenden verbrannt und die Eingeweide gekostet,

Schnitten sie auch das übrige klein und steckten's an Spieße.

Meinen Augen entfloh nunmehr der liebliche Schlummer,

Und ich ging zu dem rüstigen Schiff am Ufer des Meeres.

Aber sobald ich mich nahte dem gleichgeruderten Schiffe,

Kam mir der süße Duft des Opferrauches entgegen.

Da erschrak ich und rief wehklagend den ewigen Göttern:

Vater Zeus und ihr andern unsterblichen seligen Götter!

Ach, ihr habt mir zum Fluche den grausamen Schlummer gesendet,

Daß die Gefährten indes den entsetzlichen Frevel verübten!

Und Lampetia stieg zu Helios' leuchtendem Sitze

Schnell mit der Botschaft empor, daß jene die Rinder getötet;[610]

Dieser entbrannte vor Zorn und sprach zu den ewigen Göttern:

Vater Zeus und ihr andern unsterbliche selige Götter,

Rächt mich an den Gefährten Odysseus', des Sohnes Laertes',

Welche mir übermütig die Rinder getötet, die Freude

Meiner Tage, sooft ich den sternichten Himmel hinanstieg

Oder wieder hinab vom Himmel zur Erde mich wandte!

Büßen die Frevler mir nicht vollgültige Buße des Raubes,

Steig ich hinab in Aides' Reich und leuchte den Toten!

Ihm antwortete drauf der Wolkenversammler Kronion:

Helios, leuchte forthin den unsterblichen Göttern des Himmels

Und den sterblichen Menschen auf lebenschenkender Erde.

Bald will ich jenen das rüstige Schiff mit dem flammenden Donner

Mitten im dunkeln Meer in kleine Trümmer zerschmettern!

Dieses erfuhr ich hernach von der schöngelockten Kalypso,

Die es selbst von Hermeias, dem Göttergesandten, erfahren.

Als ich jetzo das Schiff und des Meeres Ufer erreichte,

Schalt ich die Missetäter vom ersten zum letzten, doch nirgends

Fand ich Rettung für uns, die Rinder lagen schon tot da.

Bald erschienen darauf die schrecklichen Zeichen der Götter:

Ringsum krochen die Häute, es brüllte das Fleisch an den Spießen,

Rohes zugleich und gebratnes, und laut wie Rindergebrüll scholl's

Und sechs Tage schwelgten die unglückseligen Freunde

Von den besten Rindern des hohen Sonnenbeherrschers.

Als nun der siebente Tag von Zeus Kronion gesandt ward,

Siehe, da legten sich schnell die reißenden Wirbel der Windsbraut,

Und wir stiegen ins Schiff und steurten ins offene Weltmeer,

Aufgerichtet den Mast und gespannt die schimmern den Segel.

Als wir das grüne Gestade Thrinakias jetzo verlassen

Und ringsum kein Land, nur Meer und Himmel zu sehn war,

Breitete Zeus Kronion ein dunkelblaues Gewölk aus

Über das laufende Schiff, und Nacht lag über der Tiefe.

Und nicht lange mehr eilte das laufende Schiff; denn mit einmal

Kam lautbrausend der West mit fürchterlich zuckenden Wirbeln.

Plötzlich zerbrach der Orkan die beiden Taue des Mastbaums;

Aber der Mast fiel krachend zurück, und Segel und Stange

Sanken hinab in den Raum; die Last des Fallenden stürzte

Hinten im Schiff dem Piloten aufs Haupt und zerknirschte mit einmal[611]

Alle Gebeine des Haupts; da schoß er, ähnlich dem Taucher,

Köpflings herab vom Verdeck und der Geist entwich den Gebeinen.

Und nun donnerte Zeus; der hochgeschleuderte Strahl schlug

Schmetternd ins Schiff: und es schwankte, vom Donner des Gottes erschüttert.

Alles war Schwefeldampf, und die Freund' entstürzten dem Boden.

Ähnlich den Wasserkrähn bekämpften sie, rings um das Schiff her,

Steigend und sinkend die Flut; doch Gott nahm ihnen die Heimkehr.

Einsam durchwandelt ich jetzo das Schiff; da trennte der Wogen

Sturz von den Seiten den Kiel und trug die eroberten Trümmer,

Schmetterte dann auf den Kiel den Mastbaum nieder; an diesem

Hing noch das Segeltau, von Ochsenleder geflochten.

Eilend ergriff ich das Tau und verband den Kiel und den Mastbaum,

Setzte mich drauf und trieb durch den Sturm und die tobenden Fluten.

Jetzo legten sich schnell die reißenden Wirbel des Westes;

Doch es erhub sich der Süd, der, mit neuen Schrecken gerüstet,

Wieder zurück mich stürmte zum Schlunde der wilden Charybdis.

Und ich trieb durch die ganze Nacht; da die Sonne nun aufging,

Kam ich an Skyllas Fels und die schreckenvolle Charybdis.

Diese verschlang anjetzo des Meeres salzige Fluten;

Aber ich hob mich empor, an des Feigenbaumes Gezweige

Angeklammert, und hing wie die Fledermaus und vermochte

Nirgendwo mit den Füßen zu ruhn noch höher zu klimmen.

Denn fern waren die Wurzeln, und nieder schwankten die Äste,

Welche, lang und groß, Charybdis mit Schatten bedeckten.

Also hielt ich mich fest an den Zweig, bis der Kiel und der Mastbaum

Wieder dem Strudel entflögen; und endlich nach langem Harren

Kamen sie. Wann zum Mahle der Richter aus der Versammlung

Kehrt, der viele Zwiste der hadernden Jüngling' entschieden,

Zu der Stund entstürzten Charybdis' Schlunde die Balken.

Aber ich schwang mich von oben mit Händen und Füßen hinunter

Und sprang rauschend hinab in den Strudel neben die Balken,

Setzte mich eilend darauf und ruderte fort mit den Händen.

Aber Skylla ließ mich der Vater der Menschen und Götter

Nicht mehr schaun, ich wäre sonst nie dem Verderben entronnen![612]

Und neun Tage trieb ich umher; in der zehnten der Nächte

Führten die Himmlischen mich gen Ogygia, wo Kalypso

Wohnet, die schöngelockte, die hehre melodische Göttin;

Huldreich nahm sie mich auf ... Doch warum erzähl ich dir dieses?

Hab ich es doch schon dir und deiner edlen Gemahlin

Gestern in diesem Gemache erzählt, und es ist mir zuwider,

Einmal erzählete Dinge von neuem zu wiederholen.

Quelle:
Homer: Ilias / Odyssee. München 1976, S. 600-613.
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Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

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