Therese Huber

Die Frau von vierzig Jahren

»Nun wäre es doch Zeit,« sagte der Major von Helm zur Präsidentin von Helm; »nun wäre es doch Zeit, gute Mutter, daß Sie etwas Ruhe genössen. Sie haben sich auf mehr als eine Art angegriffen, ungewohnt angegriffen; Tochter und Enkel schlummern, beide in ihrer neuen Existenz; schlummern Sie auch einen Augenblick.«

»Nein, lieber Sohn,« erwiederte die Präsidentin, »daraus wird nichts. Sie wollen mich mit der Wartefrau und der Bademutter wegschicken, weil ich ihre Gehülfin gewesen bin, so lange es Noth that; meinen Sie denn aber, wenn ich mich in diesen peinlichen Stunden wirklich abmattete, daß ich mich nicht hier am besten erholen werde?«

»Unsere liebe Mutter mag Recht haben,« fiel Feldberg ein, »und ich glaube, sie weiß, welche Seelendiät ihr zuschlägt.«

Das Trio ward also nun einig, an dem duftenden Sommermorgen bei aufgehender Sonne in der lieblichen Gartenlaube beisammenzubleiben, um ein Frühstück oder Abendessen zu genießen: zum Frühstück machte[121] es die Tageszeit; aber keines aus der kleinen Gesellschaft hatte sich in der vergangenen Nacht zur Ruhe begeben, weil während derselben eines von den Geschöpfen, welche so unmerklich langsam emporkeimen, um dann in einem Augenblick plötzlich wie der zu verschwinden, dieses räthselhafte Dasein zum ersten Mal schreiend begrüßt hatte. Der neue Weltbürger war Sohn des Majors von Helm, ehemals Offiziers in französischen Diensten, und Stiefgroßsohn der Präsidentin. Feldberg, ein Freund vom Hause, hatte jene Stunden des Schmerzes, der Hoffnung und Furcht mit seinen Lieben theilen wollen. »Sie weiß,« sagte er, »welche Seelendiät ihr zuschlägt. Von Ermüdungen dieser Art – versteht sich, so oft Ihr Weibchen, lieber Helm, sie ihr verursachen kann – fürchte ich nichts für das warme Herz, für die unruhige Thätigkeit meiner Freundin. Was Ihrer ersten Jugend fehlte, um sie zu beglücken,« setzte er mit einem bedeutenden Blick hinzu und küßte der Frau von Helm achtungsvoll die Hand, »fanden Sie späterhin, um eine zweite, schönere Jugend zu beleben.«

Frau von Helm sah gerührt ihren Freund an: »Ja, ich holte meine verfehlte Bestimmung noch ein.« Jetzt erröthete sie, unterbrach sich, zog ihre Hand zurück und ging eine Weile am Eingang der Laube auf und ab, indeß der junge Helm den Thee bereitete und sie geflissentlich sich selbst überließ, zugleich aber durch einige Blicke, die er auf Feldberg warf, welcher sinnend die Flamme unter dem Kessel betrachtete, seine innige Theilnahme bezeigte.

Sie trat nun wieder zu ihnen. »Halten Sie[122] mich, hier, um Sie, neben Ihnen, für glücklich, mein guter Sohn?« – »Ja,« erwiderte der junge Mann lebhaft und legte die Hand betheuernd auf die Brust, »ich halte Sie dafür, weil Sie uns glücklich machen, weil wir Ihnen Vieles, Alles verdanken.«

»Lieber Karl,« sagte sie lächelnd, »Sie führen die wahre Ursache nicht an. Feldberg da wird aufrichtiger sein; nicht wahr?«

»Nun wohl,« sagte Feldberg; »Sie sind auch darum glücklich, weil Sie nichtigen Täuschungen entsagt haben, weil Sie die schlichte Wirklichkeit lieben lernten, weil Sie Ihre Phantasie nur noch die Lücken des täglichen Lebens ausfüllen, nicht dessen unabänderliche Bedingungen mit falschen Farben malen lassen.«

»Halten Sie, halten Sie! Was Sie auch sagen mögen, so hat es doch eine ungalante Seite, und so drücken Sie es immer lieber geradezu aus: weil ich sonst ein eitles, selbstisches Weib war und nun Pflichten erfülle und an Andern Theil nehme. Und das danke ich Ihnen, Karl, Ihrem guten Weibe, dem süßen Kinde, das ich eben in meine Arme empfing; nicht Ihren weisen Lehren, Herr Philosoph, denen ich übrigens doch alle Gerechtigkeit widerfahren lasse. O lieben Freunde, die Kenntniß, was zum wahren Glücke gehörte, hatte ich schon lange, aber die Mittel dazu fehlten mir. Es rühme sich doch kein frecher Weiser, unabhängig von Dem, was ihn drückte, trotz Dem, was ihm fehlte, glücklich gewesen zu sein; Selbstverleugnung, Unempfindlichkeit ist Alles, was er errungen haben kann: glücklich macht nur Befriedigung,[123] nicht aller, aber doch eines oder des andern unsrer Wünsche.«

Feldberg lächelte gerührt: »Da würden Sie also den armen Epiktet ohne Umstände Lügen strafen?«

»Von dem spreche ich nicht; nicht von Euch grob fühlenden, heftig verlangenden, im Genuß einschlafenden, durch Herrschen verdorbenen Geschöpfen; ich spreche von uns Weibern, denen die Natur Gefühle gab, die kein Menschenleben erschöpft, die wir unserm Geschlecht nicht mittheilen mögen und die das Eure nicht zu fassen vermag.«

Helm sagte sanft: »Die Brust eines Sohnes vermag es doch, und das Herz einer Tochter und der Kindersinn, der sich nun unter Ihren Augen in dem Neugebornen entwickeln soll« –

Sie umfaßte ihren Sohn und hob ihr Gesicht von seiner Schulter zu Feldberg auf, der zweideutig aussah: »Ihr sarkastisches Lächeln verstehe ich schon; sagen Sie nur immer: sei ruhig, Großmütterchen; denn Sie meinen doch, ich schwärme. Davor fürchte ich mich aber nicht mehr; ich habe ja so lange geschwärmt, habe so lange gesucht, nicht zu schwärmen, daß ich mich endlich beurtheilen kann.«

»That ich Ihnen weh?« fragte Feldberg; »nein, diese Schwärmerei, von der ich einst so viel litt, macht jetzt unser Aller Glück und erhält Sie in ewigblühender Jugend.« – Er sah sie mit ernsten, aber lebhaften Blicken lange an: »Sagen Sie selbst, lieber Helm, sieht sie sich noch ähnlich? Sie erinnern sich doch, wie ehemals ihre kalte Schönheit uns niederschlug, und jetzt[124] – o wie verschönert innerer Frieden auch das schöne Weib!«

»Kalt? – Ja, das war ich, ich war sehr unglücklich, sehr verstimmt! Ein langer Miston war mein ganzes Dasein gewesen, seit – seit einem Zeitpunkt« – Sie schwieg, mit einem flüchtigen Blick auf Feldberg. Nun sammelte sie sich zu ihrer gewöhnlichen Freimüthigkeit und fuhr fort: »Es war ein Zeitpunkt, der die Krise meines Jugendglücks machte, sowie ich nun die meiner spätern Jahre überstanden zu haben glaube. Ich weiß aber nicht recht, lieber Sohn, wie wir gerade zu diesem wunderlichen Gespräch kommen. Im Grunde geht es dem Menschen doch immer so: in der ersten Hälfte seines Lebens strebt seine Einbildungskraft gern in die Zukunft hinaus, in der andern blickt er mit seiner Erinnerung in die Vergangenheit zurück. Und es ist ja auch ganz natürlich: wenn Erfahrung die Schwingen unserer Hoffnung gelähmt hat, wollen wir uns doch noch an etwas halten und geben Dem, was nicht mehr ist, ungefähr den nämlichen Werth, wie vorher Dem, was noch nicht war.«

»Wie schwarz ist dieses, meine gute Mutter!« sagte Helm. »Wirklich, wenn Sie mich jetzt wieder fragten, ob ich Sie für glücklich halte: ich wüßte nicht mehr, was ich antworten sollte.«

»Doch, doch, mein Freund!« antwortete sie mit nassen Augen; »dies war nur ein Gefühl von alten Zeiten her, die vorüber sind. Gewiß, wenn ich die Spuren der Vergangenheit aufsuche, so ist es nur, um mich an der Vergleichung zu erfreuen.«[125]

Schweigend saßen jetzt die Drei eine Weile beisammen. »Karl,« fing endlich die Frau Helm wieder an, »in unserm Verhältniß ist etwas, das Ihnen nicht angenehm sein kann.«

»Was könnte das wol sein?«

»Wie Sie nach Ihrer vieljährigen Entfernung von Ihres Vaters Hause dahin zurückkamen, fanden Sie mich unglücklich; ich spreche oft mit Schmerz von meiner Vergangenheit, von meiner Ehe, und Ihr Vater war mein Gemahl.«

Helm küßte ihr ehrerbietig die Hand: »Meines Vaters Briefe lehrten mich Sie ehren, ehe ich in Ihrer Nähe war; so oft Sie seinen Namen nennen, ehrt ihn die Art, wie Sie es thun. Vermochte er nicht, meine gute Mutter zu beglücken, so war er gewiß unglücklich, so oft er es empfand.« –

»Gute, wahre Seele!« sagte die Mutter und streichelte nachdenkend seine offne Stirn; – »lieben Kinder, ich besitze Eure ganze Liebe, ich verdiene sie auch; es liegt aber ein Theil Glauben in ihr. Ihr sollt mich ganz beurtheilen lernen, auf die Gefahr hin, mich zu misbilligen. Wir werden jetzt manche ruhige Stunden haben, so lange das Weibchen durch ihre Ammenpflicht zu einem eingezogenen Leben berechtigt ist. Ich möchte mir gern jedes Recht auf Euer Vertrauen erwerben; wenn wir nächstens einmal um Gertrudens Bett versammelt sind, erzähle ich Euch meine Geschichte.«

Helm küßte ihr dankbar die Hand: »Nicht um unser Vertrauen und unsre Liebe mehr zu erwerben , sondern weil Sie uns damit Ihrem Herzen näher anschließen,[126] hat dieses Versprechen den größten Werth für mich. Oft, wenn wir Ihre Güte gegen uns am lebhaftesten empfanden, fragte meine Gertrude: warum war aber die theure Frau nicht immer so herzlich gegen Dich? – Verzeihen Sie, meine Mutter.«

»Nein, lieber Karl, das braucht es nicht: gegen Sie und Ihre Schwester habe ich mir nur Unterlassungsfehler vorzuwerfen; nur thun mir Ihrer Gertrude Worte jetzt weh.«

Der junge Mann war betreten, sie leitete das Gespräch wieder in einen heitern Ton; man trennte sich. Gertrude war voll Freude über das Versprechen der Mutter, sie wollte schon den nächsten Tag zu dessen Erfüllung festsetzen, was aber geradezu abgeschlagen wurde, indem man Gertruden zur strengen Beobachtung aller Vorsichtsregeln anhielt, über welche eine junge Mutter im seligen Gefühl ihrer Kraft, das gesunde Kind im Arm, so gern spottet. Sie bat, schmollte; mehre Tage war Alles umsonst. Endlich sagte Frau von Helm: »Wohl denn: morgen, wenn der Junge recht brav und Mütterchen hübsch fromm war, komme ich zum Thee herunter; dann schließen wir die Thüre vor allen Vettern und Basen, und Großmutter nimmt das Wort.«

Den andern Tag um fünf Uhr Abends war der Kleine beschwichtigt, das Theewasser kochte, der Bediente war aus dem Zimmer geschickt, als Feldberg hereintrat und sich neben dem Bett der Wöchnerin niederließ. Helm sah lächelnd seine Frau an, die gute Lust hatte, den armen Feldberg ohne Umstände fortzuschicken.[127]

Indem erschien Amalie. »Holla, mein guter Freund,« sagte sie, als sie Feldberg erblickte; »so war es mit nichten gemeint, daß Sie unter meinen Zuhörern sein sollten; daraus wird nichts, Sie begreifen es, wissen es – und müssen die Güte haben, sich zu empfehlen.«

»Wie? meine Freundin, sind Sie jetzt freimüthig? sind Sie billig? sind Sie vergeltend? sind Sie großmüthig?« –

»Ah – h!« rief Frau von Helm, als schöpfte sie tief Athem; »bald sind Sie auf der rechten Höhe! Nun wohl, ob es billig, vergeltend, großmüthig ist, davon ist alleweile nicht die Frage; ob es in der Natur der Sache ist, ob ich in Ihrer Gegenwart meinen Kindern Alles sagen werde, was ich hinter Ihrem Rücken sagen würde, ob ich – o fort, fort mit Ihnen! Wäre es denn nicht lächerlich, vor Ihnen von Ihnen zu schwazen?« – Frau von Helm erröthete, die liebe Wöchnerin und ihr Mann schauten neugierig auf, betroffen und scherzhaft zürnend rief die Mutter: »Nun da haben wir's! Meinen ganzen Plan verderben Sie mir, und nun ist den Kindern schon verrathen, was das Salz meiner Geschichte ausmachen sollte. Adieu, adieu!« – Sie drängte Feldberg gegen die Thüre, indeß er ihre Hand hielt und an den Mund führte und sie dadurch glauben machte, er wolle sich ihrem Willen fügen.

»Nein, Amalie,« sagte er, wie er zum Worte kommen konnte, »Ihrer Geschichte wird an Interesse nichts abgehen, wenn Sie mir erlauben, Ihren Kindern zu sagen, daß Sie meine innigste, feurigste Liebe waren, daß eben das Gefühl, welches mich[128] in meiner Jugend aus meinem Vaterlande vertrieb, mich vereinzelte, und langem, scheuem Unglück hingab, jetzt meine stille Zufriedenheit, meinen Genuß, mein Band an die besten, liebsten Menschen ausmacht« – Amaliens schöne Züge wurden jetzt von einer Röthe überstralt, die den Reiz der Jugend zurückzauberte. Feldberg sah Thränen in ihren Augen zittern; indem er ihre Hand losließ, sprach er mit ehrerbietiger Zärtlichkeit: »o meine Freundin, jetzt könnte ich wirklich fortgehen – in dieser Thräne, in diesem Blick auf Ihre Kinder, in dem liebevollen Ausdrucke dieser beiden glücklichen Menschen, läge Entschädigung – läge Belohnung wenigstens für das Entsagen, zu welchem Sie mich damals zwangen – soll ich also gehen, meine Freundin?«

»Wirklich, wie Sie wollen,« erwiderte Frau von Helm; »etwas mehr oder weniger armsündermäßig, wenn man einmal beichtet, kommt im Grunde doch auf Eins heraus –«

»Ich werde Ihnen aber heute zum ersten Male sagen, wie unbillig Sie waren –«

»Zu seiner Zeit, wenn ich es erlaube, auch das! – Jetzt bitte ich mir Stille aus.«

Sie setzte sich, meist gegen Gertrudens Bett, und durch Zufall gegen Feldberg, der seitwärts saß, mehr mit dem Rücken gekehrt; Karl stand gelehnt am Kopfe des Bettes.

»Sie werden es bezeugen, Feldberg: wie Sie in ** studirten – ich war damals acht Jahre alt – galt ich für ein sehr hübsches und gescheites Mädchen,[129] und um so mehr, als meines Vaters Geschäfte ungemein zu glücken anfingen. Sie erinnern sich vielleicht noch, wie er während der vier Jahre Ihres Aufenthaltes seine Ausgaben vermehrte, den Bau seines schönen Hauses unternahm, mit immer größerem Aufwande zahlreiche Gäste bewirthete. Mein Vater hatte viel Handelsgeist; er hatte sich durch viele Anstrengungen und große Mühseligkeiten bis zum Wohlstande, und zuletzt bis zum Überflusse durchgearbeitet – wenn er jetzt Andere eben das leiden sah, was ihn gedrückt hatte, überließ er es ohne sonderliche Theilnahme ihrem Schicksale, ob es sie endlich so gut oder schlechter bedenken würde, als ihn das seinige bedacht hatte. Er war nichts weniger als geizig, setzte aber einen so hohen Werth auf das Geld, daß es nichts gab, was er nicht damit erkaufen zu können glaubte. Er kaufte sich also auch den Adel – das muß wol nach Ihrer Abreise geschehen sein – sein Fabrikwesen übergab er den Brüdern meiner Mutter und schaffte sich ein sehr schönes Landhaus an, wo er die Sommermonate zubrachte.

Meine Mutter kannten Sie, lieber Feldberg – ich habe nicht vergessen, daß Ihre ersten Worte, als Sie mich nach achtjähriger Abwesenheit wiedersahen, ihr Andenken feierten. Sie war eine sanfte, edle Frau; sie hatte einen hellen Verstand, dem keiner von den falschen Schritten meines Vaters entging. Allein zu weich, um seine Handlungen zu leiten, ließ sie es nur ihr tägliches Geschäft sein, jede üble Folge, die sie hatten, bestmöglich zu mildern. Am meisten trieb sie dies Geschäft in Ansehung meiner und meines nachmals[130] verstorbenen Bruders. Ich habe erst spät begreifen gelernt, wie sehr sie leiden mußte, in meiner Erziehung den Keim der Verkehrtheiten entstehen und pflegen zu sehen, aus denen in der Folge mein – mein Nichtglück erwuchs. Mit welcher Sorgfalt liebkoste sie dem wenigen Guten in mir, was das Schicksal erst nach so vieler Mühe von seinen Schlacken gereinigt hat! Unterdessen sparte mein Vater keinen Aufwand, um jedes glänzende Talent bei mir ausbilden zu lassen, und ehe ich es noch in irgend einem zu einiger Fertigkeit gebracht hatte, wurde ich schon durch sein schmeichelndes, von der Gesellschaft, in der wir lebten, gefällig nachgesprochenes Lob überredet, daß ich den höchsten Grad der Vollkommenheit erreicht hätte.

Diese verderblichen Eindrücke waren mächtiger, als das sanfte Gegenstreben meiner guten Mutter. Ich fühlte zwar oft, daß sie Recht hatte; wenn ich aber in den Augenblicken, wo mir Alles lächelte, auf ihren Ernst und Tadel stieß, konnte ich, so mild beide waren, doch nicht umhin, sie als freudestörend zu empfinden.

Freilich gab es wol auch Augenblicke, wo die Wahrheit siegte. Ich erinnere mich, daß meine Mutter mich zuweilen von meinen glänzenden Beschäftigungen unmerklich und spielend an ihren Arbeitstisch herüberlockte. Sie machte Hemdchen, Häubchen, einen ganzen Kram für arme Kinder, wie denn überhaupt thätige Frömmigkeit ein Zug dieser schönen Seele war. Wenn ich dann einen Nachmittag lang mit ihr gearbeitet, ja wol gar irgend eine Gesellschaft, zu der ich berufen war,[131] freiwillig darüber versäumt hatte, so leitete es ihre liebende, fromme Absicht dahin ein, mich fühlen zu lassen, wie viel lohnender es wäre, in der Freude der armen Mutter, die ihr Kind gekleidet sähe, in der Behaglichkeit des kleinen Geschöpfchens, das nicht mehr von der Blöße litte, ein bleibendes Denkmal dieses Abends gestiftet zu haben, als wenn ich ihn in meinem gewöhnlichen Cirkel von Zerstreuungen hätte verhallen lassen.

Ich war bei solchen Gelegenheiten nicht ohne tiefe Rührung – aber wie wenig gelang es dennoch der einfachen, himmlischen Seele, mich dadurch zu sich emporzuheben! Einmal an Außenseite gewöhnt, mischte meine Einbildungskraft fremdartiges Gepränge hinzu: ich spielte in meinen eignen Augen die Rolle einer schönen Wohlthätigen; meiner Eitelkeit waren die Flügel nicht beschnitten, und meine Vernunft gewann nichts.

Ich war ungefähr in meinem vierzehnten Jahre, als mein Vater den Adel kaufte. Ich konnte bemerken, daß meine gute Mutter sich vielfältig dagegen sträubte, und ich höre noch, wie sanft sie unter Thränen mir zusprach, mich zu der schweren Rolle tüchtig zu ma chen, die mir zuwachsen würde, wenn mein Vater seinen Entschluß ausführte.

An einem von jenen süßen, zu spät mir unvergeßlich gewordenen vernünftigen Abenden, trat mein Vater, halb beschämt, weil er meiner Mutter Gesinnungen kannte, halb entzückt, mit seinem Diplom in der Hand, in unser Zimmer. Eine Frau, deren Mann in unsern Gärten arbeitete, war im Kindbette; meine Mutter, die mir ein Recht verschaffen wollte, diesen[132] äußerst armen Leuten zu helfen, hatte mich zur Pathin vorgeschlagen und ließ mich ein artiges Taufzeug nähen: bei dieser Arbeit schwatzte sie freundlich mit mir – das ist, sagte sie, eine traurige Barmherzigkeit von reichen Leuten, die den Armen immer nur vom Stehlen oder Verhungern rettet. Die Vorsehung gab den Menschen Genuß als Sporn zum Guten, und wie oft sehen wir ihn sogar als Zweck unsers Thuns an! Um aber Gottes Ebenbild auf Erden zu sein, meine Amalie, wollen wir dem Armen, so wir es vermögen, nicht blos geben, daß er sich im Schweiße seines Angesichtes Brot verdiene, sondern wir wollen ihn zuweilen auch durch einen frohen Tag uns näher bringen, ihm ein besseres Bewußtsein, als das eines bloßen Lastthieres, verschaffen. So wird schon das Tauffest, und noch mehr der jedesmalige Anblick dieses Wämschens, dieses Häubchens, die armen Richters ergötzen, und jedesmal wird die angenehme Erinnerung einen süßen Tropfen in den Kelch ihrer Mühseligkeiten mischen, und das hilft die Menschen gut machen – ach, setzte sie hinzu und faltete wie betend die Hände, könnte man nur Jedem, der im Begriffe steht, eine tadelnswürdige Handlung zu begehen, sogleich eine reine Freude in den Weg werfen, es würde viel weniger Böses geschehen.

Dies Gespräch unterbrach mein Vater durch seinen Eintritt und begrüßte mich als Fräulein Amalie. Meine Mutter senkte ihre Blicke auf ihre Näharbeit und schwieg. Er kündigte eine Menge kostbarer Veränderungen an, wie neue Equipage, Ameublements und dergleichen; mir gab er eine Börse mit zwanzig Louisdors,[133] um bei dieser Gelegenheit meine Garderobe zu vermehren.

Dadurch war freilich die sanfte mütterliche Weisheit bei mir verdrängt, und leider mischte sich dadurch auch dem milden Charakter der trefflichen Frau ein wenig Bitterkeit bei, sodaß sie weniger im Stande war, durch überlegte Theilnahme der Eitelkeit, die jetzt in meinem Gemüthe die Oberhand gewann, ihren Spielraum zu beschränken.

Sie litt viel, die gute Mutter, und meine erste Freude war auch nicht von langer Dauer. Man ließ es meinen Vater gern empfinden, daß man den Ursprung seines Adels nicht aus den Augen verlöre; er hingegen vergaß ihn nur zu oft und setzte sich mancher Verlegenheit aus, die auch auf mich zurückfiel.

Doch jung und schön wie ich war, besaß ich bei Männern einen vollgültigen Adelsbrief, und die Weiber vollends hätten mir darum fast einen himmlischen Ursprung beigelegt; denn sie waren zuweilen versucht, mir nicht nur Ahnen, sondern gar Vater und Mutter abzusprechen.

Diese Stimmung bei meinem Geschlechte mußte mich natürlicherweise von seinem Umgange entfernen, und ebenso natürlich mußte ich an der Gesellschaft von Männern Vergnügen finden – daraus entstand in meinem Betragen etwas, das man nicht säumte, für Koketterie zu nehmen, ungeachtet es das damals noch nicht war: gern hätte ich die allgemeine Bewunderung für ein Wesen, das mich geliebt hätte, hingegeben; ein solches Wesen suchte ich unter der Menge meiner sogenannten[134] Anbeter, und wenn ich, lebhaft fühlend, verzogen, zart, romantisch, es nicht fand, so war mein Gutes daran ebenso sehr schuld wie meine Fehler. Indessen war es doch immer ein Zug mehr, der wie Koketterie aussah, der zur Gewohnheit wurde und zuletzt wirklich mit einigem Rechte Koketterie heißen konnte. Mein Herz, das sich nach Liebe gesehnt und theils keine gefunden, theils nicht verstanden hatte, sie zu finden, hielt sich endlich an kleine Sensationen, die nothdürftig ein tiefes Gefühl beschwichtigten; von diesen nährte es sich kümmerlich von einem Tage zum andern, indeß sich meiner übersatten Eitelkeit immer neue Speisen aufdrängten, und meine widerstrebende Vernunft ein sophistisches System von Jugendgenuß zusammensetzte, zu welchem sie auf keinen Fall stark noch reif genug war.

Mein einziger Schutzgeist ward mir auch entrissen. Meine Mutter starb – ich war siebzehn Jahre alt, als ich mich nun ganz mir selbst überlassen fand. Ein Gefühl meiner Lage gährte verworren in mir, als eine neue Bekanntschaft meinem Wesen neue Empfindungen beimischte – –«

Amalie hielt hier inne; sie sah, halb muthwillig, halb gerührt, auf ihre Kinder, die sie stillschweigend liebkosten, gleichsam zum Danke für ihre Erzählung und zur Bitte um die Fortsetzung. Feldberg hatte mit tiefer Aufmerksamkeit zugehört; jetzt war sein geistvolles Gesicht von einer brennenden Röthe überflogen – Wie Amalie immer noch schwieg, stand er auf, unentschlossen, ob er sich nicht entfernen wollte; nun fing sie[135] aber ihre Erzählung wieder an, und er ging leise im Zimmer auf und ab.

»Zum ersten Male nach dem Tode meiner Mutter erschien ich in einer zahlreichen Gesellschaft. Wie meine Toilette vollendet war, konnte ich mir nicht verhehlen, daß sie mir sehr geglückt wäre. Die Veranlassung, wegen deren ich dieses schwarze Gewand trug, regte zugleich mein Gefühl auf eine andere Weise auf. Die Neuheit des Wirrwarrs nach einigen in der Einsamkeit verlebten Wochen, die schmeichelhafte Bewegung, die bei meinem Eintritt entstand, der Gedanke, zum ersten Mal als Waise das Getümmel der Welt wieder vor mir zu haben – Alles trug dazu bei, mich in eine solche Rührung, in einen solchen Aufruhr der Empfindungen und Gedanken zu versetzen, daß ich die Anreden, mit denen man sich zu mir drängte, kaum beantworten konnte.

Unter Andern stand aber ein Fremder vor mir und sagte: wie freue ich mich, in dem Ausdrucke dieser schönen Züge zu lesen, daß unter dem schwarzen Gewande ein Herz schlägt, welches die beste Mutter betrauert! – Ich stutzte, denn des jungen Mannes Gesicht war mir ganz unbekannt. Er nahm bescheiden wieder das Wort: ›Ich heiße Feldberg – verzeihen Sie, daß die Lebhaftigkeit, mit der ich mich erinnerte, vor einigen Jahren Ihrer Frau Mutter prophezeit zu haben, was Sie jetzt so schön wahr machen, mich vergessen ließ, daß Ihnen der Weissager längst aus dem Sinne gekommen sein mußte.‹

Feldberg war – nicht so liebenswürdig als er jetzt[136] ist; er war mit der Welt unzufrieden, weil er mehr taugte als die Welt, und doch war er nicht gut genug, um die Bösen zu bedauern und es dem Bessern nachzusehen, daß es nicht das Beste ist. Von unserm Geschlechte hatte er sich ein Ideal ausgedacht, das er in seiner Geliebten realisiren wollte. Das Ideal war aller Ehren werth, aber der Bildner war – wenigstens ein Pedant.«

Feldberg hielt im Gehen Amalien gegenüber inne und machte ihr stillschweigend eine tiefe Verbeugung.

»Ein Pedant« – wiederholte sie, ohne ihren Ton zu verändern und gleichsam nur um den Faden ihrer Rede wieder anzuknüpfen: »noch an demselben Abend ward ich hinlänglich inne, daß sich mein Gefolge um ihn vermehrt hatte – so stolz war ich noch nie auf eine Eroberung gewesen; ein Mann, dessen Jünglingsalter von acht Jahren her ein allgemein geschätztes Andenken zurückgelassen hatte, der jetzt auf die ehrenvollsten Bedingungen, als ein noch sehr junger Mann, in ein Landescollegium berufen war, das wenige Fremde unter seinen Mitgliedern zählte, der sich als Gelehrter durch den feinsten Ton, als Weltmann durch die gründlichsten Kenntnisse auszeichnete –«

»Aber, liebe Freundin, bedenken Sie doch nur einen Augenblick, wie des alten Feldbergs Bescheidenheit gefoltert wird, wenn er seiner Jugend solche Verdienste .....«

»Still, mein Herr! die Rede ist nicht von Ihnen. Ich war mehr als geschmeichelt; ich war mit furchtsamer Freude besorgt, die Achtung des Mannes zu fesseln,[137] dem ich gefallen hatte. Ich ließ ihn in mein ungebildetes, vielleicht verkehrtes aber warmes Herz blicken. Der Mann verstand aber nicht, mich zu behandeln; voll sehnlichen Verlangens nach einem Hafen für das unstete Treiben meiner Empfindungen, ging ich unachtsam einen raschen Schritt; er, neben einem warmen Herzen im Besitz eines kalten Sinnes, folgte gemessen einer steifen Methode. Feldberg erkannte die Gewalt, die er über mich gewann; er ward mein Mentor, tadelte mich, gab mir Rath – ich folgte ihm gern; ich ergrimmte über seine Vernunft und ehrte sie, versagte mir Zerstreuungen, erwarb mir Kenntnisse, bekämpfte Launen, brachte ihm tausend kleine Opfer und hoffte jedes Mal, nun – nun ihn liebend, anbetend zu meinen Füßen zu sehen, um ihn wieder zu lieben, um endlich .....«

»O Amalie!« rief jetzt Feldberg, der mit der lebhaftesten Bewegung bisher zugehört hatte, und faßte ihre Hände. Sie sah ihn mit nassem Auge und angenommener Kälte an. »Mein Herr,« sagte sie, »verwechseln Sie hier nicht Geschichte und Gedicht. Meinten Sie, meiner Erzählung eine dramatische Form zu geben, so hätten wir andere Abreden nehmen müssen. Sogleich ex tempore eine Rolle zu spielen, die doch nicht zu den leichtesten gehören würde, könnte nur einer – sehr schlechten Schauspielerin zugemuthet werden.«

»Ja, ja! Nach zwanzig Jahren – und noch dieser peinigende Wechsel von Gefühl und Muthwillen!«

»Nach zwanzig Jahren? – Das war grob! Jetzt, Kinder, bittet einmal den Herrn, daß er schweigt, oder[138] wenn er's nicht lassen kann, hinübergeht und dem Bambino vordeclamirt; dort findet er ein geneigtes Publicum, bei welchem seine artigen Complimente nichts auf sich haben.«

Feldberg legte, demüthig sich bückend, den Finger auf den Mund, und Frau von Helm fuhr fort.

»Und consequent zu sein, vermochte der arme Pygmaleon doch nicht; wenn er sein Werk betrachtete, vergaß er oft, daß es nur erst rohe Materie war, und stand davor, in Entzücken verloren. Da vermaß sich dann die Statue wol auch, solche Augenblicke ein klein wenig zu merken, und ein ziemlich uuartiges Mädchen zu sein und sich rächen zu wollen an seiner systematischen Kälte, an seiner pedantischen Gewalt über sein Herz –«

»Darf ich reden?« unterbrach jetzt Feldberg noch einmal.

»Um mir zu widersprechen? – Nein, noch nicht; vielleicht nachher – – Mein Bruder starb, und ich war nun die einzige Erbin von meines Vaters sehr ansehnlichem Vermögen. Ich hatte meinen Bruder geliebt und beweinte ihn, noch mehr aber beweinte ich ihn, als mir mein Vater erklärte, jetzt könnte er auf einen Schwiegersohn Anspruch machen, der mir an Rang und Ehre Alles gäbe, was er mir mit Geld allein nicht verschaffen könnte.

In der Zeit, wo sich mein Vater mit diesen Gedanken trug, lernte ich Ihren Vater kennen, lieber Karl.

Sie wissen, daß ich sein Andenken ehre, daß ich seine Tugenden immer zu schätzen wußte. Ich darf[139] glauben, daß ich ihm nicht in den Weg zu einem höhern Glücke getreten bin. Sie sind aber ein Mann und rechnen es nicht zu den kindlichen Pflichten, auf die Unfehlbarkeit seiner Ältern zu schwören. Ihr Vater besaß bei vielen Kenntnissen ein gutes, ja oft sehr edles Herz; aber als letzter Zweig einer alten Familie, die auf ihren Namen um so mehr hielt, als sein Glanz nicht durch Glücksgüter erhöht wurde, war er von Jugend auf verzogen worden. Seine wirklich ausgezeichneten Fähigkeiten wurden frühzeitig bewundert; aber seine Ältern bildeten sie gerade nur standesmäßig aus: alles Solidere, was er besaß, verdankte er einer glücklichen Zusammenstimmung von Umständen, die den Ehrgeiz in ihm erregt hatten, sich durch eignes Verdienst hervorzuthun. Er war noch jung, als er schon anfing, dem Staat in ansehnlichen Ämtern zu dienen; er stellte den erlöschenden Glanz seiner Ahnen wieder her. Aber diese Selbstbildung unter alltäglich verkehrten Leuten hatte auch ihr Schädliches gehabt. Es war etwas Weichliches in ihn gekommen, und da Andere ihn vollkommen fanden, und er sich wahrer Tugenden bewußt war, lernte er sich zu vortheilhaft beurtheilen.

Er war gereist, hatte gelebt, hatte ziemlich spät zum ersten Mal geheirathet; durch unglückliche Zufälle war Ihre würdige Mutter um ihr ansehnliches Erbe gekommen: sie hatte ihn im vierzigsten Jahre als Witwer und ohne Vermögen zurückgelassen. Ihm that das wenig; da er Alles, was ihn anging, sich auf einem erhöhten Gerüste gleichsam historisch vorzustellen pflegte, sah er die Zukunft seiner Kinder unter diesen Umständen[140] nur in einem interessanten Lichte. Junge Leute, die bei der edelsten Geburt durch ihres Vaters und ihre Verdienste allein zu glänzen haben werden! so dachte er, und fing schon an, Weltbürger aus ihnen zu bilden. Die Familie dachte aber anders; sie seufzte, daß die letzten Zweige eines solchen Stammes vielleicht als Krippenreiter und Gesellschaftsfräulein würden verderben müssen. Da war besonders eine alte Tante – Sie haben sie nie gekannt – diese hatte eine edle betagte Wittib mit ungeheuerm Vermögen in Bereitschaft, welche durch eine Heiratth mit Ihrem Vater das Öl in die erlöschende Adelslampe liefern sollte –«

Feldberg sah ernsthaft aus; Amalie erröthete und fuhr fort.

»Sie waren damals vier Jahre alt, und Ihre Schwester sechs. Ich traf Sie eines Tages in dem **schen Garten. Ihre Lebhaftigkeit freute mich. Sie schleuderten Steine in den Teich; bei einem ungeschickten Wurf mit einem zu schweren Steine verloren Sie das Gleichgewicht, Sie fielen auf den groben Kies am Ufer und bluteten stark an der Stirne. Ich eilte auf Sie zu; indeß Sie und Ihre Schwester gewaltig schrien und ihre französische Mamsell wie eine Gans schnatterte, wusch ich Ihre Stirne, legte etwas Balsam darauf, den ich bei mir hatte, und so mit dem artigen Knaben beschäftigt, war ich leider nicht ganz ohne ein gewisses Bewußtsein, daß ein schönes junges Mädchen, die sich eines blutenden Kindes so thätig annähme, ein hübsches Tableau geben müßte. Auf einmal hörte ich Ma Bonne eine Octave tiefer schnattern:[141] sie war mit einem feinen Manne im Gespräch, der auf mich zuging, den Knaben bei der Hand nahm, und mir einige verbindliche Worte sagte, aus denen ich erst klug wurde, als ich das Junkerchen weinerlich rufen hörte: Papa, ma bonne a bien vu que ce n'était pas ma faute.

Auf diese Art also lernte mich Herr von Helm kennen. Der Auftritt bestimmte wahrscheinlich mein ganzes Schicksal. Ich gefiel Ihrem Vater, und es ward ihm leicht, mir alle Tugenden beizulegen, die seine Gattin, die seiner Kinder Mutter haben sollte. Als seine Absichten merklich wurden, frohlockte mein Vater und ich – brachte bald Feldberg auf durch geflissentlichen Leichtsinn, bald verwirrte ich ihn durch die natürliche Ergießung meines Gefühls, oder befremdete ihn durch Kälte: kurz, ich that Alles, um ein Geständniß von ihm zu erhalten, das mich in den Stand gesetzt hätte, einen Willen zu haben. Um eine Heirath mit dem Präsidenten zu fürchten, war ich zu eitel, zu gewohnt, Rang und Titel als etwas Vorzügliches zu schätzen. Überdem war Ihr Vater ein Mann, dessen Aufmerksamkeit in manchem andern Betracht schmeicheln mußte, und da ich mich mit allem Unangenehmen wenig abzugeben pflegte, drang ich in die Ursachen einer Abneigung, die ich im Hintergrunde meines Herzens spürte, eben nicht ein.

Für Feldberg war mein Gefühl zu wenig einfach, um Leidenschaft zu sein. Es setzte sich zusammen, erstlich auch aus Eitelkeit, dann aus Eigensinn, diesen Menschen unterjochen zu wollen, aus Achtung – und[142] so wäre es dann wol Liebe geworden, wenn – wenn es also hätte sein sollen.

Ihre obbemeldete Tante, lieber Karl, hatte ihres Bruders häufige Besuche in unserm Hause erfahren und von den Vermuthungen der Stadt über seine Absichten Wind bekommen. Sie schauderte vor dem Gedanken einer solchen Misheirath, die ihr überdem auch aus persönlichen Gründen verhaßt war, weil ihr Mann mit meinem Vater in Geschäftsverhältnissen gestanden hatte, bei denen Ihre Frau Tante – leider, wenigstens nicht gewann.

Ich kannte die Stimmung der Frau von Z. gegen mich, und war also unangenehm betroffen, als ich sie eines Abends ganz unerwartet in einer großen Gesellschaft fand, die ihr Bruder, wie ich wußte, diesen Tag nicht besuchen konnte. In dem, für die kindliche Achtung peinigenden, Falle, mit Menschen zusammenzukommen, die in Geschäften mit meinem Vater den Kürzern gezogen zu haben meinten, hatte ich mich schon öfters befunden, und es war mir meistens schwer geworden, in meine Höflichkeit gegen sie nicht ein gewisses wehmüthiges Gefühl zu legen, das sie leicht misdeuten konnten.

Frau von Z. drängte sich zu mir, überhäufte mich mit Schmeicheleien aller Art, zog mich in einen Zirkel von Verwandten und – fing nun an, mich auf die unbarmherzigste Weise zu persifliren. Ich war Anfangs bei dieser Frau blos mit meiner eignen Empfindung, die ihr zu günstig war, um sich eines solchen Angriffs zu versehen, beschäftigt. Zudem war ich zu jung und[143] hatte zu wenig eigentliche Erfahrung von der Welt, um sogleich einzusehen, was man mit mir vorhatte. Ich fühlte mich lange unbehaglich, ehe ich die Bedeutung des Gesprächs verstand, und kam erst dahinter, als Feldberg, der zu uns getreten war, über das Betragen der Frau von Z. höchst unwillig, mich mit eben den Waffen vertheidigte, mit denen ich angegriffen wurde, und so wenigstens ihre Aufmerksamkeit von mir abzuziehen suchte. Das war aber nicht so leicht. Sie hatte diese Gesellschaft, in welche sie sonst nicht kam, absichtlich besucht, um das Geschöpfchen da anzutreffen, welches so viel Unheil in ihrer Familie anstiften wollte, und da sie es wirklich etwas gefährlich fand, sollte es nun einen Begriff erhalten, welche Aufnahme es in derselben zu erwarten hätte.

Während sie, weil ihre Absicht durch Feldbergs Dazwischenkunft zum Theil vereitelt war, noch boshafter wurde, verlor ich, sobald ich diese Absicht verstand, alle Fassung. Doch schlug sie Feldberg, der ohne Leidenschaft spottete, endlich aus dem Felde. Er half mir den Zirkel verlassen, und ich eilte sobald als möglich, von ihm begleitet, nach Haus.

Kaum hatte ich den Gesellschaftssaal verlassen, so brach ich in Thränen aus. Ich fühlte die unverdiente Demüthigung sehr bitter, sah in Feldberg meinen Schutzengel – da ergoß sich vor ihm ein ganzes eitles, gekränktes, gutes Herz, ein Herz, das gern geliebt hätte, und das der kalte Mensch um seines selbstischen Plans willen – wie denn? – zappeln ließ –«

»Nein, nicht ein Wort weiter« – unterbrach Feldberg hastig; »ich muß mich rechtfertigen!«[144]

»Jetzt nicht,« erwiderte Amalie ruhig, »und rechtfertigen nie; daß ich meinen Freund Feldberg anhören lasse, wie ich einst meinen Liebhaber Feldberg beurtheilte, ist der sicherste Beweis, daß dieser nur eine historische Rolle spielt, wie Seneca, oder Marc Aurel, oder welchen großen Stoiker des Alterthums Sie sonst wollen. Bleiben Sie ruhig, Feldberg; die Reihe wird endlich schon an Sie kommen, Ihre Memoiren herauszugeben.

Einen peinlichern Abend, eine kummervollere Nacht, hatte ich noch nie zugebracht; ja kaum seitdem eine. Ich war ohne Leidenschaft, und doch in allen Winkeln meines Herzens zerquetscht. Eitelkeit, Stolz, Gutherzigkeit, Vertrauen und das bischen Liebe in mir waren gleich gekränkt. Der Morgen kam, und ehe es Mittag war, hatte mich mein Vater rufen lassen, um mir anzukündigen, daß der Präsident soeben um meine Hand angehalten hätte und diesen Abend mein Jawort holen würde.

Bedenkt meine Jugend, und daß Alles, was mich umgab, mich immer von der Kenntniß und der Bildung meines Herzens abgehalten hatte; bedenkt, meine Kinder, daß ich meinen Leichtsinn durch ein verfehltes Leben gebüßt habe. Ich dachte mir nur meinen Triumph über die boshafte Tante, nur meine Rache an Feldberg: ich antwortete meinem Vater, ich würde gehorchen.

Ihr Vater, mein guter Karl, erwähnte des gestrigen Auftritts, bat mich, ihm zu erlauben, daß er mich an eine Stelle setzte, wo seine Schwester Gelegenheit[145] haben würde, ihre Unart wieder gut zu machen. Ich fühlte einen Stich ins Herz – und ward Braut.

Meine Verbindung wurde drei Tage darauf in einer großen Gesellschaft, die mein Vater gab, bekanntgemacht. Der Triumph über den Augenblick, wo Feldberg sie erfahren würde, war mir in den drei Tagen vergangen. Er kam in diese Gesellschaft, und ich glühte vor Scham, als mir der strenge Mann Glück wünschte, zu einer Verbindung Glück wünschte, die nur Eitelkeit und Leichtsinn geknüpft hatten –«

»O jener Abend!« rief Feldberg, und Amalie schwieg – »darf ich nun reden? Jener Abend, der das Grab meiner Wünsche ward! Darf ich endlich Ihnen sagen, wie groß Ihr Unrecht war, und wie richtig Sie mich dennoch beurtheilten? Ich hatte keinen Adel, aber ein Amt, das mich in der Gesellschaft dem Adel gleichstellte; mein Ruf, ich durfte es mir eingestehen, gab mir vor dem Publicum ein Recht, die Hand des schönsten Mädchens zu suchen, und mein Vermögen erlaubte mir, auf ein reiches Mädchen Anspruch zu machen. Als ich Sie aber kennen lernte, meine Freundin, traten diese Betrachtungen in den Schatten andrer, die meinem Herzen und meiner Vernunft näher waren. Ich fand ein weibliches Geschöpf, mit allen Anlagen geschmückt, das durch Umstände in Gefahr war, weder glücklich zu werden noch glücklich zu machen. Ich war kein Knabe mehr; ich hatte geliebt und war betrogen worden: jetzt strebte ich danach, den Gegenstand meiner Liebe ewig zu verehren, ihm meinen ganzen sittlichen und bürgerlichen Werth in die[146] Hände zu legen. War es mir zu verdenken, wenn ich zögerte, untersuchte, desto strenger untersuchte, je lebhafter ich fühlte, daß ich als erklärter Liebhaber diese Gewalt über meine Liebe nimmer würde behaupten können?

Ich war glücklich in diesem Kampfe,« fuhr Feldberg fort, »glücklicher als Pygmalion; denn ich flehte von keiner Göttin Leben in das todte Gebilde: bei der leisesten geistigen Berührung sprühte ja himmlisches Feuer aus dem schönsten Stoff; wie oft, wenn ich Sie im Gespräch mit mir, sich selbst unbewußt, von Ihrem reizenden Leichtsinn zu der Äußerung des feinsten Gefühls, des reinsten Sinnes für das Gute führte, verbarg ich den Drang, Ihnen meine Liebe zu gestehen, hinter eine Mentorsmiene! Wie oft mußte ich das ABC meiner Weisheit hervorsuchen, um in andern Augenblicken die Kälte, mit welcher Sie mich, die mädchenhafte Gefälligkeit, mit der Sie Andere aufnahmen, zu ertragen!

An jenem Abend, wo Frau von Z. jedes weibliche Gefühl und jedes Gesetz der gesellschaftlichen Höflichkeit mit ihrem giftigen Aufziehen eines jungen, unerfahrnen, schutzlosen Mädchens verletzte: o meine Freundin, Sie mußten von Ihren eignen Gefühlen so hingerissen, so überwallend voll sein, um meinen Kampf bei dem lieben Ausbruch Ihres Schmerzes nicht zu bemerken! Wie offen, wie achtungswerth, wie edel erschienen Sie mir in diesem Augenblicke, der ein gemeines Wesen Ihres Geschlechts so blosgestellt hätte![147]

Nun glaubte, nun hoffte ich, Sie glücklicher machen zu können, als es eine glänzendere Aussicht, die ein Anderer Ihnen etwa böte, vermögen würde. An jenem Tage aber war ich zu stolz, mein Schicksal und das Ihrige waren mir zu heilig, als daß ich Sie in einer Aufwallung gekränkter Eitelkeit hätte überraschen wollen. Deswegen schwieg ich, belohnt für die Gewalt, die ich mir anthat, durch den Vorsatz, die nächste Gelegenheit zu benutzen, um – Ihnen die Unsträflichkeit Ihres lieben Leichtsinns und mir das Recht, Sie vor dessen Folgen zu schützen, zuzusichern.«

»Ich wollte, Sie scherzten nicht,« unterbrach hier die junge Wöchnerin, indem ihre bisher von Rührung glänzenden Augen etwas Unwillen ausdrückten; »auf diesem Wege mußte uns das Schicksal die geliebteste Mutter zuführen; aber Ihr Männer, o Ihr Männer!«

»Nicht scherzen?« erwiderte Feldberg. »Auch nicht, wenn ich scherze, um – um meinem jungen Freunde hier ein Beispiel zu geben – das er nie nachzuahmen haben möge –, wie man unwiederbringlich verlornen Glücks gedenken soll?«

»Genug,« fiel Amalie ein, »genug, Feldberg! Jenseits des Styx erzählt man sich nur; man leidet, empfindet, handelt nicht mehr.«

»Aber vor Minos' Thron darf auch der schuldigste Schatten sich vertheidigen.«

»Sie verkennen den Unbestechlichen – fahren Sie fort.«

Feldberg beugte sich vor dem komischen Richterernst[148] auf der Stirn seiner Freundin und gehorchte. »Mit Träumen von der schönsten Zukunft war ich beschäftigt, als mich ein Freund, der einige Meilen von der Stadt gefährlich krank lag, dringend zu sich berief. Zwei Tage mußte ich bei ihm zubringen. Es war fast Abend, als ich zurückkam. Ich fand eine Einladungskarte von Ihrem Vater; ich hatte nur die Zeit mich anzukleiden und eilte nach Ihrem Hause. Eine zahlreiche Gesellschaft ist schon dort versammelt; auf den ersten Blick unterscheide ich Amalien im ausgesuchtesten Putz; neben ihr der Präsident: eine Ahnung steigt in mir auf; einer von den Anwesenden, der mich unentschlossen stehen sieht, fragt mich, ob ich dem Brautpaare schon Glück gewünscht habe?

O Amalie, ich sah Sie erblassen, in dem Augenblick, wo ich zu Ihnen trat; hörte ihre Stimme, sanfter als sonst, sanfter als je, zu mir sagen: ich weiß, daß Ihnen mein Glück werth ist! – Was ich sprach, was sonst vorging, davon ist mir keine Erinnerung geblieben. Ich zwang mich, der Gesellschaft anzugehören. Auf Ihrer Stirne schwebte eine Wolke, Helm schien in seiner Glückseligkeit verschmolzen. Ich schützte die Müdigkeit von meiner kleinen Reise vor, um mich nach einer Stunde zu entfernen.

Drei lange Wochen kämpfte ich. Umsonst! Ich konnte nicht länger ausdauern an dem Orte, wo Amalie, berauscht vom Taumel der Gesellschaft, sich selbst entrissen durch die Bewunderung, die sie umgab, vergessen hatte – ihre weibliche Würde und das liebende Herz eines Mannes vergessen hatte! – Mein älterer[149] Bruder, der unser Vermögen verwaltet hatte, starb in dieser Zeit: jetzt hatte ich einen Vorwand; ich nahm meinen Abschied und verließ Deutschland, wie ich glaubte, auf immer.«

»Wahrlich, Feldberg,« sagte Frau von Helm, »das ahnete ich nicht. Ich hielt Sie für einen gefühlvollen Pedanten und glaubte endlich gar, das Gefühl stünde bei Ihnen der Pedanterie so sehr nach, daß Sie mein Herz Ihrer Menschenkunde aufopferten; aber unser Weibchen hier möchte ruhen, und der dicke Bube möchte essen; wir wollen also unsere Erinnerungen ein wenig beiseite setzen und dieser sehr reellen Gegenwart ihr Recht lassen.«


Man fand sich einen andern Abend wieder zusammen. Da saß die junge Frau mit ihrem Knaben am Busen im freundlichen Zirkel. Feldberg stand am Kamin und las Zeitungen. Amalie machte ein Häubchen für den Kleinen, dem man es fast zum moralischen Verdienst anrechnete, schon in den ersten acht Tagen seines Lebens aus dem ihm vor Anbeginn seines irdischen Daseins bestimmten Mützchen herausgewachsen zu sein. – »Da, liebe Mama,« sagte Gertrude, nachdem sie sich heimlich mit ihrem Mann besprochen hatte, »da,« sagte sie leise und entzog sachte dem Knaben die Brust; »der Kleine schläft, ich brauche keine Ruhe, und unser liebes Mütterchen merkt wohl, wie sehr mich[150] zu wissen verlangt, warum sie so gut, so gut, und doch nicht glücklich war.«

»Liebe Seele!« erwiderte Amalie; »so gut und doch nicht glücklich? Weil wir zum Theil unsers Schicksals Werkmeister sind; und um es sehr gebrechlich und verkehrt aufzubauen, braucht es nicht einmal Bosheit – o die reinste Güte könnte an der Strafe ihrer Fehler verschmachten! Und das war mein Fall nicht; ich hatte nicht aus Güte gehandelt: aus Leichtsinn, Unerfahrenheit, Eitelkeit hatte ich über das Loos meines Lebens entschieden –

Doch was entscheidet denn gewöhnlich unser Loos in der Ehe? – Unsrer Ältern Weisheit? Die kann unser Herz nicht bedenken. Vernunft? Welcher traurige Wahlmann, wo es darauf ankommt, zwei Menschen zu einem Verhältnisse zu vereinen, welches so schwer, so ernst, so dauernd ist, daß nur Liebe, die Alles trägt, es ertragen kann! Also Leidenschaft? Und wenn die Flamme verlöscht, wie sie verlöschen muß, weil sie aus irdischem Stoffe entbrannte? – Was soll uns aber schützen, retten, uns, die wir in diesem Verhältniß nicht unser Glück allein, sondern unsern ganzen Werth niederlegen mußten? Der unglückliche Gatte, ja der schuldige Gatte kann noch Freund, noch Bürger, sogar Vater könnte er noch sein. Wir sind nichts, wenn wir nicht glückliche Weiber sind; Selbstachtung, Muth, Duldung, Alles verschwindet, und wir versinken in Erniedrigung, oder kämpfen den zerstörenden Kampf zwischen Gewissen und Herz.

Was soll uns also retten? – Nur Eines, meine[151] Kinder: nur deutliche Ansicht unsrer Pflichten als Gattinnen und Mütter in ihrem ganzen Umfang. Ein Mädchen, das sich frühzeitig gewöhnt hat, diese Pflichten in allen ihren Theilen, ohne falsche Scham, mit allem Ernst, den der Gegenstand gebietet, zu überlegen, frage sich alsdann: wirst Du auch Muth haben, diese Pflichten alle durch deine Verbindung mit diesem Manne zu übernehmen? Aber nicht blos einmal, und dann ein ander Mal nicht, nicht stückweise und in Augenblicken leidenschaftlicher Spannung, sondern zusammenhängend, mit gleicher Aufmerksamkeit auf alle Schritte des Lebensganges, auch nicht jene heroischen, tragischen Pflichten allein, sondern alle die kleinen Obliegenheiten des häuslichen Beisammenseins; ich könnte einen Mann Monate lang in der beschwerlichsten Krankheit pflegen, ihn mit heldenmüthiger Selbstverleugnung, mit unausgesetzt zärtlicher Theilnahme behandeln, während es mir unmöglich wäre, ohne Widerwillen mit ihm zu frühstücken, während er mir die Galle erhitzte, so oft ich ihn seine Nachthaube aufsetzen sähe. An die Misgestalt eines Mannes kann sich eine Frau gewöhnen; aber ein schöner Mann kann ihrer Achtung den ersten Stoß geben, wenn er mit Pantoffeln, Schlafrock und Nachtmütze im Hause umherschlendert.

Ihr findet wol, ich misbrauche mein Privilegium als Großmutter. Genug des Geschwätzes, und will's Gott, meine Geliebten, des überflüssigen Geschwätzes! Vergeßt es aber nicht, haltet es werth und heilig, dies ewige Jugendmittel der Liebe: sorgsame Feinheit im häuslichen Umgange. Der kleine Zwang macht es[152] allein möglich, die Ehe vor Ausartung in erniedrigende Gemeinheit zu verwahren; gute Eheleute schützt er vor Vergröberung ihres Glücks, zwischen unglücklichen erhält er Anstand und äußere Achtung, die nicht Heuchelei ist und also einen Grad von innerer voraussetzt; dies letzte habe ich oft erfahren.

Ich war also Braut. Für ein gutes, unschuldiges, leidenschaftliches Mädchen ist die Seligkeit dieses Zustandes ziemlich zweideutig. Wäre die Eitelkeit nicht gewesen, so hätte ich ihn nur traurig empfinden können, oder mein Schicksal würde eine ganz andere Wendung genommen haben. Alles, was mich umgab, wirkte auf mich wie ein Traum. Ich fand den Traum wol ergötzend, aber er hatte doch Augenblicke, die an Erwachen grenzten. Ihr vermuthet schwerlich, welches diese Augenblicke waren: ganz besonders die einfältigen, frommen Glückwünsche einiger Hausbekannten von der niedrigern Classe, wie Handwerker, Näherinnen und dergleichen. Eine sagte mir mit einem andächtigen Blicke gen Himmel: ach, daß die gnädige Frau Mama die Freude nicht erlebten. Ein gutes altes Mütterchen seufzte: nun, Gott gebe Ihnen Freude an Ihren Kindern, wie Ihre wohlgebornen Ältern an Ihnen hatten. Lacht nur nicht! Die albernen Worte gaben mir einen ernsten Fingerzeig auf meine Zukunft, während alles Übrige um mich her nichts als Schaum und Tand war: der Aufwand, den mein Vater machte, die Schmeicheleien meines Bräutigams, die feinern oder gröbern Zweideutigkeiten in den Glückwünschen unserer männlichen Bekannten. Doch auch die letztern regten[153] mich auf eine andere Weise in meinem Traume an. Sie stellten mir die Verbindung, die ich eingehen sollte, in ein von mir noch unbedachtes Licht. Ich schauderte und scheute den Mann, dem ich auf eine mir unbekannte Art angehören sollte.

Mein Gefühl rettete sich hinter eine dunkele Ideenverbindung. Ich fing an, Herrn von Helm viel über seine Kinder zu befragen, die in dieser Zeit auf dem Lande waren. Mein Wunsch, sie bald zu sehen, machte ihn verlegen; ich brachte heraus, daß er sie dem Adelstolze seiner Verwandten geopfert hatte. Julie war der Frau von Z. übergeben, und Sie sollten nach Kolmar geschickt werden. Ihr Vater wendete alle Feinheit an, um das Demüthigende dieser Abfindung mit seiner Schwester vor mir zu verbergen; ich empfand es aber sehr bitter.

Hätte ich weisen Rath gehabt, so hätte mein mit Recht gereiztes Gefühl auf einen guten Weg geleitet werden können; allein wie ich war, verfehlte ich ihn.

Von dem wehmüthigen Gedanken: ich würde die Kinder geliebt haben, ging ich zum herzlichen Hasse gegen die Familie des Herrn von Helm über; sie diesen empfinden zu lassen, wußte ich nichts Besseres, als meinen Mann ganz zu fesseln und allgemeine Bewunderung zu erwerben. Nach der Hochzeit machte ich der Frau von Z. meinen Besuch, suchte sie durch meinen glänzenden Anzug zu ärgern und Juliens Herz, so geschickt als es mir in der kurzen Zeit möglich war, zu gewinnen. Die Kleine fand die junge, lebhafte Mama, die ihr eine Menge Bonbons und eine Puppe mitbrachte,[154] die so schön und geschmackvoll angezogen war, als die Mama selbst, viel liebenswürdiger als die grämliche Tante. Als ich Abschied nahm, wollte sie mit mir gehn; ich ließ gegen die theuere gnädige Schwägerin ein beißend empfindsames Schwärmerchen fliegen und stieg mit kindischem Triumphe in den Wagen.

Mit Ihnen, Karl, ging es anders. Sie waren ein schöner, trotziger Knabe, verzogen, aber nicht verzärtelt, abgehärtet, ohne roh zu sein. Sie erkannten das hübsche Fräulein, das Ihnen Balsam auf die Stirn gestrichen hatte. Sehen Sie, es ist geheilt! sagten Sie und wiesen mir Ihre glatte Stirn. Ich liebkoste Ihnen fast wehmüthig, denn Ihre Tante war nicht da, und dieser Augenblick machte mir Ihren Vater lieber, als er mir noch je gewesen war. ›Nimm dich aber in Acht, daß Du nicht wieder fällst.‹ – ›Haben Sie noch von dem Balsam?‹ – ›Gewiß.‹ – ›Nun so sollen Sie mich auch wieder heilen.‹ – Und dabei schlangen Sie Ihre Arme um mich.

Sie reisten ab, und für Alles blieb mir nur Eitelkeit zum Ersatz. So lebte ich einige Jahre in nichtsbedeutenden Zerstreuungen. Herr von Helm genoß meiner Triumphe, genoß des allgemeinen Geständnisses, sein Haus wäre das artigste, seine Frau die schönste in der ganzen Stadt.

Nach vier Jahren sollte ich Mutter werden. Meines Mannes Freude war sehr groß. Ich war zu verirrt, mein Gefühl war zu unausgebildet, zu tief eingeschlafen, als daß ich mich eigentlich gefreut hätte. Gute Gertrude! Dies ist der einzige Zeitpunkt meines[155] Lebens, an dessen Erinnerung sich wirkliche Reue geknüpft hat. Das Andenken von Irrthümern, die aus Leidenschaft, aus Schwäche begangen wurden, wird von der Zeit wohlthätig gemildert; aber Vergessen der Natur! – O meine Tochter, liebe Deinen holden Knaben, freue Dich seiner. Ich sah seitdem manche Mutter an der Leiche ihres Kindes verzweifeln und beneidete ihre Thränen, ihr Geschrei.

Es war beschlossen worden, daß ich meinen Knaben nicht selbst stillen sollte. Der Gebrauch war damals allgemein; Anstand, Sittsamkeit, Philosophie, Empfindsamkeit, Alles schien ihn in Schutz zu nehmen, alle Welt betete nach, und überall hatte man Ammen. Auch mein Knabe hatte eine. Er bekam Zahnfieber, ließ sie nicht schlafen; sie gab ihm aus Ungeduld eine große Dosis Opium – das Kind starb.«

Frau von Helm schwieg; sie hatte die letzten Worte kaum mit zitternden Lippen aussprechen können. Gertrude weinte und drückte ihren Knaben, der auf ihrem Schoose schlief, an ihr Herz.

Nach langer Stille fing Amalie gefaßter wieder an: »Wie verworren ist der Menschen Urtheil und Sinn. Ein unbesonnenes Weib kann durch Vernachlässigung mehre Kinder kränklich zur Welt bringen, kann die zarte Pflanze verdorren oder ausarten lassen: der Gatte ist darum nicht beschimpft, das Weib nicht entehrt; keine sittliche Übereinkunft rächt, statt des Gesetzes, diese fürchterliche Unnatur, diesen schaudervollsten Mord. Und jenes arme, verirrte Weib, die treu über ihre Kinder wachte, die von ihnen allein Freude[156] empfing, begegnet einem Manne, der ihr alles Das sein kann, was derjenige nicht ist, der die Güte hatte, sie bei der Geburt jedes dieser Kinder, von den Gesetzen autorisirt, dem Tode auszusetzen – und ihre Ehre, ihre Ruhe, ihr Bewußtsein sind auf immer dahin, sind mit Recht verwirkt! Sagt mir aber, Ihr Weisen und Menschenkenner, ob es nie möglich sein wird, die Erziehung und die Gesetze, die Sitten und die Sittlichkeit mit einander in Übereinstimmung zu bringen?«

Frau von Helm glaubte sich damit wieder gleichgültig raisonnirt zu haben und fuhr in ihrer Erzählung fort.

»Um mich zu zerstreuen, machte ich eine Reise. Kurz vor ** brach unser Wagen und mußte in einem Dorfe ausgebessert werden. Die Langeweile trieb mich umher, ich sah einen Haufen Kinder spielen, unter diesen ein sehr zerlumptes und ausnehmend schönes Mädchen von etwa acht Jahren. Ich rief sie zu mir; die große Freimüthigkeit, mit der sie mir antwortete, entzückte mich. Sie sagte mir, sie wäre die Tochter des Herrn von K., ihre Mutter wäre bald nach ihrer Entbindung gestorben, und nun lebte sie bei dem Großvater. – Ich fragte, ob der Vater denn Kostgeld für sie zahlte? – ›Bewahre!‹ antwortete sie, ›der T... bezahlt Kostgeld! Großvater sagt, er hätte wie ein Heide an mir gehandelt.‹

Wenn ich etwas Menschenkenntniß und ein gebildetes Gefühl gehabt hätte, so würde ich hier nicht Schamlosigkeit und Härte mit Naivetät und interessantem[157] Trotze verwechselt haben. Das Kind bezauberte mich. Ich dachte mir es als eine höchst angenehme Beschäftigung, als etwas Rührendes, Schönes, die Bildung dieses unglücklichen Geschöpfes über mich zu nehmen; ein dunkles Gefühl von Wehmuth in der Erinnerung an mein Kind kam hinzu; ich bat Herrn von Helm, mir die Kleine von ihren Verwandten zu verschaffen. Er bot mir mit seiner gewöhnlichen Gefälligkeit bei meinem Projecte die Hand. Die Unterhandlung ging sehr leicht von Statten: die Großältern der armen Verlassenen schienen jedes Gefühl von Menschlichkeit in ihrer Mutter Grab verscharrt zu haben, und die rohen gräßlichen Flüche, die sie gegen des Kindes Vater aussprachen, waren die einzige Anerkennung ihrer Verwandtschaft mit der Tochter.

Ich nahm die kleine Christine mit nach M., wo wir uns einige Zeit aufhalten wollten. Ich kleidete sie, putzte sie, setzte sie in alle Rechte eines Schooshündchens oder Eichhörnchens ein. Wozu ich sie bestimmte, das war meine geringste Sorge; fürs erste freute ich mich nur, daß sie so schön war: ich ließ zehnerlei neue Kleidungsstücke für sie zurechtmachen, und so oft ich ihr etwas anprobirte, erzählte ich ihr, wie elend ihr voriger Zustand gewesen wäre, und wie lieb sie mich haben müßte.

Wir kehrten nach Hause zurück. Ich fing an, ihr Unterricht zu geben. Sie hatte noch weniger Kopf zum Lernen als ich zum Lehren; aber zur Musik zeigte sie Anlage. Diese allein bildete ich aus, weil es mir leicht wurde, weil es mir den Genuß verschaffte, Christinchen[158] bewundern zu hören, und ich erschuf mir den Grundsatz, zum Lesen, Schreiben, Nähen, Stricken wäre das Kind noch zu jung. Sie wurde bald unleidlich eitel, und in dem Maße, wie Andere sie bewunderten, nachlässig gegen mich. Ich legte mich nun darauf, ihr über Undankbarkeit vorzupredigen, ihr die Aussicht vorzuhalten, daß sie ohne meine Wohlthaten verhungern müßte. Das Mädchen fühlte mich ungroßmüthig, tyrannisch und sann auf Unabhängigkeit.

Man hält Kinder für zu unerfahren, für zu beschränkt, um einige Consequenz zu haben; vornehmlich um es sich selbst bequem zu machen, überläßt man sich gern dieser Meinung. Aber man kennt die Kinder nicht; man weiß nicht, aus wie vielen Abstractionen einerseits ein Kind sein Ideengebäude zusammensetzt, und wie sehr es auf der andern Seite Alles um sich her nur aus Einem Gesichtspunkte betrachtet, sobald es diesen Einen gefaßt hat. Christine hatte sich einmal überzeugt, ich thäte ihr Unrecht, weil ich den Neigungen zum Putze, zur Weichlichkeit, zur Trägheit, zur Koketterie, die ich selbst in ihr erweckt hatte, widerstreben wollte. Nun mochte ich thun, was ich wollte, so stimmte sie Alles zur Undankbarkeit und führte sie zum Verderbniß.

Bewunderte man ihren Gesang, ihr Spiel auf der Zither, so stimmte ich bald selbst mit ein; oft riß mich ihre wirklich reizende Gestalt hin, oft schmeichelte ich ihr um der Andern willen. Dagegen spielte sie ihrerseits auch, zuweilen durch eine angenehme Empfindung bestochen, zuweilen aus List, um noch mehr Lob zu ernten,[159] die Komödie der Zärtlichkeit gegen mich. So kam Falschheit zu ihren Fehlern hinzu, und Verdacht, daß ich falsch gegen sie wäre, und Geringschätzung und Nichtachten meines Raths, und Nichtachten des Guten und Rechten.

Doch lernt im Ganzen ein Kind das Böse immer erst, nachdem es Böses gethan hat; Anfangs hat es nur Nachahmung, oder Instinct, zu versuchen. Könnte man ihm verbergen, daß es gelogen hat, so wüßte es nicht, was Lügen ist und wozu es nützt. Im System der Strafen müßte es gegründet werden, daß ein Kind in dem Lügen nicht den Nutzen, unangenehme Empfindungen zu vermeiden, erkennte, bis die reifende Vernunft es lehrte, die Lüge zu verachten.

Ich aber säumte nicht, Christinen der Heuchelei zu beschuldigen. Nun wußte sie, wie das hieß, worauf sie ohne Vorsatz verfallen war; sie lernte, was damit ausgerichtet würde; sie wußte, es wäre etwas Böses für Die, gegen welche man es gebrauchte, für sie, wenn man es gegen sie gebrauchte, aber etwas, das sie zu einem angenehmen Zweck führte, wenn sie es zur rechten Zeit und klug und glücklich gebrauchte.

Welcher schöne Stoff, über die menschliche Verderbniß zu wehklagen, was ziemlich darauf hinausläuft, daß man sich um diese keine grauen Haare wachsen läßt, oder über einen satanischen Charakter Wunder auszurufen, was so manchen Schauspieldichtern und Romanenschreibern gewonnene Sache macht.

Das Mädchen war zwölf Jahre alt geworden. Ihre Lust an den Opern, die bei uns gegeben wurden,[160] ging bis zur ausschweifendsten Leidenschaft: meiner Verkehrtheit getreu, bestimmte ich ihr das Besuchen der Oper zur Belohnung, das Zuhausebleiben zur Strafe.

Ihr musikalisches Talent gab Anlaß, daß Sänger von der Oper in unser Haus kamen. Ich bemerkte, daß sich Empfindungen in ihr entwickelten, zu denen es noch sehr früh war. Diese Entdeckung stieß so unsanft gegen die Reinheit meiner Sitten und meiner Begriffe, daß sie mein innerstes Gefühl traf und mir endlich die Augen öffnete. Ich sah, daß ich das Mädchen völlig falsch erzog; aber wie wenig erkannte ich, was ich an ihr verschuldet hatte! Ich, die ich nie deutlich an ihre Bestimmung gedacht hatte, nahm mir plötzlich vor, sie auf dem Lande zur künftigen Frau eines braven Schulmeisters oder Verwalters bilden zu lassen. Aus Trägheit, Weichlichkeit, Blindheit fuhr ich fort, mit ausgesuchter Unvernunft zu handeln. Ich hielt dem Mädchen eine äußerst überdachte Rede, die ich mir einbildete, aus dem Grunde meines Herzens geschöpft zu haben. Ich stellte ihr – sie war gegen vierzehn Jahre alt – ihr Unrecht, ihre Falschheit, ihre Lasterhaftigkeit vor, und verkündigte ihr die Nothwendigkeit einer gänzlichen Umänderung ihrer Lebensart; ich setzte ihr auseinander, wie es künftig auf dem Lande, wo man sie zu allen Hausarbeiten anleiten würde, mit ihrer Kleidung gehalten werden sollte; im Gefühl, wie besonders kitzlich dieser Punkt war, führte ich gleichsam als Entschuldigungsgrund an, sie sei kein Kind mehr, und die schönen Kleider, die Flöre, Bänder, Blumen seien in ihrem Alter nicht mehr schicklich.[161]

Das Mädchen hörte mich stöckisch an, veränderte keinen Zug und sah doch mit jedem Augenblick widerwärtiger aus. Als sie ging, weinte ich; denn ich liebte sie, sofern man unvernünftig lieben kann; sie machte bei meinen Thränen ein Gesicht. Ich fühlte mich von ihr verachtet und schauderte – und wie ich nach sechs Wochen erfuhr, daß sie mit einem Opernsänger entlaufen war, wunderte ich mich nicht, und wie mir nach vier Jahren zu Ohren kam, sie wäre in B. als Operistin an einer gewaltsamen Faussecouche gestorben, ahnete ich nicht, daß ich ein Hauptglied in der Kette dieses abscheulichsten Schicksals gewesen war.

Ich habe jetzt Alles zusammengefaßt, was Christinen betraf. Ich kehrte zurück. Während ich meine leichtsinnige, leere Rolle in der Welt fortspielte, hatte ich im Innern meines Hauses zuweilen trübere Stunden. Der Verlust unsers Sohnes hatte meinen Gemahl ernster gerührt als mich, oder vielmehr, er hatte die Rührung nicht, wie ich, zurückgewiesen. Er fing an, sich nach seiner Tochter zu sehnen: sie war mit ihrer Tante dem Herrn von Z. nach ** gefolgt, wo er einen Gesandtschaftsposten bekleidete; er sprach oft von ihr, und ich war unbillig genug, mich dadurch für beeinträchtigt zu halten. Unbefriedigt durch meine glänzende Lebensart, überredete ich mich, daß ich sie nur um seinetwillen, um ihm zu gefallen und ihm Ehre zu machen, gewählt hätte: mit aller Kleinlichkeit eines verzogenen Weibes meinte ich hintangesetzt zu sein, weil ein Vater, ein einsamer Vater nach seinen Kindern verlangte.

Herr von Helm reiste endlich nach Kolmar, um[162] seinen Sohn dort abzuholen und ihn auf einer Universität seine Erziehung vollenden zu lassen. Es war gerade in der Zeit, da Christine aus unserm Hause entfernt wurde. Mit eigennützigem Vergnügen – so verkehrt und verdorrt war mein Herz – erfuhr ich, daß Sie durch ein sonderbares Ungefähr, in dem nämlichen Augenblick, wo Ihr Vater die gelehrte Laufbahn für Sie erwählte, die vortheilhafteste und ehrenvollste Gelegenheit gefunden hatten, in den Kriegsdienst des Königs von Frankreich zu treten. Herr von Helm kam äußerst erfreut, obschon durch jene unerwartete Wendung Ihres Schicksals auf die unbestimmteste Zeit von Ihnen getrennt, wieder zurück. Christinens Entweichung war während seiner Abwesenheit vorgefallen, und gab den Anlaß zu einer ganz neuen, sehr stürmischen Epoche meines Lebens.

An dem Tage, wo ich diese Nachricht erhalten hatte, besuchte ich eine Gesellschaft. Ich erschien sehr betroffen von dem widrigen Vorfall; er wurde mit aller verkehrten Weichlichkeit, aller leeren Ziererei des Gefühls, womit ein Zirkel artiger Damen so etwas behandelt, zum Gegenstande des Gesprächs. Es waren mehre Fremde zugegen, unter Andern ein Officier, den man mir vorgestellt hatte; aber ich hatte nur auf den Titel und nicht auf den Namen gemerkt. Man sprach natürlicherweise von meiner schönen Handlungsweise an dieser Schlange, die ich in meinem Busen genährt hätte. Ein paar liebe Freundinnen, die im Grunde ihres Herzens spotten mochten, daß meine Phantasterei mit diesem Mädchen so zu Schanden[163] geworden war, strichen meinen Edelmuth heraus, und veranlaßten mich endlich, die Art, wie ich Christinen gefunden hatte, selbst zu erzählen. Die Umstände, unter denen ich mich heute jenes Vorfalls erinnern mußte, rührten mich wirklich, und ich gerieth bei meiner Erzählung in ein sehr gefühltes Pathos. Natürlich verschwieg ich den Namen, unter dem man mir des Mädchens Vater angegeben hatte; indem ich aber bemerkte, daß der fremde Officier mir mit einer auffallenden Spannung zuhörte und jener Name mir während des Erzählens durch das Gedächtniß ging, war ich plötzlich versichert, daß es der nämliche war, unter dem man mir den Mann vorgestellt hatte.

Das war nun wirklich einmal etwas wirklich Pikantes! Ich betrachtete den Officier mit vieler Aufmerksamkeit; er nahte sich mir und suchte, ob er gleich durch einen fremden Gegenstand zerstreut schien, den ganzen übrigen Abend mich zu unterhalten.

Er war ein schöner Mann, etwas über dreißig; er hatte in der Welt, die ihn erzogen hatte, alles Gift eingesogen, was frühe Erfahrung, männlicher Muth, eine eisenfeste Gesundheit und ein kaltes Herz ihn nur aufnehmen ließen. Der Augenblick unserer Bekanntschaft war sonderbar und spannend. So lange hatte ich das Kind dieses Mannes um mich gehabt, er war mir so lange als Verbrecher bekannt gewesen, und in diesem Augenblick spielte ich den anklagenden Engel gegen ihn, rief die Geister seiner Sünden auf – Alles kam zusammen, um mir den Mann interessant zu machen.[164]

Indem wir zusammen sprachen, trat ein Bedienter herein, der etwas an ihn auszurichten hatte und ihn bei seinem Namen nannte. Ich hatte mich nicht geirrt. Es war der Name von Christinens Vater, und sein Betragen dazu gerechnet, wurde meine Vermuthung zur Gewißheit. Ich fühlte mein Gesicht glühen; sein Auge traf eben auf das meinige: er bat mich mit einiger Verwirrung um die Erlaubniß, sich in meinem Hause aufführen zu lassen und ging.« –

Amalie hielt hier inne. Sie hatte heute mit weit mehr Ernst und trüben Erinnerungen gesprochen, als den ersten Tag. Auch die Zuhörer waren in einer Stimmung, die es ihnen nicht nahe legte, auf die Fortsetzung zu dringen. Feldberg besonders sah finster vor sich hin.

Nach einigem Stillschweigen, während dessen Frau von Helm sich mit ihrer Handarbeit beschäftigt hatte, richtete sie ihre Augen, die von einer trüben Wolke überschattet waren, auf Gertruden: »Laß mich heute, liebe Tochter,« sagte sie; »morgen komme ich wieder zu Euch.« Sie küßte Gertruden und ging aus dem Zimmer.

Sie ließ ihre Freunde in einer unbehaglichen Stille zurück. Feldberg entfernte sich. Gertrude beschäftigte sich mit ihrem Knaben; ihr Mann betrachtete sie beide schweigend: stille, kindlich ehrerbietige Furcht, das Unrecht einer geliebten Mutter zu erfahren, sprach aus dem Schweigen des edeln Paars.

Gertrude war sehr betroffen, den ganzen folgenden Tag ihre Mutter nicht zu sehen. Am Abend schickte sie[165] zu Amalien und ließ zärtlich nach ihrem Befinden fragen. Sie erhielt ein Zettelchen voll Liebe zur Antwort. Amalie schrieb, daß sie heute durch nothwendige Briefe abgehalten würde.

Am zweiten Tag schickte sie, anstatt selbst zu kommen, ein Packet Papiere, deren Inhalt wir hier mittheilen.


»Es wird mir unmöglich, Euch heute mündlich zu erzählen, und doch quält es mich, daß ich Euch nicht vor Augen haben werde, indem Ihr dieses leset.

Lieben Kinder, guter Feldberg – denn Sie werden ja diese Blätter auch lesen – meine Eitelkeit leidet nicht darunter, daß meine Verirrungen Euch bekannt werden. Was that ich anders, als einen Menschen für gut halten, der es nicht war? Ich ward betrogen, weil ich redlich war. Ein zweites Mal betrog ich mich selbst.

Ich habe hier einige Blätter für Euch aufgesucht, einige geschrieben. Als ich Euch neulich zu erzählen anfing, fühlte ich das Ziel, an welchem ich mich befinde, lebhafter als die Erinnerung des Weges, der mich dahin geführt hat. Nachher aber empfand ich vieles heftiger, als mein ruhig schlagendes Herz es jetzt gewohnt ist – darum ist mir Schreiben nun lieber. Auch mußte ich ein paar Mal Ihres Vaters, mein guter Karl, erwähnen. Ich darf hoffen, daß er neben mir keines größeren Glücks entbehrte; ich bin mir bewußt, keinen seiner[166] Wünsche vereitelt zu haben – aber bei dem Gedanken, meine Gertrude werde dieses lesen, erröthen zu müssen, ist für mein weiches, stolzes Herz eine hinreichende Strafe, wenn ich auf eine Glückseligkeit Anspruch machte, zu der mich die Natur bestimmt hatte, der zu entsagen aber mir Klugheit und Sitte geboten.«


»Am Morgen nach jener Gesellschaft empfing ich diesen Brief:

›Sie könnten den Schritt, den ich wage, auf das härteste auslegen: Sie würden mir durch eine solche Auslegung das bitterste Unrecht thun.

Ich stelle mich freiwillig als Schuldigen vor den Richterstuhl, vor welchem rein zu erscheinen ich am sehnlichsten wünschte; ich bitte da um Schonung, um Nachsicht, wo ich gern mit allen Vorzügen des Verdienstes begünstigt erschienen wäre.

Gnädige Frau – ich bin Christinens Vater!

Eher kann ich aus dem reizenden Munde, der gestern dieses unglücklichen Mädchens Schicksal beklagte, den strengsten Urtheilsspruch vernehmen, als meinem Herzen, das Sie so neue, so schmerzlich schöne Empfindungen lehrten, Stillschweigen auferlegen. Zu meiner Entschuldigung weiß ich nichts – gar nichts zu sagen. Und die wunderbarste Verzauberung treibt mich, meine Schuld noch durch das Bekenntniß zu erschweren, daß ich bis gestern Abend den ganzen Vorfall nicht für wichtig ansah, daß noch jetzt mein lebhaftestes Gefühl[167] Dank gegen Sie ist, die Sie einen Theil meines Unrechts gut machten und mir das Mittel verschafften, weiter gut zu machen.

Dieser Gedanke gibt mir den Muth, diese Zeilen zu schreiben; denn noch bin ich ungewiß, ob ich recht urtheilte, wie es mir gestern schien, daß Sie in mir Christinens Vater erkannt hätten. Ich sah Ihr Auge, bestürzt, dann forschend auf mir ruhen, dann sich ernst abwenden und nicht wieder dem meinen begegnen.

Aber nicht das allein beobachtete ich; ich erkannte auch die sanfte Güte, mit welcher Sie gegen einige der Anwesenden die schmerzliche Reue mit in Anschlag brachten, die der Verführer von Christinens Mutter empfinden müßte, wenn er sein Kind auf der Bahn herzloser Thorheit, so nannten Sie es, fände.

So menschlich fühlten Sie meine Beschämung und suchten die Seite des Verbrechens hervor, welche am ersten Mitleiden verdienen konnte –

Edle Seele! Sie wurden nicht verstanden; man schalt fort: der Leichtsinnige, dessen Gegenwart außer Ihnen Niemand geahnet hatte, ward unbarmherzig verurtheilt, und Sie standen in Ihrer reinen Milde allein.

Christine hat sich Ihrem Schutz entrissen, und Sie können nichts mehr für sie thun. Mich aber binden Geschlecht und Sitte nicht; ich kann noch auf ihr Schicksal wirken. Herr von ***, bei dem ich gestern das Glück hatte, Sie zu sehen, bot mir an, mich bei Ihnen einzuführen; ich konnte mich nicht entschließen, in zweideutiger Ungewißheit vor Ihnen zu erscheinen. Sollte Ihre strenge Tugend mich zurückweisen wollen,[168] so spreche wenigstens der Wunsch, Gutes zu befördern, in Ihrem Herzen für mich. – Alexander von K.‹

Der Brief überraschte, befremdete, ärgerte mich. Um ihn ganz zu beurtheilen, hatte ich zu wenig Erfahrung und Menschenkenntniß; doch fand ihn mein Gefühl schwankend, grundsatzlos, süßlich. Ich war einen Augenblick versucht, den Besuch abzuwehren; nur besorgte ich, K. möchte mich für einen Tugenddrachen halten, und zudem schien es mir Gewissenssache, Christinen eine Stütze zu verschaffen und sie da durch vielleicht auf einen bessern Weg zu bringen. Ich ließ Herrn von K. sagen, sein Besuch würde mir angenehm sein.

Sein Betragen war voll der feinsten Aufmerksamkeit; seine Äußerungen verriethen Leichtsinn und Verderbniß, aber gegen die gewöhnliche Politik oder vielmehr den gemeinen Schlendrian der Männer seiner Art, schien er von einer exaltirten Meinung von dem Werth unsers Geschlechts durchdrungen, und hatte, wie soll ich sagen? wissenschaftlich, ein sehr feines Gefühl für alles weibliche Schöne.

Zufällig und ohne Arg erwähnte Herr von ***, der ihn bei mir einführte, bei diesem ersten Besuch der Lebensart, in welche Christine sich geworfen hatte. Das Gespräch spann sich aus; es befremdete mich sehr, daß K. diese Laufbahn für ebenso gut als eine andere erklärte. Nach seiner Meinung hatte Christine, um ihren Schritt zu rechtfertigen, keine andere Bedingung auf sich, als es in ihrer Kunst zu wirklicher Vollkommenheit zu bringen. Er sprach natürlicherweise als[169] unbefangener Dritter – ich müßte, sagte er, wofern ich mich des Mädchens noch annehmen möchte, sie nur von dieser umherziehenden Truppe zu trennen suchen, und sie in Hände geben, welche ihr Talent gehörig ausbilden könnten.

Ich erklärte lebhaft, daß ich mich nie mit meinem Gewissen dahin abfinden würde, eine Person meines Geschlechts freiwillig einer Lebensweise zu übergeben, die sie so weit von aller weiblichen Bestimmung abführte. Alles, was er darüber gegen mich vorbrachte, war geistreich und schmeichelhaft; auf vieles hatte ich nichts zu erwidern, aber es hatte einen lügenhaften Glanz, den ich um so lieber in seiner Blöße aufgedeckt hätte, als ich selten über solche Gegenstände mit Jemandem gestritten hatte, der so viel über unsre Lage in der Gesellschaft nachgedacht zu haben schien.

Ich müßte Euch nun meine innere Stimmung in jenem Zeitpunkt schildern können. Es war, als wenn alle meine Gefühle langsam einer heftigen Gährung entgegengereift wären. Der tägliche Wirbel von Vergnügungen war mir nachgerade so schaal geworden, daß ich hatte versuchen wollen, mehr zu Haus zu sein. Ich las: bei meiner Art zu sein, fiel ich zu meiner Zerstreuung besonders auf Romane. Der Zufall machte mich jetzt zum ersten Mal mit einigen Meisterwerken in diesem Fache bekannt. Die Schilderung von Saint-Preux Leidenschaft für Julien, das schöne, abscheuliche Schicksal der Manon Lescaut und ihres Geliebten, ein paar andere Gemälde von gleichem Werth, lehrten mich einsehen, was es wäre, geliebt zu werden:[170] ich empfand, daß dies die Blüte des Lebens, der Punkt sei, wo unser Glück zur höchsten Entwickelung gedeiht, und dann berechnete ich, daß die Jahre meiner Jugend ohne dieses Gefühl entschwunden waren: ich verblühte, ohne geblüht zu haben. Weich, schwermüthig brauchte ich Empfindung, und Befriedigung dieses Bedürfnisses konnte ich bei meinem Gemahl nicht hoffen. Ich las also mehr, und immer mehr, und nie mochte es einen vom Romanenlesen verdrehteren Kopf gegeben haben, als der meinige damals war.

An Romanenschicksale glaubte ich nicht, ich rechnete nicht auf solche, ich liebte sie nicht: Romane, die viel Geschichte enthielten, fesselten mich nicht einmal; mich zog nur Ausdruck der Liebe, Ausdruck feiner, inniger Gefühle an, wie in den Briefen der Babet, in den Briefen der Miß Fanny Butler, in den Liebesbriefen einer portugiesischen Nonne. So las ich in den Tagen, wo K 's Besuche anfingen, eine engliche Sammlung von Briefen, unter dem Titel Love and madness, die ich immer für mehr als erfunden hielt, besonders da der Handlung des kleinen Romans eine bekannte wirkliche Geschichte zum Grunde liegt – und indem ich mit der Theilnahme eines achtzehnjährigen Mädchens bei diesem Büchern weinte, mischten sich unter meine Thränen auch bittrere, über das Lächerliche, im vierunddreißigsten Jahre zum erstenmal über fremde Liebesqualen zu weinen!

Ich erinnerte mich dann wol an jenen Augenblick meiner ersten Jugend, wo Leichtsinn und Eitelkeit mich zur Undankbarkeit gegen Feldberg verleiteten; er schien[171] mir jetzt der einzige beneidenswerthe meines ganzen Lebens, der einzige, der eine Geltung gehabt hatte.

K.'s Bekanntschaft hatte etwas Romanhaftes in ihrem Ursprung. Seine ersten einsameren Unterredungen mit mir bewiesen, daß er das zu benutzen wußte. Wir geriethen in weitläuftige Streitigkeiten über die Strafbarkeit des Umgangs, dem Christine das Leben zu verdanken gehabt hatte; er wollte ihn in allen Stücken rechtfertigen, und bekannte sich nur wegen der Vernachlässigung seines Kindes für schuldig. Meine Grundsätze waren streng, aber erlernt, also auf Treue und Glauben angenommen; mein Thun war von meinem Sein immer getrennt gewesen, und die Alltäglichkeit meines Schicksals hatte bisher keine Zwietracht unter beiden entstehen lassen; meine Sitten aber waren rein, und sie sträubten sich gegen K.'s System von freier Liebe und Rechten der Natur; aber es fehlte ihnen die einzige sichere Grundlage der Religion.

Doch die gefährlichste Seite dieser Moral für ein unverdorbenes weibliches Herz habe ich in so Manchem, was dagegen gesagt worden ist, nur umgangen gefunden – es ist die Abhängigkeit von dem Gegenstande unserer Liebe, das Gefühl, ihm ganz geweiht zu sein, das uns so werth ist. Der Mann erscheint uns stärker durch unsere Schwäche, und wir fühlen uns reich an Allem, was wir ihm geben.

So sehr diese Idee in jedem Systeme der Verderbniß und der Sinnlichkeit entartet, so sehr sie in einem solchen nur durch entheiligenden, frechen Misbrauch ihren Platz finden kann, so wußte doch K., der[172] sie aufgefaßt hatte, sie mit Lebhaftigkeit und Feuer zu behandeln. Hatte er mir den Eindruck, den sie auf mich machte, abgemerkt, oder war sie ihm ohnehin eine Marotte, die er sich zusammengesetzt hatte, genug, er kam nach mancher Erörterung so weit, mich zu dem Geständnisse zu bringen, daß, wenn die Menschen einfach und gut wären, Liebe allein hinreichend sein würde, um Treue zu erzeugen, und ich mußte ihm mit einem inneren Seufzer zugeben, daß die Kette der Gesetze überflüssig sein würde, um Verbindungen zusammenzuhalten, die von der Natur nie zwischen ungleichartigen Wesen gestiftet werden könnten.

Bei uns Weibern bleiben solche Verirrungen unsers Verstandes nie ohne einen Zusammenhang mit dieser oder jener Faser unsers Herzens, der sie ebenso gefährlich als unschuldig, und oft je edler, desto verderblicher macht. K.'s Reden erhielten nach und nach Beziehung. Der Gedanke, daß ich meine Bestimmung durch meine Heirath verfehlt hätte, schimmerte zwischen uns anfangs nur aus der Theilnahme hervor, die er in trüben Stunden – und diese wurden mir nun häufiger zugezählt – gegen mich äußerte. Diese Theilnahme zerstreute und tröstete mich nicht; aber sie bildete in mir das bestimmte Gefühl, eine solche Empfindung bei einem liebenswürdigen Manne zu erregen, sei ein schönes Glück – und sei mir verboten.

Die feste Überzeugung, daß ich für die Liebe todt wäre, ohne jemals für sie gelebt zu haben, verführte mich zu der gemeinen Chimäre, mich mit Freundschaft zu begnügen. Nun folgte ein langer Zeitraum verworrener[173] Gefühle, wo von meiner Seite Glück und Schmerz, Reue und Zufriedenheit unablässig zusammen abwechselten. Bei aller Unruhe dieses Zustandes, war er doch dem eiteln Treiben und der unbestimmten Sehnsucht, die mich seit meiner Heirath beschäftigt hatten, weit vorzuziehen. Die Gewalt, die ich anwandte, um gegen K.'s Liebe zu kämpfen, überzeugte mich von der Stärke und Wahrheit seiner Empfindung; die Entsagungen, auf welchen ich beharrte, waren mir leicht: ich suchte nicht, mich über meine Gefühle zu täuschen, ich wollte meinem Herzen etwas einräumen, aber mich mit Zucht und Tugend abzufinden, fiel mir nicht ein.

K. mochte bemerken, daß ein Weib, welches Liebe gestand, indem es Erhörung versagte, welches mit Freudenthränen sich jeder Liebkosung entzog, – daß ein solches Weib zur Verführung noch nicht reif wäre. Er ließ mir also zu, zwischen Liebe und Pflicht einen Vertrag zu stiften, bei dem ich hoffte – zwar nicht glücklich zu sein, aber doch den mir einzig übrig gebliebenen Genuß, unglücklich zu lieben, mit meinem Gewissen vereinigen zu dürfen. Dem ersten Freundschaftstraume entwachsen, beschloß ich doch, wenigstens nur Freundschaft zu äußern und nur von Freundschaft zu hören. K. setzte zwar Anfangs allen Widerstand entgegen, der mich fester von seiner Liebe überzeugen und mir die Nothwendigkeit meines Entschlusses fühlbarer machen konnte; aber er sah mich gern in dem redlichen Wahne, meiner Pflicht Genüge geleistet zu haben, weil die leidenschaftlichen Scenen aufhörten, in denen wir lange zusammen fortgestürmt hatten.[174]

Meine und meines Mannes Ehre schien mir jetzt vor dem Publicum sichergestellt, weil die launischen Anfälle von Lustigkeit, Eifersucht, Schmerz, Vertraulichkeit, Entfernung wegfielen, an denen man in der Gesellschaft die geheime Geschichte eines Liebeshandels so leicht zu errathen pflegt. Ich bedachte nicht, daß man nunmehr die gleiche Freundlichkeit, die vertrauliche Theilnahme in meinem Verhältnisse mit K. für einen Beweis ansehen mußte, daß wenigstens Präliminarartikel zwischen uns richtig wären.

Besser als ich bedachte K. das Alles; denn es gehörte wesentlich zu seiner Absicht, daß ich meinen Ruf befleckte. Es ist, als foderte es von dem Verführer sein Gefühl, daß er öffentliche Nichtachtung auf die Unglückliche lade, die er dahin zu bringen sucht, wo auch er sie nicht mehr achten wird.

Ich war inzwischen ruhig. K. hatte viel Kenntnisse, wir lasen und stritten viel zusammen: Er bildete meinen Geist und brauchte wenig Mühe dazu, denn es kam fast nur darauf an, eine Menge Ideen, die ich aufgefaßt hatte, eine Menge Anschauungen, die in mir lagen, zu ordnen. Unsere Streitigkeiten betrafen meistens seine Grundsätze; ich bemühte mich mit innigem Eifer, ihn tugendhaft zu machen – ich spiegelte mir nicht etwa vor, daß es mir gelänge; aber die Schwärmerei, mit welcher er meine Tugend anzubeten vorgab, schien mir, von Leidenschaft und Eitelkeit verblendet, wie ich war, ihn der Tugend schon zu nähern.

Nachdem diese gefährliche, künstliche Verbindung einige Monate gedauert hatte, machte es mich stutzig,[175] daß unter den Büchern, die er mir gab, mehre sehr verführerische, ja sogar sittenlose waren. Ich ging sein Betragen sorgfältig durch, und fand sonst nichts, was mein bitteres Gefühl, daß er es an Achtung gegen mich fehlen ließe, gerechtfertigt hätte. Einige Tage war ich tiefsinnig; er verdoppelte seine zärtliche Theilnahme, ohne je den Ausdruck der ehrerbietigsten Freundschaft zu überschreiten. Nach vielen dringenden Bitten von seiner Seite, gestand ich ihm freimüthig, was mich beleidigt, beschämt, erschreckt hatte. Er gab sich viele Mühe, mir einen Gesichtspunkt aufzustellen, aus welchem man solche Bücher betrachten müßte; er zog eine Scheidungslinie zwischen dem Schönen und dem Belehrenden oder Schädlichen. Das Wahre von Dem, was er sagte, litt aber durch die innere Verlegenheit, die er empfand, mir eine Blöße gegeben zu haben, und ob ich ihn gleich nicht durchschaute, so machten doch seine Sophistereien keinen andern Eindruck auf mich, als daß ich mich beschied, sie nicht zu verstehen, mithin zu streiten aufhörte, und es bei der schlichten, freundlichen Bitte bewenden ließ, er möchte die Bücher zurücknehmen.

Dies war seit langer Zeit wieder der erste Streit zwischen uns. Er störte unser Verhältniß: K. schien beleidigt, ich war unbefriedigt und fühlte es doch als eine unertägliche Last, ihm den geringsten Anlaß zum Unwillen zu geben. Wir schieden mit einiger Heftigkeit von einander; den folgenden Tag sahen wir uns erst in großer Gesellschaft wieder.

Es war Ihrer Schwester Hochzeittag, lieber Karl.[176] Julie hatte ihren Bräutigam an dem Hofe kennen gelernt, wo ihr Onkel Gesandter war; er war jüngerer Sohn einer Familie, welche lauter Lehngüter besaß, und hatte es nur mit der äußersten Mühe erlangt, daß er statt des geistlichen Standes, zu dem ihn sein Vater bestimmte, Kriegsdienste nehmen durfte. In einer von Seiten des Vermögens so ungünstigen Lage liebte er unsere Julie ohne Hoffnung, und doch unter tausend jugendlichen Entwürfen, als der Tod von zwei älteren Brüdern, die bei einer Lustfahrt im Wasser umkamen, ihn plötzlich reich und unabhängig machte. Die Hochzeit wurde in unserm Hause gefeiert. Julie war erst seit wenigen Tagen bei mir; aber ich hatte sie genug gesehen, um bitter zu bereuen, daß ich mir das Glück, mit diesem sanften, liebevollen Geschöpfe zu leben, entzogen hatte. Ich erstaunte über meine Verkehrtheit, ein fremdes Kind auferzogen und meines Mannes Tochter Fremden überlassen zu haben. Ich erröthete vor Scham, daß es der verhaßten Frau von Z. gelungen war, Julien so auszubilden, indeß ich aus Christinen – Mit dem Mismuthe über mich selbst, den ich bei diesen Vergleichungen empfand, verband sich ein wehmüthiges Gefühl bei dem Anblicke des Glückes der beiden Liebenden: sie hatten gelitten, gehofft, ertragen; nun waren sie vereint, sie durften lieben, sie konnten noch lange glücklich sein – sie waren jung.

In dieser Stimmung hatte ich Julien an ihrem Hochzeittage geschmückt. Mit zärtlichen, ja reuigen Thränen sagte ich ihr, daß ich kein Recht als Mutter hätte, ihr Lehren zu geben für ihr künftiges Glück, denn[177] ich wäre nie Mutter gewesen; daß ich kein Recht hätte, als Gattin – Meine Empfindung hatte mich überrascht; denn ich kannte das Glück der Liebe nie, wollte ich sagen, aber Julie schlug erröthend ihre Arme um mich und sagte etwas mir damals Unverständliches, äußerst Zartes und Liebreiches, worüber ich erst späterhin Licht erhielt, wie ich erfuhr, daß man mich als Gattin des Herrn von Helm viel härter beurtheilt hatte, als ich es verdiente.

Für Julien und ihren Geliebten, die nichts als glücklich waren, ging das Ernste der heutigen Feierlichkeit verloren; mich erinnerte sie an jene, die vor so vielen Jahren meine Ansprüche auf ein Glück, das ich jetzt erst kennen lernte, durchstrichen hatte. K. bemerkte meine Rührung, meine Weichheit; er benutzte die Betäubung vom gesellschaftlichen Geräusch, die Spannung von dem Zwang, den die Nothwendigkeit, sich zu beobachten, auflegt, den Ausdruck, der so leicht in halb verständliche, vor Zeugen gesprochene Worte kommt, das Anziehende einzelner, unbeobachteter Augenblicke: mein Herz gerieth in den schmerzlichsten Aufruhr; daß ich ihn in das tiefe Gefühl meiner verfehlten Bestimmung blicken ließ, galt für ihn dem Geständniß der zärtlichsten Gegenliebe gleich. Ich konnte nicht länger unter Menschen sein und floh in mein Zimmer. Der Ball war nach der Abendmahlzeit wiedereröffnet worden; ich glaubte mich allein, ging in der heftigsten Bewegung auf und ab, als K. unangemeldet hereintrat.

Du bist ein sittsames, weichfühlendes Weib, Gertrude; du denkst und empfindest männlich, mein Sohn,[178] und Ihr schaudert vor der Infamie, ein vertrauendes Weib betrügen zu wollen. Denkt Euch mein Entsetzen, als K. meine Bitte, mich jetzt zu verlassen, mir mit Muth beizustehen, damit kein Rausch der Leidenschaft jedes Band zwischen uns zerrisse, mit einem Ungestüm beantwortete, der mir mit Blitzesschnelle entdeckte, aus welchem schimpflichen Gesichtspunkt er mein ganzes Betragen beurtheilte, welche Absicht das seinige leitete.

Meine erste Bewegung war Verzweiflung, betrogen und beschimpft zu sein; sogleich aber hob sich mein Stolz – ich befahl ihm, mich zu lassen, und strebte mit meinem Arm, den er hielt, nach der Schelle über dem Kamin. Er sah meine Bewegungen halb mit Erstaunen, halb mit Spott und ließ mich betroffen los, da ich die Schelle wirklich ergriff und heftig klingelte. Meine Kammerfrau stürzte erschrocken herein; ich sagte ihr trocken, Herr von K. befinde sich nicht wohl und wünsche eine Sänfte, um sich nach Hause zu begeben; ich machte ihm eine Verbeugung und taumelte – denn mein Herz brach – aus dem Zimmer.

Ich sah ihn nie wieder; aber jeder Tag belehrte mich durch Erinnerung mehr und mehr, wie sehr mich Leidenschaft verblendet hatte – Leidenschaft! Mich, das verblühende Weib, die Gattin eines Greises! An dem Tage, wo ich seine Tochter zum Altar führte, hatte ich durch meine Schuld in solcher Gefahr gestanden!

Mit jedem Tage durchbohrte mich die Erkenntniß neuer Fäden des Gewebes, in welches er mich verstrickt hatte: freie Grundsätze, verführerische Lecture, künstliche Zurückhaltung – nur ein Wunder hatte mich vor dem[179] Elend verwahrt, durch meinen Fall Dem unterthan zu werden, den ich, früher oder später, immer verachtet hätte.

Ein Wunder dünkte es mich damals, zu meiner gerechten Strafe. Jetzt darf ich es ohne Unbescheidenheit denken, der Augenblick mußte immer erscheinen, wo wir Beide erfuhren, das wir uns geirrt hatten.

Mein Wohnort war mir unerträglich, meine Gesundheit litt durch die Stürme in mir; ich nahm des Arztes Rath, nach dem **er Bade zu reisen, willig an. Ich konnte es in dem Geräusch, das mich hier umgab, nicht aushalten und zog mich nach den ersten acht Tagen von allen gesellschaftlichen Zirkeln zurück, um allein auf meinem Zimmer zu bleiben.

Einst wurde ich des Nachts durch einen ungewöhnlichen Lärm in einer anstoßenden Wohnung aufgeweckt. Ich erkundigte mich, was es gäbe; ich hörte, eine französische Dame, die erst den vorigen Abend spät angekommen wäre, hätte einen heftigen Blutsturz bekommen und ränge mit dem Tode. Ich vernahm deutlich in den stillern Augenblicken das Schluchzen und die schmerzlichen Ausrufungen einer, wie mir schien, weiblichen Stimme. Das Mitleiden trieb mich aus dem Bette; es fiel mir ein, daß die Leute, von lauter Deutschen umgeben, Mühe haben könnten, sich verständlich zu machen, und ich entschloß mich, zu meiner unglücklichen Nachbarin hinüberzugehen.

Ich fand eine ältliche Frau in der traurigsten Erschöpfung auf ihrem Bette; ihre Bedienten waren wirklich in der größten Verlegenheit, mit den Hausleuten fertig zu werden. Ich trat leise an das Bett und[180] sagte zu der Kranken in ihrer Muttersprache, ich sei ihre Nachbarin und wünsche ihr dienen zu können. Sie schlug ein paar schöne, nun erloschene Augen auf und bewegte lebhaft ihre vorher matt hingestreckten Arme gegen ihren Sohn. Dieser war es, dessen Stimme ich für eine weibliche gehalten hatte; er richtete sich bei meinen Worten rasch auf und rief mir mit dem Ausdruck der Verzweiflung zu: O Gott, retten Sie meine Mutter! – Der junge Mensch wäre mir von diesem ersten Anblick unvergeßlich geworden: ein feines, schwarzes Haar, das eine blendend weiße Stirn bedeckte, ein ovales Gesicht, worin Schwärmerei und Muthwille stritten, eine Gestalt, die für siebzehn Jahre zu zart und doch kein Alter bezeichnete. Ich sagte ihm einige tröstende Worte. Eine bejahrte Kammerfrau und ein noch älterer Bedienter wußten ihre dankbare Freude, sich Jemanden verständlich machen zu können, nicht genug auszudrücken; ich ging ihnen in Wartung der Kranken zur Hand; allein unsre Sorgfalt war vergeblich, gegen den Morgen kam ein neuer Anfall, und die Kranke erstickte in meinen Armen.

Den Augenblick vorher hatte sie in convulsivischer Angst mit einer Hand eine der meinigen an sich gerissen und mit der andern ihren Sohn gefaßt. Ich war unendlich erschüttert. Der Schmerz des jungen Menschen hatte die ganze Heftigkeit bisher glücklicher Jugend, die überzeugt ist, schrecklicher könne kein Schicksal sein als das ihre; zugleich kämpfte er gegen seinen Schmerz mit einer Anstrengung des Willens, die weit über seine Jahre ging.[181]

Die Bedienten sagten mir, ihre Herrschaft sei aus Lothringen gewesen, sie habe einen berühmten deutschen Arzt über ihre Gesundheit zu Rathe gezogen und auf seine Weisung dieses Bad besucht, wo der Vater des jungen Chevaliers in wenigen Tagen auch eintreffen werde, um ihn von da nach *** zu bringen; der Vater liebe Deutschland und sei darum Willens, seinen Sohn auf einer deutschen Universität seine Studien vollenden zu lassen.

Es wurde beschlossen, den Marquis, der unterwegs sein mußte, hier zu erwarten. Unterdessen verließ mich der Chevalier keinen Augenblick; die Sonderbarkeit unsrer ersten Zusammenkunft hatte uns des Bekanntschaftmachens überhoben. Als Zeugin des Todes seiner Mutter war ich gleichsam in einen Theil ihrer Rechte getreten: nur ich hatte sie gesehen, nur mit mir konnte er von ihr reden. Er hatte sie unendlich geliebt; sie war durch fortwährende Kränklichkeit in den Stand gesetzt worden, ihrem Hang zum häuslichen Leben zu folgen, und erfreute sich ihrer ununterbrochenen Sorgfalt für die Erziehung ihres Sohnes um so mehr, als sie einen Gehülfen gefunden hatte, der allen ihren Wünschen entsprach. Dieser war vor wenigen Monaten gestorben; sein Tod hatte den Entschluß der Ältern bestimmt, den Chevalier bis zu seinem Eintritt in die Welt in Deutschland leben zu lassen.

Der Anstand erlaubte dem Chevalier nicht, Gesellschaft zu sehen; meine Stimmung verleitete sie mir, und nichts konnte mich auf eine angenehmere, schmeichelhaftere[182] Weise beschäftigen, als die Anhänglichkeit dieses sonderbaren kindlichen Jünglings.

Ich weiß nicht, wie seine Führer die unschuldige Naivetät neben der Heftigkeit von Gefühl, in einem Alter, wo die Sinne ungestüm erwachten, hatten leiten wollen. In der Folge unsers Umgangs erkannte ich mit Erstaunen, welche richtige Begriffe von Recht, die er sich selbst immer nur als Gesetze der Ehre vorstellte, ihn in seiner raschen Handlungsweise stets begleiteten.

Sein Vater kam endlich an, ein Weltmann, der über den Tod seiner Gemahlin nicht sehr betroffen war, dafür aber meine Theilnahme für seinen Sohn mit etwas zweideutiger Beflissenheit erkannte und durch ein feines Lächeln mein Herz schmerzhaft schlagen machte, als der Chevalier, mit dem Ausdruck der süßesten Schmeichelei gegen mich und mit wirklicher Heftigkeit gegen seinen Vater, dessen galante Dankbarkeit ihn entrüstete, zu ihm sagte, er nähme es auf sich, seiner schönen Mutter – so nannte er mich – selbst abzutragen, was sie um ihn verdient hätte.

Der Marquis ergötzte sich sehr an dem lebhaften Jüngling; er besprach sich mit mir über seines Sohnes Aufenthalt in Deutschland, und da ihm nur daran lag, ihn an einen Ort zu bringen, wo er ihn Bekannten empfehlen könnte, so willigte er gern in die Bitten seines Sohnes, der, anstatt nach *** zu gehen, mich nach unsrer Residenz zu begleiten wünschte. Ich meinerseits konnte ihm versprechen, daß mein Gemahl väterlich für den jungen Menschen sorgen würde. Der Chevalier war außer sich vor Freude; er küßte meine[183] Hände, rief tausend Mal, nun sei er wieder unter den Augen seiner Mutter – Wollen Sie aber auch ganz meine Mutter sein? fragte er; werde ich Ihnen Alles sagen, Alles von Ihnen bitten dürfen? – Ich streichelte lächelnd dem kindischen Schwätzer die Stirn; er hielt meine Hand an seinen Mund, und von seinen Augen fiel eine Thräne auf sie herab.

Mein Zögling kam wenige Tage nach mir in der Residenz an. Er fand sich durch die Bemühungen des Herrn von Helm, der meiner Theilnahme an dem jungen Menschen auf das gütigste zur Hand gegangen war, gleich völlig eingerichtet. Er entzückte jede Gesellschaft durch seine Schönheit, seine Alles vor sich hinreißende Lebhaftigkeit; er interessirte alle Männer durch seine Lernbegierde; mir schuf er eine neue Welt in meinem Herzen durch seine schwärmende, kindische, herrschsüchtige Anhänglichkeit.

Beschriebe ich sein Betragen, so würde Niemand begreifen, wie es nicht hätte befremden müssen, und Niemanden, der es sah, fiel der Gedanke ein, warum man dieses Kind – denn ihn ein Kind zu nennen war die Aushülfe aller Derer, die nicht Muth hatten, sich über seine Unarten zu ärgern – dieses Kind so duldete.

Er schwatzte mit mir das thörichtste Zeug, plagte mich, machte mich ungeduldig, bis ich ernsthaft sagte: Chevalier, Sie misbrauchen meine Nachsicht; dann wandte er sich gegen Herrn von Helm: O mein Herr, rief er, Ihnen dürfte sie das nicht sagen! Nie durfte sie es Ihnen sagen, und Sie machten sie noch nie ungeduldig[184] – ich möchte so vernünftig sein als Sie, so alt als Sie, damit ich nur meiner schönen Mutter Zorn nie mehr zu fürchten hätte. Herr von Helm lachte zu gutherzig; ich erröthete vielleicht mehr, als ich um des Chevaliers willen hätte thun sollen, denn in seinem Geschwätz war mehr Instinct als Schelmerei.

Ich fühlte indessen bald, daß in des jungen Menschen Betragen eine Leidenschaftlichkeit kam, die mich in Verlegenheit setzte. Ich sah mich – und hier war nicht Verführung, nicht Falschheit – ich sah mich geliebt über Alles, mit allen Kräften einer Feuerseele geliebt, die nichts hoffte und nichts fürchtete, keinen Zweck, keine Absicht hatte, unwillkürlich brannte, und für mich brannte.

Nur in einem Bilde kann ich meine Stimmung beschreiben. Es war die Wirkung der unverhofft belebenden Sonne in Oktobertagen; sie vergoldet das sterbende Laub, lockt junge Blumen hervor, die sich, freundlich verwundert über ihr unerwartetes Dasein, dem Lichte öffnen; aber ehe ihr Kelch den warmen Stral aufnimmt, tödtet sie der kalte Nachtreif.

Der Chevalier wurde plötzlich tiefsinnig, ernst, weich. Diese Erscheinung war mir unbegreiflich: ich zitterte für seine Gesundheit, für seine Sittlichkeit. Anfangs suchte ich ihn aufzuheitern; er erkannte es mit der lebhaftesten Zärtlichkeit, ging auf Augenblicke in ausgelassenen Muthwillen über, verließ mich dann plötzlich, um sogleich zurückzukehren und wieder in die vorige Laune zu fallen.

In meiner Unruhe äußerte ich gegen Herrn von[185] Helm den Wunsch, über seine Gänge und Gesellschaften nähere Auskunft zu haben. Wir erfuhren, daß der Chevalier vor einiger Zeit einen Abend unter sehr übel berufenen Menschen zugebracht hatte, seitdem aber nicht wieder mit ihnen gesehen wurde, sondern allein blieb, oder auf dem Lande umherschwärmte. Diese Nachrichten hatten für mich etwas unaussprechlich Schmerzliches und Empörendes. Ich fühlte als Mutter meinen Sohn dem Laster hingegeben, als Weib ein Wesen, das mir so ganz angehörte, mir so schändlich entrissen; ich fühlte – mit Schamröthe, mit demüthigendem Schmerz fühlte das alternde Weib Eifersucht, Neid – Meine Vernunft zürnte über meine Phantasie, und ich zitterte vor des Jünglings Anblick.

Doch siegte nach langem Kampfe mein besserer Geist. Unsere Verhältnisse, des jungen Menschen Lage, wie er gefehlt habe, was er fühlen mochte: das Alles stand hell vor mir, und meine Schwäche selbst zeigte mir den einzigen Weg, den ich hier zu gehen hatte. Bei seinem nächsten Besuch war der Chevalier launischer, heftiger als je. Ich redete ihm freundlich zu; ich bat ihn, in keinem Falle sein Vertrauen zu mir schwächen zu lassen, nie, auf welche Abwege er auch gerathen sein möchte, zu fürchten, daß mir irgend ein Geständniß weher thun könnte als die unerklärte Veränderung in seinem Charakter.

Er setzte sich in unruhiger Zerstreuung neben mich. Wie er aber anfing ruhiger zu werden, sagte ich liebreich zu ihm: bin ich nicht ihre Mutter? muß ich nicht an meinem Sohne Theil nehmen, wie er sich mir auch[186] zeige? – Er ließ mich kaum ausreden und rief, heftig aufspringend: Nein, nein! Nicht diesen Namen, diesen theuern Namen, den ich nicht hassen möchte –

Ich sah ihn voll Entsetzen an. Ich fühlte nur das undankbar Harte seiner Worte; wirklich ich fühlte jetzt nur mütterlich. – Louis! rief ich durchdrungen, mit einem Strom von Thränen, als er vor mir niederstürzte, unter Schluchzen, mit Zittern, mit der Furchtsamkeit und der Glut erster Jugend mir ein Geständniß that, vor dem ich zitterte, das ich erwartete, und zu dessen Empfang ich darum nicht gefaßter war.

Ich suchte den Gesichtspunkt, aus welchem ich den Vorfall betrachten, nehmen sollte; aber ich konnte die beiden Bilder: diesen Jüngling in der Gesellschaft, die er vor einigen Tagen besucht hatte, und nun liebend zu meinen Füßen, nicht neben einander ertragen; mein Gefühl empörte sich immer heftiger. Sie haben Recht, Chevalier, sagte ich endlich, indem ich kalt vor ihm hintrat: nicht mehr Mutter! Der unglückliche Jüngling, der das Gefühl der Schande so verlor, den Hauptmann von O. auf seinen Gelagen zu begleiten, der die Freundin so beleidigte, die ihm seine Mutter auf dem Todtenbette gegeben hatte, kann und soll mir diesen Namen nicht mehr geben.

Er erhob sich und sagte ruhig: Gefühl der Schande verloren? – Er schien nachzudenken. Ich war mit dem Hauptmann, meine Mutter, sagte er; ich ging aus Thorheit mit ihm, ich kam rein von seinem Gelage zurück, rein wie ein Kind – wie ein Gimpel,[187] meine gütige, ungerechte Mutter! setzte der junge Thor hinzu; mich ekelte jene Gesellschaft an, denn ich liebe Sie, ich bete Sie an –

Ich war nun gefaßt; ich erinnerte mich, wie ich alle die Kindereien vor diesem Auftritt angesehen hatte, und ich fing ein freundliches Gespräch an, worin ich ihn selbst zu bereden suchte, der jetzige Vorfall sei eine Verirrung seiner Einbildungskraft, die er leicht wieder auf den rechten Weg lenken würde.

Meine Bemühungen gelangen nur halb; es folgte noch mancher Augenblick, wo mir das Gefühl, daß nur Vernunft, die kälteste Vernunft mich leiten dürfte, daß ich über Louis' Leidenschaft nur lächeln dürfte, schwer und bitter ankam. Nach mehren Monaten – denn über diese Vorfälle war der Chevalier nahe an ein Jahr bei uns – ward sein Betragen ruhiger; er war nicht mehr stürmisch und ungleich, er nannte mich wieder seine Mutter, aber nicht mehr seine schöne Mutter; er war weniger muthwillig, gegen mich ehrerbietiger, achtsamer gegen Herrn von Helm; ich genoß seufzend die Freude, den tändelnden Knaben zum Mann werden zu sehen.

Während der Winterlustbarkeiten begleitete mich der Chevalier, so oft ich ausging, und so oft er allein in einer Gesellschaft gewesen war, erzählte er mir am andern Morgen mit all' seinem Leben und Leichtsinn die Geschichte des verflossenen Abends. Ein hartnäckiges Schnupfenfieber hatte mich aber eine Zeitlang zu Hause gehalten; anfangs wollte der Chevalier darum auch aus unsern gewöhnlichen Zirkeln wegbleiben, ich beredete ihn aber, sie nach wie vor zu besuchen, und an einem[188] Morgen kam er glühend, freudetrunken, bezaubert von der Anmuth und den Reizen der Fräulein von B., die den Abend vorher zum ersten Mal auf dem Ball erschienen war, zu mir.

Ich erschrak über mich selbst, als mir die Entdeckung, daß der Chevalier nun wirklich lieben würde, wie ein Dolch durch das Herz fuhr. Doch faßte ich mich, ließ ihn reden, ließ ihn in den folgenden Tagen alle Wechsel von Glück und Unglück, die einen jungen Liebhaber treffen können, vor meinen Augen durchgehen; ich wurde es gewohnt, seine Vertraute zu sein, und ich fing an, meinem Sohne zu rathen, ihn zu belächeln oder zu bedauern, wenn er mit der Sitte haderte, die ihn zwang, trotz seiner französischen Zuversicht etwas deutsche Behutsamkeit in seine Leidenschaft zu bringen.

Seit ich seine Liebe kannte, hatte ich mich nicht überwinden können, unsere Gesellschaften wieder zu besuchen. Jetzt fühlte ich, daß ich diese Schwachheit mit unerbittlicher Strenge aus meinem Herzen reißen müßte. Ich überzeugte mich bald, daß Auguste von B. der ernstlichen Huldigung des Chevaliers nicht werth war. Es schmerzte mich, und ich lächelte darüber. Die arme an Mutterstatt Angenommene kämpfte unter den Menschen mit bitterer Laune und weinte insgeheim Thränen so heiß als im achtzehnten Jahre –

Damals wüthete der amerikanische Krieg. Es ging die Rede, der König von Frankreich würde den Insurgenten mit Truppen beistehen. Der Chevalier sagte, wenn das geschähe, so müßte die Sache der Rebellen die gerechte sein, denn seine Landsleute würden[189] ihr unfehlbar den Sieg verschaffen. Man zog ihn auf, fragte ihn, ob er sich mit einschiffen wollte; er beantwortete den Scherz mit der phantastischen Bravour, die im Munde seiner Landsleute außerhalb des Schlachtfeldes oft zweideutig klingen kann.

Eines Abends trat er zu einer ungewöhnlichen Zeit in mein Zimmer. Er hatte Papiere in der Hand, seine Augen funkelten. Meine zärtliche, meine gütige Freundin, rief er, lieben Sie Ihren Louis! Vergessen Sie ihn nie – in zwei Tagen reise ich nach Brest ab, mein Vater hat mir eine Stelle unter den Truppen verschafft, die sich dort einschiffen.

Ach, jetzt sah ich nur meinen Sohn in ihm! Vor mir stand die blasse, schon leblose Gestalt seiner Mutter, wie sie den weinenden Jüngling auf mich anwies. Schnell drängten sich die zwei seitdem verflossenen Jahre in meiner Vorstellung zusammen. Nun schied er von mir, so ganz verändert, so viel liebenswürdiger, so viel reifer zu tausendfacher Gefahr. Ich ließ meinen Thränen freien Lauf. Ihn hatte seine jugendliche Phantasie schon ganz zum Helden umgeschaffen. Und Auguste? fragte ich endlich, lächelnd unter meinem Schmerze, um sein heroisches Geschwätz zu unterbrechen. – Auguste! rief er, hielt inne; Thränen drangen aus seinen Augen, er beugte sich über meine Hand: O meine Mutter, indem ich freudig meine Laufbahn antrete, fühle ich nur den Schmerz, Sie zu verlassen; gegen diesen ist alles Andere Thorheit, Posse! Meine Lorbern lege ich einst meiner Mutter zu Füßen, oder – falle ich in dem[190] Kampfe, so werden diese gütigen Augen allein um mich weinen.

Und so war es auch!

Der liebenswürdige Thor eilte nach Brest. Ehe der Krieg beendigt war, erhielt ich diesen Brief in französischer Sprache von einer unbekannten Hand:

›Am 17. August 1782 früh um acht Uhr rückten unsere Truppen aus. Der Kampf war hitzig, der Sieg blieb unser; unter vielen tapfern Männern fiel der Chevalier de ***, der acht Tage vorher von unserm braven General auf dem Schlachtfelde zum Capitain ernannt worden war. Er starb zwei Stunden nach dem Gefechte. Vor seinem Tode befahl er mir, den obigen Zeilen, die er mit schon starrer Hand geschrieben hatte, diese Nachricht hinzuzusetzen. – Labourdaie, Feldchirurgus.‹

Oben stand von des Chevaliers Hand, fast unleserlich:

Adieu, meine geliebteste Mutter. Ihr Louis.‹

Er hatte mehr schreiben wollen – stirbt, vermuthlich, wie ein noch angefangener Buchstabe zeigte.

Ihr werdet nun begreifen, warum ich nicht mehr mündlich erzählen wollte. Nach dem dreißigsten Jahre sind die Leidenschaften nicht mehr Spiel, nicht mehr Sommergewitter, nach welchem der Himmel schöner lacht. Sie sind Orkane im Spätjahre, schütteln gewaltig die letzten Blätter von den Zweigen, zerschlagen die letzten Blumen, und die gebleichte Sonne kämpft fortan vergebens, der erstarrenden Natur aufzuhelfen.[191]

Wie Sie zurückkamen, mein guter Karl, beweinte ich meine Jugend, mein unnütz verflossenes Leben, meinen Gatten, dem ich vielleicht Alles war, was er verlangte, bedurfte, ohne daß ich es fühlte, ohne daß es mich befriedigte, der mich so wenig verstanden hatte, mir so wenig sein wollte oder konnte; nur die sterbende Hand jenes guten, heroischen Schwärmers hatte mir das einzige Zeugniß hinterlassen, daß mein Dasein nicht ganz ohne Werth für Andere gewesen war.

War es Plan bei Ihnen, mich nach und nach in das thätige Leben zu ziehen? Verdankte ich die theilnehmende Güte, mit der Sie mich aufzuheitern suchten, die bescheidene Achtung, mit welcher Sie meinen Rath und Beistand verlangten, nur dem Mitleiden, das Ihnen meine gehaltlose Existenz einflößte?

Mit Sehnsucht hatte ich in Ihnen einem Wesen entgegengesehen, an dem ich meine Schuld gegen Natur und Gefühl, die beide mein leeres, egoistisches Leben verdammten, abtragen könnte, ohne mein ewig seiner Jahre vergessendes Herz von Neuem in Gefahr zu bringen. Aber auch mit reuiger Scham hatte ich Sie empfangen: ich fühlte, Karl, daß ich es war, die Sie in zarter Jugend in die Welt hinausgetrieben, daß um meinetwillen nicht väterliche Sorgfalt, nicht mütterliche Liebe Sie erzogen hatten, sondern ›die Zeit und das ewige Schicksal.‹

Wie Sie nun kamen! Wie ich, da Sie mich zum ersten Male als Mutter begrüßten, zum ersten Male ohne schwankende Bitterkeit daran dachte, daß die Jahre der Jugend dahinwären; wie Jeder, der Sie[192] sah, mir zu solch einem Sohne Glück wünschte; wie ich bald mich zu jung fühlte, weil ich, Ihre wahre Mutter zu sein, nicht alt genug war, und Sie mir jedes nähere Band des Herzens theuer machten; wie Sie Ihre Gertrude liebten und ich Ihre Vertraute ward –

Mein Sohn, da lernte ich meine Bestimmung erkennen. Das gefährliche Spiel des Gefühls, als der arme, schwärmende Chevalier mich Mutter nannte, und das sanfte Bewußtsein, womit ich von Ihnen diese liebe Benennung empfing – oft stellte ich diese beiden Empfindungen zusammen; Schamröthe und Dank gegen Sie wechselten bei mir ab: aber je mehr ich Sie sah, je mehr ich erkannte, daß ich Ihnen werth, nützlich war, desto heiterer blickte ich in die Zukunft, und die Wolken meiner Vergangenheit klärten sich mir auf. Noch mehr ward ihr finsterer Eindruck verwischt, als Feldberg zurückkam; seine Empfindung für mich schien in der langen Reihe von Jahren nur entwickelt, gereift worden zu sein, seine Freundschaft knüpfte den Zeitpunkt meiner sorglosen Jugend an meine jetzige, nun nicht mehr verlorne Existenz – –«


Karl las noch, als Frau von Helm plötzlich neben ihm stand; sie hielt ihren Enkel auf dem Arme, haschte ihrem Sohne die Blätter aus der Hand und rief mit heiterer Rührung: »Genug, und schon mehr als genug! Ich wollte Eures und meines Gefühles schonen, indem ich Euch[193] meine Leiden und Irrthümer in diesen Blättern erzählte; mein Glück, nützlich zu sein, wo ich es darf und muß, leset Ihr in meinen Augen, hört es von meinem Munde – –«

Karl war aufgesprungen und hielt seiner Mutter Hand in der seinen; Gertrude umfaßte sie mit inniger Zärtlichkeit – Feldberg, auf dessen Gesicht während des Lesens Ernst, Rührung, Nachdenken abgewechselt hatten, unterbrach jetzt Amalien – »Amalie,« rief er »knüpfte ich die Tage Ihrer ersten Jugend an den gegenwärtigen Zeitpunkt – o so lassen Sie uns den Irrthum des Schicksals das in dem trüben Zwischenraume uns trennte, wieder gut machen! Einst, Amalie, hoffte ich, Ihnen das Glück meiner früheren Jahre verdanken zu dürfen – schenken Sie meinem Alter die Seligkeit, die mir ein Leben noch wünschenswerth machen kann, das noch nie durch Gegenliebe verschönt wurde –«

Er hatte bittend ihre Hand ergriffen. »Feldberg,« sagte sie, – »wollen Sie mich wieder aus dem Hafen treiben, wo dies Herz allein Ruhe findet? Kommen Sie in diesen Kreis« – sie zog ihn zu sich, vereinigte ihres Sohnes Hand mit der seinen, drückte Beide an ihre Brust, schlang ihren einen Arm um Gertruden und ihr Kind, und unter Thränen der freudigsten Rührung fuhr sie fort – »So – Freund, Bruder, Sohn! – so in Eurer Mitte, kann dies weiche, liebende, unweise Herz ohne Furcht das Alter herannahen lassen – die Jahre werden mein Haar bleichen, aber Eure Liebe gibt mir eine bessere, eine ewige Jugend zurück.«

Quelle:
Therese Huber: Erzählungen. Theil 1–6, Teil 5, Leipzig 1830–1833, S. 121-194.
Erstdruck:
Wien (Anton Pichler) 1800.
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