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Ich hörte die gebildeten Menschen der höhern Classe oft von dem Kirchenthum, wie es noch heute durch Gesetz und Sitte besteht, wie von einem Hinderniß der Volksveredlung sprechen. Das bewog mich schon mehrmals, dieser Classe Darstellungen vor die Augen zu bringen, von der Einwirkung, welche das Kirchenthum, wie es jetzt noch besteht, auf das Volk hat. Die Begebenheiten, die ich erzähle, sind so trivial, daß sie sich täglich in jedem Dorfe wiederholen können; die Sitten so treu gezeichnet, daß leider wol auf zehn Edelhöfen die Besitzer einer den andern mit dem Finger deuten mögen, als hätte ich sie gemalt. Ich malte keinen Einzelnen; ich wollte damit den aufgeklärten Menschen unser Volksthum in religiöser Rücksicht bekannt und ihnen begreiflich machen, daß es nicht darauf ankomme, seinen Kirchenglauben zu ändern, sondern seine Priester zu erziehen; daß es gar nicht darauf ankomme, daß das Volk sich weniger von ihnen leiten lasse, sondern daß sie es besser zu leiten verstehen. Meine Darstellung soll zeigen, wie der veredeltere Mensch auch der edlere Priester wird,[269] und eben so auch das gläubigere Kind der Kirche der bessere Mensch sein muß. Der Graf in Acha hatte das eingesehen, und deshalb sein Benehmen gegen Theorrytes und seine Gemeine. Wenn der Leser aber Theorrytes heute am Altar seiner Kirche erblickte, läse er gewiß in der hohen Zuversicht seiner Stirn, daß die letzte, höchste Weihe, die den Edeln zum Priester der Gottheit, nicht nur der Kirche erhebt, die Weihe eines würdig zurückgelegten Lebens, ihm über die Verwaltung der ihm anvertrauten Geheimnisse beruhigende Aufschlüsse gab. Diese Weihe kann auch keinem von uns entstehen, wenn wir unser Leben so ordnen, daß es sie zu verstehen gebildet wird.[270]
In einem schönen fruchtbaren Landstrich des südlichen Deutschlands lebte vor mehreren Jahren der Rentbeamte eines Reichsgrafen, ein Mann, wie so viele, die auf dem ebnen Lebenswege gern das Gute thun, aber im Augenblick der Versuchung durch sinnliche Triebe erhitzt, das Rechte nicht mehr unterscheiden können. Waldner, so hieß dieser Mann, heirathete die Nichte eines benachbarten Prälaten; sie ward in dem englischen Kloster zu Augsburg fromm und pflichtehrend gebildet, und liebte ihren Mann sehr. Der Prälat hatte ihr eine Aussteuer gegeben, und ihr bei jedem Kinde hundert Dukaten Pathengeschenk versprochen; aber ein Erbthum nicht. Er sagte, sie solle sich freuen, Mutter zu werden, und sich seines langen Lebens freuen, nicht, daß sie ihn bald zu beerben wünschen möge. Sie war kaum verheirathet, so starb Waldner's Graf; sein einziger Sohn und Erbe war ein kalter, ernsthafter Mann; er hatte als österreichischer Offizier den siebenjährigen Krieg mitgemacht, hatte mit einem steifen Arm, als Folge einer Wunde, gleich nach dem Frieden seinen Abschied genommen und darauf einige Jahre in mehreren Hauptstädten von Norddeutschland[271] gelebt. Zuletzt hielt er sich einige Zeit bei einem Freunde in der reichsten Gegend des protestantischen Schlesiens auf, wo ihn der Landbau vorzüglich beschäftigte. Ebenso beobachtete er den unermüdlichen Fleiß der Sachsen im angrenzenden Gebirge, und bildete sich die Art von Absichten für Menschenwohl, welche ohne viel Rücksicht auf der Einzelnen Glückseligkeit zu Verbesserungen führt, sobald uns die Mittel in die Hand kommen. Wie sein Vater starb, ward er durch seine Armwunde, deren schlechte Heilung eine nochmalige Operation erfoderte, von der Abreise nach seinen angeerbten Herrschaften abgehalten; er schickte einen Bevollmächtigten, die Geschäfte bis zu seiner Ankunft zu übernehmen, doch mit dem ausdrücklichen Befehl, den bisherigen Wirkungskreis keines Beamten zu unterbrechen.
Von dem Augenblick, da der alte Graf starb, ward Waldner so bestürzt, daß Monika, so hieß seine Frau, bald wahrnahm, die Betrübniß um seinen Tod, so ein guter Herr er ihm gewesen, sei nicht allein daran Schuld. Er hatte ihn auch gar wenig gekannt; denn er lebte immer in Wien, und kam er einmal auf seine Güter, so war, außer der feierlichen Begrüßung der hohen Herrschaften, kein Verkehr zwischen ihnen. Waldner war aber nicht zu beruhigen; er zog sich aus allen Gesellschaften, die er bis dahin in der Nachbarschaft fleißig besucht hatte, zurück, verkaufte seine Kutschpferde, bot dem Prälaten seine neue Kalesche zum Verkauf an, und antwortete auf seine ärgerliche Bemerkung: er hätte weiser gethan, solche thörichte Ausgabe vorher zu berechnen, als nachher zu bereuen, mit so wilden Reden, daß[272] Monika ihren Oheim fußfällig bat, ihm doch zu verzeihen. Nun ward Waldner noch finsterer. Sie besann sich auf alle seine Schritte, und fand nirgends Unrecht in ihnen, es fiel ihr wol ein, daß er viel mehr Aufwand mache, als sie vor ihrer Ehe sich bei seiner Einnahme hätte versprechen können; sie hatte ihm aber auch eine namhafte Summe zum Brautschatz mitgebracht, und erbot sich freudig, ihr Hauswesen zu beschränken. Waldner wies ihre Bemühungen, seinen Gram zu theilen oder zu zerstreuen, bald mit Ungeduld, bald mit Kälte zurück, und benahm ihr dadurch den Muth, ihm jetzt, in diesem Augenblick, eine Entdeckung anzuvertrauen, die für sie von der größten Wichtigkeit schien. So lange er so finster umherging, konnte sie ihm nicht mittheilen, was sie für die größte Freude des Lebens hielt. Oft dachte sie freilich, die Nachricht, Vater zu werden, sollte ihn heilen; wenn sie sich aber vorstellte, er könnte so gleichgültig dagegen bleiben, wie gegen ihre Bitten und Liebkosungen, glaubte sie den Schmerz darüber nicht ertragen zu können, und behielt ihr liebes Geheimniß für sich. Diese Angst hatte schon einige Wochen gedauert, da blieb Waldner eines Abends so lange aus, daß es Nacht wurde und er noch nicht da war. Monika wartete ängstlich, als ein Jägerbursche hereinkam und ihr sagte: ihr Herr ginge unten in der Wiese an der Ache spaziren, und sei so vertieft, daß er ihm auf seinen Gruß gar nicht gedankt habe. Monika eilte schnell durch den Garten dem stillen tief fließenden Wasser zu. Die Ufer waren mit Gebüsch bewachsen, das Waldner gepflegt und schlängelnde Wege hindurch geführt hatte. Es war[273] schon recht dunkel, als Monika ihren Mann erblickte, der am Ufer mit gefalteten Händen stand wie Einer, der betet. Sie rief ihm von dunkler Ahnung erschreckt. Der Unglückliche that einen Schrei und sprang vor sich hinein in den Fluß. Monika flog, ihrer Sinne kaum mächtig, herbei. Um Deines Kindes willen, rief sie, um des Kindes willen, das ich in dem Schoos trage, rette Dich! – Sie konnte das hinzusetzen, denn Waldner war, da Monika's Zuruf seinen verzweifelten Entschluß übereilte, über den Ort, wo er stand, irre geworden, und an einem Platz ins Wasser gesprungen, wo er wol nie, aber bei dem jetzigen niedern Wasserstand gewiß nicht ertrinken konnte. Wie er seinen Irrthum wahrnahm, wollte er den Fluß durchwaten bis an die entgegengesetzte Seite, die er tiefer zu sein wußte; aber mochte Monika's Zuruf seine Kräfte lähmen, oder das starkströmende Wasser ihn zum Straucheln bringen – er kam nicht schnell genug hinüber, sondern erblickte noch sein Weib, die unter den angstvoll wiederholten Worten: Dein Kind! Dein Kind! durch die Büsche geeilt war, und jetzt im Begriff stand, ihm nach ins Wasser zu stürzen. Sie mochte es wol gethan haben; denn wie er sie auf seinen Armen nach Hause brachte, waren sie Beide gleich durchnäßt. Aber Beide waren nicht mehr finster und angstvoll, sondern Monika weinte und lächelte, und zitterte voll Freude, und erzählte, wie Waldner, um vom jenseitigen Ufer schnell zu ihr zu kommen, durch's seichte Wasser gewaten sei, und sie ihm in der Angst nachgesprungen, weil er in eine Untiefe gerathen. Waldner war sanft und[274] freundlich; er bediente seine Frau, die er sogleich zu Bette gebracht hatte, mit der sorgfältigsten Liebe, und ging immer wieder abwärts ans Fenster und betete heimlich. Die Wahrheit war aber, daß Waldner wie ein thörichter Jüngling auf der hohen Schule gethan, und anstatt nach erlangtem Amt erst seine Schulden zu zahlen, und dann seinen Haushalt seinen Mitteln gemäß anzufangen, dem alten Sprüchwort zufolge: das Licht an beiden Enden angezündet hatte. Er richtete sein haus über seinen Stand ein; die Gläubiger, die seine Versorgung erfuhren, drängten sich zu ihm, das Sparen war durch den verkehrten Zuschnitt seiner Lebensweise unmöglich geworden, und er zahlte seine Universitätsschulden aus seines Herrn Kasse – mit dem festen Vorsatz, den Verlust zu ersetzen, mit der Zuversicht, es ungefährdet thun zu können, da der alte Graf stets viele Jahre hingehen ließ, ohne von seinen Verwaltern Rechnung zu fodern. Aber der alte Graf starb, er sah den schrecklichen Augenblick der Entdeckung voraus, und endlich erhielt er den Befehl, mit dem nächsten Monat seine Kasse zu stürzen. Waldner sah keine Rettung, als die ihm des Prälaten Güte versprach. Sein Vorsatz war redlich; er fing damit an, seinen Aufwand zu beschränken; er wollte dem Prälaten einen überzeugenden Beweis seiner Sinnesänderung geben, und bot ihm seine Kalesche zum Verkauf an, um hiermit seinem Geständniß den Weg zu eröffnen – aber der alte Mann kränkte durch seine strenge Bemerkung seine ärmliche Eitelkeit, er verscheuchte sein Vertrauen, und auf dem Abweg von Reue zur Verzweiflung wäre er in den[275] Abgrund des Todes gestürzt, wenn ihn nicht die Stimme der Natur zu seinem Weibe und künftigen Kinde zurückgerufen hätte. Er entdeckte jetzt Monika seine ganze Lage und seine Unfähigkeit, Schande zu ertragen; eine Unfähigkeit, die er selbst jetzt, da ihn das Bewußtsein eines beabsichtigten Selbstmordes drückte, nicht zu überwinden vermochte. Monika kannte ihres Oheims Frömmigkeit und die Strenge ihrer Kirche gegen den Selbstmord, aber sie berechnete nur den Werth einer geretteten Seele, und verließ sich darauf, ihren Gatten auf immer von seinen Thorheiten geheilt zu sehen. Mit Zittern und Zuversicht ging sie zu ihrem Oheim. Wie innig die gute Seele vor ihm betete, bat und gelobte! – endlich das Höchste gelobte, was sie sich an Glückseligkeit versprach – ihr Kind, wenn es ein Sohn sei, dem Priesterstande zu weihn; Gott zu danken, wenn er jetzt seinen Vater errettete. Der Prälat blieb unerbittlich gegen Fehler, vor denen seine strenge Regel und finstrer Sinn ihn immer gehütet hatten; Alles, was er zugestand, war die Vorausbezahlung der hundert Dukaten, die er ihr bei seiner bevorstehenden Gevatterschaft versprochen. Diese Summe und der Verkauf manches Ueberflusses deckte den Kassendefekt noch nicht; aber mit der Anstrengung, recht zu thun, wuchs in Monika's Seele der Muth, Alles dem Rechtthun zu opfern; sie legte es ihrem Mann zur Pflicht auf, seinem Gutsherrn sein Vergehen zu gestehen und seine Güte gegen Frau und Kind in Anspruch zu nehmen. Die Gewohnheit, Rettung als möglich zu denken, hatte Waldners Unfähigkeit, Schande zu ertragen, geschwächt; das[276] Bewußtsein, zur Wiedererstattung das Mögliche gethan zu haben, hatte die Schärfe seiner Reue abgestumpft; er ließ sich von seiner Frau zu dem schrecklichen Geständniß bereden. Der neue Gutsherr kam an. Waldner erbat sich an dem Tage, da er seine Rechnung ablegen sollte, ein geheimes Gehör und gestand sein Vergehen. Diese Anstrengung überstieg seine Kräfte. Noch ehe ihn der Graf ganz verstanden hatte, sank der arme Mann ohnmächtig vor ihm hin. Der Graf stand ihm schonend bei und entriß ihm durch seine Milde die ganze Geschichte vom versuchten Selbstmord und Monika's Liebesmuth und Gelübde, und wie sie ihr künftiges Kind verarmt hatte, um durch seinen Pathenpfennig seine Schuld zu vermindern. Die Darstellung von seines Weibes Tugend gab ihm jetzt Muth. Er flehte: ihn um Monika's willen nicht zu entehren, nicht zu verstoßen; ihm regelmäßig die Rechnung abnehmen und in monatlichen Zahlungen seine Schuld tilgen zu lassen. Der Graf war sehr erschüttert. Er suchte Waldner Fassung zu geben, versprach ihm Verschweigung des Vorgefallenen und baldigen Entschluß über seine Zukunft. Noch an demselben Tage kam er, wie zufällig, in Monika's Wohnung. Er fand sie in Haushaltsgeschäften, reinlich, thätig, bescheiden; nicht ängstlich, den Grafen zu gewinnen, aber bemüht, ihren Mann bei ihm ins vortheilhafteste Licht zu stellen. So fand er sie bei wiederholten Besuchen. Dann sagte er zu Waldner: daß die Vergangenheit vergessen sein sollte. Um so einer Gattin willen müsse ein Mann jeder bösen Neigung entsagen können, darum wolle er ihm trauen, aber streng[277] über ihn wachen. Der Graf that das, und Waldner erleichterte ihm die Mühe durch die strengste Redlichkeit in seinem Beruf. Doch ein Gemüth, das je der Sünde Sklave ward, behält die Narbe der Fessel. Es ist kein freigebornes Wesen mehr. Das erfuhr auch Waldner. Eitelkeit und Sinnenlust waren ausgerottet aus seiner Seele; Frömmelei und Kasteiungen traten an ihre Stelle. Darum ward seine Redlichkeit ängstlich, und seine Liebe für Weib und Kind blieb freudenlos. Monika gebar ihm einen Sohn, den sie Theorrytes nannte, weil er schon im mütterlichen Schooße zum Priester geweiht war. Nach einigen Jahren gebar sie auch eine Tochter; Rosa lebte aber kaum ein Jahr, so starb Waldner an einer zehrenden Krankheit, deren erster Keim von jenem Tage an in ihn gelegt war, da Monika's Liebe ihn dem Selbstmorde entriß.
Monika ward eine sehr arme Witwe. Ihr Oheim, der Prälat, war von schmeichelnden Verwandten umgeben, vor Rosens Geburt gestorben, ohne sie, auf die er seinen Unwillen gegen Waldner ausgedehnt hatte, mit einem Legat zu bedenken. Der Graf hatte eine große Heirath geschlossen, die seinen Vorsatz, auf seinen Gütern zu leben, gestört und ihn auf viele Jahre durch einen Staatsdienst in die Hauptstadt gefesselt hatte. Er theilte ihr einen Witwengehalt zu; aber die Unterstützung, welche seine Gegenwart den Bedrängten seiner Herrschaft gebracht hätte, fehlte der schüchternen Witwe. Alle Bedürfnisse, die ihr kleiner Witwengehalt nicht befriedigte, mußte sie für ihre beiden Kinder und eine alte blinde Mutter – das einzige Erbgut, was ihr Waldners[278] Vater kurze Zeit vor ihres Gatten Tod zurückließ, durch ihrer Hände Arbeit herbeischaffen. Sie erzog ihre Kinder in stillem Vertrauen auf Gott. Oft entzog sie sich das Nöthige, um ihnen einen Genuß zu verschaffen; dann legte sie ihnen aber auch Entbehrungen auf, wofür sie ihrer blinden Großmutter eine Freude machen durften. So lernte Theorrytes schon in seinen Kinderjahren, was einst vor vielen seiner Brüder seine Aufgabe sein sollte: entsagen und wohlthun. Sobald er sich seiner selbst bewußt ward, sagte ihm seine Mutter, was sie von ihm gelobt hatte. Man kann nicht sagen, daß sie ihn je geheißen hätte, Priester zu werden; sondern Theorrytes wuchs in dem Bewußtsein auf: er werde es einst sein! Monika hielt ihre Kinder gern von der Dorfjugend getrennt, und obschon ihre Armuth sie hinderte, sie durch etwas anders, als durch sorgfältige Reinlichkeit von ihnen zu unterscheiden, zeichneten sie sich doch durch Bescheidenheit und sanfte Sitten aus. Theorrytes spielte mit Rosa an dem Bach, wo er aus der Felsschlucht hervorströmt; er kletterte mit ihr auf die Hügel; sie bauten in der Kluft eines verwitterten Kalkfelsens eine kleine Kapelle, die Rosa täglich mit frischen Kränzen verzierte, und in die Theorrytes ein altes Marienbild aufstellte, das ehemals die blinde Großmutter in's Haus gebracht hatte. Dieses Plätzchen blieb der beiden Kinder Geheimniß. Sie verbauten seinen Zugang durch Steine und Strauchwerk, und wachten so sorgfältig über seine Sicherheit, daß der Knabe mit List dem kleinen Ziegenhirten Winkelchen des Felsabhanges anzeigte, wo vorzüglich gute Kräuter wachsen sollten, nur um ihn[279] von seiner Kapelle zu entfernen. Hatten sie dort in der Gegend gespielt, so ermangelten sie nicht, vor Heimgehen ihr Bild zu verehren, und wunderbar lieblich klangen die Stimmen der einsamen Kinder, wenn sie Abends den Hügel hinabstiegen und mit mangelhaftem Gedächtniß den alten Lobgesang anstimmten, der sich so anhebt:
Wunderschön prächtige,
Heilige, mächtige
Liebreich holdselige, reine Jungfrau!
Welcher auf ewiglich,
Stündlich verbinde mich,
Ja mich mit Leib und Seel gänzlich vertrau.
Billig mein Leben
Will ich dir geben.
Alles, ja Alles, was immer ich bin,
Geb ich, Maria, mit Freuden dir hin. –
Die guten Seelen wußten nicht, was sie versprachen; aber sie hielten es für das Mittel, das Beste zu leisten.
Obgleich nun Theorrytes nicht mit den Dorfknaben spielen durfte, ward er doch stark und gelenkig, zum Theil, weil er sehr früh die Angelegenheiten von seiner Mutter kleinem Haushalt im nahen Städtchen besorgte, zum Theil weil er sich selbst harte Uebungen auflegte. Die einzigen Bücher, die ihm zu Gesichte kamen, waren heilige Geschichten, wie sie der Landmann auf den Jahrmärkten kauft. Da hatte er die frommen Botschafter am liebsten, die zu wilden Völkern gegangen und unter Gefahren und Entsagungen das Evangelium gelehrt hatten. Nächst ihnen waren ihm die Einsiedler[280] der Wüste sehr lieb. Beide aber bedurften Hunger und Ermüdung zu ertragen. Diese legte er sich freiwillig, oft heimlich, oft unter mancherlei Vorwand auf, und dabei ward er ein schöner gewandter Knabe, der im zwölften Jahre von dem Prälaten der Abtei zu Berlach die Erlaubniß erhielt, als Schüler und Kostkind das Kloster zu beziehen.
Der Sinn, in dem Monika ihr Gelübde gethan hatte, der Sinn, in dem ihr Sohn es löste, durfte wol nicht Aberglaube heißen. Es war Glaube, was in ihr wirkte, Glaube, daß die feste Entschließung, etwas Gutes zu thun, des Guts, warum wir eben beten, uns würdiger mache. Er beruht auf dem andern Glauben: daß Gott in unsern Herzen und in der Zukunft lies't. Sie bot mit diesem Gelübde nicht einen Lohn für seine Hülfe; sondern sie deutete den Werth des Gebotenen an, und schätzte diesen Werth nach der Würde, für die sie ihren Sohn bestimmte. Aberglaube wird diese Denkweise wol nur in ungläubigen Herzen. Monika hatte nie bedacht, wie schwer es ist, Priester zu sein, sondern nur: wie herrlich es ist. Eben solche Gesinnungen wirkten in Theorrytes Herzen. Wenn Racine diesen Knaben, wie er im schönen Chor zu Berlach den Meßpriester bedienend, das Rauchfaß schwenkte, gefragt hätte: was seiner Kindheit Freude gewährte? würde er ihm seines Joa's Worte erwiedert haben. Wie konnte der Knabe, der nur eigne Vorsätze, nicht fremde Sünden, nur heiteres Entbehren, nicht hartes Entsagen kannte, wie konnte der den Priesterstand beurtheilen? Lösegeld für seines Vaters ewiges Heil – das fühlte[281] er sich, indem er durch seine Mutter zur Weihe bestimmt ward, zu sein; und das war die lebendige Quelle seiner Liebe für den Todten und für die Mutter. Mit solchen Gesinnungen führte ihn Monika und Rosa an einem Frühlingsmorgen nach Berlach ins Kloster. Die Wälder waren kaum von einem grünen Schimmer umhaucht; im Schutze der hohen Felsen hoben Anemonen ihre farbigen Köpfchen aus kurzem Rasen empor; hie und da hatte sich eine Hainbuche mit früherem Laube geschmückt und lockte der Vögel fröhliche Schaar unter ihre flüsternden Zweige. Die jungen Blätter der Birken blinkten im Morgenstrahl wie smaragdne Tropfen, und die Quellen rieselten geschwätzig zu dem Bache ins Thal herab, als wollten sie's ihm schnell verkünden, daß auf den Bergen das Leben erwacht sei. Die drei Wanderer beteten, weinten und freuten sich. Monika flehte, daß Gott in ihrem Sohn für und für Leben wirken möchte, wie in seiner herrlichen Welt; Rosa weinte, daß sie den Bruder missen sollte; der Knabe freute sich, daß er nun den Weg antreten solle, auf dem er Heil geben und erringen sollte. Nahe vor Berlach waren die Obstbäume noch kahl, denn der Ostwind bestrich dort das Thal; von dem Städtchen an wendete sich aber dieses, und die südliche Sonne hatte alle Knospen geöffnet. Durch einen Blütenwald traten sie von der Gartenseite in den Klosterhof, und von da, viele Stufen herab, auf besondere Erlaubniß, in die Klausur. Der Prior nahm die schüchternen Fremdlinge gütig auf; er ließ den Pater, der die Schule in Theorrytes Dorfe inspectirte, herbeirufen, hörte sein günstiges[282] Zeugniß mit Wohlgefallen an und versprach, für den Knaben zu sorgen. Er erlaubte darauf der Mutter, selbst die Orte zu sehen, wo ihr Sohn würde schlafen, lernen, essen und in dem Chor der Klosterherren beten. Die großen Lehrsäle kamen Monika in ihrer Stille und Dunkelheit der Andacht würdig vor, die sie in ihrem einfältigen Sinn für den Hauptzweck des Lernens hielt. Das Refektorium stellte ihr ihren Knaben als Student, als angehenden Geistlichen vor, denn mit dieser Würde hatte sie immer das Bild so eines Ortes verbunden. Bei dem Schlafsaale aber sprach das Mutterherz allein. Da sollte Der ohne sie zur Ruhe gehen, der nie ohne ihren Segen entschlafen war; da sollte Der allein schlafen, über den sie von seiner Geburt an gewacht hatte. Das Bette eines Kindes ist einer Mutter eine theure Stätte; das schlafende Kind ist der Mutter noch ganz anders theuer, wie das Kind im wachenden Leben. In dem kleinen Bette, in dem hülflosen Schlafszustand ist es so ganz ihr und Gott übergeben; und Wünsche und Gebet, die des Tages Arbeit so oft unterbrochen, die des Kindes lärmiges Wesen so oft gestört, brechen neben dem stillen Schläfer aus dem vollen Herzen, strömen aufwärts zu Gott und bedecken das Kind mit Liebesblicken und Thränen. Und der Anblick des schlafenden Kindes ist immer wie eine erneute Bürgschaft, daß es gut sei und glücklich sein werde. Es sieht so allversöhnend gut aus! so unberührt schuldlos! so vertrauensvoll ruhig. Am Tage wünscht ihm die Mutter einen Schutzengel; wenn es schläft, sieht sie den Engel selbst in seinen Zügen. –[283] Und nun sollte Monika all diese Freuden nicht mehr genießen! all diesen Trost! – Sie fragte furchtsam: welche Lagerstätte ihrem Sohne bestimmt würde? Als man ihr die ledige Bettstelle zeigte, sah sie den Pater bittend an und kniete neben die leere Schlafstätte hin. Der Mann verstand sie und ließ sie beten an dem niedern Bette und es einsegnen mit unaussprechlichem Segen. Dann ging sie in das Chor, und man zeigte ihr den schönen Altar. Schon das vorderste Blatt erhob sie zur kirchlichen Andacht; wie aber die Flügel geöffnet wurden, nahm sie Theorrytes Gesicht wahr, auf dem die schüchterne Unruhe von flammender Begeisterung verdrängt ward. Er zog ihre Aufmerksamkeit auf das Schnitzwerk zur Rechten, wo die Hirten das Kindlein in der Krippe anzubeten kommen. Herzlich und wahr dachte sich der Künstler, was er steif in der rohen Materie darstellte. Die Hirten getrauen sich nicht in den Stall hinein, sondern drängen sich an die Thüre, und suchen mit gestrecktem Halse das Wunderknäblein zu sehen, indeß neben der jungfräulichen Mutter Ochs und Eselein treuherzig drein schauen. Bei der Mutter Anblick, die den Sohn auf ihrem Schooße wiegt, dachte Monika, wie er nachmals ihrem Herzen entrissen und sie verwaist geblieben sei im freundlosen Leben. Aber dann fiel ihr Auge auf das nebenanstehende Blatt, wo die Könige kommen in goldnem Gewand, den Herrn zu verehren. Ehrerbietig steht der Mohr und der Kupferfarbne seitwärts; der Weiße aber in langem farbigen Talar und wallendem Greisesbarte ist der Mutter zu Füßen gefallen und drückt recht innig sein Haupt an[284] das freundliche Kindlein. Dieses Bild erregte in Monika tröstliche Gefühle, Ahnungen kirchlicher Würde, günstiger Zukunft, Würde des Priesterthums. Ihr Herz ergriff diesen Halt, der ihr den Abschied erleichterte, und sie konnte beim Heimwege die trostlose Rosa beruhigen.
Nun war Fleiß und Wachen und Beten dem Klosterschüler geweiht. Ihn besser zu kleiden, ward jede Ersparniß leicht, jede Entsagung eine Freude; selbst die blinde Großmutter richtete ihre dunkeln Augen ununterbrochen auf das Strickzeug, um des Enkels Putz am nächsten Schulfest zu verherrlichen. Sonnabends Abends, wenn Rosa ihre Gebete für den Schluß der Woche hergesagt hatte, ging sie dem Bruder bis an die Bergschlucht entgegen; die Mutter eilte, mit ihrem Fegen und Putzen fertig zu sein, setzte sich dann mit der Kunkel ans Fenster, und sah die Straße entlang, bis sie die Kommenden erblickte: Theorrytes den Hut in der Hand, um unter seinen dunkeln Haaren die ernste Kinderstirne zu kühlen: Rosa auf ihn, nicht auf den Weg sehend, und in ihren vereinten Händen einen Blumenstrauß haltend, den ihr der Bruder aus dem Klostergarten erbeten hatte.
Theorrytes reifte zun Jüngling, und seine Seele ward froher und froher, denn er kannte noch keinen Kampf gegen das Böse, und seine Einsichten im Guten nahmen zu. Das Kloster hatte damals einen wakkern Prälaten und würdige Brüder. Ein Theil widmete sich mit Liebe dem Unterricht zahlreicher Schüler, und es gelang ihnen, durch Thätigkeit den Fehlern ihres Standes zu begegnen, dagegen wieder Anerkennung ihres[285] Werthes außer dem Kloster, ihren Eifer lebendig erhielt. Diejenigen, welche weniger Wissen schaft und rohere Anlagen hatten, wußte der Prälat mit den häuslichen Geschäften des Klosters und der dazu gehörigen großen Güter so zweckmäßig zu beschäftigen, daß ihre Fehler weniger Spielraum fanden, oder die Klosterzucht mit ihnen in keinen zu grellen Gegensatz gerieth. Theorrytes wissenschaftlicher Unterricht war freilich nicht nach den Ansichten unserer Zeit geordnet; indem er sich vielmehr auf Autoritäten als auf Selbstforschen begründete, machte er es dem Unthätigen leichter zu schlummern, dem Thätigen zu widerstreben, dem Empfänglichen zu schwärmen. Theorrytes schwärmte, aber für das praktisch Gute. Er machte sich ein idyllisches Bild seines Lebens als Landpriester – denn dahin erstreckte sich das Ziel seiner kühnsten Wünsche. – Wie er dort wolle der Mutter ihr Alter versüßen, wie er von seiner Schwester unterstützt ein Paradies wolle anbauen. Alles, was er Nachtheiliges von den Pfarrern der Gegend wußte, alles Schlechte, was seine Lehrer an seinen Mitschülern straften, alle Sünden, die ihn seine Bußbücher lehrten, würde er als Pfarrer vermieden, vertilgt, verbessert haben. Endlich waren seine Schuljahre vollendet, und der achtzehnjährige Jüngling bezog in Innsbruck die Universität. Der Prälat von Berlach hatte ihm ein Stipendium verschafft, das Fehlende ersetzten Wohlthaten, die in der Denkart jener Gegend und jener Zeit den Empfänger nicht so niederbeugten, wie es jetzt scheint, wo veränderte Verhältnisse sie drückend gemacht haben. Wie die Wohlthat noch dem treuen Glauben, noch um Gottes[286] willen aus der Hand des Gebers ausfloß, war sie ein Band zwischen dem Bedürftigen und dem Wohlhabenden. Der Arme half dem Reichen den Himmel gewinnen, und fühlte darum die Gabe nicht wie Handgeld zur Dienstbarkeit. Der Reiche zahlte sich nicht mit ihr von den Bruderpflichten los, sondern verband sich den Empfänger in der Barmherzigkeit Namen. Seit der Geber so oft nur standesmäßig gibt, denkt er beim Geben, und der Arme beim Empfangen nicht mehr an ihrer Beider Vater, der Gott ist. Darum macht jetzt die Gabe den Spalt, welchen die Verhältnisse zwischen ihnen gerissen haben, nur größer.
Nun ward aber die Zeit ungetrübter Harmonie in Theorrytes Wünschen und Hoffen gestört. Er sah die Welt in vielseitigerer Beziehung, und sein Gemüth ward von verschiedenern Seiten berührt als bisher. Sein angenehmes Aeußere und sittliches Betragen verschaffte ihm allgemeines Wohlwollen; seine musikalischen Fertigkeiten vermochten einige Vornehme, ihn bei Conzerten in ihr Haus zu berufen. In allen Klöstern ward mehr oder weniger Musik getrieben; Berlach zeichnete sich damals durch seine Kirchenmusik aus; der Prälat, früher ein Weltgeistlicher, hatte mit der österreichischen Gesandtschaft zu August des Zweiten Zeiten in Dresden, damals dem Sitz der Tonkunst in Deutschland, verweilt; und mehrere Mönche waren durch Zufall aus Böhmen, wo Musik von jeher Volksneigung war, gebürtig. Durch dieses Talent kam Theorrytes in seinem groben Röckchen, mit den leinenen Strümpfen, die seine blinde Großmutter ihm strickte, und einem breiten Bruststrief,[287] den die gute Rose mit großen Blumen gestickt hatte, unter Menschen, unter denen er Sorgen und Freuden kennen lernte, von denen er bis dahin nichts geahnet hatte. Sein Kopf ward ihm voll, sein Herz ward ihm schwer. Das Böse sah in der Wirklichkeit nicht so abschreckend aus, als er es vermeint hatte, und das Gute nicht so deutlich, wie er es sich vorgestellt. Er glaubte als Priester Richter über das Eine und das Andre werden zu müssen, und die Verkettung der Umstände machten es ihm so schwer zu verurtheilen und zu versöhnen, daß er je länger, je schüchterner an den furchtbaren Zeitpunkt dachte, wo es ihm gegeben werden sollte, zu binden und zu lösen. Doch über dieses gefährliche Vorrecht fand er endlich in dem Geheimniß seiner Priesterweihe eine Beruhigung. Schwerer ward es ihm, die Nothwendigkeit zu einigen, von den innigsten Natur- und Herzensverhältnissen in der bürgerlichen Gesellschaft die genaue Kenntniß zu erlangen, die der Beichtvater, der Seelsorger besitzen soll, da sie ihm selbst zu erfahren, zu empfinden versagt waren. Er hatte keine Wünsche zu bekämpfen; aber er fühlte eine ängstliche Scheue, mit der er seine Augen und Gedanken von Gatten- und Vaterglück abkehrte, welches er doch, dazu zu ermahnen, kennen lernen mußte.
In dieser Stimmung kam ein Buch in seine Hände, das wol nicht zunächst darauf abzweckte, seine Ruhe zu stören, dessen lebendige Schilderung aber seine schwankenden Gefühle in einem Wahrheit sprühenden Bilde zusammenfaßte. Ein junger tiroler Edelmann hatte – damals eine seltne Erscheinung in jener Gegend – in[288] Göttingen studirt, und brachte Götz von Berlichingen als ein neues Kunstwerk zurück. Theorrytes erhielt dessen Mittheilung, und bei seiner damaligen Stimmung konnte die Begeisterung, die das Ganze ihm einflößte, nur behülflich sein, die Episode vom Bruder Martin für ihn noch eindringlicher zu machen. In ihm sah er in Flammenzügen das ganze Elend, das sein Stand bereiten konnte – nicht sich, denn ihn hatte ja das Leben noch nie gelockt, nicht der Heldenruhm, nicht die Liebe; er war vor seiner Geburt schon Gott geweiht, er glaubte den Menschen überhaupt zu beweinen mit unaussprechlichen Thränen – den verkrüppelten entstellten Menschen, dem er nie gleichen zu wollen, mit zerfließendem Herzen gelobte. Aber ob der Priester, wie er einer sein wollte, der bessere Mensch, der höhere Priester sei? – dieser Zweifel quälte sein Gemüth. Ob die göttlichen Gaben, nach denen er rang, die irdischen Mühen und Pflichten, denen er entsagte, aufwögen? – Das blieb ihm unverständlich. Da seinem Gemüthe dieser Kampf zu schwer ward, hoffte er endlich mit kindlicher Zuversicht auf eine Erleuchtung seines Innern, und meinte zu dieser durch reinen Wandel auf seiner vorgeschriebenen Bahn am sichersten zu gelangen.
Bald kamen die Vakanzen, und er ging zum ersten Mal zu seiner Mutter auf Besuch. Wie er als Knabe mit den Dorfkindern nicht spielen durfte, mochten ihn die Bauern nicht leiden; sie sahen diese Absonderung eines Kindes, das ärmer war als die ihrigen, als einen Hochmuth an; da sie hörten, daß er in dem Kloster zu Berlach »auf den geistlichen Herrn« studiren wollte, erwiederten[289] sie, wenn er Samstag seine Mutter zu besuchen kam, seinen Gruß mit zunehmender Freundlichkeit; wie er aber jetzt nach längerer Abwesenheit mit den kleinen Weihen geziert von Innsbruck in die Vakanz kam, traten sie beim Eingang des Dorfs aus ihren Häusern und sahen selbstgefällig auf das neue Kirchenlicht, das aus ihrer Mitte ausgehen sollte. Bei seiner Mutter war die erste Stunde nur der seligsten Freude geweiht. Die blinde Großmutter war ans Fenster getappt, um den Kommenden früher zu hören; Monika hielt seine Hand, und faltete die ihrigen darum, und dankte Gott. Rosa lachte und erröthete, und stellte sich dem Bruder bald näher, bald ferner, um ihn besser zu sehen. Beim Abendbrot nahm Theorryt erst spät wahr, daß die Mutter ihm einen blankgescheuerten zinnernen Teller gegeben, indeß sie mit Rosa ihre Suppe auf irdenem Geschirr aß. Er war in Zweifel, ob das Zufall oder Absicht veranlaßte, und ließ es mit Verlegenheit hingehn. Den folgenden Tag, einen Sonntag, war es eben so, er reichte ihn der Mutter, die ihn gebietend verweigerte, worauf er unsicher nachgab. Aber am nächsten Mittag sah er vor seinem Platze ein Stückchen Fleisch stehen, indeß für seine Lieben nur Suppe und Gemüse bestimmt war. Das durchschnitt sein Herz! er bat mit Thränen: ihm nicht seine Gottesgabe zu verbittern und malte mit lebendigen Farben, wie es ihm zukäme, seiner Mutter, seiner Ahnfrau das Beste zu geben, und wie er in seiner Pfarre ihnen einst täglich den Tisch mit ihren liebsten Bissen besetzen würde. Die Frauen weinten vor Freude, Monika aber erklärte: das sei die Sitte, den[290] geistlichen Sohn zu ehren; die Nachbarschaft würde es ihr verdenken, wenn sie es anders erlaubte. Theorryt bat vergebens, er zog endlich verschämt ein Beutelchen aus dem Busen und reichte der Mutter einige Gulden, die er mit Musikmachen verdient hatte; er hätte, sagte er, ihr und Rosa ein schönes Fürtuch dafür in Berlach kaufen wollen, und bat sie flehentlich, sie sollte nun dafür den Fleischer bezahlen, damit die Nachbarn nicht Ursache hätten zum Tadel; aber für sie und die Ahnfrau sollte sie die Speise bereiten, »nicht,« setzte er ernsthaft hinzu, »nicht, Mutter, für den angehenden Priester, dem Enthaltsamkeit Pflicht ist.« Rosa erröthete; Monika aber faltete die Hände, von dem Grunde überwältigt. Das häusliche Mahl bot nun keine Fleischspeise mehr als an festlichen Tagen, und Monika mit ihrer Tochter putzten sich am nächsten Sonntag mit dem Fürtuch, das sie sich von ihres Sohnes Geschenke gekauft hatten.
Theorrytes hielt es für Pflicht, seinen Wohlthäter den Prälaten in Berlach, dem er seine geistigen Bedürfnisse anzuvertrauen gewohnt war, mit seinen erlittenen Anfechtungen bekannt zu machen. Vielleicht war es Menschenkunde, vielleicht nur Furcht, in den Zwiespalt dieses jungen Gemüths hineingezogen zu werden, warum der Prälat das Einzelne seiner Zweifel nicht berührte, sondern ihm nur rieth, durch Fleiß sich zu zerstreuen, durch Mäßigkeit und Strenge Herr seiner Seelen- und Körperkräfte zu werden. Theorryt fand sich weder erleichtert noch befriedigt; aber er befolgte den Theil des Rathes, den er begriff, und benutzte das nächste in[291] Innsbruck verlebte Jahr mit unermüdlichem Fleiße. Wie er Acha wiedersah, war bei seiner Mutter nichts verändert, nur die Liebe für ihn und die Freude an ihm schien gesteigert. Er brachte der Mutter reichliche Ersparnisse mit, zu denen ihn der Unterricht, den er vornehmen Kindern zu geben im Stande war, verholfen hatte. Wenn er die Freude seiner Lieben sah, und wie die Nachbarn seinen feinern Rock, seine weißere Wäsche achtungsvoller betrachteten, so schien der Stand, dem er gewidmet war, der nothwendigste zu seinem Glück. Aber Rosa war verändert; sie war während des letzten Schuljahres eine blühende Jungfrau geworden, und warum sie so schüchtern gegen ihn war, und so innig zugleich, wie ein Kind, das der lieben Mutter ein Vergehen beichten möchte, das begriff er erst, wie ihm Monika im Vertrauen erzählte: Rentbeamtens Joseph habe sie lieb, und glaube, daß, wenn der Graf Theorryt zum Pfarrvikar in Acha ernennte, würde sein Vater seine Heirath nicht wehren. Der Graf war aber nun nach vierzehn Jahren wieder auf seine Güter gekommen, und wollte sie wirklich auf immer bewohnen. Seine Gemahlin, erzählte Monika weiter, sei bei ihm, und eine Tochter von sieben Jahren, schön wie ein Engel, aber auch wol bestimmt, bald einer zu werden; denn sie sei krank, ohne genesen zu können. Da erfuhr Theorryt plötzlich zwei Nachrichten, die seine Zukunft näher rückten; der unwiderrufliche Augenblick seiner höhern Weihen mußte beschleunigt werden und Rosa, deren Gegenwart dem Bilde seiner Zukunft als Pfarrer die mildesten Farben geliehen hatte, wollte mit einem Manne hinwegziehn.[292] Ein schmerzlicher Mismuth wollte in ihm Platz nehmen, und während er mit ihm kämpfte, ward er sich zum ersten Mal bewußt, daß Rosa nicht nur seine Schwester, sondern auch daß sie ein Weib sei. Seine Mutter zerstreute ihn durch die Vorstellung: wie es nöthig sei, sich seinem Gutsherrn, von dem sein und seiner Schwester Glück abhänge, sogleich zu empfehlen. Die Ursachen, die sie dazu angab, führten sie in die Vergangenheit zurück; sie erzählte ihm – heute vielleicht zum ersten Mal, im Zusammenhang – ihre Ehestandsgeschichte und des Grafen billiges Verfahren bei dem Vergehen ihres Gatten. Sie erzählte mit stillen Thränen. Der ergebene Dulder klagt nicht über vergangenes Weh; aber indem er es betrachtet, erscheint es ihm im historischen Lichte, und er beklagt die leidende Menschheit, nicht sich. Theorryt ward von dem Charakter und dem Vergehen seines Vaters tief erschüttert. Er schlich sich nach dem Abendbrot aus dem Hause und suchte sein Grab. Der Gottesacker erstreckte sich hinter der Kirche in eine kleine Bucht, von felsigen Höhen umgeben, auf welchen kleine Wiesengründe den Duft des Emmethaus herabgossen. Der Abendstern über den Hügeln sank in die letzten Schimmer eines glühenden Abendroths hinab. Es war so still umher, als wolle kein Lüftchen, kein Vogel die Ruhenden stören, die nach langem oder kurzem Tagwerk ermüdet entschliefen. Theorrytes hatte Mühe, die Grabstätte seines Vaters zu finden. Sie war fast versunken, und die Trümmer des Kreuzes, mit dem seine Ueberlebenden sie bezeichnet, waren schon längst zerfallen, von Monika als Andenken zu[293] Hause verwahrt. Endlich erkannte er es an den Blumen, die Rosa jedes Jahr auf ihm zu ziehen pflegte. Hier verweilte er lange in ernste Betrachtungen versunken. Kam es ihm zu, den Glauben seiner Mutter, in dem sie ihr Gelübde that, zu richten? War sein Widerwille, es zu erfüllen, Furcht vor seiner Schwäche? War es Unsicherheit über die Zweckmäßigkeit seines Berufs? – wenn es nun auch eine schwere Bürde war, die er sich auflegte – trug er sie mit Liebe und Treue, so war Gott da, ihm zu helfen. – Und endlich! – Alle, die da schliefen um ihn her, und der todte Vater mitten unter ihnen, hatten sie denn nicht Alle auch Lasten getragen, und Alle sie hier abgelegt, wo auch er einst die seinigen niederlegen sollte? – Worauf kam es denn an? auf ein Opfer, auf ein tägliches Opfer zum Besten seiner Geliebten, zum Besten aller seiner Brüder. Konnte das den Geweihten lasten, dem es zu wagen vergönnt ist, täglich das größte der Opfer sinnbildlich seinem Volke zu verkünden? Schwärmend über die Erhabenheit seiner Bestimmung ging er nach Hause, und hielt sich für ruhig.
Das Schloß betrat er um so schüchterner, weil er über seine Empfindung gegen den Grafen nicht einig werden konnte. Gegen seinen Vater war er so gütig gewesen, und seine Mutter hatte er vergessen. Er war unter seine Unterthanen gekommen, mit dem Entschluß, bei ihnen zu leben, und war nach wenigen Jahren von ihnen hinweggezogen, ohne eine seiner Unternehmungen zu ihrem Besten auszuführen. Der Jüngling wußte nicht, daß die Theilnahme der Großen, auch die gefühlteste,[294] von sinnlichen Eindrücken abhängt; weil ihre Phantasie ihnen Menschenschicksale malt, nicht ihre Erfahrung. Der Hof, der Staat, Bücher lehren dem Labyrinth des menschlichen Herzens nachspüren; im Kreise der Familien, in den Hütten der Armuth allein lernen wir, wie viel der Mensch ertragen, wie viel er zu erringen vermag. Dort kämpft er allein mit der Zeit und dem Schicksal; auf dem Theater der großen Welt gleicht er Homers Helden, die von den Schilden günstiger Götter beschirmt sind. Doch des Grafen Empfang bestimmte bald seine Meinung von ihm. Er war sehr kalt; aber milde und weise; darum ertrug er und belehrte seine Umgebungen. Der Gräfin hatte man schuld gegeben, durch ihren Ehrgeiz ihren Gemahl zum Staatsdienst verleitet zu haben. War dem also, so hatte sie wenigstens mit ihm die vorzüglichere Wirksamkeit des Gutsherrn eingesehen, denn sie arbeitete mit heiterer Thätigkeit, diese Herrschaft zu ihrem beständigen Aufenthalt einzurichten. Mit vorzüglichen Geistesfähigkeiten verband sie das regste Gefühl; beides war ihrem Gemahl und ihren Kindern geweiht. Ihr Sohn ward in Wien erzogen, und auf ihn gründete sie den Stolz ihres Hauses; Sidonia war nie von ihrer Seite gekommen, und sie liebte sie mit der Heftigkeit, die wir unter ihrem Stande bei Müttern oft wahrnehmen. Die Mutterliebe wird bei ihnen leicht zur Leidenschaft, weil sie der einzige Punkt ist, auf dem die Natur nicht vertilgt oder verzerrt ward. Die Fürstin muß mit Schmerzen gebären, wie die Bettlerin, die am Thore ihres Palastes verschmachtet; darum ist ihre Mutterliebe gleich.[295] Aber nur durch das Geboren werden; denn der Tod konnte sich den Einfluß der Größe nicht entziehn. Manche vornehme Mutter läßt sich von ihrem sterbenden Kinde hinwegführen, und sein gebrochenes Auge begegnet fremden Gesichtern. Theorryt ward durch den neuen Umgang nicht ruhiger; aber neue Verhältnisse milderten die Gewalt seiner streitenden Gefühle. In Innsbruck war er in den Häusern der Großen mit der einfachen Güte behandelt, die wahrhaft hohem Adel gegen Untergeordnete eigen ist. Er bedarf keiner besondern Wachsamkeit, Vorzüge zu bezeichnen, die in seinem Lande Jahrhunderte durch anerkannt waren, und an welche seine Geschichte erinnert. Ein geistvolles Familienleben gab es aber unter ihnen nicht; oder der arme Student war nicht zu dessen Anblick gelassen worden. Hier, bei seinem Gutsherrn, ward er als Hausgenosse freundlich und als angehender Priester mit Achtung empfangen. Die Behandlung der Gräfin weckte ein Gefühl in ihm, das von Dank und Bewunderung gemischt, der Sohneszärtlichkeit ähnlich gewesen wäre, hätte es nicht ihre Schönheit und Würde so peinlich als hinreißend gemacht. Aber nicht sie allein beschäftigte sein ganzes Gefühl. Das Kind Sidonia schien vielmehr sein vorzüglichster Gegenstand zu sein, und für sie schien es die Gräfin zu genehmigen, zu fodern. Wenn jetzt eine Sidonia lebte, würde sie vielleicht an Mignon erinnern. Das war sie aber gar nicht. Mignon erlag im Kampf um das irdische Leben. Sidonia floß sanft hinüber zu den Engeln, ehe eine irdische Sehnsucht sie erfaßte. Mignon schmachtete nach einer heißern Sonne, um ihre Blüte[296] zu entfalten; Sidonia harrte still der Grabesnacht, um in Eden zu entblühn. Und was war sie denn? – Ein Kind, in dessen Lebensknospe das ganze Menschsein gedrängt war. Eine solche Knospe kann sich nicht vollenden, blaß öffnet sich ihr zarter Kelch, ein großer Thautropfen glänzt in seiner Tiefe mit himmlischen Farben; aber er ist zu schwer für den zarten Stengel, der sie trägt, er knickt ihn und sie welkt! – O wollt nicht verstehen, was das arme Leben nicht zu erklären bestimmt ist! –
Theorryt forschte nicht, was in ihm vorging; es schien ihm gut und erhob ihn über seinen Kummer, daher folgte er dem Zauber, der ihn anzog. Er ging nicht allein von der Gräfin aus, nicht von Sidonia allein – es war der Zauber weiblicher Herrschaft, des weiblichen Liebreizes. Theorryt war von jeder Täuschung der Phantasie entfernt, auferzogen; war in einem Stande auferzogen, in dem die weiblichen Reize früh verblühen, und kaum in der Blüthe durch die entstellende Kleidung hindurchschimmern. Eben so wenig wie den Liebreiz der Kleidung hatte er den der Stimme, der Rede, kennen gelernt, der eben so viele Seelenblößen der gebildeten Welt umhüllt, wie wohl ersonnener Putz die Nachtheile der Gestalt. Er konnte daher nicht Annehmlichkeit von Jugend, nicht Bildung von Seele, nicht Leidenschaftlichkeit von Innigkeit unterscheiden; und betete, so liebenswürdig die Gräfin war, dennoch in ihr eine Traumgestalt an. Sonderbarerweise mußte für sie der arme Schüler, der angehende Priester, Gegenstand einer Art von Theilnahme werden, die ihr bis dahin fremd[297] geblieben war. Wir lächeln über die Märchen, die Prinzessinnen, um drohenden Orakeln zu entgehen, in unzugänglichen Thürmen erziehen lassen; wir zucken die Achseln über die theoretischen Erzieher, die sich in ihren Büchern erst eine Art von Welt erfinden, um dann ihre Zöglinge darin zu bilden; – doch die Erziehung einer vornehmen Tochter in einer Hauptstadt scheidet sie nicht weniger wie jene von der Wirklichkeit ab. Der Unterschied ist nur, daß der königliche Herr Vater im Märchen, und der wohlmeinende Pädagog in der Welt seines Traums, den besten Willen haben, das Böse alles von ihrem Zögling zu entfernen, indeß die vornehmen Eltern ihr Kind nur von der Menschheit auszuschließen trachten. Aber diese bleibt im Menschen unzerstörbar, und drängt ihn unaufhörlich zum Rechten und Guten zurück. Daher ist liebende Unbefangenheit eine Eigenschaft, die den ergrautesten Weltmann rührt und vornehme Frauen auch in der schlechtesten Nachäffung fesselt. Der Menschenkenner versteht sich schlecht auf das Herz, wenn er die widrigen Erscheinungen nur verurtheilt, die ihm ältere Frauen in scheinbarem Einverständniß mit jüngern Männern zeigen. Er könnte darin oft das unzerstörbare Bedürfniß nach Wahrheit des Gefühls erkennen, das der Weltfrau den Ausdruck jugendlicher Neigung so werth macht. Dieses Bedürfniß nach Wahrheit des Gefühls, welches in der Gräfin nebst vielen andern Tugenden lebendig geblieben war, hatte ihr den jungen Mann zum Gegenstand eines ganz neuen Interesses gemacht. Die Innigkeit, mit der er sich Sidonien widmete, gab ihrer Vorliebe für ihn eine[298] Haltung, die alle Bedenklichkeiten hob. Dieses Verhältniß bestimmte die Geschichte von Theorryts Aufenthalt auf dem Schlosse. Seine Vormittage waren vom ersten Tagesstrahl an seinen Studien gewidmet. Da saß er in einem kleinen Kämmerchen neben dem Familienzimmer seiner Mutter, und strebte redlich in den Wissenschaften fort, die zu seiner Zeit nicht so mangelhaft, wie man es in der Ferne sich dachte, auf seiner hohen Schule gelehrt wurden. Das spärliche Mittagsmahl seiner Mutter ließ er sich nicht nehmen, so oft die Gräfin ihm einen Platz an ihrer Tafel auch anbot. Während diese im Schlosse Statt fand, begab er sich zu Sidonien, die ihrer großen Reizbarkeit wegen von ihr ausgeschlossen blieb, theilte ihre phantasiereichen Spiele, oder leitete sie unter den Schatten der nahen Bäume und erzählte ihr heilige Geschichten, denen er, von den verklärten Blicken des Kindes begeistert, einen poetischen Schwung gab. Den übrigen Tag gehörte er der Gräfin; – denn seine Herrin war sie. Er schrieb in ihren Geschäften, machte Musik und las ihr vor. Rinaldo in den Gärten der Armida ist ein sehr unwürdiges Bild von dem Zauber, der Theorrytes während dieser Vakanz von den Zweifeln über seinen Stand zerstreute. Nur Rosens beschiednes Liebesglück theilte sein Herz mit den Bewohnern des Schlosses. Der Rentbeamte, der, sowie die ganze Herrschaft, Theorrytes für den Liebling des Gutsherrn ansah, hatte Monika unverhohlen erklärt, daß er Rosa zur Schwiegertochter annehmen wolle, sobald ihr Bruder des Grafen Versprechen über die Anwartschaft zur Ortspfarre erhalten haben[299] würde. Theorrytes fürchtete sich nicht zu bitten; aber er zitterte, eines solchen Amtes, eines solchen Glückes nicht würdig zu sein. Von seiner Mutter gedrängt, von seinen Zweifeln gefesselt, las man auf seiner Stirne die Unruhe seines Gemüthes. Die Gräfin hatte sich zu oft gefallen, den Ausdruck einer Seele zu beobachten, in der ihr Wink Sturm oder Klarheit hervorrief, um diese von ihr unabhängige Wolke nicht zu bemerken; sie erfragte schnell seine Sorgen und befahl ihm, sie so unverhohlen, wie seine Stirn sie ausgesprochen, dem Grafen zu eröffnen. Dieser Befehl versprach mehr wie Hoffnung. Die Empfindung, die, da er ihn empfing, auf des schweigenden Jünglings Angesicht stralte, hatte die Gräfin in den wortreichen Betheuerungen nie erblickt, die sie von Männern ihres Standes gehört hatte. Sie erröthete freudig, überrascht von der Verklärung, die ein inniges Gefühl über des Menschen Antlitz ergießt. Der Graf, den sein kalter, beobachtender Charakter von dem täglichen Einmischen in das Interesse seiner Hausgenossen getrennt hielt, war dennoch nie darin fremd, wenn sie seine Theilnahme dazu aufruften. Er hörte den Jüngling gütig an, bewies die Klarheit seiner Ansichten durch die Güte und Entschiedenheit, die er ihm ausdrückte, versprach ihm die Anwartschaft auf die Pfarre in der sichern Form, welche Rosa's Heirath sicherte, und richtete die Vollendung seiner Studien und fernern Ausbildung, sowie er es für einen Mann geschickt hielt, den sein Beruf und die Umstände fortan an seine Nähe anschlössen. Rosa's[300] Hochzeit und Theorrytes Prämiz1 ward nun auf den nächsten Herbst festgesetzt, bis wohin der Jüngling in dem Priesterseminario zu *** seine Studien vollenden und die höhern Weihen empfangen sollte. Diese Zeitbestimmung von Rosa's und seinem Schicksal, die seine ganze Vergangenheit abschloß, die alle Träume seiner Kindheit erfüllte, war kein ausschließender Schmerz, keine ausschließende Freude. Eine sehnsuchtsvolle, schwankende Unruhe hob seine Brust. Er scheute sich vor ihr, er wendete den Blick von sich selbst ab und heftete ihn nicht fest auf etwas anders; denn wo er hinsah, fürchtete er sich, sein Inneres zu erblicken, und dort drohten ihm Schreckensgestalten. Dieses Mal fragte die Gräfin nicht nach den Wolken auf seiner Stirne. Sie errieth die Gestalten, die dem Jüngling drohten; aber ihre Theilnahme an ihm war mehr durch die Huldigung, als durch ihre Sorge für sein Wohl aufgeregt; ihr unbewachtes Gefühl bewog sie also, mehr ihn zu erfreuen, als ihn zu erleuchten, und deshalb begegnete sie seinem finster funkelnden Auge mit mildem, fast mitleidendem Blick. Aufgescheucht von der Wirkung dieses Ausdrucks floh Theorryt aus der Gräfin Gegenwart zu den Füßen der Altäre seines Klosters in Berlach. Dort hatte ihn so oft in seiner Knabenzeit die seligste Vorempfindung künftiger Heiligkeit entzückt. Wie das Salve Regina die Kirche zu schließen verkündete, eilte er auf den Gottesacker, der in der Mitte der Kreuzgänge die Todten täglich von dem stillen Umherkreisen ihrer lebenden Brüder[301] umgab. Hohe Stockrosen, bunter Rittersporn und die duftende Blume der spanischen Kresse bekleideten die schwarzen Steingesimse, und zauberten Leben über die Stätten des Todes. Gegen die Abendseite ragte ein hohes Kreuz unter zarten Zweigen der Akazien hervor, und unter ihrem Laube standen die Gestalten der beiden Geliebten des Gekreuzigten, denen er den menschlichsten Trost gab. Gräber und Blumen und Denkmale der Liebe für ein so gequältes Herz, wie Theorrytes auf diese Stätte brachte, führten ihn in den nächtlichen Stunden durch alle Stufen des Schmerzes zur Sehnsucht nach dem Grabe, wo aller Kampf endet und jede Sehnsucht gestillt ist. Wie der Tag wiederkehrte, tönten die einsamen Schritte des alten Pförtners durch den Kreuzgang. Er begab sich zuerst zu dem Bilde des Gottmenschen, dessen hohes Kreuz vom ersten Sonnenstral glänzte, um dort in ruhiger Einfalt zu beten. Bei Theorrytes Anblick, der sein Gesicht auf seine Hände gelegt, vor dem Kreuze kniete, konnte ihm seine Erfahrung keinen andern Begriff darbieten, als den von Heiligkeit oder Buße. Denn was anders als den Himmel zu gewinnen, oder der Hölle zu entgehen, konnte einen Menschen bewegen, die abgemessenen Stunden zu verkehren, und den Schlaf, der einen sichern Theil des Lebens hinnahm, zu versäumen? Der Greis war mit einfältigem Herzen zum Beten gekommen, Andere der Sünde zu verdächtigen, war ihm also fern. Deshalb erregte der Anblick des Jünglings, der sich mit ängstlicher Eile aus betender Stellung aufraffte, seinen Beifall; er grüßte ihn mit dem Lobe des Herrn, und setzte hin: Das ist[302] eine gottselige Kasteiung, und eine Ertödtung, die das Leben gebiert. Hütet Euch aber, junger Streiter in dem Herrn, Euern Eifer zu übertreiben; nun legte er seinen Stab hin, und beugte seine zitternden Knie, um Gott für sein armes, leeres Leben zu danken.
Doch sein Gruß erweckte in Theorrytes Busen das Bewußtsein der Schuld. Die dunkeln Gefühle der durchschwärmten Nacht waren nicht die eines Streiters des Herrn gewesen – der Beifall des frommen Greises machte ihn zum Heuchler. Was für Gestalten hatten das Bild des Gekreuzigten, hatten die Getrösteten zu seinen Füßen umschwebt? Und wenn er seine Besinnung erweckte, und zwischen den Grabhügeln umherirrend der Erde und sich selbst zu entfliehen versuchte, wiegte sich auf den Mond umglänzten Blumen, auf den stillschwimmenden Wolken wieder Sidoniens Gestalt. Mit nagender Reue und doch ohne Erkenntniß von Schuld brachte der Jüngling die übrigen Tage zu, die bis zu seiner Abreise in das Seminarium noch verstrichen. In seinen Verhältnissen änderte er nichts; das zu thun, hätte er sich selbst besser erkennen müssen; in untergeordneten Lagen ist es auch nicht vergönnt, seine Verhältnisse zu ändern. Die Kraft wird da einzig aus dem Gemüthe, nicht von den Umständen entwickelt. Für die Gräfin war der Zustand des Jünglings kein Räthsel, aber seine Wichtigkeit wußte sie nicht zu ermessen. Nicht Sorge, aber weibliche Zartheit bewog sie, seine Beschäftigung unter ihren Augen zu verhindern. Sie gab Abhaltungen vor und trug ihm auf, die Pflege Sidoniens zu übernehmen. Das Unschuldigste war gewiß[303] dieser Ausweg, aber das Zweckmäßigste nicht. Sidonie nöthigte ihn, die sinnigen Spiele mit Blumen, Farben und Tönen – denn Kränze binden, die Regenbogenfarben eines Thautropfens oder eines Diamants zu betrachten, das Rauschen eines Springbrunnens zu hören, waren ihre häufigsten Spiele – mit Gesprächen abzuwechseln, bei denen sie stets zwischen kindischen Bildern und hohen Ahnungen schwankte. Ihre überspannten Nerven stellten ihr alle ihre Träume als Erscheinungen dar, und als stets beschränkte Kranke selbst von der Wirklichkeit der Kinderwelt geschieden, verhinderte sie ihre völlige Unkunde im Leben, diese Erscheinungen von den wirklichen Begebenheiten zu trennen. Sie erzählte daher ihrem »frommen Freunde,« wie sie Theorrytes mit geheimnißvollem Ausdruck nannte, jeden Tag Gespräche, die sie mit phantastischen Gestalten gehalten, Botschaften, die sie bekommen haben wollte. In den Tagen, die Theorrytes Abreise nach dem Seminarium zuvorgingen, fand er sie eines Tages, wie sie einen Kranz von weißen Rosen wand, über den sie ihm, sehr beschäftigt, doch gleichgültig auf seine Frage die Antwort gab: daß er für sie als seine Braut bestimmt sei. Scham und Schrecken machten den Jüngling verstummen. Er konnte sich nicht denken, daß Sidoniens Kindlichkeit je mit einem rohen Scherz, der sie zu solchen Vorstellungen hätte führen können, entweiht worden wäre. Er schwieg, bis ihr Geschäft vollendet war, dann nahm er den Kranz und nahte sich einem großen Gemälde, das Maria als Kind darstellte, auf des alten Zacharias Knie gelehnt. Sie streckt mit entzückten Blikken[304] ihre Hände nach einem Lilienstengel aus, den der Greis in der Hand hält und bei ihrer Bewegung mit einem Ausdruck des Erstaunens und der Ahnung sie betrachtet. »Hier, der kindlichen Jungfrau wollen wir den Kranz weihen,« sagte Theorrytes, im Begriff, ihn über dem Bilde zu befestigen. Nein, diesen nicht! rief die Kranke, kommen Sie! den legen wir auf mein Grab. Mit diesen Worten ergriff sie seine Hand und zog ihn durch den Garten an einen Platz, wo man auf ihre Bitte das Gebüsch zu einer Laube hatte biegen müssen; dort hatte sie, ein Fußpolster unter Blumen und Laub verbergend, die Erhöhung eines kleinen Grabhügels nachgeahmt. Darauf, sagte sie, legen Sie den Kranz; er gebührt der geistlichen Braut. Nun führte sie ihn unbefangen weiter, und erzählte ihm, wie der verstorbene Pater Hyazinth sie besucht und angerathen habe, »im nächsten Frühjahr am Gottesfeste alle Knospen der weißen Rosen abzubrechen, dann würden sie am Tage von Theorrytes Premize Blüten genug treiben.« Obgleich der Jüngling nun den Sinn von des Kindes Reden verstand, war er doch zu heftig ergriffen, um ihren Phantasien Einhalt zu thun. Er folgte ihrer kindlichen Darstellung von Leben, Tod und wieder erwachendem Dasein. Sie drängte das ganze Geheimniß der Verwandlung in das Bild eines Rosenstocks, und glaubte Alles erklärt, wenn sie nach dem tiefen Winterschlaf das Anschwellen der Knospen bewiesen hatte. Indem sie sprach, blieb sie bei einem Rosenstock stehen, und brach eine der blühendsten Knospen – sehen Sie, mein frommer Freund, sagte sie im Ton der Ueberzeugung,[305] so werde ich einst wieder blühen, und so, setzte sie leise hinzu, indem sie die Blätter herabriß und auf den Rasen umherstreute, so wird bald der Sturm mich verwehen. Solche Gespräche wiederholten sich oft. Wenn die Gräfin auf eine Viertelstunde zu ihnen kam, ward die zärtliche Trauer in des Jünglings Herzen nicht gestört. Sie war neben dem der Erde entschwebenden Kinde nur zärtliche Mutter, und unter dieser Gestalt beschwichtigte sie den Sturm in des Jünglings Gemüth.
Den Abend vor seiner Abreise, wie er mit der mühseligsten Fassung Abschied zu nehmen ins Schloß kam, hatte die Gräfin so eben einen Pack Bücher erhalten, den sie, um für diesen Auftritt Zerstreuung zu finden, ihm zu öffnen befahl. Sie lief sie flüchtig durch, bis sie auf Werthers Leiden kam, die damals als eine ganz neue Erscheinung dieser Grenze von Deutschland nur durch Anzeigen bekannt waren. Schon lange erwartete sie das Buch; Theorryt hatte sich schon lange das Glück versprochen, es ihr vorlesen zu dürfen, und drückte nun seine Fehlschlagung, diesen Genuß entbehren zu müssen, aus. Von dem Wunsch, dem Jüngling beim Scheiden Freude zu machen, ergriffen, reichte sie ihm das Buch: »da! ich habe noch in acht Tagen nicht Zeit, es zu lesen. Nehmen Sie's mit, und schreiben Sie mir beim Zurücksenden Ihre Ansicht davon.« Und mit diesem Buch in der Hand verließ Theorryt am andern Tage seine Heimath, um sie erst als geweihter Priester wieder zu betreten.
Göthe's Bruder Martin hatte den Wolken, die über Theorryts Kinderparadies aufstiegen, eine bestimmte Gestalt[306] gegeben; es war aber auch seiner Zaubermacht aufbewahrt, den Sturm, den Natur und Bestimmung in seinem Jünglingsbusen erregt hatten, zu beschwören. Die matte Ergebung des Bruder Martin hatte ihm gezeigt, was der Mensch würde, der Menschenglück und Männerrechten entsagte, und so ihn gelehrt, Glück und Rechte zu erwägen. Seitdem war Göthe's Name dem Jüngling nicht wieder zu Ohren gekommen; wie er ihn von neuem erblickte, schien er ihm ein gefährliches Zeichen, und mit der Furcht, noch einmal elend zu werden, nahm er den Werther in die Hand. Die Außenwelt, in der Werther sich bewegte, war ihm neu; aber seine innere war auch die Welt seines Herzens. Aengstlich wirkte auf ihn Werthers gewaltiges Streben in eine unbestimmte Ferne, sein Unwille über Formen und Begrenzungen, die er immer so tief, daß sie ihn nicht einmal beengt hatten, verehrte. Abschreckend auf sein strenges Pflichtgefühl wirkte sein bestimmtes Begehren, sein muthloses Verzweifeln. Aber Werther liebte wie er, und zweifelte wie er, deshalb verlor er sich ganz in Liebe und Mitleid für den Unglücklichen, der ihm für tausend bisher unverständliche Gefühle den Namen genannt hatte, mit dem seine Seele tausendmal im Einklang gewesen war, ehe er ihn gekannt hatte. Tage und Wochen brachte er zu in ängstlicher Spannung, als lebte er neben Werther und sähe sein Schicksal vor sich reifen, und müsse ein Mittel finden, ihn vom Verderben zu retten. Oft drängte es ihn ihm zuzurufen, wie er tausend Mal sich zurief: Bete, arbeite und kämpfe mit der Hoffnung zu siegen. Ach, daß Werther[307] das nicht that, schien dem beschränkten, ins prosaische Leben gebannten Jüngling ein Vorwurf, den jeder fromme Mensch ihm machen würde, wenn er seinen Tod erführe. Unmöglich hätte er deshalb mit irgend Jemand von dem Buche sprechen können, aus Furcht, ein hartes Urtheil zu hören, einen Tadel über den Unglücklichen, den er so innig beweinte. Nicht seine Geschichte las er in Werthers anmaßlichem Leben; dafür hütete ihn seine kindliche Demuth. Er glaubte nie für eine Welt, die ihn nicht verstehe, zu gut zu sein; nein, er fürchtete der Zukunft, die ihn erwartete, nicht zu genügen. Theorryt war auf der festbezeichneten Bahn täglicher Pflichterfüllung mit der unfehlbaren Aussicht auf täglich wohlthätige Wirksamkeit fortgeschritten, erhoben durch das stete Hinblicken aufs Ziel. Dann kam die Zeit, wo die menschliche Bedürftigkeit mit seinem Streben in Streit trat; da seine Phantasie rein und seine Sinne zu keiner Herrschaft gewöhnt waren, konnte er sich zwar der Macht der Gefühle nicht entziehn, aber die Geschichte ihrer Willkür, die Werther ihm darstellte, rief alle seine geistigen Kräfte auf, ihnen keinen Sieg zu gestatten. Er gestand sich nun kühn, daß er liebte, wie Werther geliebt hatte; aber glücklicher wie jener, nicht herrischer Begehrlichkeit ausgesetzt sei, sondern aufgefordert, das höchste Opfer um den höchsten Preis zu erfüllen. Was er bitter und unmuthsvoll an jenem Abend an seines Vaters Grabhügel empfunden hatte: das müde Schleppen der täglichen Last, bis der Abend allvergessenden Schlaf brächte, fühlte er nun mit emporstrebendem Muthe als Aussicht auf täglichen Sieg,[308] bis die Palme erkämpft sei. Also dieser Liebe entsagen, die er nun deutlich erkannte, in einer Gestalt, vor der seine schüchterne Rose mit ihrer Schwesterliebe verschwand, um die das vergeisterte Kind Sidonie, wie ein Genius schwebte, – dieser Liebe entsagen, und aller Seligkeit, die er nur erschrocken geahnet hatte, Allem, von dem er sich bewußt war: das habe Werther zerstört, – alle Dem entsagen und täglich freudig erfüllen, was der ahnende Mensch ergrübelt hatte, um im dunkeln Symbol den Unbekannten, Erhabenen zu verkünden, zu dessen Priester er bestimmt war, das ward sein Siegesruf und seine Begeisterung im Streit. Wie mit diesem Entschluß seine Liebe für Werther begründet ward, wie er jedem profanen Auge sein Schicksal entzog, und wie er in den Momenten seiner frömmsten Entzückung um Werther, wie einst der gekrönte Sänger um Jonathan seinen Bruder weinte, das begreift nur, wer die Allgewalt eines mächtigen Gefühls, eines außerordentlichen Eindrucks bei Menschen beobachtete, in deren einfachem Leben jede Begebenheit einen so großen Raum einzunehmen findet, daß sie ihr Schicksal auf Jahre lang bestimmt.
Theorryt fühlte sich nicht im Stande, der Gräfin eine bestimmte Rechenschaft von seiner Ansicht über Göthe's Buch zu geben. Er schrieb ihr erst spät, meldete ihr mit Begeisterung den Empfang der höheren Weihen, und setzte zum Schlusse hinzu: »Werther ist gewiß kein Roman; ich sehne mich, als Priester für diesen Unglücklichen zu beten.«
Nun las ihn die Gräfin auch, und da die Gegenwart[309] des Jünglings ihre weibliche Selbstsucht nicht beschäftigte, ihr lebhaftes Gefühl nicht verleitete, sah sie mit Bestürzung, wie traurig dieses Buch hätte auf ihn wirken können. Diese Einsicht bewog sie, ihm bald, aber mit Ernst und Herzlichkeit zu schreiben. Geist- und gefühlvoll, wie sie war, mußte ein solcher Briefwechsel, wie sich nun zwischen ihr und dem Jüngling entspann, geeignet sein, dieses letztern Gefühle ganz zu verklären. Sidoniens zunehmende Gefahr machte ihn der Gräfin bald zum Bedürfniß. Der Schmerz des Mutterherzens ist ein veredelnder Schmerz; er führt zur Sehnsucht nach höheren, ernsteren Dingen, und hier zeigte sich Theorryts Gemüth in seinen Briefen mit einer Kraft und Innigkeit, welche die Gräfin für den leeren Trost lästiger Besuche und die stoische Ruhe ihres Gemahls entschädigte.
Monika arbeitete indeß emsig an der kleinen Aussteuer der Tochter. Die Gräfin hatte sie mit einem reichen Geschenk an Leinwand und Geld vermehrt, und sich dadurch in den Herzen von Theorryts einfachen Verwandten einen so festen Tempel gebaut, daß sie die Sorgen, die bei seinem letzten Aufenthalt manchmal in ihnen aufgestiegen waren, gänzlich vergaßen. Theorryts häufigere, theilnehmende Briefe vermehrten der frommen Mutter Zufriedenheit, und ließen sie der Feier von Rosa's Hochzeit und ihres Sohnes Premiz mit den Worten des glückseligen hohen Priesters gedenken, der das höchste Menschenglück genossen zu haben glaubte.
Theorryt hatte nun seinen Aufenthalt im Seminarium vollendet, und trat mit dem Muth der Begeisterung[310] seinen Weg nach Acha an, um in der Kirche, wo seiner Eltern Ehe eingesegnet war, wo er die Taufe empfangen, wo die Gemeine für die Seele seines Vaters gebetet, die erste Messe zu lesen. Mit zitternder Freude empfing die Mutter den Gesalbten des Herrn; sie wußte nun, was es sei, wenn der Mensch wähnet, Gott zu schauen. Rosa stand mit ihrem Bräutigam demüthig von ferne. Ihr hatte es immer gedünkt, als habe sie durch die Liebe, die sie dem Geliebten geschenkt, den Bruder beraubt; darum wäre sie gern doppelt zärtlich gegen ihn gewesen, denn es trieb sie unbewußt ihm zu zeigen, daß an Liebe wie an Licht der Gebende nie verarme. Bei seinem vorigen Aufenthalt war er bei dem innern Sturm seines Gemüths wenig geschickt, dieses liebende Verlangen zu erkennen; er nahm es stürmend auf, oder wies es scheu zurück. Mit froher Ueberraschung nahm sie deshalb den innigen Ausdruck wahr, mit welchem der Ankommende aus der Mutter Armen nach ihr hinüberblickte; wie er aber den mütterlichen Armen sich entwindend auf seine Knie sank, und Monika's segnende Hände zurückhielt, und nach ihr sich wendend, sie und ihren Geliebten herbeiwinkte, neben ihn zu knien, und diese höchste Weihe der Menschheit zu theilen, – da lobte sie den Geber der Freuden mit heißen Thränen und Dank.
Der Graf, dem er gleich nach seiner Ankunft aufwartete, empfing ihn mit der Achtungsbezeigung, durch welche Vornehme den Platz Geringerer für ihre Hausgenossen bezeichnen. Er wollte dem Menschen wohl, dessen Glückes Schöpfer er war, und den Priester wollte[311] er geehrt wissen. Eine Schrift, die er ihm zustellte, ernannte ihn zu seinem Hauscaplan und zum Nachfolger des Gemeindepfarrers, der alt war. Die Aeußerung eines männlichen Beifalls über den Gebrauch seiner Zeit im Seminar, worüber der Graf genaue Nachricht eingezogen hatte, einige sehr strenge Ermahnungen über seine künftige Laufbahn, versetzten Theorryt in eine schmerzhafte Zerstreuung. Er hatte nach Ruhe und Stille des Gemüths gerungen, um leidenschaftlos vor der Gräfin zu erscheinen. Hätte in des Grafen Betragen irgend Etwas gelegen, das ihm erlaubt hätte, sein Gefühl für ihn, für seine Güte überfließen zu lassen, so wäre ihm das gelungen; allein der Graf drückte jeden Gefühlsausbruch nieder durch die klare Winterhelle seiner Vernunft. Des jungen Mannes Dank selbst prallte von ihr wie eine Welle vom Felsen zurück, und so wird auch der stille Wasserspiegel zur Brandung. Wenig gefaßt trat er zur Gräfin ein. Dort fand er aber einen mächtigen Ehrfurchtgebieter, der alle Wellen und Wogen des menschlichen Busens beschwichtigt. Er trug die lieblichste Gestalt in Sidoniens verklärten Zügen. Sie saß neben der Gräfin und rief ihm lebhaft entgegen: O daß Sie endlich da sind! meine Rosen wollten nicht länger mehr blühen, und ich ward so müde, so müde, daß ich oft dachte, es würde Abend, ehe Sie kämen. Nun kann ich den Kranz binden; denn das Grab ist bereit. – Sidonie! rief die Gräfin, und brach in Thränen aus, der Kranz ist für die geistliche Braut, nicht für das Grab. – Für die geistliche Braut, wiederholte das Kind bestätigend, und blickte Theorrytes an, wie[312] jemanden, der ihr Geheimniß wohl wüßte, mit glänzenden Augen winkend; für die geistliche Braut, mein frommer Freund, und dann wissen Sie wohl, wo er hinkömmt, setzte sie noch einmal bedeutend hinzu. Theorryt riß sich gewaltsam aus der niederwerfenden Wehmuth, die ihn bei den drohenden Phantasien dieses, dem Sterben geweihten Kindes ergriff. Um sie wieder zur Wirklichkeit zurückzuführen und ihrem Umherschweifen das Angewöhnte entgegenzusetzen, verwies er sie auf seinen Vorschlag vom vorigen Jahre und sagte: Gewiß weiß ich, wo er hinkömmt dieser Kranz. Nachdem Sie ihn auf dem Altare geopfert, weihen Sie ihn der kindlichen Jungfrau, die Sie schon voriges Jahr so schön schmückten. – Die hat meinen Kranz von weißen Rosen voriges Jahr nicht erhalten, das wissen Sie wohl, nahm Sidonie unwillig das Wort; der Jungfrau gebührt eine weiße Lilie zum Schmuck. Ihr seid wunderliche Leute, setzte sie, das Bild anblickend, hinzu; warum wollt ihr den Kindern ihre Blumen nicht lassen? Der Alte da weigert die Lilie, welche Maria begehrt, und Sie bestreiten mir meinen Kranz, der Ueberwinderin Zierde. –
Theorryt erfuhr nun, daß sich die Kleine die Freude, als geistliche Braut seiner Premize beizuwohnen, sich nicht hätte nehmen lassen. Man fürchtete die Ueberspannung des Augenblicks, die Menschenmenge in der Kirche; aber Sidonie hatte so vielfältig davon gesprochen, daß das ganze Dorf darauf hoffte, und alle Leute die Rückkehr alter Frömmigkeit voraussahen, weil ihre Herrschaft das Priesterthum so hoch zu ehren gedachte;[313] in der Gräfin wurden fromme Eindrücke ihrer Erziehung wieder lebendig; ihre Phantasie reihte dunkle Gefühle von dem Unrecht daran, dessen Sie sich gegen Theorrytes bewußt war, und das sie durch die poetische Feier seines geistlichen Festes für versöhnt hielt. Bei dem Grafen war es Grundsatz, den Priester vor dem Volke zu ehren, und selbst den Gefühlseindrücken nicht unterworfen, maß er ihnen wenig Wichtigkeit bei; Sidoniens Wunsch ward also gewährt, so sichtbar er ihre befremdlichen Träume beförderte.
In Erwartung des feierlichen Tages wallfahrtete Theorrytes mit tiefer Andacht von einer Stätte der Erinnerung zur andern, und brachte an einer jeden die Sehnsucht seiner Vergangenheit den Entschlüssen für seine Zukunft zum Opfer. Die verfallene Steinkluft, wo er als Knabe eine Kapelle ausgeschmückt; das Grab seines Vaters, wo sich seine quälenden Zweifel in müde Ergebung auflösten; der Gottesacker im Kloster, wo er die Schaam, als Heuchler zu erscheinen, empfunden – dort überall betete er um den kindlichen Geist, der den Bitten entsagt und im Danken sein Glück findet.
Der feierliche Tag brach an; das ganze Dorf strömte herbei, den Knaben, den es so lange nicht geachtet hatte, als Priester zu verehren. Siegend legte die bessere Menschheit einen freundlichen Zug auf eines Jeden, auch des Rohesten Gesicht, wie er Monika auf dem Kirchgange begegnete. Sie ging demüthig und jauchzend in ihrem Herzen – denn ihre Demuth vereinte sich mit ihrem Stolz, einen Priester des Herrn geboren zu haben –[314] zwischen Rosa und ihrem Eidam einher. Am Grabe ihres Gatten kniete sie nieder; sie hatte ihr Gelübde gelöst, und wenn noch etwas im Reiche der Seligen ihm abging, so mußte es in dem Augenblick ihm zuströmen, wo der Erlöser auf das Gebet seines Sohnes versichtbart herabstieg. Der Prälat von Berlach, der die Predigt übernommen hatte, sprach mit Begeisterung von der Würde des Priesters, mit Strenge von den Pflichten seines Berufs, mit väterlicher Freude von dem Zögling seines Hauses, der Tugenden genug habe, sie alle zu erfüllen. Demuth, Dank und Andacht erhoben Theorrytes Herz. Sein Blick übersah, der Wirklichkeit entschwungen und von ihr überwältigt, die ganze Versammlung. Seinen geehrten Lehrer, die erhabene Frau, die jetzt mit keiner phantastischen Nebenidee beschäftigt, voll Hoheit und Milde auf ihn – seinen Ehrentag, als ihr Werk genießend – herabsah; seine Mutter, deren Blick von Seligkeit strömend, in dem Altar, vor dem er stand, den ganzen Himmel erblickte – – und unter allen diesen Gegenständen irdischer Wonne trat Sidonie wie eine Botin höherer Welten hervor. Sie stand nahe am Altar, den Augenblick ihrer Theilnahme an der Feierlichkeit erwartend. Weiß gekleidet, den Kranz weißer Rosen im Haar, hatte sie sich einen hohen Lilienstengel gebrochen, den sie, ungeachtet der Ermahnung ihrer Begleiter, in der Hand hielt. Ihr Haar floß in großen goldenen Locken auf ihre Schultern; die Kindergestalt schien kaum verkörpert; ihre Farbe glich dem Schimmer des Abendrothes, wenn es auf nie berührten[315] Schnee fällt; ihr Auge allein sprach Leben aus, und deutete doch weit über dieses Leben hinaus. – Endlich winkte der Akolith der Wärterin des Kindes; die Worte der Einsegnung waren gesprochen; Sidonie, der man die Ceremonie erklärt hatte, nahm mit holdseliger Andacht den Kranz von ihrem Haupt, und legte ihn auf den Altar – indem sah ihre Begleiterin sie wanken, und hob sie auf ihre Arme. Das Kind blickte entzückt zur Mutter empor, indem sie ihren Lilienstengel gegen sie neigte, sie machte noch einmal diese Bewegung, als sollte sie an den Vermählten der Kirche vor dem Altare gerichtet sein – aber wie ermattet sank ihre Hand und ihr Haupt auf der Begleiterin Schulter, die dem erhaltenen Befehle gemäß: sie, sobald ihre Theilnahme an der Feierlichkeit stattgefunden hätte, zu entfernen, augenblicklich die Kirche verließ.
Nach alt hergebrachtem Brauche waren Monika und Rosa, als nächste Verwandte, im Fortgang der heiligen Feier die ersten in der Reihe der Gläubigen, die dem Altare sich nahten. Schon der Augenblick der Verwandlung hatte Theorryts Seele aus der Sinnenwelt entrückt; wie er aber jetzt der Mutter das Pfand einer Seligkeit zutheilte, deren Begriff keines Menschen Vernunft zu fassen im Stande ist, wie er es mit Priesterhand der Mutter darbot, die für ihn sich in Liebe geopfert sein Lebelang, da stritt in ihm die Dankbarkeit, die ihn auf seine Knie zog, und die Hoheit seines Berufs, daß er dem Kampfe fast unterlag.
Das Abendmahl war gereicht und der neue Priester[316] hatte jetzt Zeit, sich im Gebete zu sammeln, da bemerkte er eine unruhige Bewegung in einem Theile der Kirche; er nahm wahr, wie die Gräfin ängstlich dahin blickte und endlich ihr Chor vor dem Segensspruche verließ. Eine unaussprechliche Angst trieb ihn, das Ende der Handlung zu beschleunigen; er eilte in die Sakristei, sich der priesterlichen Kleidung zu entledigen und dort empfing ihn die Nachricht, Sidonie sei schlummernd aus der Kirche getragen und ihr Schlummer schiene Tod. – Theorrytes eilte unverzüglich aufs Schloß. Sidoniens leichte Hülle lag, den Lilienstengel fest in der Hand haltend, im ewigen Schlaf. Ihre Begleiterin hatte, sie ins Schloß tragend, verspürt, daß sie schwerer ward, und länger von ihren Armen herunter reichte; auf ihr ängstliches Fragen nach ihrem Befinden fühlte sie, wie das Mädchen seinen Kopf freundlich an ihren Hals zu drücken bemüht war; in das Zimmer getreten, legte sie es ängstlich auf das Ruhebette, aber sie wußte nicht, ob sie damals noch gelebt. – Sie lag, als hätte sie sich willkürlich gelegt, eine Hand auf dem Herzen, die linke, die den Lilienstengel hielt, neben sich gestreckt. Der Graf, den Unpäßlichkeit aus der Kirche zurückgehalten hatte, eilte auf der Wärterin Rufen herbei; seine erste Sorge ging dahin, die Nachricht seiner Gemahlin nicht in der Kirche zukommen zu lassen; er schloß alle Anwesende in Sidoniens Zimmer ein, schickte zum Arzt, und versuchte indeß alle Mittel, welche bei Nervenohnmachten des Kindes schon ehemals angewandt worden. Dennoch drang das Gerücht in die Kirche. Die Gräfin[317] nahm Unruhe unter der Gemeine wahr und eilte, von Ahnung getrieben, nach Hause. Jetzt fand sie Theorrytes vor der Hülle der Verklärten in erstarrtem Schmerz. Der Graf kam dem jungen Priester mit Anstand entgegen; aber Thränen rannen aus den ruhigen Augen über die ruhigen Züge, wie das lebendige Wasser des Felsquells über die Eisdecke der ihn empfangenden Flur. Verrichten Sie Ihr erstes Amt in meinem Hause, sagte er fest, und deutete mit dennoch zitternder Hand auf die Todte. Theorrytes kniete vor das Ruhebette, der Graf faßte seiner Gemahlin Hände und zog die starre Trauergestalt zum Gebet nieder, alles Schloßgesinde, das sich im Zimmer gesammelt hatte, sank zu Boden, und der Anblick der festlich gekleideten Beter glich einer Blumenflur von Gottes Wettern geschlagen, in deren Mitte Sidonie dalag, wie ein schlafendes Kind. Nach einer Weile tiefer Stille erhob Theorrytes sein Haupt, und betete laut mit der Begeisterung des Glaubens und des Schmerzes. Der Mutter Thränen flossen; der Graf winkte, und das Zimmer ward leer. Nun bat der Graf den Priester, die Gräfin auch zu entfernen. Jetzt ward Theorrytes von seinen Gefühlen überwältigt; er hob die gefalteten Hände gen Himmel und rief: mit dir sinkt mein letzter Erdengedanken ins Grab! – Der Graf sah ihn durchdringend, aber nicht vorwurfsvoll an, reichte ihm seiner Gattin Hand, als wolle er sie ihm zu leiten übergeben, und sagte: Nun ruhe die Todte. Ihnen liegt es ob, die Lebende zu unterstützen.[318]
Und Theorrytes that es. Wenn er bis zu seiner ersten Amtsverwaltung, wenn er neben Sidoniens Leiche noch leidenschaftliche Spannung verrieth, so war er nun durch die Folge geistiger Kraftentwickelung zur Herrschaft über sie gelangt. Wie viel überirdische Einwirkung dabei Statt fand, gebührt uns nicht zu entscheiden. Von dieser ganz abgesehn, muß sich der denkende Mensch Augenblicke seines Lebens erinnern, die er als die reinsten, höchsten, für Stufen seiner Veredlung erkennt. Von da an weiß er, was er fähig ist, nachzustreben, zu erringen, und die Sinnenwelt überwältigt ihn nicht mehr.
1 Die erste Messe.
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Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
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