Ode von der Freundschafft. E.N

[204] 1.

Vergnüget euch ihr eitlen Sinnen/

Wohin euch die Begierde treibt.

Mein Hertz soll einen Schatz gewinnen/

Wo sein Vergnügen ewig bleibt.

Denn mein Gemüthe soll die Freundschaft treuer Seelen/

Zu seiner beständigen Losung erwehlen.
[204]

2.

Man mag sich nur bezaubern lassen/

Wo Gold ein schnödes Blendwerck macht:

Wer hier will sein Vergnügen fassen/

Der haßt den Tag und liebt die Nacht.

Nein mein Gemüthe soll die Freundschafft treuer Seelen

Zu seiner beständigen Losung erwehlen.


3.

Und wer sich schnöde Lust will suchen/

Hat sich ein üppig Ziel gesteckt.

Die Tugend heißt mich das verfluchen/

Was ihren Purpur Glantz befleckt

Ach mein Gemüthe soll die Freundschafft treuer Seelen

Zu seiner beständigen Losung erwehlen.


4.

Die Liebe blendet vieler Augen/

Wodurch ein edles Hertz verdirbt.

Da muß man Gifft aus Rosen saugen/

Biß endlich alle Freundschafft stirbt.

Nein mein Gemüthe soll die Freundschafft treuer Seelen/

Zu seiner beständigen Losung erwehlen.


5.

Hier wechseln sich die gleichen Hertzen/

Und so vermählt sich Blut und Blut.

Wo gleiche Lust/ und gleiche Schmertzen/

Da findet man ein edles Gut.

Ja mein Gemüthe soll die Freundschafft treuer Seelen

Zu seiner beständigen Losung erwehlen.


6.

Mein Sinn tritt alle Pracht mit Füssen/

Und sieht das Glück verächtlich an/

Wenn ich das Glücke nur geniessen/

Und wahre Freundschafft küssen kan.

Ach mein Gemüthe soll die Freundschafft treuer Seelen

Zu seinem beständigen Losung erwehlen.
[205]

7.

Wo ist die Seele/ die mich liebet?

Welch Hertz schließt mit mir einen Bund?

Hier ist mein Hertz/ das sich ihm giebet/

Beständigkeit legt selbst den Grund.

Denn mein Gemüthe soll die Freundschafft treuer Seelen

Zu seiner beständigen Losung erwehlen.


8.

Die Tugend schmiedet selbst die Ketten/

Und fesselt uns durch ihre Hand.

So hanget Hertz an Hertz wie Kletten/

Und trotzt ein Demant festes Band.

Soll mein Gemüthe nicht die Freundschafft treuer Seelen

Zu seiner beständigen Losung erwehlen?


9.

Verbundne Seele laß dich küssen/

Verknüpftes Hertze küsse mich.

Das Bündniß stehrt unzerrissen/

Du bist auch todt mein ander ich.

Denn mein Gemüthe soll die Freundschafft treuer Seelen

Zu seiner beständigen Losung erwehlen.


Quelle:
Christian Friedrich Hunold: Menantes Academische Nebenstunden allerhand neuer Gedichte, Halle/ Leipzig 1713, S. 204-206.
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