[450] Ein schmaler Steig hoch oben im Gebirge. Es ist früher Morgen. Peer Gynt geht eilig und unwillig den Steig entlang. Ingrid, halb in Brautputz, sucht ihn zurückzuhalten.
PEER GYNT.
Geh!
INGRID weinend.
Nach all dem, was geschehen!
Und wohin?
PEER GYNT.
Was kümmert's mich!
INGRID ringt die Hände.
Welch ein Treubruch!
PEER GYNT.
Statt zu schmähen,
Wandre Deines Wegs wie ich!
INGRID.
Unsre Schuld muß uns vereinen!
PEER GYNT.
Daß die Pest auf all das falle!
Hol' die Pest Euch Weiber alle – –
Außer einer –!
INGRID.
Welcher einen?
PEER GYNT.
Du bist's schwerlich.
INGRID.
Also wer?
PEER GYNT.
Geh! Geh wieder heim, woher
Du gekommen bist!
INGRID.
Ach Peer –!
PEER GYNT.
Schweig!
INGRID.
Du kannst unmöglich meinen,
Was Du redest.
PEER GYNT.
Kann ich doch!
INGRID.
Erst verführen, – dann erkalten!
PEER GYNT.
Und was hast Du, mich zu halten?
INGRID.
Haegstad und manch andres noch.
PEER GYNT.
Hast Du ein Gesangbuch? Trägst Du
Goldhaar über Hals und Mieder?
Hältst Du Mutters Schürze? Schlägst Du
Fromm den Blick zur Erde nieder?
INGRID.
Ich –?
PEER GYNT.
Bist Du vor hundert Tagen
Am Altar gewesen?
INGRID.
Nein –[451]
PEER GYNT.
Kann Dein Auge züchtig sein?
Kannst Du mir 'ne Bitt' abschlagen?
INGRID.
Peer, bist Du von Sinnen, he?
PEER GYNT.
Wird der, der Dich ansieht, rein?
Sag'!
INGRID.
Nein, aber –
PEER GYNT.
Also geh!
Will gehen.
INGRID vertritt ihm den Weg.
Weißt Du, daß Dir das den Kopf
Kosten kann?
PEER GYNT.
Und wenn's auch wäre!
INGRID.
Geld und Gut wird Dein und Ehre,
Bleibst Du treu!
PEER GYNT.
Ich wär' ein Tropf!
INGRID bricht in Tränen aus.
Du betrogst mich –!
PEER GYNT.
Du warst willig.
INGRID.
Trostlos war ich!
PEER GYNT.
Ich war toll.
INGRID drohend.
Doch Du zahlst den Preis mir voll!
PEER GYNT.
Hier ist jeder Preis noch billig.
INGRID.
Also nicht?
PEER GYNT.
Komm mir nicht nah!
INGRID.
Gut! Du spürst noch meine Kralle!
Steigt hinab.
PEER GYNT schweigt eine Weile; auf einmal schreit er.
Daß die Pest auf all das falle!
Hol' die Pest Euch Weiber alle!
INGRID wendet den Kopf und ruft höhnisch herauf.
Außer einer!
PEER GYNT.
Einer; ja.
Ab, ein jedes seines Wegs.
Bei einem Gebirgssee.
Der Boden ringsum ist weich und sumpfig. Ein Unwetter zieht auf. Aase, verzweifelt, ruft und sieht sich um nach allen Seiten.
[452] Solvejg hat Mühe, mit ihr Schritt zu halten. Ihre Eltern und Helga ein Stück dahinter.
AASE ficht mit den Armen und rauft sich das Haar.
Alles ist wider mich eifernd im Werk –
Himmel und Wasser und Wald und Berg!
Der Nebel möcht' am liebsten ein Brett werden,
Der tückische Bergsee sein Totenbett werden,
Die Felswand ihn mit Steinschlag begraben!
Und gar die Menschen! Wenn die ihn erst haben!
Sie soll'n ihm nur an! Ich kann ihn nicht entbehren!
Mußt' ihn der Teufel auch das just lehren!
Wendet sich zu Solvejg.
Ist es denn möglich! Das ist mein Sohn? –
Er, der nichts könnt' als lügen und drohn,
Er, dessen Maul seine einzige Kraft, –
Er, der noch nie was Rechtes geschafft, –
Er –! Was soll man da? Weinen oder lachen?
O, wir zwei hatten was durchzumachen!
Denn wie Du wissen mußt, trank mein Mann,
Fuhr rings umher und gab Torheiten an;
's Geld flog hinaus; mehr und mehr ging's uns schlecht.
Derweil' sind wir zwei denn daheim gesessen
Und haben gesucht, den Jammer zu vergessen;
Denn Widerstand leisten, das konnt' ich nie recht.
Dem Schicksal ins Aug' schaun, das ist kein Vergnügen;
Und man will doch auch mal seiner Sorgen bloß werden
Und die bösen Gedanken von Zeit zu Zeit loswerden.
Der eine braucht Branntwein, der andre braucht Lügen;
Na ja! Und so verfielen denn wir
Auf Prinzen und Trollspuk und allerhand Getier.
Auch Brautraub kam vor. Doch, frag' ich, wer denkt,
Daß so was in solch einem Burschen festhängt.
Wieder voll Furcht.
Hu, was schrie dort! Ein Draug oder Zwerg!
Peer! – – Peer! – – Dort oben auf dem Berg –!
Sie läuft eine kleine Anhöhe hinauf und sieht über den See hin. Solvejgs Eltern mit Helga kommen dazu.
[453]
AASE.
Nichts zu sehn auf dem ganzen Kamm!
DER MANN nachdenklich.
Schlimm für ihn.
AASE weinend.
Mein verloren Lamm!
DER MANN nickt mild.
Jawohl. Verloren.
AASE.
Nein, red' nicht so!
Er ist ein Kerl! Da wär' mancher froh –!
DER MANN.
Du Törin!
AASE.
Mag ich Dir eine gelten!
Doch meinen Jungen, den lass' ich nicht schelten.
DER MANN immer gedämpften Tones und mit milden Augen.
Er ist verloren; sein Herz ward zu Stein.
AASE angstvoll.
Nein doch! So hart wird der Herrgott nicht sein!
DER MANN.
Kann er vielleicht seine Sünden bestreiten?
AASE eifrig.
Nein, aber durch die Luft kann er reiten!
DIE FRAU.
Seid Ihr verrückt?
DER MANN.
Was schwatzt Ihr da her?
AASE.
Nichts auf der Welt ist dem Jungen zu schwer.
Laß ihn nur erst seine Schalen ganz sprengen –
DER MANN.
Säht Ihr ihn nur erst am Galgen hängen!
AASE schreit.
Jesus, nein!
DER MANN.
Wird ihn der Henker packen,
Krümmt ihm vielleicht doch noch Reue den Nacken.
AASE betäubt.
O, Ihr verwirrt noch mich armes Weib!
Kommt doch! Es gilt –
DER MANN.
Seine Seel'.
AASE.
Und seinen Leib!
Steckt er im Sumpf, wir betten ihn trocken, –
Ist er verhext, muß der Küster an die Glocken, –
DER MANN.
Hm! – Hier ist Viehweg –
AASE.
Vergess' Gott Euch nicht,
Daß Ihr mir helft!
DER MANN.
Das ist Christenpflicht.[454]
AASE.
So? Na, dann sind das Heiden, die andern!
Auch nicht einer wollt' mit uns wandern –
DER MANN.
Man kennt ihn zu gut.
AASE.
Er konnt' ihnen zu viel!
Ringt die Hände.
Und denkt Euch! Sein Leben steht auf dem Spiel!
DER MANN.
Hier scheint 'ne Fährte –.
AASE.
So laßt uns eilen!
DER MANN.
Bei unserm Saeter dann woll'n wir uns teilen.
Er und seine Frau gehen voraus.
SOLVEJG zu Aase.
Erzähl' mir noch etwas!
AASE trocknet die Augen.
Von meinem Sohn?
SOLVEJG.
Ja; –
Alles!
AASE lächelt und trägt den Kopf mit einem Mal wieder hoch.
Alles? – Müd' würd'st Du da!
SOLVEJG.
Eher wohl würdet Ihr müd', zu plauschen,
Als ich, zu lauschen.
Niedrige baumlose Höhen unterm Hochgebirge.
Bergzinnen weiter hinten. Die Schatten fallen lang; es ist spät am Tage.
PEER GYNT kommt in großen Sätzen gesprungen und macht vor dem Abhang halt.
Die ganze Gemeind' ist aus, mich zu fangen.
Sie haben sich bewaffnet mit Flinten und Stangen.
Allen voran hört den Haegstad man brüllen. –
Überall heißt's jetzt: Peer Gynt, das wilde Füllen!
Das ist doch was mehr, als Gebalg mit 'nem Schmied;
Das ist Leben. Man fühlt sich wie ein Bär in jedem Glied.
Schlägt um sich und macht einen Luftsprung.
Brechen! Wälzen! Den Wasserfall stauen!
Tannen auswurzeln! Stoßen! Hauen!
Das ist Leben! Das kräftigt! Das schafft Genügen!
Zum Teufel mit all den wässrigen Lügen![455]
DREI SAETERINNEN laufen über die Berghänge schreiend und singend.
Trond im Walgebirg! Kåre und Bår!
Wir schieben heut Nacht die Riegel nicht vor!
PEER GYNT.
Was schreit Ihr da?
DREI SAETERINNEN.
Jede nach ihrem Troll!
ERSTE SAETERIN.
Trond! Komm mir schmachtend!
ZWEITE SAETERIN.
Bår, komm mir toll!
DRITTE SAETERIN.
Im Saeter stehn alle Kammern leer.
ERSTE SAETERIN.
Toll ist schmachtend!
ZWEITE SAETERIN.
Und schmachtend ist toll!
DRITTE SAETERIN.
Fehlt' es an Burschen, so liebt man 'nen Troll.
PEER GYNT.
Wo sind denn die Burschen?
ALLE DREI SAETERINNEN sich vor Lachen schüttelnd.
Die kommen nicht mehr.
ERSTE SAETERIN.
Der meine, der nannt' mich Verlobt' und Verwandte, –
Da wurd' er der Mann von 'ner alten Tante
ZWEITE SAETERIN.
Der meine, der traf 'ne Zigeun'rin im Norden, –
Da sind sie beide Landstreicher worden.
DRITTE SAETERIN.
Der meine vergab's unserm kleinen Dinge, –
Jetzt grient sein Schädel wo aus 'ner Schlinge.
ALLE DREI SAETERINNEN.
Trond im Walgebirg! Kåre und Bår!
Wir schieben heut Abend die Riegel nicht vor!
PEER GYNT steht mit einem Sprung unter ihnen.
Ich bin ein Troll und ein Bursch für Euch drei!
DIE DREI SAETERINNEN.
Bist Du so 'n Kerl?
PEER GYNT.
Steh' der Himmel Euch bei!
ERSTE SAETERIN.
Zum Saeter!
ZWEITE SAETERIN.
Wir haben Met!
PEER GYNT.
Laßt's ein Meer sein![456]
DRITTE SAETERIN.
Die Samstagsnacht soll keine Kammer heut leer sein!
ZWEITE SAETERIN küßt ihn.
Er glühet und sprühet wie glühheißes Erz.
DRITTE SAETERIN ebenso.
Wie 's Aug' einer Kindsleich' im schwärzesten See.
PEER GYNT.
Trübe der Sinn und frech das Herz.
Im Auge Lachen, im Halse Weh!
DIE DREI SAETERINNEN machen den Bergspitzen lange Nasen, schreien und singen.
Trond im Walgebirg! Kåre und Bår!
Wir schieben heut Nacht die Riegel doch vor!
Im Rondegebirge.
Sonnenuntergang. Schimmernde Schneegipfel rundum.
PEER GYNT kommt wirr und verwildert.
Luftschloß auf Luftschloß brückt es
Über die Tiefen hin!
Steh! Willst Du stehn! Da rückt es
Wieder aus Augen und Sinn!
Auf dem Turme der Hahn winkt
Mit seinen Flügeln zur Flucht; –
Und, ein entflatternder Wahn, sinkt
Alles ins Grauen der Schlucht. –
Was für Wurzeln und Stämme sprießen
Dort aus zerklüftetem Grund?
Das sind Riesen mit Reiherfüßen!
Da schluckt sie schon wieder ein Schrund. –
Wie Regenbogengeflimmer
Frißt sich mir's ins Gehirn.
Was ist das für Glockengewimmer!
Was werkt da in meiner Stirn!
Der Schädel nimmt keinen Rat an.
Wie sollt' er's auch mit dem Band,
Dem brennheißen, um sich! Zum Satan!
Wer hat mir nur das umgebrannt!
Sinkt nieder.
[457]
Bocksritt über den Genden.
Wer Dir das glauben mag?
Hoch an den schroffesten Wänden
Mit der Braut – und im Rausch einen Tag;
Stoßende Falken und Weihen,
Trollspuk und ähnlicher Prast,
Liebschaften gleich mit dreien; –
O, Du verruchter Phantast!
Starrt lange aufwärts.
Da segeln zwei braune Aare.
Gen Süden die Wildgäns' ziehn,
Und hier soll ich armer Narre
Im Kot waten bis zu den Knien!
Springt in die Höhe.
Ich will mit! Will baden mich rein in
Des Winds allerwildester Wut!
Will hoch! Will tauchen hinein in
Der Sonne Taufstrahlenflut!
Ich will fort! Ich schwing' mich zu Pferde;
Ich reit' mich von Sinn und Verstand;
Ich stürm' übers Meer und werde
Kaiser von Engelland;
Ja, glotzt nur, ihr Mädels da drunten!
Ich tu', was ich mag, annoch.
Was wartet ihr, dumme Tunten –!
Das heißt, – am End' komm' ich doch?! –
Halloh! Die Adler da droben, –
Die hat wohl der Schwarze verhext! –
Da hat sich ein Giebel erhoben!
Schau', schau', wie das wird und wächst!
Ein Bauwerk aus Berg und Wolke!
Haha, jetzt kenn' ich mich aus!
Breit winkt die Tür allem Volke, –
Das ist Großvaters neugebaut Haus.
Dem alten Gebälk ging's zuleibe,
Der Hecke gab man den Rest.
Das glitzert von jeder Scheibe,
Im großen Saal, da ist fest![458]
Da messert die Plappertasche,
Der Propst, an sein Glas und girrt; –
Da schmeißt der Kapitän seine Flasche,
Daß der Spiegel in Scherben zerklirrt. –
Laß fahren dahin! Laß fahren!
Schweig, Mutter; wir machen's nicht gut!
Der reiche Jon Gynt mag nicht sparen, –
Ein Hoch auf das Gyntische Blut!
Was ist das für ein Gezeter!
Was für ein Gelärm' und Gejohl'!
Der Kapitän ruft nach Peter, –
Der Propst will ausbringen mein Wohl.
Hinein denn, entgegengenommen
Dein Urtel von jedem im Saal! –:
Von Großem, Peer, bist Du kommen,
Und Großes noch wirst Du einmal!
Springt vorwärts, rennt jedoch mit der Nase gegen einen Felsblock, fällt hin und bleibt liegen.
Eine Berglehne mit großen rauschenden Laubbäumen.
Sterne blinken durchs Laub; Vögel singen in den Baumkronen. Ein grüngekleidetes Weib geht auf der Lehne. Peer Gynt folgt ihm unter allerhand verliebten Gebärden.
DIE GRÜNGEKLEIDETE bleibt stehen und kehrt sich um.
Ist's wahr?
PEER GYNT schneidet sich mit dem Finger über die Gurgel.
Ich heiße nicht wahrer Peer, –
Und Du bist nicht wahrer eine bildsaubre Dirn!
Willst Du mich haben? Du bekommst es nicht schwer,
Sollst nichts zu tun haben mit Nadel und Zwirn,
Magst Dich mit Speisen nach Herzenslust stopfen,
Will Dich auch niemals beuteln oder schopfen –
DIE GRÜNGEKLEIDETE.
Nie auch mich schlagen?
PEER GYNT.
Nein; so zu fragen!
Ein Königssohn wird doch nicht Weibsleute schlagen.[459]
DIE GRÜNGEKLEIDETE.
Ein Königssohn?
PEER GYNT.
Ja!
DIE GRÜNGEKLEIDETE.
Ich bin Dovrekönigs Kind.
PEER GYNT.
Bist Du? Schau', schau', was für Leute wir sind!
DIE GRÜNGEKLEIDETE.
Drinnen in Ronde hat Vater sein Schloß.
PEER GYNT.
Mutters Palast ist ein wahrer Koloß.
DIE GRÜNGEKLEIDETE.
Kennst Du meinen Vater? Den König Brose?
PEER GYNT.
Kennst Du meine Mutter? Die Königin Aase?
DIE GRÜNGEKLEIDETE.
Brüllt Vater, bersten die größten Blöcke.
PEER GYNT.
Schilt Mutter, schießen sie Purzelböcke.
DIE GRÜNGEKLEIDETE.
Vater, der springt dir im Tanz bis ans Dach.
PEER GYNT.
Mutter, die reitet durch den reißendsten Bach.
DIE GRÜNGEKLEIDETE.
Hast Du keinen besseren Anzug als den?
PEER GYNT.
Du solltest mal meinen Sonntagstaat sehn!
DIE GRÜNGEKLEIDETE.
Ich geh' auch Werktags in seidnem Kleide.
PEER GYNT.
Es sieht zwar wie Werg aus und Gras, nicht wie Seide –
DIE GRÜNGEKLEIDETE.
Ja, Du, auf eines, da hab' Du mir Acht:
So ist's nun einmal bei uns hergebracht:
Alles beim Rondevolk hat zwei Seiten.
Wenn Du auf Vaters Schloß mit mir gehst,
Dürft' Dich der Schein leicht zum Glauben verleiten,
Daß Du mitten in einer Geröllwüste stehst.
PEER GYNT.
Just wie bei uns! Daß man's glauben sollt'!
Für Ruß und Rost möcht'st Du alles das Gold –[460]
Und jede glitzernde Scheib' für aus alten
Fetzen und Flicken zurecht gemacht halten.
DIE GRÜNGEKLEIDETE.
Schwarz, das scheint weiß, und grob, das scheint fein.
PEER GYNT.
Groß, das scheint klein, und schmutzig, das scheint rein!
DIE GRÜNGEKLEIDETE fällt ihm um den Hals.
Ja, Peer, so seh' ich, wir geben ein Paar!
PEER GYNT.
Wie Bein und Hose, wie Kamm und Haar.
DIE GRÜNGEKLEIDETE ruft nach hinten in die Berglehne.
Brautrößlein! Brautrößlein mein! Komm hervor!
Eine riesengroße Sau kommt gelaufen mit einem Tauende als Zaum und einem alten Sack als Sattel. Peer Gynt schwingt sich darauf und nimmt die Grüngekleidete vor sich.
PEER GYNT.
Heissa! Jetzt geht es durchs Ronde-Tor,
Sput' Dich, sput' Dich, mein Zelter brav!
DIE GRÜNGEKLEIDETE zärtlich.
Ach, gestern noch ging ich als wie im Schlaf; –
Und heute – wer das mir gesagt hätt'! – und heute –!
PEER GYNT prügelt die Sau und trabt von dannen.
Am Reitzeug erkennt man die fürnehmen Leute!
Des Dovre-Alten Königshalle.
Große Versammlung von Hoftrollen, Erdgeistern und Kobolden. Der Dovre-Alte auf dem Hochsitz mit Krone und Szepter. Seine Kinder und nächsten Verwandten zu beiden Seiten. Peer Gynt steht vor ihm. Große Bewegung im Saal.
DIE HOFTROLLE.
Schlachtet ihn ab! Betört hat der Christ
Des Dovre-Alten wonnigste Maid!
EIN JUNGER TROLL.
Ob ich ihn in den Finger schneid'?
EIN ANDERER.
Darf ich ihn an den Haaren reißen?[461]
EINE TROLLJUNGFER.
Laßt mich ihn in den Schenkel beißen!
TROLLHEXE mit einem Kochlöffel.
Dafern er in Salzlaug' zu pökeln ist –?
EINE ANDERE mit einem Schlächtermesser.
Soll ich ihn am Spieß braten oder im Hafen schmoren?
DER DOVRE-ALTE.
Eis Euch ins Blut!
Winkt seine Vertrauten näher zu sich heran.
Hört, sei'n wir keine Toren!
Mit uns geht's die letzten Jahre zurück,
Wir haben den Halt, sozusagen, verloren,
Und Volkshilfe macht' uns am End' wieder flügg.
Zudem scheint der Bursche gesund geboren,
Und stark gebaut ist er auch, wie ich seh'.
Wohl wahr, Kopf hat er nicht mehr als einen,
Doch hat meine Tochter ja auch nicht meh.
Dreiköpfiger Trolle gibt's schier mehr keinen,
Zweiköpfige kaum noch mal hier und da,
Und die sind denn auch soso lala.
Zu Peer Gynt.
Du willst, daß ich Dir die Tochter gebe?
PEER GYNT.
Die Tochter und 's Reich als Mitgift dazu.
DER DOVRE-ALTE.
Das halbe mag Dein sein, solang' ich noch lebe,
Das übrige, leg' ich dereinst mich zur Ruh'.
PEER GYNT.
Ich bin's zufrieden.
DER DOVRE-ALTE.
Ja, stopp, mein Sohn!
Du mußt Dich auch durch Zusagen binden.
Und brichst Du nur eine, so kostet's den Thron,
Und Du wirst nie mehr lebend von hier hinweg finden.
Zunächst hast Du nirgends herumzuscharlenzen,
Auch nicht in Gedanken, außer Rondanes Grenzen.
Tag sollst Du scheun und Tat und jeden Fleck Lichts.
PEER GYNT.
Wenn ich König genannt werd', verschlägt mir das nichts.[462]
DER DOVRE-ALTE.
Dann woll'n wir Dich mal bei den Hörnern packen –
Erhebt sich auf seinem Sitz.
DER ÄLTESTE HOFTROLL zu Peer Gynt.
Wobei Deine Kunst sich erweisen soll,
Des Alten Rätselnüsse zu knacken!
DER DOVRE-ALTE.
Wodurch unterscheiden sich Mensch und Troll?
PEER GYNT.
Die unterscheiden sich wohl nicht sehr.
Großtroll will zwicken und Kleintroll will zwacken; –
Ganz wie bei uns, wenn's erlaubt nur wär'.
DER DOVRE-ALTE.
Wohl wahr, wir sind einig in dem und in mehr.
Doch gleicht sich auch Tag um Tag um ein Haar, –
Ein Unterschied bleibt denn doch immerdar. –
Hör' zu denn, so wird er Dir offenbar.
Draußen im Sonnenstrahl ruft man sich zu
Als heimlichste Weisheit: »Mensch, sei Du!«
Hier aber unter uns Trollen heißt klug
Geredet: »Troll, sei Du – Dir genug!« –
DER HOFTROLL zu Peer Gynt.
Ist das nicht tief?
PEER GYNT.
Mir ist's noch nicht klar.
DER DOVRE-ALTE.
»Genug«, mein Sohn, dies mächtige Scheid'wort,
Werde fortan Dein Leib- und Leitwort!
PEER GYNT kraut sich hinter dem Ohr.
Ja, doch –
DER DOVRE-ALTE.
Du mußt, willst Du Herr hier werden!
PEER GYNT.
Meinthalben; 's gibt schlimmere Dinge auf Erden –
DER DOVRE-ALTE.
Sodann mußt Du Ehre, zu lernen, einlegen,
Wie wir daheim hier zu leben pflegen.
Er winkt. Zwei Trolle mit Schweinsköpfen, weißen Nachthauben usw. bringen Speise und Trank.
Die Kuh gibt Fladen, der Ochs gibt Met;[463]
Frag' nicht, ob's sauer oder süß eingeht;
Die Hauptsach', ist, daß man nie vergißt,
Daß es hausgemacht ist.
PEER GYNT weist die Sachen zurück.
Zum Teufel mit Euerer Hauskost auch!
Ich find' mich wohl nie in den Landesbrauch.
DER DOVRE-ALTE.
Der Napf geht mit und der Napf ist von Gold.
Wer den Goldnapf hat, dem ist mein Töchterlein hold.
PEER GYNT überlegend.
Es steht freilich geschrieben: Du sollst Dich zwingen; –
Und man lernt's mit der Zeit ja wohl leichter schlingen.
Meinthalben!
Fügt sich.
DER DOVRE-ALTE.
Sieh, Freund, das zeugt von Vernunft. –
Du spuckst?
PEER GYNT.
Man gewöhnt sich wohl noch in die Zunft.
DER DOVRE-ALTE.
Sodann mußt Du Deine Christentracht abwerfen;
Denn dies laß zu Dovres Ehren Dir einschärfen:
Hier ist nichts von jenseits der Felsenscheide,
Außer hinten am Wedel die Schleife von Seide.
PEER GYNT zornig.
Ich hab' keinen Wedel!
DER DOVRE-ALTE.
Geduld' Dich, Mann!
Hoftroll, bind' ihm meinen Sonntagsschwanz an.
PEER GYNT.
Wenn Du's versuchst –! Das geht über den Scherz!
DER DOVRE-ALTE.
Du freist um meine Tochter mit nackichtem Sterz?
PEER GYNT.
Einen Menschen zum Tier machen!
DER DOVRE-ALTE.
Freund, Du irrst;
Ich mach' Dich nur zu einem höfischen Freier.
Die brandgelbe Schleif', die Du kriegen wirst,
Die trägt man hier sonst nur zur höchsten Feier.[464]
PEER GYNT nachdenklich.
Wie heißt's doch! Ein Mensch ist nicht mehr als ein Hauch.
Und man muß sich wohl finden in Schick und in Brauch.
Bind' an denn!
DER DOVRE-ALTE.
Du bist ein umgänglicher Gesell.
DER HOFTROLL.
Und nun versuch' mal recht fein zu wedeln!
PEER GYNT gereizt.
He, wollt Ihr mich nun noch weiter veredeln?
Heischt Ihr auch noch meinen Christenglauben?
DER DOVRE-ALTE.
Nein, nein, den wollen wir Dir nicht rauben.
Der Glauben ist frei; darauf liegt hier kein Zoll.
Am Schnitt und am Schritt erkennt man den Troll.
Wenn uns nur Tracht und Gehaben nicht trennen,
Nenn' immer Glauben, was Furcht wir nennen.
PEER GYNT.
Du bist doch, trotz all der schlimmen Gebräuch',
Ein netterer Kerl, als man sollte meinen.
DER DOVRE-ALTE.
Mein Sohn, wir Trolle sind besser als wir scheinen,
Das ist auch ein Unterschied zwischen uns und Euch. –
Doch, laßt uns dem Ernst ein Ende nun setzen.
Auf, auf, zur Freude für Aug' und für Ohr,
Laß, Spielmaid, nun Deine Harf' uns ergetzen!
Spring', Tanzmaid, uns den Dovretanz vor!
Spiel und Tanz.
DER HOFTROLL.
Was gedünkt Dich davon?
PEER GYNT.
Was? Hm!
DER DOVRE-ALTE.
Fürcht' Dich nicht.
Was siehst Du?
PEER GYNT.
Ein urgreulich Gesicht:
Eine Darmsaiten hufende Schellenkuh.
In Kniehosen trippelt ein Ferkel dazu.[465]
DER HOFTROLL.
Verschlingt ihn!
DER DOVRE-ALTE.
Bedenkt, er hat Menschensinnen!
DIE TROLLJUNGFERN.
Aug' aus und Ohr ab dem frechen Fanz!
DIE GRÜNGEKLEIDETE weinend.
Huhu! Solch Lob ist's, was wir gewinnen,
Wenn ich und mein Schwesterlein spiel' und tanz'!
PEER GYNT.
Ach, Du! Du warst's? Na, so 'n bißchen Gehöhn',
Das weißt Du ja doch, das bedeutet nicht viel.
DIE GRÜNGEKLEIDETE.
Gewiß und wahrhaftig nicht?
PEER GYNT.
Tanz so wie Spiel
War, laus' mich der Affe, beides sehr schön.
DER DOVRE-ALTE.
Mit der Menschenart ist das ein wunderlich Ding;
Die klebt und klettet so merkwürdig fest.
Und ob sie auch so noch viel Schrammen empfing, –
Die Narben heilen, das ist der Rest.
Mein Schwiegersohn hat doch nun, ungelogen,
Fügsam sein Christenzeug ausgezogen,
Fügsam getrunken vom Metpokal,
Fügsam den Wedel sich umgebunden, –
So fügsam zu allem, kurz, was ich befahl,
Daß ich dachte, für ein und für alle Mal
Sei nun sein alter Adam verschwunden;
Doch einszweidrei steht der hier wieder im Saal.
Ja, ja, mein Sohn, so bedarf's einer Kur
Wider diese dickschädlige Menschennatur.
PEER GYNT.
Einer Kur?
DER DOVRE-ALTE.
In den linken Augapfel hier
Ritz' ich Dich leicht: so wird scheel sein Geäug';
Doch was Du siehst, siehst Du fortan wie wir.
Sodann schneid' ich aus Dir das rechte Visier.
PEER GYNT.
Du bist wohl –?[466]
DER DOVRE-ALTE legt einige scharfe Werkzeuge auf den Tisch.
Hier hab' ich mein Glaserzeug.
Und kriegst Du dann Scheuklappen noch, wie ein Gaul,
Dann siehst Du die Braut mit einem Mal blühn,
Und fabelst nie fürder mit bösem Maul
Von trippelnden Ferkeln und Schellenküh'n –
PEER GYNT.
Töricht!
DER ÄLTESTE HOFTROLL.
So kommt Dir des Alten Red' vor?
Merk's! er ist der Weise und Du bist der Tor!
DER DOVRE-ALTE.
Bedenk, von wieviel Verdrießlichkeiten
Du Dich befrein kannst auf alle Zeiten.
Frag' selbst Dich, was hast Du von dieser Quelle,
Quälender Zährenbeiz' und -laug'!
PEER GYNT.
Ganz recht; und ich kenn' auch die Bibelstelle:
Ärgert dein Aug' dich, reiß' aus dein Aug'!
Aber – wann stellt es sich dann wieder her,
Wird Menschenaug' wieder?
DER DOVRE-ALTE.
Das wird's nimmermehr.
PEER GYNT.
So? Ja, dann sind wir zu Ende gediehn.
DER DOVRE-ALTE.
Was willst Du tun?
PEER GYNT.
Meines Wegs mich verziehn.
DER DOVRE-ALTE.
Nein, halt! Herein schlüpft hier leicht ein Wicht!
Aber hinaus läßt der Dovrehag nicht.
PEER GYNT.
Du willst mit Gewalt, daß ich hier bleiben soll?
DER DOVRE-ALTE.
Hör' nun und nimm Vernunft an, Prinz Peer!
Du hast Begabung zum Troll. Nicht wahr, er
Trägt sich nun schon so ziemlich wie ein Troll?
Und willst doch auch Troll sein?[467]
PEER GYNT.
Weiß Gott, will ich's sein.
Für 'ne Braut und ein wohlbestallt Reich obendrein
Gibt man ja wohl auch einmal etwas viel.
Aber alles in der Welt hat sein Maß und sein Ziel.
Den Wedel nahm ich an, weil ich's also verstand:
Man kann wieder lösen, was der Hoftroll band.
Die Hos' warf ich ab, weil sie alt war und fetzig;
Doch die kann man ja wohl wieder anknöpfen, schätz' ich.
Und schließlich drück' ich mich wohl auch noch leis
Von dieser Dovreschen Lebensweis'.
Ich will ja gern schwören, eine Kuh wär' eine Maid;
Einen Eid kann ja einer mal in sich fressen; –
Aber so seine Menschheit auf immer vergessen,
Nicht einmal als ehrlicher Mensch sterben sollen,
Als Bergtroll so umgehn auf Lebenszeit, –
Niemalen mehr von Euch zurücktreten können, –
So Troll sein mit all seinem Fühlen und Wollen; –
Nein, nein; da tu' ich mir Besseres gönnen.
DER DOVRE-ALTE.
Jetzt werd' ich aber bald wild, Du Duns;
Und dann ist nicht mehr zu spaßen mit Uns.
Du tagfalber Knirps! Weißt Du, wer Wir sind?
Zuerst vergreifst Du Dich an Unserm Kind –
PEER GYNT.
Das lügst Du in Deinen Hals!
DER DOVRE-ALTE.
Du mußt sie jetzt frein.
PEER GYNT.
Du wagst mir zu sagen –?
DER DOVRE-ALTE.
Was ist da zu schrein?
Du hast sie begehrt! Du wünschtest mein Reich!
PEER GYNT pustet.
Sonst nichts? An so was sich festzuzwacken!
DER DOVRE-ALTE.
Ihr Menschen bleibt Euch doch alleweil gleich.
Den Geist bekennt Ihr mit vollen Backen;
Doch geachtet wird nur, was mit Fäusten zu packen.
Du meinst, daß Wunsch und Begehren nicht bindet?
Wart' nur, Dir soll bald ein Licht aufgehn![468]
PEER GYNT.
Du sollst mich Dir nicht ins Netz schwimmen sehn!
DIE GRÜNGEKLEIDETE.
Mein Peer, Du bist Vater, eh's Jahr entschwindet.
PEER GYNT.
Laßt mich hinaus.
DER DOVRE-ALTE.
Wir schicken Dir 's Kleine
Nach in 'nem Bocksfell.
PEER GYNT trocknet sich den Schweiß ab.
Erwacht' ich doch nur!
DER DOVRE-ALTE.
Soll's an den Königshof?
PEER GYNT.
Schickt's der Gemeine!
DER DOVRE-ALTE.
Mach', was Du willst, mit der Kreatur.
Getan ist getan; davon geht kein Quent;
Item, Prinz Peer, daß Dein Sprößling wird wachsen;
Solch ein Mischlingsbalg wächst unheimlich behend –
PEER GYNT.
Alter, nun lassen wir endlich die Faxen;
Kommen wir, Jungfer, zu Frieden und Vergleich!
Du sollst wissen, ich bin weder Prinz weder reich; –
Und ob Du mich wögest nun oder mich mäßest,
's wäre für Dich kein Gewinn, wenn Du mich besäßest.
Der Grüngekleideten wird übel; Trollmädchen tragen sie hinaus.
DER DOVRE-ALTE blickt eine Weile mit tiefer Verachtung auf ihn; darauf sagt er.
Schmeißt ihn wider die Bergwand zu Brei!
DIE JUNGEN TROLLE bittend.
Spielen wir nicht erst Kauz und Weih?
Jsegrimm? Funkelkatz und Graumaus?
DER DOVRE-ALTE.
Aber schnell! – Ich schnarch' mein Gift derweil' aus.
Ab.
PEER GYNT von den jungen Trollen gejagt.
Laßt mich, Teufelspack!
Will durch den Schornstein hinauf.
DIE JUNGEN TROLLE.
Kobolde! Wichte!
Beißt ihn von hinten![469]
PEER GYNT.
Au!
Will hinab durch die Kellerluke.
DIE JUNGEN TROLLE.
Macht alles dichte!
DER HOFTROLL.
Wie die Kleinen sich freun!
PEER GYNT mit einem kleinen Trolljungen kämpfend, der sich in sein Ohr festgebissen hat.
Laß los, Höllenbrut!
DER HOFTROLL schlägt ihn auf die Finger.
Willst Du wohl, Schlingel! Das ist königlich Blut!
PEER GYNT.
Ein Rattenloch –!
Läuft hin.
DIE JUNGEN TROLLE.
Wichtelvolk! Werg in die Kerbe!
PEER GYNT.
Die Rangen verstehn ihr verruchtes Gewerbe!
DIE JUNGEN TROLLE.
Zerfetzt ihn!
PEER GYNT.
Ach, wär' man klein wie 'ne Maus!
Läuft umher.
DIE JUNGEN TROLLE umwimmeln ihn.
Schließt den Ring! Schließt den Ring!
PEER GYNT jammernd.
Ach, wär' ich eine Laus!
Fällt um.
DIE JUNGEN TROLLE.
Auf die Augen ihm jetzt!
PEER GYNT im Trollhaufen begraben.
Hilf, Mutter, ich sterbe!
Kirchenglocken läuten in der Ferne.
DIE JUNGEN TROLLE.
Schellen im Gebirg! Der Schwarzrock fährt aus!
Die Trolle flüchten unter Geheul und Getöse. Die Halle stürzt ein; alles verschwindet.
Stockfinsternis.
Man hört Peer Gynt mit einem großen Ast um sich hauen und schlagen.
PEER GYNT.
Gib Antwort! Wer bist Du?[470]
EINE STIMME IN DER FINSTERNIS.
Ich selbst.
PEER GYNT.
Freie Bahn!
DIE STIMME.
Einen Umweg gemacht! Groß genug ist der Plan.
PEER GYNT will an einer andern Stelle hindurch, stößt aber auf Widerstand.
Wer bist Du?
DIE STIMME.
Ich selbst. Kannst Du eben das sagen?
PEER GYNT.
Ich kann sagen, was ich will; und mein Schwert kann Dich erschlagen!
Sieh Dich vor! Hui, hei, da fällt's auch schon sausend!
König Saul erschlug hundert; Peer Gynt erschlug tausend!
Schlägt und haut.
Wer bist Du?
DIE STIMME.
Ich selbst.
PEER GYNT.
Das dumme Gered'
Kannst Du Dir sparen, das keiner versteht.
Was bist Du?
DIE STIMME.
Der große Krumme.
PEER GYNT.
Schau', schau'!
Erst war das Rätsel schwarz, jetzt scheint es grau.
Bahn frei, Krummer!
DIE STIMME.
Herum um mich, Peer!
PEER GYNT.
Durch!
Schlägt und haut.
Da fiel er!
Will vorwärts, stößt aber auf Widerstand.
Hoho! Sind hier mehr?
DIE STIMME.
Nur einer, Peer Gynt, der sich immer wieder erhebt!
Der Krumme, der tot ist und niedergebrochen.
Der Krumme, der tot ist, und der Krumme, der lebt.
PEER GYNT wirft den Ast weg.
Die Wehr ist verhext; muß die Faust denn ans Werk!
Schlägt sich durch.
[471]
DIE STIMME.
Ja, trau' Du nur auf Deine Faust, Deine Knochen!
Hihi, Peer Gynt, so gewinnst Du den Berg.
PEER GYNT kommt zurück.
Hin und zurück, 's ist der gleiche Weg; –
Hinaus und hinein, 's ist der gleiche Steg!
Da ist er! Dort! Rings, wo ich mich weise!
Wähn' ich mich draußen, steh' ich mitten im Kreise.
Nenn' Dich! Laß sehn Dich! Was bist Du, Verkapptes?
DIE STIMME.
Der Krumme.
PEER GYNT tastet umher.
Nicht tot. Nicht lebendig. Ein Gären.
Ein Brodeln. Gestaltlos. Und brummend tappt es
Um einen her wie halbwache Bären!
Schreit.
Schlag' um Dich!
DIE STIMME.
Der Krumme ist nicht so toll.
PEER GYNT.
Schlag' zu!
DIE STIMME.
Der Krumme schlägt nicht.
PEER GYNT.
Er soll!
DIE STIMME.
Der große Krumme gewinnt ohne Streit.
PEER GYNT.
Wär' hier bloß ein Zwerg, der mich zwicken möchte!
Wär' hier bloß ein Troll, nur zehn Monate alt!
Bloß daß man nicht so in der Luft herum föchte.
Jetzt schnarcht er gar! Krummer!
DIE STIMME.
Was gibt's?
PEER GYNT.
Brauch' Gewalt!
DIE STIMME.
Der große Krumme gewinnt alles mit der Zeit.
PEER GYNT beißt sich in Arme und Hände.
Krallen ins Fleisch und ritzende Zähn'!
Ich muß mein eigen Blut rinnen sehn.
Man hört etwas wie den Flügelschlag großer Vögel.
VOGELSCHREI.
Kommt er, Krummer?[472]
DIE STIMME IN DER FINSTERNIS.
Ja! Schuh um Schuh.
VOGELSCHREI.
All Ihr Schwestern von nah und fern! Stellt Euch ein!
PEER GYNT.
Willst Du mich retten, Dirn, vor dem Draug,
Schau' nicht so bitter und kummervoll drein!
Dein Gesangbuch! Wirbel's ihm mitten ins Aug'!
VOGELSCHREI.
Er taumelt.
DIE STIMME.
Wir haben ihn.
VOGELSCHREI.
Schwestern! Herzu!
PEER GYNT.
Zu teuer erkauft sich ein Menschensein
Mit solch einer Stunde voll zehrender Pein.
Sinkt zusammen.
DIE VÖGEL.
Da stürzt er! Nun, Krummer, an Leib und Leben ihm!
Von ferne hört man Glockenläuten und frommen Gesang.
DER KRUMME schwindet zu nichts zusammen und ruft mit erlöschender Stimme.
Er war zu stark. Weiber standen neben ihm.
Sonnenaufgang. Im Gebirge vor Aases Saeter.
Die Tür ist verriegelt; alles öde und still.
Peer Gynt liegt schlafend an der Außenwand der Hütte.
PEER GYNT erwacht, sieht mit stumpfem und trägem Augenaufschlag um sich. Spuckt aus.
Wie gut ein gesalzener Hering jetzt wär'!
Spuckt wieder aus; zugleich erblickt er Helga, die mit einem Korb voll Lebensmitteln kommt.
He, Kleine, bist Du hier? Wo kommst Du denn her?
HELGA.
Solvejg –
PEER GYNT springt auf.
Wo ist sie?
HELGA.
Hier, hinterm Haus.
SOLVEJG unsichtbar.
Kommst Du mir nah, so nehm' ich Reißaus!
PEER GYNT bleibt stehen.
Meinst wohl, Du liefst hier bei mir Gefahr –[473]
SOLVEJG.
Schäm' Dich!
PEER GYNT.
Und weißt Du, wo ich des Nachts war? –
Die Dovremaid hängt wie 'ne Roßbrems' mir an.
SOLVEJG.
Wie gut es da war, daß im Dorf wurd' geläutet!
PEER GYNT.
Was auch Peer Gynt das Gebimmel bedeutet! –
Was sagst Du?
HELGA weinend.
Da rennt sie schon, was sie kann.
Läuft nach.
Wart' doch!
PEER GYNT packt sie am Arm.
Schau' her, Du! Was hab' ich hier?
Einen silbernen Knopf, Kleine! Möchtest Du den?
So leg' ein gut Wort für mich ein!
HELGA.
Laß mich gehn!
PEER GYNT.
Hier hast Du ihn.
HELGA.
Da steht der Korb mit dem Essen!
PEER GYNT.
Gnad' Dir Gott, wenn Du nicht –!
HELGA.
Ich fürcht' mich vor Dir!
PEER GYNT sanft; läßt sie los.
Ich meint' ja nur: Bitt' sie, sie soll mich nicht vergessen!
Helga laufend ab.
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Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.
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