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[187] Denken wir uns einen Schriftsteller, in dem das lebendigste Produktionsvermögen quillt, dem die Aussicht vorschwebt, zu gleicher Zeit mit drei ganz verschiedenartigen Erzeugnissen wieder unter seine Landsleute zu treten, bei denen er die günstigste Stimmung für sich voraussetzen darf, und der außerdem noch jemand hat, mit dem er alles, was ihn erfreut und quält, regt und bewegt, ohne Rückhalt verhandeln kann, so möchte uns ein solcher Zustand heiter, selbst glücklich vorkommen. Auch schien Grabbe in der Tat sich seiner Unabhängigkeit, seiner verborgenen, arbeitsamen Muße zu erfreuen. Indessen konnte ich sehr bald abnehmen, daß die meisten lustigen, ja ausgelassenen Momente, die ich mit ihm durchlebte, doch nur aus einem Scheine der wahren Fröhlichkeit entsprangen. Schon die unmäßige Arbeitswut (denn so muß ich es nennen) konnte für ein gefährliches Symptom, für eine Hektik des Geistes, für das Zeichen geheimer Todesahnung gelten. Die Kraft, welche ihr Verwelken fühlt, sucht sich des Vollgehaltes der kurzen Spanne Zeit, die ihr noch zugemessen ist, mit fieberischer Heftigkeit zu bemächtigen. So war auch sein Gespräch, ließ man sich von der bunten Hülle nicht täuschen, eigentlich durchaus krankhaft. Geistreich, aber desultorisch von Objekt zu Objekt flatternd, vermochte er kein Thema mit einer gewissen Stetigkeit in der Unterredung[187] festzuhalten, obgleich ihm, wenigstens in den ihm am meisten geläufigen Gebieten, dazu sicherlich die Gaben nicht ermangelten. Aber auch redend wollte er nur noch von so vielen Dingen als möglich den flüchtigsten Schaum abnippen.
Dieser ungesunde Rausch des Geistes ist eigentlich das tiefste Elend, wie jene Ruhe, die gleich einem klaren Quell in dunkler Felsenspalte auch bei Tage das Bild des Himmels und der Sterne zurückspiegelt, das einzige Glück ist. – Grabbe fühlte sich trotz aller drolligen Einfälle, trotz seiner poetischen Aufspannungen tief-elend. Seine Erinnerungen hauchten, wie ein todatmendes Gespenst, jede Blüte in ihm an. Wie oft sagte er mir: »Was soll aus einem Menschen werden, dessen erstes Gedächtnis das ist, einen alten Mörder in freier Luft spazierengeführt zu haben!« – Ich weiß nicht, ob in dieser Äußerung eine buchstäbliche Wahrheit lag, gewiß aber enthüllte sie die Wahrheit eines um seine Jugend gebrachten Geistes. Seine Wiege in den ihr nach seiner Meinung gebührenden Glanz zu rücken, griff er zu den sonderbarsten Erfindungen, die nichts verschonten, auch das Nächste nicht. – Zu andern Zeiten erzählte er mir, daß er die »Hundert Tage« ohne Glauben, ohne Liebe und ohne Hoffnung, in kalter Lebensverachtung geschrieben habe. Von dieser leichenhaften Empfindung drangen auch schon damals, während der ersten Monate seines Düsseldorfer Aufenthalts, Spuren vor; er sprach nicht selten vom Tode, und sagte, daß er ihn sich wünsche, wenn er die Arbeiten, die vor ihm lägen, hinter sich gebracht habe.
Der Offenbarungsglaube erweist sich in vielen Fällen der Zerrüttung und Auflösung als kräftigstes Stärkungsmittel. Grabbe mußte dieser Hilfe entbehren. Sein Religiöses (was keinem Menschen fehlt) war Naturfrömmigkeit, eingesogen in den dunkeln Waldschatten seines herrlichen vaterländischen Gebirges. Oft blitzte mir, wenn die Mitteilung sich auf derartige Dinge lenkte, aus ihm etwas Urgermanisches, Alt-Sassisches entgegen, und ich mußte an die Worte des Tacitus denken: »Ceterum nec cohibere parietibus deos, neque in ullam humani oris speciem assimulare, ex magnitudine coelestium arbitrantur. Lucos ac nemora consecrant, deorumque[188] nominibus appellant, secretum illud, quod sola reverentia vident.« Er selbst meinte, in seiner Gegend seien die Leute nicht kirchlich gesinnt. Aber jene Naturreligion, durch kein spekulatives Vermögen zur Dichtigkeit gebracht, ließ sich nur in lockern Aperçus, auch wohl in manchem willkürlichen Wahn und Schaum herbei. Ich glaube, daß, wenn er als Katholik geboren wäre, er bei der historischen Textur seines Wesens in der traditionell sich fortbauenden Kirche Trost und Halt gefunden haben würde; mit dem protestantischen Urkundenbeweis aber konnte er kein Wechselverhältnis anknüpfen.
Nach und nach suchte ich ihn aus seiner Einsamkeit unter Menschen zu bringen, und setzte ihn deshalb mit den Personen meines Kreises in Berührung. Hier erwies sich nun der Eindruck, welchen er hervorbrachte, als höchst mächtig und siegreich. Niemand konnte sich der Gewalt dieser ureignen Natur, die mit unsern zierlich gefalteten Literatoren durchaus nicht in Reih und Glied zu stellen war, entziehen; besonders wirkte er auf die Frauen, zu deren Verwunderung auch das Mitleid sich gesellte. Ich konnte sicher darauf rechnen, daß in jeder Gesellschaft, die ich um ihn versammelte, er der Mittelpunkt des Interesses wurde. Aber merkwürdig war es: er regte keine Liebe und keine Sehnsucht auf. Man beschäftigte sich nur mit ihm, wenn er zugegen war, aber man verlangte nicht nach ihm, wenn man ihn nicht sah.
Entwickelten solchergestalt die Menschen, ihm gegenüber, zugleich weiche Hingebung und spröde Kälte, so offenbarte er beides an sich in noch überraschenderer Art. Es gab ganze Gebiete der menschlichen Bestrebungen und höchste Erscheinungen, an denen er, bei übrigens so ungemeiner Rezeptivität selbst für Nahverwandtes, auch nicht einmal den gewöhnlichen Anteil des gebildeten Mannes nahm, gegen welche er sich vielmehr förmlich verstockt hielt. So waren ihm Shakespeare und Goethe, wenigstens letzterer, ziemlich gleichgültig; gegen die bildende Kunst hatte er sogar eine gewisse Abneigung. Nie stieg ihm das Verlangen auf, die Werke der Düsseldorfer Maler, von denen er doch so viel hörte, kennenzulernen; die Ausstellung ist von ihm mit keinem Fuße betreten worden.[189]
Wenn alle diese Widersprüche und Inkongruenzen sich meinem Blicke in gedrängter Folge vorüberwälzten, so konnte ich nicht lange zweifeln, daß ich eine große Natur in Trümmern vor mir sähe, und eine bange Ahnung ergriff mich, daß es vielleicht nur eines Windhauchs bedürfen werde, um auch die letzten Verbindungen zu lösen. Wie erschrak ich aber, als mir ein Zufall den Einblick in den eigentlichen Herd des Übels gab! Ich überraschte ihn eines Morgens in früher Stunde, wo er sich keines Besuchs versah, und fand auf dem Tische mehrere große Gläser, angefüllt mit dem stärksten geistigen Getränke. Auf meine Fragen erfuhr ich mit Entsetzen, daß er sich täglich dieses furchtbaren Reizmittels bedienen müsse, um dem Physischen Spannung zu geben, um es überhaupt nur noch zusammenzuhalten. Da lag nun in der Tat der Abgrund dicht vor den Füßen! Ich beschwor ihn, sich dieses selbstmörderischen Verfahrens zu enthalten, ich sprach mit meinem Arzte über seinen Zustand, und gewann es endlich über den Unglücklichen, daß er wenigstens mit gelinderen Dingen sich hinhielt. Aber der Organismus war bereits so herabgekommen, daß die Eingeweide gegen alle festen Speisen einen unbesieglichen Widerwillen empfanden und er sich fast nur mit Getränk ernähren mochte. Wie eine solche Zerstörung hat überhandnehmen können? Ob ihn eine frische Verzweiflung in den Taumel der Sinne getrieben, um sie und sich zu vergessen, oder ob im Gegenteil die ungebändigten Sinne die Verzweiflung erzeugten – wer kann diese Fragen beantworten? Und wer möchte es, wenn er auch könnte?
Gern aber rede ich von dem Lichte neben so tiefem Schatten. Seine Wahrhaftigkeit war mir vor allem immer sehr schätzbar. Grabbe erheuchelte kein Interesse, wo er es nicht empfand, und hielt sich rein und fern von der modernen künstlichen Erhitzung bei innerlicher Gleichgültigkeit, welche das Zusammensein mit vielen jetzt so peinlich machen kann. Wovon er sprach, dafür war er erwärmt, und wie er sich gab, so stand es um ihn. Gutmütig war er damals, wo ihn ein rechtes und klares Element umgab, ohne Schranken, und sein Dankgefühl hatte für das leiseste Zeichen gewöhnlichen Wohlwollens nicht Maß noch Ziel.[190]
Überhaupt muß ich von jener besseren Periode seines Lebens in Düsseldorf ein Gleichnis brauchen. Ich habe ihn eine Natur in Trümmern genannt, aber ich setze hinzu: diese Trümmer waren von Granit und Porphyr. Dadurch unterschieden sie sich von so manchem Gebäck der Gegenwart, welches heil und ganz aussieht, und doch nur aus Holz, Stroh und Kork zusammengeleimt ist.
Grabbe gehört zu den Verschrieenen, und Männlein und Weiblein meinen, wenn er nur gewollt hätte, er hätte schon anders sein können. Ich aber sage: Er konnte gar nicht anders sein, als er war, und dafür, daß er so war, hat er genug gelitten. Die Pflicht der Lebenden aber ist es, die Toten über der alles nivellierenden Flut des mittelmäßigen Redens und Meinens emporzuhalten.
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