|
[420] Dämmrung im verhangnen Zimmer,
Grüne Dämmrung um das Ehbett!
Leise weinet Donna Tulpe,
Seufzend schaut Don Tulifant.
Was liegt in des Vaters Schoße?
Ist's ein neugebornes Wiesel?
Ist es ein Alraunenmännlein?
Ist's ein Püppchen zart von Seide?
's ist kein Püppchen, kein Alräunchen,
's ist kein neugebornes Wiesel,
's ist das neugeborne Knäblein,
Fingerlang und fingerdick.
»O was soll mir dieser Segen,
Dieser Wicht, das Zwergenknirpslein?
Nimmer baut des Hauses Ehre
So ein kurzes Endchen Schande,
Nimmer kann zu Lehen tragen
Dieser Wurm das Vatererbe.
Fallet ein, ihr Kellermauern,
Eh' ihr fremdes Wappen zeigt!«
Leise weinet Donna Tulpe,
Seufzend schaut Don Tulifant.[420]
»Ach, nun kann ich nicht ihn Christoph
Taufen lassen, wie ich wollte,
Denn er ist Diminutivum
Eines Menschen, und die Knaben
Würden, herzlos ihn verkleinernd,
Ihn nur rufen: Kleiner Töffel!«
Leise weinet Donna Tulpe,
Seufzend schaut Don Tulifant.
Siehe, durch die Dämmrung Lichtglanz
Und im Glanze welch ein Wesen!
Auf des Regenbogens Brücke
Steigt ins Zimmer, lieblich lächelnd,
Große Flügel, blaupunktierte,
Goldenschillrige bewegend,
Steigt zum Bett ein zartes Weiblein.
Und zu den erschrocknen Eltern
Sprach das goldbeschwingte Wunder:
»Fürchtet nichts, ihr Guten, blickt mich
Mutig an! Ich bin der Schutzgeist
Eures Hauses, Fee Libelle,
Auch die Letzte des Geschlechtes,
Das in allen Elementen
Einst so herrscherhaft gewaltet,
Aber im Verlauf der Tage
Bis zu mir ist eingeschrumpfet.
An dem Keller, eurem Erbe,
Fließt das Wässerchen, darüber
Grünt der Erle voller Zweigschmuck.
In der Erle wohn' ich. Hofhalt
Führ' ich mit den dünngeleibten
Dort den bunten Wasserjungfern.
Würd'ger Don, du hast beständig
Diesen Feienbaum geschonet,
Und die Donna hat, was taub war
An den Ästen, abgeschnitten,[421]
Fee Libell' ist drum euch dankbar.
Weine nicht, o Donna Tulpe,
Seufze nicht, Don Tulifant,
Denn ein Sohn ward euch geboren,
Der des Hauses Stern und Blume,
Euch zum Troste wisset das!«
»Ach, wie soll«, sprach Donna Tulpe,
»Hohes Wesen, das geschehn wohl?
Ist doch jene Blum', der Hausstern,
Gar zu kurz und klein geraten!«
Darauf sprach das goldne Wunder,
Fee Libelle, Flügel schwingend:
»Jetzo ist die Zeit der Kleinen!
Große Taten kleiner Leute
Will die Welt, noch einmal sag' ich,
Freut euch dieses winz'gen Helden!«
Sprach's, und stieg mit Füßen zierlich
Auf des Regenbogens Brücke
Durch das Fenster in die Lüfte.
Regenbogen troff in Flocken,
Purpurn, gelben, violblauen
Auseinander, Lichtglanz graute,
Wieder webt' im Zimmer Dämmrung.
Zweifelnd blinzelten die Eltern,
Und sie rieben sich die Augen.
Da tät auf sein rosig Mündlein
Tulifäntchen, so im Schoß lag
Alten Tulifants, und zirpte
Ganz vernehmlich wie ein Heimchen:
»Eltern, ja, ich will's vollenden,
Bin des Hauses Stern und Blume!«
Schwörend hub er auf das Händlein,
Und sah tapfer aus den Augen.[422]
Wunder über Wunder machten
So bestürzt den Don, die Donna,
Daß sie lange schwiegen zitternd.
Endlich hat der Don begonnen:
»Dieses läßt sich nicht begreifen,
Aber glauben wir, o Donna,
An des Hauses Blum' und Stern!«
Ausgewählte Ausgaben von
Tulifäntchen
|
Buchempfehlung
Das 1900 entstandene Schauspiel zeichnet das Leben der drei Schwestern Olga, Mascha und Irina nach, die nach dem Tode des Vaters gemeinsam mit ihrem Bruder Andrej in der russischen Provinz leben. Natascha, die Frau Andrejs, drängt die Schwestern nach und nach aus dem eigenen Hause.
64 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.
430 Seiten, 19.80 Euro