4. Vater und Sohn

[423] TULIFÄNTCHEN:

Mein Vater, mich verzehren

Der Tatenhunger und der Durst nach Ehren!

Jüngling bereits an Jahren,

Bin ich ein Kind in dem, was ich erfahren.

Ehrwürd'ger Wappen Schilder

Sehn mahnend nieder, großer Ahnen Bilder

Befragen mich voll Hoheit:

Wie lange bleibst du hier im Stand der Roheit?

Laß mich, mein Vater, ziehen

Hin, wo die Blumen heil'gen Ruhmes blühen!


TULIFANT:

Mein Söhnlein, ach, du Kleiner,

Du Daumesdicker, Fingerlanger, Feiner,

Wo wüchse doch das Blümchen

Wohl in der Welt, mein Kind, von deinem Rühmchen?

Willst du vielleicht in Schachten

Der Erde tief mit Zwergen liefern Schlachten?

Die Kran'che helfen wehren

Von der Pygmäen hartbedrängten Heeren?

Willst zu den Liliputtern

Du wandern gehn, dein Schwert dort abzufuttern?


TULIFÄNTCHEN:

Du bist mein Vater, Vater!

Quell meines Lebens, meiner Tage Rater![423]

Drum darf ich nicht gesunden

In deinem Blut, von solcher Worte Wunden!

Ein andrer, o Erzeuger,

Der würde wohl ein kalter blasser Schweiger,

Wollt' er mit Schimpf und Faxen

Verspotten mich, weil ich nicht lang gewachsen.

Seit wann denn hat die Elle

Den wahren Wert zu schätzen, Amt und Stelle?

Nicht in den großen Gliedern,

Im großen Herzen steckt der Mut dem Biedern!


TULIFANT:

Dies Wort voll Kraft und Ruhe

Setzt, Sohn, zu deiner Länge viele Schuhe.

Du widerlegtest bündig

Mein Argument; Erzeugter, du bist mündig!


TULIFÄNTCHEN:

So gib mir, Vater, Waffen!


TULIFANT:

Ich will dir, die du tragen kannst, verschaffen.


Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 1, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 423-424.
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