Amalia an Sylli

[520] Den 11. März, morgens um halb sieben.


Gestern nachmittag kamen Eduard, der Herr von Kambeck und ein Offizier, den Du nicht kennst, und entführten meinen Clerdon nach Born, wo diesen Morgen eine Kuppel englische Pferde hinkommt. Dem guten Clerdon war's gar nicht drum zu tun; aber Du weißt, er läßt sich seine Zeit, die ihm so kostbar ist, seine Ruhe, Gesundheit, Verdienste, Lust und Leben abschwätzen, wie sein Geld: ich werde ihn noch müssen festsetzen lassen. – Also bin ich itzt allein, in der betrübten Lage, all das Fette der vor mir sprudelnden Milch in meine eigene Tasse[520] schöpfen zu müssen: sie hätte nur gerinnen mögen. Ich fing an zu lesen, aber schon auf der zwoten Seite ging mir dies und jenes durch den Kopf, das mit Dir zu schaffen hatte; ich konnte der Zerstreuung nicht wehren, und legte das Buch weg. Liebe Sylli! der Himmel ist nicht heiter, und das macht, daß mein Kabinett weniger schön ist. Ich habe ein Fenster geöffnet, und bin ein Weilchen daran stehen geblieben, um nach meinen Freunden zu sinnen; und itzt, bis meine Knaben kommen, will ich ein wenig mit Dir plaudern.

Ich finge gern mit sonst etwas an, weil Du es schon von Clerdon hast, und ich ungern nachleire; aber es steckt vorne in meiner Feder, wie ein Pfropf; der muß vor allem heraus. Also zuerst und abermals von unserm Jammer, unserm Verdruß, Ärger, Zorn (was hievon es eigentlich sein müsse, wissen wir eben, leider! noch nicht) über das ungewöhnlich lange Ausbleiben Deiner Briefe. Clerdon will all sein bares Geld darauf verwetten (wieviel meinst Du, daß wir ihm dagegen setzen?), daß wir mit dem ersten Postillion mehrere Briefe auf einmal von Dir erhalten werden. So viel ist gewiß, daß das U**r Paket schon zwei Posttage ausgeblieben ist. Eine Überschwemmung, die bei E* die Brücke weggerissen und gewaltigen Schaden angerichtet hat, soll schuld daran sein. Sonst könnte ja wohl auch zwischen Dir und uns die Erde sich ein bißchen gespalten haben: warum nicht? nur war es sehr schlimm. – Ernstlich gesprochen, liebe Sylli, Du machst uns verlegen. Schon am Montag glaubten wir, es könne nicht mehr fehlen, ein Brief von Dir müsse kommen; und doch war's gefehlt: und so ging's all die folgenden Tage, nur daß an jedwedem mit unserer Hoffnung auch unsere Zweifel stiegen, und wir von einer Unruhe ergriffen wurden, mit der schlechterdings kein Vertrag noch Auskommen war. Die Nachricht von der großen Überschwemmung, und den ausgebliebenen U**r Paketen, begleitet von Clerdons Zureden und kühner Wette, hat uns von neuem ein wenig eingewiegt. Jene Sorge abgerechnet, liebste Sylli, bin ich itzt so ganz glücklich, so ganz zufrieden, so ruhig froh des Lebens – Oh, laß Dir's wohl gehen, Sylli; laß Dir's ja wohl gehen, und mache mir die schönen Tage nicht zuschanden!

Ich bin so ruhig, so froh, und konnte doch die verwichene Nacht wenig schlafen, für fremder Sorge. Die gute Frau von – ... (Die hier erzählte Begebenheiten müssen, wegen gewisser noch obwaltender Beziehungen, für diesmal unterdrückt bleiben.)[521] – ... Wie unartig, daß ich Dir diese lange Geschichten machte, da Du so viel eigenen Gram hast? Auch will ich rein aufhören, mich aus dem Staube machen, und diesen Abend mit lachender Laune wiederkommen.


Abends um halb 5 Uhr.


Da kommen meine drei Ältste mit großem Jubel von einer Spazierreise über die Donau nach Hause, und sind gar herrlich und guter Dinge gewesen, haben mit zween Vetter-Franzens-Kameraden sich himmlisch ergötzt. Wieviel Freuden mir die Knaben machen! Alle drei führen sich ungemein gut – und Heinrich musterhaft gut auf. Dieser wird allgemach ein lieber Junge, so daß auch sein Vater anfängt, weniger Arges von ihm zu denken, und Carl, den Topinambu, nicht mehr so grausam vorzieht. Sein Virtuoso ist ordentlich verliebt in ihn; in etlichen Wochen soll er schon die Ouvertüre vom »Deserteur« spielen; aus »Lucile« und andern Operetten, die er aufführen sehen, geigt er eine Menge Sachen mit einer solchen Herzenslust, daß man sich gern dünken läßt, er mach es so schön wie möglich: gewiß der Junge wird ganz musikalisch, und verdient den ersten Platz in meiner Kapelle, und ich hab's geschworen, kein anderer soll ihn drum bringen. – Auch Herr Bering und Herr Kamp rühmen ihn sehr, und da Georg ihn nun alle Tage fein ordentlich frisieret, so würdest Du viel Freude an ihm erleben. Von diesem kleinen Heinrich verkündigt Heinrich der Große, daß er bei unserm Geschlecht dereinst in hohem Ansehen stehen, und zu großen Ehren gelangen werde. In der Tat wird seine Bildung täglich einnehmender; er hat nicht mehr die hohlen Backen, noch die abgestümpften Haare; sondern ein rundes Gesicht, mit hübschen Locken eingefaßt, und ist gepudert obendrein. Aber, ach, der Knoten, der Knoten unter dem Kinn! Beim Ansehen nimmt man ihn nicht wahr; aber ich hab ihn in allen Fingerspitzen, und kann mir ihn unmöglich aus dem Sinn schlagen. – Nun, das heißt von Buben geschwätzt! Wenn Dir's diesmal Langeweile macht, so bedenke, liebe Sylli, daß Du mich durch Deine herzwillige Teilnehmung an all dergleichen verwöhnt und verstockt hast. Gegen andre Leute rede ich – Ich höre Clerdon!


Sonntagmorgen.


Es ist schon neun Uhr. Ich schlief bis halb sieben, und erschrak fast so sehr, als ob ich – mich tot fände. Laß mir das Gleichnis,[522] und höre weiter. Ich bin im Negligé; öffne die Tür: – Was um des Himmels willen? – ja gewiß! Denk, Sylli, da sitzt meinem Clerdon gegenüber ganz impertinent in meinem Sessel Eduard, und läßt sich's wohl schmecken aus meiner Schale. Ich wollt ihm in die Haare; aber er rief aus allen Kräften: »Warten Sie doch, ich bin ja nicht frisiert!« Der junge Mensch hatte recht; ich beschied ihn auf den Mittag. Nun ward mir bedeutet, er habe meinen Kaffee bloß deswegen zu sich genommen, weil er kalt gewesen wäre, und mir ein besseres Frühstück gebührte. Es war auch schon dafür gesorgt. Im Kamin stand ein Schokoladentopf, welchen, mit allem Zubehör, der wackere Ritter im Hui auf der Serviette hatte, und hernach mit dem besten Anstande mir bediente. War das nicht sehr artig, Sylli? Aber, Du magst es glauben oder nicht, unser Beisammensitzen und Geschwätz war doch wohl ebensoviel wert. Beide Mannsleutchen sagten gar herrliche Dinge, so daß ich mit Mühe überwand, da mein Stündlein erschien, von dannen zu scheiden.

Nun ist in meinem Hauswesen alles bestellt, meine Toilette gemacht, und für Dich noch eine Stunde aufgehoben. Heinrich, Carl und Ludwig wurden gestern abends nach Hainfeld4 abgeholt, wo sie bis morgen bleiben; und so kam heut Ferdinand ganz allein »Morgen sagen«; denn der arme Edmund, wie Du weißt, sagt noch nichts. Liebe Sylli, ja, alles genauso wie Du neulich schriebst, soll werden, und sein, und bald kommen. Der kleine Edmund, den Du bisher nur aus denen Portraits kennst, die Guido und Maratti von ihm gemacht haben, mit seinen großen hellbraunen Augen, deren Augäpfel man so klar da sieht, und wo eine beständige Offenheit und Herzensfröhlichkeit ausstrahlt; der soll Dich gleich anlachen und anjauchzen, wie er lacht und jauchzt, wenn er recht ausgeschlafen hat. Ohne Gutsel soll der Knabe Dich liebhaben, oder er wäre nicht unser Fleisch und Blut, hätte nichts von meinem Herzen mitgekriegt, nichts von Clerdons durchdringendem Gefühl alles Schönen und Guten, von dem Reichtum seiner Liebe – Sieh, ich kann diese Saite nicht berühren, ohne daß es mir inwendig zittert, und mir Tränen in die Augen kommen; aber diese Tränen, o wie süß! Engel Sylli, Du mußt kommen, und den Mann sehen, wie er alle Tage lieber[523] und vortrefflicher wird, wie er sich seiner Kinder annimmt, sich immer freut, wenn ihm eins in den Weg kommt, und er diese Freude dem Unschuldigen immer lohnt. Mit Ferdinand ist des Singens und Springens oft kein Ende, und da läßt er tausend Kindereien mit sich treiben, und sich zausen und hudeln, daß wir alle drum herumstehen, und oft bange werden und lachen; gewiß, Sylli, er wird als ordentlich mit zum Buben, hilft ihnen allerhand Streiche ausführen und erdenken, und wenn sie denn wohl einmal das Ding besser verstehen und ihn auslachen, und er dasteht, der Liebe – Große – Schöne, als der Kinder Spott, er, vor dem so viele in Bewunderung und Ehrfurcht staunen und sich beugen – selbst der Edelsten so viele – vor dem besonders ich, o Gott du weißt mit wie echter Demut! mich neige; – wenn er so dasteht, der Anbetungswürdige, und die ausgelassenen Knaben herumtaumeln um den Kameraden, und jauchzen und lachen; und nur ich aus meiner Ecke in seinem göttlichen Auge den Vater sehe und den Mann; ach, Sylli! dann beben dem schwachen wonnevollen Weibe die Glieder, es sinkt in die Arme des Unvergleichlichen, hängt an seinem Halse – Und Erd und Himmel möchten nur vergehen!

Bin ich nicht allzu glücklich, Sylli? So einen Gatten: so wohl anlassende Knaben; so liebe treue Gefährtinnen, wie Lenore und Clärchen, die Engel! meine Schwestern und Töchter; so braves Gesinde; ein schickliches Auskommen; Stand, Ansehn und Hoffnung; und um das alles her ein so schöner – schöner, lieber Kranz von Freunden! Aber, sag mir, Sylli, ob die Leute meinen, man könne das alles haben, ohne Freude darüber, ohne herrlich zu sein? Es muß wohl; denn wie würde ich sonst so oft gefragt, was ich doch habe, daß ich so heiter und vergnügt aussehe; gerad als ob das Wunder wäre, was doch gar nicht anders sein kann. Dir, beste Sylli, sollte ich vielleicht das Bild meiner Glückseligkeit nicht so lebhaft vor Augen stellen; aber eben weil Du es bist, darf ich's. Du weißt, wie mich der Gedanke anzieht, das alles mit Dir zu teilen, wie mein Herz so laut schlägt für Verlangen Dich zu haben und mit glücklich zu machen; und wie ich dann auf einmal wieder nicht glücklich bin; manche Träne um meine Sylli fällen lasse – oh, das weißt Du alles, meine Gute, meine Beste, denn Du kennst Deine Amalia durch und durch. War Dir's nicht, als wenn Dein ganzes Inneres sich beständig von einer Seite zur andern hin bewegte, wenn Du etwas Widriges von uns vernahmst? So ist mir, und eine stachelnde Unruhe läßt mich[524] keinen Augenblick stille, wenn ich weiß, daß Du unpäßlich, unzufrieden oder schwermütig bist. Nach Deinem letzten Briefe scheinst Du itzt ziemlich gesund; auch machen Dir die ** und die *** noch manche Stunde angenehm, wofür ich ihnen so herzlich gern dankte, wenn Dank hier Platz fände.

Von der endlichen Ankunft Deines langsamen Fuhrmanns hast Du schon Nachricht. Hier noch einen Dank über den Dank, welchen Dir unsere Mädchen übersandten, für die schöne Besorgung aller unserer Sachen. Das Wachstuch und die Körbchen hast Du aufzurechnen vergessen. Melde mir, wie ich's mit dem Dir noch zukommenden Gelde machen soll. Die drei Carolins habe ich nach B. sogleich besorgt. Die Tabatiere bleibt noch immer allerliebst, und wird nicht anders als in ihrem ledernen Säckchen getragen. Das Tischblatt? – die Girlande ist sehr niedlich – aber der Grund? – laß, ich werde mich dran gewöhnen. Wegen des porzellanenen Deckels schreibe ich nächstens.

Du wirfst mir vor, daß ich Dir nicht mehr von Ferdinand erzähle. Der Junge ist eben kaum erst zween Jahre alt, daher sich nicht viel anders von ihm erzählen läßt, als wie er aussieht; und dies – wie erzählt man dies? Er ist klein und rund, hat von meinetwegen, das heißt vom mütterlichen Großvater, das Dir bekannte etwas finster liegende Auge; doch kann er sehr freundlich daraus kucken, und Feuer ist die Menge drin. Du weißt, daß Clerdon sich schon längst verbürgt hat, daß wir an diesem Ferdinand den besten, freimütigsten Jungen von der Welt bekommen würden. An mir hängt er wie eine Klette, und Bruder Heinrich holt ihn alle Morgen, ohne Fehl, aus seinem Bettchen, zieht ihm Schuh und Strümpfe an, und dann gehen wir zusammen frühstücken; nach dem Frühstück muß Bruder Heinrich mit ihm fort auf den Hof, und ihm sein Spiel in Gang bringen, und das tut Bruder Heinrich mit immer gleicher Geduld und Freundlichkeit. Liebe Sylli, wer hätte gedacht, daß Heinrichs Charakter, der so ganz lieblos und mit allen Lastern furchtsamer Eigensucht besamt schien, sich dergestalt ausbilden würde? Ich glaube, Du hast ihm alle Morgen mit einem Kuß etwas von Deiner Seele, die lauter Liebe und Verleugnung ist, eingehaucht, denn erst seitdem Du ihn bei Dir hattest, ist er so merklich geändert. Carl ist noch immer derselbe »Capitano Tempesta«, wie Du ihn vor neun Monaten bei uns verließest; hat aber im Grunde viel weniger Herz, als Ludwig, der sich täglich wackerer zeigt. Alle vier sind gut, nur dann sind sie es nicht, wenn man[525] sie zu den Dienstboten läßt; mit und unter diesen verträgt sich keiner nur eine Viertelstunde lang. Während ich dies schrieb, ist Ferdinand mit einem Freudengeschrei gekommen, daß er mich funden hat, und läuft, spielt und schwatzt um mich herum. Für Deinen Garbetto5 ließ ich auch gern hier ein Wörtchen einfließen, weil es mir vorkommt, als gehörte er mit zur Kinderfamilie; allein die Kirche ist aus, meine gute Mädchen sind lange da, und ich habe noch gar nichts heute mit ihnen geschwatzt. Wäre Garbetto hier, es ging ihm recht gut; denn Ferdinand teilte alle Bissen mit ihm, wie mit einem Hündchen zu B**, dem er alles und alles gab, zum großen Skandal der Frau von Dertrut und ihrer großen wohlconduisierten Gesellschaft. – Wie das lacht und plaudert hier neben um Clerdons Kamin herum? Ich will einen Augenblick hin, liebe Sylli, und mich dann anziehen, und dann essen, und dann in die Kirche, und dann – ach Himmel! zur Frau Direktorin an den Spieltisch. Ade, Du Beste, Du Liebe! –

4

Ein Landgut der Frau von Steinach, bei welcher Lenore und Clärchen von Wallberg sich aufhielten. Sie war ihre Tante und folglich auch Clerdon anverwandt.

5

Syllis Hündchen.

Quelle:
Sturm und Drang. Band 1, München 1971, S. 520-526.
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