VII

[155] In letzter Zeit ging Emmerich öfter, als nötig war, nach Oedenburg hinüber. Er saß dort mit einigen alten Junggesellen zusammen und stellte trübe Betrachtungen über das Leben an. Einmal verließ er die Stadt später als sonst. Es war eine wilde, stürmische Nacht. Als er in die Nähe seines Hofes kam, sah er jemand vor sich hergehen. Er hob die Laterne hoch.

»Du!« rief er bestürzt.

»Ich konnte nicht schlafen und ging ein wenig hinaus,« sagte Kyrilla.

»Ehrliche Frauen gehen in solcher Stunde nicht spazieren.«

Er fühlte im Dunkel seine Hände umklammert.

»Wofür hältst du mich?«

Er stieß sie zurück. »Für nichts Gutes.«

Ob sie sich ein Leid anthut, dachte er einen Augenblick hinterher. Nein. Sie trat ruhig vor ihm ins Haus und ging nach dem Schlafzimmer[155] hinauf. Sie sah sehr groß aus in dem langen, dunklen Tuch, in das sie sich eingehüllt hatte. Eiskalte Schauer durchliefen ihn. Der Wind stöhnte im Gange und warf alle Augenblicke die Thür auf. Emmerich fühlte seine Schläfe hämmern. Was da draußen wimmerte und stöhnte, war nicht der Wind allein. Das waren nicht nur Lufttöne. Und die Eiseskälte, die durch alle Fugen und Ritzen drang! Gott steh mir bei! dachte er schweißgebadet, das ertrag' ich nicht länger. Hier verbirgt sich etwas, entweder in dem Weibe oder in den Steinwänden des Hauses, etwas, das mich vernichten will. Es wird wohl in dem Weibe sein. Der Atem stockte ihm. Wenn nur schon der Morgen da wäre! Wenn nur schon der Morgen da wäre!

Es wurde Morgen. Ganz zerrädert erhob sich Emmerich, frühstückte und verließ das Haus. Er ging nach der Stadt in das kleine Weinhaus am Marktplatz.

Als er eintrat, entfuhr ein Ausruf des Staunens seinem Munde. Am ersten Tisch, gleich beim Eingang, saß ein Mensch mit dunklem Haar und einem wunderschönen Gesicht. Er hatte den Kopf in die Hand gestützt und zeichnete Figuren auf den Tisch.

Emmerich rieb sich die Augen. »Hendrik, Hendrik Ösz, Hendrik Ösz!«

Der Gerufene sah gleichgiltig auf.[156]

»Ah Tralgoth, du! Na, wie ist's dir die Zeit hindurch ergangen?«

Emmerich schüttelte und schüttelte ihm immer aufs neue die Hände. Dann ließ er sich zu ihm nieder.

»Mir ist's gut ergangen, ganz gut soweit, aber dir! Wo warst du die vier Jahre über? Hast dich garnicht verändert, so wahr mir Gott helfe. Garnicht! Bist du allein hier? Bleibst du hier?«

Hendrik strich sich die dunklen Locken aus der Stirn und gab keine Antwort.

Emmerich fuhr unbehindert fort: »Als du damals nicht zu unserer Hochzeit kamst, sagte ich zu meiner Frau: da muß etwas wichtiges zu Grunde liegen. Denn Ösz hält Wort, wenn er etwas verspricht. Bald darauf hörte ich, daß du fort seiest und dein Haus für Brack verpfändet hättest.«

»Ja, das war so eine Sache,« warf Hendrik ruhig hin.

»Bist du schon lange hier?«

»Nein, noch nicht lang.«

»Du wohnst doch draußen.«

»Wo draußen?«

»Na, in deinem Haus.«

»Wieso denn? Üstök hat eine große Familie, sodaß für mich da kein Platz ist.«

»Üstök?«

»Nun ja, er hat doch das Haus für die[157] Schuld angenommen, und, da sie nicht eingelöst wurde, behalten.«

»Und du?«

»Na ich, ich –«

»Wo wohnst du denn?«

»Noch nirgends. Ich bin erst heute Nacht angekommen.«

»Teufel! Was wirst du nun thun? Hast du schon einen Plan?«

»Nein, das heißt, ich werde mir Arbeit suchen.«

»Du?«

»Ich, ja! Ich hab' in der Fremde gelernt, Zeit in Geld zu verwandeln.«

»Da mußt du ja ein reicher Mann geworden sein.«

Ein melancholisches Lächeln flog über Hendriks Gesicht.

»Was machst du denn mit deinem Verdienst?«

»Ich weiß nicht,« war die gleichgiltige Antwort.

Ein Gedanke durchfuhr Emmerich.

»Hendrik, diesmal wirst du doch meine Gastfreundschaft ausnützen?«

»Warum diesmal?«

»Weil du nun aus deinem Fuchsbau da drüben heraus bist. Dort schlossest du dich so ein, daß man dir überhaupt nicht recht nahe kommen konnte.«

»Sei unbesorgt, vielleicht finde ich doch wieder Einlaß in meinen Fuchsbau.«[158]

»Wie? du sagtest doch –«

»Nun ja, ich werde mich Üstök als Knecht oder Aufseher oder was weiß ich verdingen, umsonst, wenn er will. Ich möchte wieder in dem Garten sein können.«

»Und wenn er nicht will?«

»Bah, er wird wollen.«

»Ösz, wenn er aber nicht will, dann denk' an mich. Hörst du?«

»Ja, ja.« Hendriks Mundwinkel zogen sich leicht herab. Jetzt, zum erstenmal, sah er Emmerich ins Gesicht. Seine Augen blieben auf ihm haften. »Du siehst übrigens verteufelt schlecht aus. Das Glück bekommt dir übel.«

»Glück? Ja, ja freilich. Aber man hat doch auch seine Sorge dabei.« Er durfte nichts ahnen, der Hendrik. Nein, nein! Es ist so schön, für einen Glücklichen zu gelten, indes einem das Elend am Herzen frißt. »Weißt du, man hat doch auch seine Sorgen dabei. Prosit!« Er trank sein Glas leer. »Also du, ich erwarte dich!«

»Wieso denn? Ich habe dir doch nichts zugesagt.«

»Ich meine nur, wenn Üstök nicht will.«

»Na, dann such' ich mir anderswo Arbeit.«

»Arbeit? Arbeit? Ich kann mir nicht denken, daß du wirklich zu arbeiten verstehst.«

»Ich sag' dir ja, ich hab's gelernt.«

»Was thatest du denn?«

»Frag' lieber, was thatest du nicht? In Amerika thut man alles.«[159]

»In Amerika?«

»Ja, wenn du nichts dagegen hast, ich war dort. Ich kann kochen, kranke Leute kurieren, eine Predigt auf englisch halten, ein Holzhaus aufbauen, einen Anzug schneidern, eine Zeitung schreiben, drucken und herausgeben.«

»Heilige Nothelfer, das laß ich mir gefallen. Und mit diesen Kenntnissen kamst du wieder in unsere armseligen Verhältnisse zurück?«

»Ja, das ist so eine Sache,« meinte Hendrik. »Eines Tages sah ich eine Wolke Zugvögel am Himmel ziehen und bekam Sehnsucht nach der Heimat. Da bin ich. Vielleicht bin ich ebenso schnell wieder fort.« Er stand auf. »Will gehen, bevor es Mittag ist, um noch bis zum Abend festen Boden zu haben.« Er legte einige Silbermünzen auf den Tisch.

»Warte doch, warte,« rief Emmerich hastig und schloß sich ihm an. Auf der Straße sagte er: »Hör', Hendrik, du thätest mir einen großen Gefallen, wenn du zu mir kämst. Wirklich einen großen Gefallen. Das Haus hat so viele unbenützte Zimmer.«

»Laß mich,« versetzte Hendrik mit unterdrückter Heftigkeit. »Jeder geht seinen Weg. Geh du den deinigen, ich gehe den meinen.«

Emmerichs Nüstern zitterten vor Aufregung. »Na, also gesagt hab ich dir's. Leb wohl!«

»Guten Morgen!«

Sie trennten sich.[160]

Gott hat mir einen Helfer in der Not geschickt. Er ist's. Er muß zu uns. Er wird Leben ins Haus bringen. Er wird zu mir stehen, wenn sie voll Trotz und Ränke geheimnisvolle Rachepläne ausbrütet. Er wird mich vor ihr schützen. Die Nächte werden ihr Schreckliches verlieren, wenn ich weiß: da, einige Thüren neben dir, schläft ein treuer Kamerad, der bereit ist, dir beizustehen, wenn du ihn brauchst. Abends sitzen wir beisammen und trinken. Er erzählt von seinen Reisen. Er hilft wieder Lebendigkeit in die Wirtschaft bringen. Vielleicht wird dann noch alles gut. Vielleicht ändert auch sie sich, wenn sie sieht, daß ein mutiger Mensch zu mir steht. Schließlich ist sie ja doch ein Weib. Mich fürchtet sie nicht. Ihn wird sie fürchten. Er ist rücksichtsloser als ich. Herr Gott, Herr Gott! Wie mach ich's nur?

Emmerich rannte nach Hause, ging in der Stube auf und nieder und zermarterte sich das Gehirn, wie er diesen Starrkopf zur Einwilligung in seinen Vorschlag bewegen konnte. Durch Bitten konnte man bei ihm nichts erreichen. Überdies, wenn er sich etwa schon gebunden hatte! Es galt andern zuvorzukommen. Emmerich ließ anspannen und jagte nach Banfu hinüber. Vor Ösz einstigem Besitz hielt er an. Das Haus war verschlossen, kein Mensch öffnete. Er fuhr nach der Schenke. Was denn drüben bei Üstök los wäre? Ob er es denn nicht wisse, meinte[161] der Wirt. Das Haus wäre unter den Hammer gekommen, und augenblicklich besäße der Magistrat in Oedenburg die Schlüssel dazu. Ob er, der Wirt, Ösz nicht gesehen hätte? Er wäre hier. Ja, er hätte ihn gesehen. Eben vor einer Viertelstunde sei er da gewesen, habe ein Glas Wein getrunken und sei wieder fortgegangen. Wohin, wisse er nicht.

Emmerich fühlte Schweißtropfen seine Stirne bedecken. Wohin sollte er nun, um ihn zu finden? Und wenn er jedes Haus in Banfu und Oedenburg durchsuchen sollte, er würde es. Entschlossen setzte er sich in den Wagen. Am Ende des Ortes befand sich noch eine kleine Schenke. Sie gehörte dem Wegemacher, und alle Neuigkeiten der ganzen Umgegend wurden hier verhandelt. Vielleicht erfuhr er dort etwas. Er fuhr vor und trat ein. Er stand – Hendrik gegenüber. Beinahe hätte er aufgeschrieen. »Ei, du!« sagte er so gelassen als möglich, dann zum Wirt: »Gieb mir ein Glas Feuerwasser, Freund, mir friert der Magen.«

Hendrik hielt einen Stock in der Hand und lehnte am Schenktisch. Er ist auf der Suche nach Arbeit, dachte Emmerich, er hat noch nichts gefunden, ich seh's ihm an. Er trank dem Freunde zu, dann bat er ihn, doch in den draußen harrenden Wagen zu steigen und ihn ein Stück zu begleiten.

»Da ich nach der Stadt hinüber will, geht es ja,« meinte Hendrik nachlässig und folgte Emmerich.[162]

»Lebt Kincs noch?« fragte er draußen nach einem flüchtigen Blick auf das Pferd.

»O ja, nur fängt er an feist zu werden.«

Hendrik lächelte. Während sie auf der grauen Landstraße dahinfuhren, fragte Emmerich: »Hast du etwas gefunden?«

»Noch nicht.«

»Nun, dann erlaube mir,« bemerkte Tralgoth, sich zu einem möglichst kalten und barschen Ton zwingend, »daß ich dir etwas mitteile.«

»Daß ich ein Esel bin, weil ich deine Gastfreundschaft nicht annehme.«

»Nein; daß ich mich durchaus nicht schlechter fühle, als die andern Leute, bei denen du Arbeit suchst.«

»Verstehe ich nicht.«

»Nun sieh. Ich such' schon seit lange einen ehrlichen Kerl, auf den ich mich wie auf mich selbst verlassen könnte. Ich würde ihm fünfhundert Gulden Gehalt geben. Außerdem fände er alles, was er wünscht, im Hause. Weshalb nimmst du die Stellung nicht an, die mit unserer Freundschaft nicht das geringste zu thun hat?«

»Weil ich von dir überhaupt nichts annehmen will,« bemerkte Hendrik kurz.

Über Emmerichs Gesicht flog ein Schatten.

»Jetzt verstehe ich dich nicht. Du thust, als ob du etwas gegen mich hättest. Wir haben doch keinen Zank mit einander gehabt.«

»O nein, nein, gar keinen.«[163]

»Rede doch deutlich,« bat Emmerich. »Dir wäre geholfen, und mir wäre geholfen, wenn du zusagtest. Ich gebe dir Vollmacht in jeder Beziehung. Du kannst thun, was dir beliebt. Und ich könnte endlich aufatmen. Die Gaunerbande von Dienstvolk brandschatzt mich auf jede Weise.«

Hendrik wollte etwas erwidern, schwieg aber.

»Also schlag' doch ein, zum Teufel!«

»Es paßt mir nicht.« Und als ob er froh wäre, einen Ausweg gefunden zu haben, setzte er hinzu: »Du hast ja auch kein Vertrauen zu meiner Arbeitskraft.«

Emmerich fiel ihm ins Wort. »Aber ich bitte dich! Das war ja nur so eine Bemerkung. Offen gestanden, zum Bauern schienst und scheinst du mir auch heute noch zu gut zu sein. Aber als Verwalter, als Leiter der andern, erwarte ich das Beste von dir. Unter vier Augen: meine Wirtschaft steht nicht so gut wie früher. Ich bin in den letzten Jahren alt geworden. Nichts geht mir vom Fleck, keiner gehorcht, und ich kann ihnen nicht imponieren, weil – weil ich, wie gesagt, fertig bin.« Er ließ sich in die Lehne zurückfallen und nagte an seiner Unterlippe, als ob er ein Weinen unterdrückte. Hendrik sagte kein Wort. Emmerich faßte ihn am Ärmel. »Thu's doch, ich betrachte es als einen großen Freundschaftsdienst von dir.« Seine Stimme klang flehend.

Hendrik zerrte an den Enden seines Schnurrbarts.[164] Auf seiner Stirn erschien eine scharfe Querfalte. Und plötzlich lagen seine beiden Hände auf Emmerichs Schultern.

»Und wenn ich's thu', und es geht bös aus für dich, was dann?«

»Bös aus, was heißt das? Ich will ja, ich bitte dich ja, daß du dich meiner Wirtschaft annimmst. Du siehst doch, ich bin krank.«

»Das warst du ja immer,« sagte Hendrik kalt. »Wenn es aber nun doch bös ausgehen sollte, dann –«

Das Pferd hielt an.

»Dann wälze die Schuld auf mich,« rief Tralgoth, aus dem Wagen springend. Sie waren vor dem Hof angekommen. »Also?«

»Also.« Hendrik stieg aus. Emmerich streckte ihm die Hand hin, die er scheinbar übersah.

Der Knecht kam und spannte das Pferd aus. Die beiden Männer traten in die Stube. Emmerich zog aufgeregt den Glockenstrang. Kathinka erschien.

»Wo ist meine Frau?«

»Ich glaub', hinten im Garten.«

»Hol' sie.«

Hendrik rückte sich einen Stuhl zum Tisch und ließ sich nieder. Emmerich reichte ihm Pfeife und Feuerzeug. Hendrik konnte die Pfeife nicht zum Brennen bringen. Er schob sie zurück, stand auf und trat ans Fenster.

»Wo nur die – meine Frau bleibt?«[165] Emmerich ging unruhig auf und nieder. »Ich werde sie selbst holen.« Er verließ die Stube.

Hendrik fuhr sich über die Stirn und trat wieder zum Tisch. In diesem Augenblick that sich die Thüre auf. Eine hohe, schlanke Frauengestalt, mit dem Gesichtsschnitt einer antiken Statue, das dunkle Haar in zwei Scheitel gekämmt, erschien darin.

Hendriks Hand entsank das brennende Streichholz; er starrte auf das Weib, das bewegungslos unter dem Thürrahmen stand.

Es vergingen einige Sekunden. Seine Blicke schienen keinen Ausweg aus den ihren zu finden; sie hielten sie umklammert.

Da sagte sie leise: »Ich habe einen Sohn.«

Dieser einfältige Versuch, sich hinter die Würde ihrer Mutterschaft zu retten, ließ ihn erwachen. Er spürte seine Augen feucht werden und trat auf die Zitternde zu.

»Ich freue mich, daß Sie einen Sohn haben, Kyrilla Tralgoth; er soll einen treuen Freund an mir finden.« Dann schoben sich seine Brauen zusammen, wie von einem ungeheuren Schmerz gezerrt. Er wandte sich um. Emmerich kam herein. »Ah da, da sind wir ja. Schläft das Kind? Hol's herunter, wenn es wach ist. Hendrik Ösz wird bei uns bleiben. Er wird dieser traurigen Wirtschaft –« dabei lächelte er bitter, »wieder auf die Beine helfen. Nicht wahr, Hendrik Ösz, das willst du doch?« Er blickte[166] dem Freund ins Gesicht. »Und nun mach' dir's bequem, oben im ersten Stockwerk liegen unsere Zimmer. Such' dir die besten aus. Und sonst thu', was dir beliebt.« Es lag eine so große Vertrauensseligkeit in Emmerichs ganzem Gebahren, daß man ein Stein hätte sein müssen, um ihn ohne freundliche Erwiderung zu lassen. Hendrik kämpfte und rang mit sich. Schließlich fand er ein paar spärliche Worte, die aber Emmerich wie die heißesten Freundschaftsbeteuerungen klangen.

Kyrilla entfernte sich aus der Stube. Draußen lehnte sie sich gegen die Mauer. War das möglich? Das, das?! Hendrik Ösz! Sie hatte vor dem heutigen Tage kein Wort mit ihm gewechselt. Sie hatte seine Hand nicht berührt. Nur ein paarmal waren sie einander auf der Straße begegnet. Sie mit den dürftigen, schlechtsitzenden Kleidern der alten Base bekleidet, er verwahrlost, verwildert, unter seinem Stolz, seiner Unkenntnis des Lebens leidend. Sie hatten einander angesehen, nur angesehen. Aber sie hatten sich verstanden. Sie wurde dann Frau Tralgoth, und er ging nach Amerika. Gott hatte seinen Ozean zwischen sie gebreitet. Und nun?

Sie ging zu Bela hinauf, nahm ihn auf ihren Schoß und preßte ihn an sich. Dann hörte sie Schritte heraufkommen und begann zu zittern. Sie gingen an der Thür vorüber. Gegenüber wurde ein Zimmer geöffnet. »Gefällt's dir hier?« hörte sie ihren Mann sagen. »Es riecht muffig,[167] in den Möbeln sollen auch Motten sein; aber wenn die Stube bewohnt wird, wird sich alles verziehen. Überdies kann ich dir andere Möbel hereinstellen lassen.«

»Hast du sonst keine Zimmer außer hier oben?« fragte eine zweite Stimme.

»Nein, das heißt, im Giebel oben unter dem Dach wäre noch eine Stube. Aber die –«

»Laß sehen!« Sie entfernten sich nach oben und kehrten bald wieder zurück. »Also abgemacht,« sagte Hendrik, »du läßt das Notwendigste hinaufstellen.«

»Weshalb nur willst du nicht mit uns auf einem Stockwerk wohnen?«

»Nein, nein, das möcht' ich nicht. Es würde mich stören, auch wegen des Kindes ...«

»Aber ich bitte dich, das Kind ist ja schon über zwei Jahre.«

»Macht nichts, ich bin lieber oben allein.« Kyrilla legte das Gesicht in die Hände.

»Weinst du, Mama?« fragte Bela, an ihren Händen zerrend.

»Nein, nein, Herz, ich weine nicht.«

»Doch, du weinst. Eben ist ein Tropfen zwischen deinen Fingern durchgerollt. Siehst du, da wieder. Noch einer. Wein' doch nicht, Mamachen, ich schenke dir meine Trommel.«[168]

Quelle:
Maria Janitschek: Frauenkraft. Berlin 1900, S. 155-169.
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