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[248] Die alte Blumenarbeiterin machte ein höchst verdutztes Gesicht bei Johannes Eröffnung. Aber Johanne sagte es ihr so lieb, daß sie selbst noch Hand mit beim Einpacken anlegte. Der alte, hölzerne Koffer war bald gefüllt. Dann schlief sie noch einmal in dem frostigen Stübchen, traumlos, totmüde, ohne jede Aufregung. Am nächsten Morgen fuhr sie nach dem Bahnhof, nahm sich ein Billet bis zur Station, von wo aus die Postkutsche sie weiterbringen mußte, gab ihren Koffer auf und sprang leichtfüßig ins Coupé.

Ja, er hatte recht gehabt. Es war das Beste, zurückzukehren. Sie hatte kein Glück gefunden da drinnen in der großen Stadt. Sie war zu einfältig für alle diese gewichsten, aufgedrahteten Menschen in ihren geborgten Festkleidern.

Sie hatte in ihrer Naivität gemeint, daß unter vornehmen Gewändern auch saubere Wäsche sein müsse, der Anblick des Schmutzes unter der glänzenden Außenseite machte sie krank.[248]

Das Zeichen zur Abfahrt ertönte; der Zug begann aus der Halle zu rollen.

Sie erhob sich und beugte sich zum Coupéfenster hinaus.

»Adieu Ninive, wir haben einander nicht verstanden. Bald werde ich deinen Staub von meiner Seele geschüttelt haben«.

Und ein frohes Gefühl starker, ungebrochner Kraft stieg in ihr auf.

Lohringer war der Einzige, dessen Bild sie mit hinübernahm in ihre stille Heimat. Sie zog sein Kärtchen heraus und streichelte es. Wer weiß, vielleicht kam er doch noch, gings durch sie. Vor der Hand würde sie ja doch keine Zeit und Muße haben.

Sie wollte, wie er ihr geraten hatte, ihr Häuschen übernehmen und sich eine handfeste Magd dingen. Sie wollte den Garten brav betreuen, ihren Menschen dort eine liebevolle Gefährtin sein.

Mein Gott, am Ende wars gar nicht so traurig, was sie erwartete.

Und verloren, verloren hatte sie ja in der That nichts. Viel, viel älter war sie geworden; aber das schadete nichts. Ihre Erfahrungen wollte sie tief in sich einsargen.

Je näher sie der Heimat kam, umso freudiger pochte ihr Herz. Schon die Luft, diese erdreichduftige, breite,[249] weiche Luft da draußen auf den Feldern durch die der Zug eilte! Einmal kam noch eine häßliche Rückerinnerung über sie. Sie fuhr sich mehreremale mit dem Taschentuch über die Lippen, und drückte sich mit geschlossenen Augen in die Ecke. Sie war allein im Coupé. Zuletzt nickte sie ein. Als der Schaffner die Station ausrief, an der alle aussteigen mußten, sprang sie elastisch aus dem Wagen. Da stand auch schon der alte runzelige Postillon aus Sienenthal neben der alten Kutsche. Johanne schüttelte ihm die Hand. »Besorg mir den Koffer, Anton«. Er besorgte ihn. »Das is ja noch der alte« grinste er, »den kenn ich aber schon lange«. Sie lachte und schwang sich in den Wagen. Aber lange konnte sie es nicht so ruhig aushalten. Sie erhob sich während des Fahrens, und sich an den Schultern des alten Kutschers festhaltend, begann sie ihn auszufragen.

Was alle machten, wie es allen ginge.

»Der Pastor ist halt hinüber« sagte er lakonisch.

»Wie« rief sie schmerzhaft »mein lieber, guter, alter Pastor?« Die Thränen flossen ihr aus den Augen, als Anton des Langen und Breiten berichtete, wie und woran er starb. »Er war halt schon an die achtzig« schloß er. Sie ließ sich zurück in den Wagen sinken und sann traurig nach. Den hätte sie gern getroffen. »Noch wer is todt« sagte der Postillon sich halb nach ihr umwendend,[250] »das Fräulein von der ›Blauen Kugel‹«. »Fräulein Wewerka?« »Ja, die«. »Auch die!«

Während des weitern Weges sprach Johanne nichts mehr. Aber die reine, von Frühlingsahnungen erfüllte Luft scheuchte bald die Wolken von ihrer Stirn. Jauchzende Lerchen stiegen schaarenweis vom braunen, leicht begrünten Boden auf, die Sonne durchbrach die weißen Wolken, und als der alte, graue Kirchturm mit den davorstehenden zwei Pappeln sichtbar wurde, hatte es sich ganz aufgeklärt. An der Biegung der Marktstraße standen ein paar feiste, kleine blondhaarige Buben, denen ein Zipfel Hemds rückwärts herauslugte, und begrüßten jubelnd den Postillon.

Johanne hieß ihn halten. »Fahr meinen Koffer zum Vormund, ja?« bat sie ihn, »ich komme gleich nach«.

Ohne sich umzusehen, eilte sie durch die breite Straße, an ihrem hochgipfeligen Häuschen vorüber, nach dem Friedhof. Hier brauchte sie nicht lange zu suchen. Gleich am Eingang lag das Grab des alten Pastors. Sie kniete davor nieder. Ob sie betete, ob sie ihm etwas erzählte? Die Pappeln rauschten mit ihren ersten paar Blättchen dazu und die Sonne goß ihren Friedensschein auf ihr gesenktes Haupt.

Ein Haufe rotwangiger, lärmender Schulkinder, die zum offenstehenden Friedhofsgitter hereinstürmten, weckte sie aus ihrer Andacht. Noch ein paar Minuten auf der[251] Eltern und der Großmutter Grab, dann verließ sie den Friedhof und schritt langsam die Straße hinab. Aber feste Schuhe muß ich mir machen lassen, dachte sie im Gehen, die hier sind zu unsolid für diesen derben, ehrlichen Boden. Vorm Häuschen des Vormunds machte sie Halt. Wo wohl der Geranienstock hingekommen war, der am Fenster neben der Hausthür stand? Sollte er im Winter erfroren sein? Noch einmal wandte sie sich zurück und sah in die lichtumflossene, weite Landschaft hinaus. Ein Fink begann von einem Baum des Vorgärtchens sein Frühlingslied zu schmettern. Hinten aus dem Stalle brüllte eine Kuh.

Da gings wie ein Lachen über Johannes ganzes Gesicht; mit einer resoluten Geberde stieß sie die Thür des Häuschens auf. Das erste, was sie erblickte, war ihr alter Holzkoffer, der mitten in der Stube stand.

»Da ist sie wirklich« sagte die alte Frau ihr entgegenkommend, und der Vormund legte die Pfeife aus dem Mund.

Johanne schüttelte die Hände der alten Leute.

»Ja, sie ist wirklich da, und nun sollt ihr aber Eure Freude an mir haben. Gearbeitet wird, daß Alle sich wundern werden; gebt mir nur den Schlüssel zu meinem Häuschen. Ich freue mich närrisch auf die alte braune Stube. Muhme, du bist ja ganz stumm und starrst mich an«.[252]

Sie faßte die alte Frau und küßte sie herzhaft auf den Mund.

»Ich bin sehr, sehr glücklich«.

Da trat der Vormund sachte zu ihr, zog sein tabakduftendes blaues Taschentuch heraus und fuhr ihr damit über die Augen. – –

»Das waren die letzten, Vormund« lachte sie ....

Quelle:
Maria Janitschek: Ninive. Leipzig 1896, S. 248-253.
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