Nr. 16. Berggur

[672] Sonntag eines Dichters


Walt setzte sich schon im Bette auf, als die Spitzen der Abendberge und der Türme dunkelrot vor der frühen Juli-Sonne standen, und verrichtete sein Morgengebet, worin er Gott für seine Zukunft dankte. Die Welt war noch leise, an den Gebürgen verlief das Nachtmeer still, ferne Entzückungen oder Paradiesvögel flogen stumm auf den Sonntag zu. Walt hätte sich gefürchtet, seine namenlose Wonne laut zu machen, wenns nicht vor Gott gewesen wäre. Er begann nun den Doppelroman. Es ist bekannt genug, daß unter allen Kapiteln keine seliger geschrieben werden (auch oft gelesen) als das erste und dann das letzte, gleichsam auch ein Sonntag und ein Sonnabend. Besonders erfrischt' es ihn, daß er nun einmal ohne allen juristischen Gewissensbiß auf dem Parnaß spazierengehen durfte und oben mit einer Muse spielen; indem er, hofft' er, gestern im juristischen Fache das Seinige gearbeitet, nämlich das Testament vernommen und erwogen. Da den Abend vorher war ausgemacht worden, daß der Held des Doppelromans einen langen Band hindurch sich nach nichts sehnen sollte als bloß nach einem Freunde, nicht nach einer Heldin: so ließ er ihn es zwei Stunden, oder im Buche selber so viele Jahre lang, wirklich tun; er selber aber sehnte sich auch mit und über die Maßen. Das Schmachten nach Freundschaft, dieser Doppelflöte des Lebens, holt' er ganz aus eigner Brust; denn der geliebte Bruder konnte ihm so wenig wie der geliebte Vater einen Freund ersparen.[672]

Oft sprang er auf, beschauete den duftigen goldhellen Morgen, öffnete das Fenster und segnete die ganze frohe Welt, vom Mädchen am Springbrunnen an bis zur lustigen Schwalbe im blauen Himmel. So rückt die Bergluft der eignen Dichtung alle Wesen näher an das Herz des Dichters, und ihm, erhoben über das Leben, nähern die Lebendigen sich mehr, und das Größte in seiner Brust befreundete ihn mit dem Kleinsten in der fremden. Fremde Dichtungen hingegen erheben den Leser allein, aber den Boden und die Nachbarschaft nicht mit.

Allmählich ließ ihn der Sonntag mit seinem Schwalbengeschrei, Kirchengeläut, seinen Ladendiener-Klopfwerken und Nach-Walkmühlen an Sonntagsröcken in allen Korridoren schwer mehr sitzen; er sehnte sich nach einem und dem andern leibhaften Strahl der Morgensonne, von welcher ihm in seinem Abendstübchen nichts zu Gesichte kam als der Tag. Nachdem lange der Schreibtisch und die sonnenhelle Natur ihre magnetischen Stäbe an ihn gehalten und er sich vergeblich zwei Ichs gewünscht, um mit dem einen spazierenzugehen, während das andere mit der Feder saß: so verkehrte er dieses in jenes und trug die Brust voll Himmelsluft und den Kopf voll Landschaften (Aurorens Gold-Wölkchen spielten ihm auf der Gasse noch um die Augen) über den frohen lauten Markt und zog mit dem Viertels-Flügel der fürstlichen Kriegsmacht fort, welcher blies und trommelte, und der Nikolaiturm warf dazu seine Blasemusik in die untere hinein, die mit ihr im verbotenen Grade der Sekunde verwandt wurde. Draußen vor dem Tore hörte er, daß das magische, wie von fernen kommende Freudengeschrei in seinem Innern von einem schwarzen fliegenden Korps oder Chor Kurrendschüler ausgesprochen wurde, das in der Vorstadt fugierte und schrie. Herrlich wiegte sich in bunter Fülle der van der Kabelsche Garten vor ihm, den er einmal erben konnte, wenn ers recht anfing und recht ausmachte; er ging aber verschämt nicht hinein, weil Menschen darin saßen, sondern erstieg das nahe Kabelsche Wäldchen auf dem Hügel.

Darin saß er denn entzückt auf Glanz und Tau und sah gen Himmel und über die Erde. Allmählich sank er ins Vorträumen[673] hinein – was so verschieden vom engern Nachträumen ist, da die Wirklichkeit dieses einzäunt, indes der Spielplatz der Möglichkeit jenem freiliegt. Auf diesem heitern Spielplatze beschloß er das große Götterbild eines Freundes aufzurichten und solches ganz so zu meißeln – was er im Romane nicht gedurft –, wie ers für sich brauchte. »Mein ewig teurer Freund, den ich einmal gewiß bekomme«, sagt' er zu sich, »ist göttlich, ein schöner Jüngling und dabei von Stande, etwa ein Erbprinz oder Graf; – und eben dadurch so zart ausgebildet für das Zarte. Im Gesicht hat er viel Römisches und Griechisches, eine klassische Nase, aus deutscher Erde gegraben; aber er ist doch die mildeste Seele, nicht bloß die feurigste, die ich je gefunden, weil er in der Eisen-Brust zur Wehre ein Wachs-Herz zur Liebe trägt. So treuen, unbefleckten, starken Gemüts, mit großen Felsen-Kräften, gleich einer Bergreihe, nur gerade gehend – ein wahres philosophisches Genie oder auch ein militärisches oder ein diplomatisches – daher setzt er mich und viele eben in ein wahres Staunen, daß ihn Gedichte und Tonkunst entzücken bis zu Tränen. Anfangs scheuete ich ordentlich den gerüsteten Kriegsgott; aber endlich einmal in einem Garten in der Frühlings-Dämmerung, oder weil er ein Gedicht über die Freundschaft der zurückgetretenen Zeiten hörte, über den griechischen Phalanx, der bis in den Tod kämpfte und liebte, über das deutsche Schutz- und Trutzbündnis befreundeter Männer, da greift ihm das Verlangen nach der Freundschaft wie ein Schmerz nach dem Herzen, und er träumt sich seufzend eine Seele, die sich sehnet wie er. Wenn diese Seele – das Schicksal will, daß ichs sei – endlich neben seinen schönen Augen voll Tränen steht, alles recht gut errät, ihm offen entgegenkommt, ihn ihre Liebe, ihre Wünsche, ihren guten Willen wie klare Quellen durchschauen lässet, gleichsam als wollte sie fragen: ist dir weniges genug?, so könnt' es wohl ein zweites gutes Schicksal fügen, daß der Graf, gleich Gott alle Seelen liebend, auch wie ein Gott sich meine zum Sohne des Herzens erwählte, der dem Gotte dann gleich werden kann – daß dann wir beide in der hellsten Lebensstunde einen Bund ewiger, starker, unverfälschter Liebe beschwüren«.....[674]

Den Traum durchriß ein schöner langer Jüngling, der in roter Uniform auf einem Engländer unten auf der Heerstraße vorüberflog, dem Stadttore zu. Ein gut gekleideter Bettler lief mit dem offnen Hute ihm entgegen – dann ihm nach, dann voraus- der Jüngling kehrte das Roß um – der Bettler sich – und jetzt hielt jener, in den Taschen suchend, den stolzen Waffentanz des schönen Rosses so lange auf, daß Walt ziemlich leicht die Melancholie auf dem prangenden Gesicht, wie Mondschein auf einem Frühling, bemerken konnte, sowie einen solchen Stolz der Nase und der Augen, als könn' er die Siegszeichen des Lebens verschenken. Der Jüngling warf dem Manne seine Uhr in den Hut, welche dieser lang an der Kette trug, indem er mit dem Danke dem Galoppe nachzukommen suchte.

Jetzt war der Notarius nicht mehr imstande, eine Minute aus der Stadt zu bleiben, wohin der Reiter geflogen war, der ihm fast als der Freund, nämlich als der Gott vorkam, den er vorher im Traume mit den Abzeichen aller übrigen Götter (signis Pantheis) geputzet hatte. »Befreunden«, sagt' er zu sich, in seinem romantischen, durch das Testament noch gestärkten Mute, und auf sein liebe-quellendes Herz vertrauend, »wollten wir uns leicht, falls wir uns erst hätten.« – Er wäre gern zu seinem Bruder gegangen, um sowohl das dürstende Herz an dessen Brust zu kühlen, als ihn über den schönen Jüngling auszufragen; aber Vult hatte ihn gebeten, der Spionen wegen und besonders vor dem Blinden-Konzert den Besuch viel lieber anzunehmen als abzustatten.

Mitten aus dem heiligen Opferfeuer rief ihn der Hofagent Neupeter in seine dunkle Schreibstube hinein, damit er darin vor dem Essen einige Wechsel protestierte. Wie an einem Käfer, der erst vom Fluge gekommen, hingen an ihm die Flügel noch lang unter den Flügeldecken heraus; aber er protestierte doch mit wahrer Lust, es war sein erster Notariats-Aktus; und – was ihm noch mehr galt – seine erste Dankhandlung gegen den Agenten. Nichts wurde ihm länger und lästiger als das erste Vierteljahr, worin ein Mensch ihn beherbergte oder bediente oder beköstigte, bloß weil ihm der Mensch so viele Dienste und Mühen vorschoß, ohne von ihm noch das Geringste zu ziehen. Er protestierte gut und sehr,[675] mußte sich aber vom lächelnden Kaufmann den Monatstag ausbitten und war überhaupt kaum bei sich; denn immerhin komme ein Mensch mit der poetischen Luftkugel, die er durch Adler in alle helle Ätherräume hat reißen lassen, plötzlich unten auf der Erde an, so hängt er doch noch entzückt unter dem Glob' und sieht verblüfft umher.

Das war der Sonntags-Vormittag. Der Nachmittag schien sich anders anzufangen. Walt war von der hellen Wirtstafel – wo er mit seinem Puder und Nanking zwischen Atlas, Manchester, Lackzöpfen, Degen, Batist, Ringen und Federbüschen wettgeeifert und gespeiset hatte – in seine Schattenstube im völligen Sonntagsputz zurückgegangen, den er nicht ausziehen konnte, weil eben der Putz in nichts als in einigem Puder bestand, womit er sich sonntäglich besäete. Sah er so weiß aus, so schmeckt' er freilich so gut als der Fürst, was sowohl Sonntage heißen als Putz. Sogar dem Bettler bleibt stets der Himmel des Putzwerkes offen; denn das Glück weht ihm irgendeinen Lappen zu, womit er sein größtes Loch zuflickt; dann schauet er neugeboren und aufgeblasen umher und bietet es still schlechtem porösen Bettelvolk. Nur aber war der frohe Vorsatz, den ganzen Nachmittag seinem Kopfe und seinem Romane dichtend zu leben, jetzt über seine Kräfte, bloß wegen des Sonntags-Schmucks; ein gepuderter Kopf arbeitet schwer. So müßte zum Beispiel gegenwärtiger Verfasser – steckte man ihn in dieser Minute zur Probe in Königsmäntel, in Krönungsstrümpfe, in Sporenstiefel, unter Kurhüte –, auf solche Weise verziert, die Feder weglegen und verstopft aufstehen, ohne den Nachmittag zu Ende gemalt zu haben, denn es geht gar nicht im herrlichsten Anzug; – ausgenommen allein bei dem verstorbenen Buffon, von welchem Madame Necker berichtet, daß er zuerst sich wie zur Gala und darauf erst seine Bemerkungen eingekleidet, um welche er als ein geputzter und putzender Kammerdiener herumging, indem er ihnen vormittags die Nennwörter anzog, und nachmittags die Beiwörter.

Den Notar störte außer dem Puder noch das Herz. Die Nachmittags-Sonne glitt jetzt herein, und ihre Blicke sogen und zogen hinaus in die helle Welt, ins Freie; er bekam das Sonntags-Heimweh,[676] was fast armen Teufeln mehr bekannt und beschwerlich ist als reichen. Wie oft trug er in Leipzig an schönen Sonntagen die Vesper-Wehmut durch die entvölkerten Alleen um die Stadt! Nur erst abends, wenn die Sonne und die Lust-Gäste heimgingen, wurd' ihm wieder besser. Ich habe geplagte Kammerjungfern gekannt, welche imstande waren, wöchentlich siebenthalbe Tage zu lachen und zu springen, nur aber sonntags nach dem Essen unmöglich; das Herz und das Leben wurd' ihnen nachmittags zu schwer, sie strichen so lange in ihrer unbekannten kleinen Vergangenheit herum, bis sie darin auf irgendein dunkles Plätzchen stießen, etwan auf ein altes niedriges Grab, worauf sie sich setzten, um sich auszuweinen, bis die Herrschaft wiederkam. Gräfin, Baronesse, Fürstin, Mulattin, Holländerin oder Freiin, die du nach weiblicher Weise immer noch herrischer gegen die Sklavin bist als gegen den Sklaven – sei das doch sonntags nach dem Essen nicht! Die Leute in deinem Dienste sind arme Landteufel, für welche der Sonntag, der in großen Städten, in der großen Welt und auf großen Reisen gar nicht zu haben ist, sonst ein Ruhe-Tag war, als sie noch glücklicher waren, nämlich noch Kinder. Gern werden sie, ohne etwas zu wünschen, leer und trocken bei deinen Hoffesten, Hochzeit- und Leichenfesten stehen und die Teller und die Kleider halten; aber an dem Sonntage, dem Volks- und Menschenfest, auf das alle Wochen-Hoffnungen zielen, glauben die Armen, daß ihnen irgendeine Freude der Erde gebühre, da ihnen zumal die Kinderzeit einfallen muß, wo sie an diesem Bundes-Feste der Lust wirklich etwas hatten, keine Schulstunde – schöne Kleider – spaßhafte Eltern – Spielkinder-Abendbraten – grünende Wiesen und einen Spaziergang, wo gesellige Freiheit dem frischen Herzen die frische Welt ausschmückte. Liebe Freiin! wenn dann am Sonntage, wo gedachte Person weniger in der Arbeit, der Lethe des Lebens, watet, das jetzige dumpfe Leben sie erstickend umfängt und ihr über die Unfruchtbarkeit der tauben Gegenwart die helle Kinderzeit, die ja allen Menschen einerlei Eden verheißet, mit süßen Klängen wie neu herüberkommt: dann strafe die armen Tränen nicht, sondern entlasse die Sehnsüchtige etwan bis Sonnenuntergang aus deinem Schlosse! –[677]

Als der Notar sich noch sehnte, stürmte lustig Vult herein, den Mittagswein im Kopf, ein schwarzes Seidenband um ein Auge, mit offenem Hals und losem Haar, und fragte, warum er noch zu Hause sitze, und wieviel er vormittags geschrieben. Walt gab es ihm. Als ers durchhatte, sagte er: »Du bist ja des Teufels, Götterchen, und ein Engel im Schreiben. So fahre fort! – Ich habe auch (fuhr er mit kälterer Stimme fort und zog das Manuskript aus der Tasche) diesen Morgen in unserm Hoppelpoppel oder das Herz: gearbeitet und darin ausgeschweift, so viel als nötig für ein erstes Kapitel. Ich will dir den Schwanzstern (so nenn' ich jede Digression) halb vorsagen – wenn du mich nur, o Gott, mehr zu goutieren wüßtest! –, nicht vorlesen, denn eben darum! Ich fahre im Schwanzstern besonders wild auf die jungen Schreiber los, die von dir abweichen und in ihren Romanen die arme Freundschaft nur als Tür- und Degengriff der Liebe vornen an diese so unnütz anbringen wie den Kalender und das genealogische Verzeichnis der regierenden Häupter vornen an die Blumenlesen. Der Spitzbube, der Kränkling von Schwächling von Helden will nämlich auf den ersten paar Bogen sich stellen, als seufz' er ziemlich nach einem Freunde, als klaffe auf sein Herz nach einer Unendlichkeit – schreibt sogar das Sehnen nach einem Freund, wenns Werk in Briefen ist, an einen, den er schon hat zum Epistolieren – ja er verrät noch Schmachtungen nach der zweiten Welt und Kunst; – kaum aber ersieht und erwischt die Bestie ihr Mädchen (der Operngucker sieht immer nach dem Freunde hin), so hat sie satt und das Ihrige; wiewohl der Freund noch elendiglich mehrere Bogen nebenher mitstapeln muß bis zu dem Bogen Ix, auf welchem dem geliebten Freunde wegen einer Treulosigkeit des Mädchens frei gesagt wird, es gebe auf der Erde kein Herz, keine Tugend und gar nichts. Hier spei' ich, Bruder, auf das schreibende Publikum Feuer; Spitzbube, so rede ich im Schwanzstern an, Walt, Spitzbube, sei wenigstens ehrlich und tue dann, was du willst, da doch dein Unterschied zwischen einem Freund und einem Liebhaber nur der zwischen einem Sau- und einem Hunds-Igel ist!«

Hier sah Vult lange das Papier, dann Walten an. »Der ist[678] aber?« fragte dieser. – »So fragt auch mein Schwanzstern«, sagte jener. »Keiner nämlich. – Denn es gibt eben keine Schwein-Igel nach Bechstein11, sondern was man dafür nahm, waren Weibchen oder Junge. Mit den Schweins-Dächsen ists ebenso. Was hilfts, ihr romantischen Autoren (las Vult weiter und sah immer vom Papier weg, um das Komische mehr zu sagen als, weil ers wenig konnte, vorzulesen), daß ihr euere unterirdische Blattseite gegen den Himmel aufstülpet? Sie dreht sich wieder um; wie an Glastafeln wird nur euere der Erde zugekehrte Seite betauet; wie an elektrischen Katzen müsset ihr vorher aus eurem Bürzel einen Funken locken, bevor ihr einen aus dem Kopfe wieder bekommt und vice versa. Seid des Teufels lebendig; aber nur offen; liebt entsetzlich, denn das kann jedes Tier und jedes Mädchen, das sich deshalb für eine Edle, eine Dichterin und einen Welt-Solitär ansieht – aber befreundet euch nicht, was ja an liebendem Vieh so selten ist wie bei euch. Denn ihr habt nie aus Johann Müllers Briefen oder aus dem Alten Testament oder aus den Alten gelernt, was heilige Freundschaft ist und ihr hoher Unterschied von Liebe, und daß es das Trachten – nicht eines Halbgeistes nach einer ehelichen oder sonstigen Hälfte, sondern – eines Ganzen nach einem Ganzen, eines Bruders nach einem Bruder, eines Gottes nach einem Universum ist, mehr um zu schaffen und dann zu lieben, als um zu lieben und dann zu schaffen..... Und so geht denn der Schwanzstern weiter«, beschloß Vult, der sich nicht erwehren konnte, ein wenig die Hand des Bruders zu drücken, dessen voriges Freundschafts-Kapitel ordentlich wie helles warmes angebornes Blut in sein Herz gelaufen war.

Walt schien davon entzückt zu sein, fragte aber, ob nicht auch oft die Freundschaft nach der Liebe und Ehe komme, oft sogar für dieselbe Person – ob nicht der treueste Liebhaber eben darum der treueste Freund sei – ob nicht die Liebe mehr romantische Poesie habe als die Freundschaft – ob jene am Ende nicht in die gegen Kinder übergehe – ob er nicht fast hart mit seinen Bildern sei; – und noch mehr wollte Gottwalt lindern und schlichten. Aber Vult fuhr auf, sowohl aus voriger Rührung als aus Erwartung[679] eines viel weniger bedingten Lobes, hielt sich die Ohren vor Rechtfertigungen der Menschen zu und klagte: er sehe nur gar zu gut voraus, wie ihm künftig Walt eine Erbosung nach der andern versalzen werde durch sein Überzuckern; beifügend, in ihrem »Hoppelpoppel oder das Herz« gewännen ja eben die süßen Darstellungen am meisten durch die schärfsten, und gerade hinter dem scharfen Fingernagel liege das weichste empfindsamste Fleisch; »aber«, fuhr er fort, »von etwas Angenehmerem, von den sieben Erb-Dieben, wobei ich mir wieder deinetwegen Mühe gegeben! Ich muß etwas bei dir sitzen.«

»Noch etwas Angenehmes vorher«, versetzte Walt und schilderte ihm den roten götterschönen Jüngling, und daß solcher, wie ein Donnergott auf einem Sturmvogel, zwischen Aurora und Iris gezogen und unter dem blauen Himmel wie durch eine Ehrenpforte geritten wäre. »Ach nur seine Hand«, endigte er, »wenn ich sie je anrühren könnte, dacht' ich heute, zumal nach dem Freundschaftskapitel. O kennst du ihn?«

»Kenn ihn so nicht, deinen Donner- und Wetter- – – Gott (sagte Vult kühl und nahm Stock und Hut). Verschimmle nur nicht in deinem Storchnest – lauf hinaus ins Rosental wie ich, wo du alle Haßlauer beau monde's-Rudel mit einem Sau-Garn überziehen und fangen kannst, und ihn mit. Vielleicht jag' ich darunter den gedachten Donnergott auf – – möglich ists der Graf Klothar. – Nein, Freund, ich gehe absichtlich ohne dich; auch tu überhaupt nicht draußen, als ob du mich sonderlich kenntest, falls ich etwa zu nahe vor dir vorübergehen sollte vor Augenschwäche; denn nachgerade muß ich mich blind machen, ich meine die Leute. Addio!«

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Dessen Naturgeschichte Deutschlands. I. Bd. 2. Auflage.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 2, München 1959–1963, S. 672-680.
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