[693] Der Schmollgeist
Es braucht keinen großen diplomatischen Verstand, um zu erraten, daß der Notar in der Sonntags-Nacht nicht zu Hause blieb, sondern noch spät zu dem Theaterschneider Purzel gehen wollte, wo sein Bruder wohnte, um bei ihm mehr über den blauen Jüngling zu hören. Aber dieser empfing heruntereilend ihn auf der Gasse, die er als Saal und Corso des Volks in Feier-Nächten erhob und zum Spaziergange vorschlug. Ziemlich entzückt nahms Walt an. So Sonntags in der Nacht unter den Sternen mit Hunderten auf- und abzugehen, sagt' er, das zeig' ihm, was Italien sei; zumal da man den Hut aufbehalten und ungestört zu Fuße träumen könne. Er wollte sofort viel reden und fragen, aber Vult bat ihn, bis in andere, einsamere Gassen zu schweigen und nicht du zu sagen. »Wie so gern!« sagte Walt. Unbemerkt war ihm in der Dämmerung die Brust voll Liebe gelaufen wie eine Blume voll Tau – sooft er durfte, streift' er mit der Hand ein wenig an eine jede blutfremde vorbeigehende an, weil er nicht wissen könne, dacht' er, ob er sie je wieder berühre – ja er wagt' es in schattigern Stellen der Nacht sogar, zu Erkern und Balkons, wo deutlich die vornehmsten Mädchen standen, aufzusehen und sich von der Gasse hinaufzudenken mitten darunter mit einer an der Hand als Bräutigam, den sein Himmel halb erstickt.
Endlich spannt' er vor dem Flötenspieler in einer schicklichen Sackgasse das glänzende historische Blatt von seinem innern Bankett und Freuden-Gewühle eines Nachmittags auf, der darin bestand – als Vult neugierig näher nachsah –, daß er draußen hin und her gegangen und den Blaurock getroffen. »Man sollte geschworen haben«, versetzte Vult, »Sie kämen eben aus Gladheim12statt aus dem Rosentale her und hätten sich entweder die Freia oder die Siöfna oder die Gunnur oder die Gierskogul oder die[693] Mista oder sonst eine Göttin zur Ehe abgeholt, und ein paar Taschen voll Weltkugeln als Brautgabe dazu. – Doch ists zu rühmen, wenn ein Mann das Galakleid der Lust noch so wenig abgetragen – die Fäden zähl' ich auf meinem –, ausgenommen wenn der Mann nicht bedenkt, daß Zauberschlösser leicht die Vorzimmer von Raubschlössern sind.«
Aber jetzt wies ihm Walt den Berg der heutigen Weinlese, den blauen Jüngling, und fragte nach dessen Namen und Wohnung. Der Bruder erwiderte gelassen, es sei der Graf Klothar, ein sehr reicher, stolzer, sonderbarer Philosoph, der fast den Briten spiele, sonst gut genug. Dem Notar wollte der Ton nicht gefallen, er legte Vulten Klothars reiche Worte und Kenntnisse vor. Vult erwiderte, darin seh' er fast einige merkliche Eitelkeit des Stolzes. »Ich könnt' es nicht ertragen«, versetzte Walt, »wenn Menschen gewisser Größe demütig wären.« – »Und ich kann«, versetzte Vult, »es nicht erdulden, wenn der englische Stolz, oder der irländische oder der schottische, der sich sehr gut in Bücher-Darstellungen ausnimmt, in der Wirklichkeit auftritt und pustet. In Romanen gefällt uns fremde Liebe und Stolziererei und Empfindelei; – aber drüber hinaus schlecht.«
»Nein, nein (sagte Walt), wie mir denn dein eigener Stolz gefällt. Wenn wir uns recht fragen, so erzürnt uns nie der Stolz selber, sondern nur sein Mangel an Grund – daher kann uns oft Demut ebensogut quälen; – daher ist unser Haß des Stolzes kein Neid gegen Vorzüge; denn indes wir allezeit größere über uns anerkennen und nur erstohlne, vorgespiegelte hassen: so ist unser Haß nicht Liebe gegen uns, sondern eine gegen die Gerechtigkeit.« – »Sie philosophieren ja wie ein Graf«, sagte Vult. »Hier wohnt der Graf.« Mit unsäglicher Freude sah Walt an die leuchtenden Fensterreihen einer Garten-Villa hinauf, die der Gasse den glänzenden Rücken zeigte und in welche ein langer Garten durch eine breite Vorhalle von Bäumen- Ordnungen führte. Jetzt ließ Walt vor dem Bruder eine durstige Seele in alle ihre Gedichte und Hoffnungen der Liebe ausbrechen. Der Flötenspieler sagte (eine gewöhnliche Ergießung seines Zorns): »freilich in gewissen Stücken – indessen – zumal so – insofern ja[694] freilich, o Himmel!« und fügte bei, seines schwachen Bedünkens sei Klothar vielleicht nicht weit von dem entfernt, was man im gemeinen Sprachgebrauch einen Egoisten nennt.
Walt hielt es jetzt schon für Freundes-Pflicht, den unbekannten Grafen hierüber heftig zu beschützen, und berief sich auf dessen edle Physiognomie, die gewiß darum, vermutete er, so trübe beschattet sei, weil er fruchtlos nach einer Sonne sehe, die ihm auf irgendeinem Altare voll Opfer-Asche den alten Phönix der Freundschaft erwecke; und ganz reiner Liebe schließe gewiß kein Herz sich zu. »Wenigstens setzen Sie vorher«, sagte Vult, »eh' Sie vor seinen Kammerdiener treten, einen Fürstenhut auf, ziehen einen Stern an, binden ein blaues Hosenband um: – dann mögen Sie bei ihm zur Cour vorfahren; so nicht wohl. Ich ja selber, der ich von einem so eisgrauen Adel bin, daß er vor Alters-Marasmus fast erloschen ist, mußte vorher bei ihm eigne Verdienste vorschützen. – Und wie wollen Sie ihm Ihre Freundschaft promulgieren? Denn bloßes Hegen derselben tuts nicht.« –
»Von morgen an«, sagte Walt unschuldig, »such' ich ihm so nahe zu kommen, daß er alles deutlich lesen kann in meinem Herzen und Gesicht, was die Liebe an ihn hineingeschrieben, Vult!« – »Van der Harnisch zum Henker! Was ist zu vulten? Sie bauen demnach auf Ihren Diskurs und dessen Gewalt?« versetzte Vult. – »Jawohl«, sagte Walt, »was hat denn der Mensch außer so seltnen Taten noch anderes?« – Aber den Flötenspieler überraschte an einem so bescheidenen Wesen, das höhere Stände vergötterte, dieses stille feste Vertrauen auf Sieg ausnehmend. Die Sache war indes, daß der Notar schon seit geraumen Jahren, wo er Petrarcas Leben gelesen, sich für den zweiten Petrarca still ansah, nicht bloß in der ähnlichen Zeugungskraft kleiner Gedichte – oder darin, daß der Welsche von seinem Vater nach Montpellier geschickt wurde, um das Jus zu studieren, das er gegen Verse später fahren ließ –, sondern auch – und hauptsächlich – darin mit, daß der erste Petrarca ein gewandter zierlicher Staatsmann war. Der Notar glaubte, er dürfe, nach den Reden zu schließen, die er mehrmals siegend an Goldinen und die Mutter gehalten, ohne Unbescheidenheit auf einige Ähnlichkeit mit dem[695] Italiener rechnen, falls man ihn nur in die rechten Lagen brächte. So geht eigentlich in dieser Minute kein Jüngling in ganz Jena, Weimar, Berlin u.s.w. über den Markt, der nicht glauben müßte, als Schrein – Sakramenthäuschen – Heiligenhaus – Rindenhaus – oder Mumienkasten irgendeines jetzt oder sonst lebenden Geister-Riesen heimlich herumzulaufen, so daß, wenn man besagten Schrein und Mumienkasten aufschlüge, der gedachte Riese deutlich ausgestreckt darin läge und munter blickte. Ja Schreiber dieses war früher fünf bis sechs große Männer schnell nacheinander, so wie er sie eben gerade nachahmte. Kommt man freilich zu Jahren, nämlich zu Einsichten, besonders zu den größten, so ist man nichts.
»Wir wollen doch in einem fort hier auf- und abgehen«, sagte Walt, der in Vults Repliken, zumal von seiner Himmelsluft berauscht, nichts spürte als dessen Manier. »Ins Bette lieber; – wir stören vielleicht Klotharn, der schon darin liegt, denn ich höre, morgen verreiset er auf einige Tage sehr frühe« – berichtete Vult, als woll' er, ordentlich sich selber zur Pein, aus Walts vollem Herzen recht viel Liebe vorpressen.
»So ruhe sanft, Geliebter!« sagte Walt und schied gern von der lieben Stelle und dann vom verdrüßlichen Bruder. Voll Freude und Friede zog der Notar nach Hause – in die stillen Gassen schaueten nur die hohen Sterne – er sah im Marktwasser einer nach Norden offnen Straße die Mitternachts-Röte abgespiegelt – im Himmel zogen helle Wölkchen wie verspätet aus dem Tage heim und trugen vielleicht oben die Genien, die den Menschentag reich beschenket hatten – und Walt konnte, als er so glücklich in sein einsames dämmerndes Stübchen zurückkam, sich sowohl des Weinens als des Dankens nicht enthalten.
Sehr früh bekam er am Morgen von Vulten ein Briefchen mit einer versiegelten Inlage, überschrieben: »tempori!«
Jenes lautete:
»Freund, ich fodere nichts von Euch als eine kurze Unsichtbarkeit, bis mein Blinden- und Flötenkonzert gegeben ist, zumal da ich dazu Gründe habe, die Ihr selber habt. Schreiben können wir uns sehr. Wächst mein Erblinden so hastig fort wie bisher:[696] so blas' ich den vierzehnten, obgleich als stockblinder Dulon, bloß um nur das arme Ohren-Publikum nicht länger aus einem Wochentagsblatt ins andere zu schleppen. – Ich bitt' Euch, macht kein Instrument, ohne mirs zu schreiben. – Ich hoffe, daß Ihr die Familien-Ehre schonet, wenn Ihr in den Webstuhl tretet, um das bewußte Freundschafts-Band zu weben, und daß Ihr darauf rechnet, daß ich nötigstenfalls auch ein paar Fußstöße im Stuhle mitzutun bereit wäre. Auf Beilage setzt Euer Siegel neben meines und schickt sie zurück; zu gehöriger Stunde wird sie vor Euch einst erbrochen. Addio!
v. d. H.
N. S. Man muß jetzt meiner Augen wegen mit ellenlangen Buchstaben an mich schreiben wie diese da.«
Letzteres tat Walt in seiner Antwort gern, aber der Blindheit gedacht' er nicht, aus Wahrheitsliebe. Er versprach alles Verlangte und beklagte leidend die Trennung einer so kurzen Vereinigung; beteuerte aber, daß Vult jeden Schritt und jedes Glück bei dem Grafen mit ihm schriftlich teilen solle. – Übrigens erkannte Walt in dieser Unsichtbarkeit den Bruder nur als einen rechten Weltluchs, der sich auch gegen das kleinste Wetterleuchten des Zufalls einbauet, das den Menschen oft mitten in seiner besten Dunkelheit vom Scheitel bis zur Sohle aufrecht erhellet.
Das geheime Paket hätte man dem Notar ebensogut unversiegelt geben können, so sehr erfreute er sich, eine Gelegenheit der Treue gegen andere und sich zu erleben.
Das versiegelte Blatt lautete so:
»Da es ungewiß ist, ob Du je diesen Brief an Dich lesen darfst: so kann ich offen genug schreiben. Es hat mich ungemein und diese ganze Nacht durch gekränkt, lieber Bruder – wer weiß, ob wir uns noch so anreden bei dem Erbruche dieses Blattes, der entweder im schlimmsten oder im besten Falle geschieht –, daß Du von der Freundschaft Deines Bruders nicht so wie er von Deiner befriediget wirst, sondern schon eine neue suchst. Daß ich Deinetwegen im dummen Haßlau bleibe, oder daß ich für Dich mit Würg-Engeln und Scharf- und Höllenrichtern mich herumschlagen würde – daraus kann nicht viel gemacht werden;[697] aber daß ein Mensch, dem auf seinem Reisewagen das Herz halb ausgefahren, gerädert, ja abgeschnitten worden, doch für Dich allein eines mitbringt, das darf er anrechnen, zumal in einem Tausche gegen Deines, das zwar unbeschreiblich rein und heiß, aber auch sehr offen – der Windrose aller Weltgegenden – dasteht. Und nun wirds gar einem Grafen aufgemacht, der als Freund den Thron besteigt, indes ich auf dem Geschwisterbänkchen oder Kinderstühlchen sitze – o Bruder, das durchbrennt mich. So rottenweise, so in der Landsmannschaft aller Menschen auch mit geliebt zu werden und um ein Herz sich mit seinem samt hundert andern Herzen wie ein Archipelagus von Zirkel-Inseln herumzulagern – – Freund, das ist mein Geschmack nicht. Ich muß wissen und halten, was ich habe.
Wollt' ich Dir freilich meinen schwülen Giftbaum, worunter ich diese Nacht geschlafen, aufblättern: so kenn' ich Dein schönes, sanftes, opferndes Gemüt; – aber lieber wollt' ich ihn ganz abernten, eh' ich so demütig wäre. Es verdrießet mich schon, daß ich vor Dir nur so viel schon am Grafen getadelt. Sieh selber wähle selber – nur Deine Empfindung treibe Dich, hinzu oder hinweg. – Umgekehrt vielmehr werd' ich Dir alle mögliche Flugwerke, Strickleitern und Schneckentreppen zum hohen Grafen machen und leihen, dem ich so gram bin; aber dann, wann Du entweder ganz bezaubert oder ganz entzaubert bist, lös' ich das Siegel von folgender Schilderung dieses Herrn:
Er ist nicht zum Ausstehen. Eitelkeit des Stolzes und Egoismus sind die beiden Brenn- oder Frostpunkte seiner Ellipse. Mir mißfällt ein junger elender Fant gar nicht – denn ich seh' ihn nicht – der ein Narr ist, ein Bilderdiener seines Spiegelbilds, ein Spiegel seiner Pfauenspiegel; und so gern ich in effigie jedem männlichen Fratzen, der sich hinsetzen und als Elegant einem Mode-Journalisten sitzen kann, einen tapfern Fußtritt gäbe: so bekümmern mich doch die Narren zu wenig, ja ich könnte einem, der frei seine Eitelkeit erklärte, solche nachsehen... Hingegen einem, der sie leugnet – der den Pfauenschweif hinter den Adlersflügeln einheften will – der nur an Sonntagen schwarz gehet, weil da der Schornsteinfeger weiß gehet – der sehr ernst sich bloß[698] die Glatze auskämmt – der wie eine Spinne nächtlich das Gewebe, womit er die Sums-Mücke Lob einfängt, wieder verschluckt und dann wieder ausspannt – und der die Ansprüche des Philosophen und Narren gern verbände – und der natürlich noch dabei vollends so egoistisch ist... Ich sage egoistisch.
Macht sich ein Mensch, Bruder, aus den Menschen nicht viel, so bin ich stiller als einer dazu; nur mach' er sich auch nicht mehr aus sich, und im Streitfall seines und fremden Glücks wähl' er großmütig. Hingegen ein echter, recht frecher Selbstsüchtling, der ganz unverschämt gerade die Liebe begehrt, die er verweigert, der die Welt in einer Koschenille-Mühle mahlen könnte, um sich Weste und Wangen rot zu färben, der sich für das Herz der Allheit ansieht, deren Geäder ihm Blut zu- und abführt, und der den Schöpfer und Teufel und Engel und die gewesenen Jahrtausende bloß für die Schaffner und stummen Knechte, die Weltkugeln für die Dienerhäuser eines einzigen erbärmlichen Ichs nimmt; – Walt, es ist bekannt, einen solchen könnt' ich gelassen und ohne Vorreden totschlagen und verscharren. Die Leidenschaften sind doch wenigstens kecke, großmütige, obwohl zerreißende Löwen; der Egoismus aber ist eine stille sich einbeißende fortsaugende Wanze. Der Mensch hat zwei Herzkammern, in der einen sein Ich; in der andern das fremde, die er aber lieber leer stehen lasse, als falsch besetze. Der Egoist hat, wie Würmer und Insekten, nur eine. Du, glaub' ich, vermietest deine rechte an Weiber, die linke an Männer und behilfst Dich, so gut Du kannst, im Herzohr oder Herzbeutel. Vom Grafen will ich Dir nichts sagen, als daß er als protestantischer Philosoph eine liebliche, aber katholische Braut – Dir frappant ähnlich in der Liebe gegen jeden Atem des Lebens – schlechterdings aus ihrer Religion in seine schleppen will, bloß aus egoistischer stolzer Unduldsamkeit gegen einen stillen Glauben in der Ehe, der seinen als einen falschen schölte.
Und dieses Menschen Kebs-Braut wolltest Du werden? – Es schmerzet mich jetzt, wo ich mich ins Kühle geschrieben, recht ins Herz hinein, daß Du Sanfter bis dahin, bis zur Eröffnung dieses Testaments dieses Briefs, so manche Plage von zwei Spitzbuben[699] erdulden wirst, wovon der zweite ich selber bin. Denn wie ich bis dahin schmollen, Dich auf harte Proben stellen – z.B. auf die, ob meine Unsichtbarkeit, Ergrimmung und Ungerechtigkeit Dir genug ans Herz gehe – und wie ich überhaupt des Teufels gegen Dich sein werde, ist Gott und mir am besten bekannt; denn ich kenne meine Schmoll-Natur, welche – so sehr ich mir auf dieser Zeile das Gegenteil vornehme – so wenig als ein schwimmender Kork in einem Gefäß Wasser in der Mitte bleiben kann. Ach, auf jedem frischen Druckbogen des Lebens kommt immer unten der Haupttitel des Werks wieder vor.
Mein Übel aber eben ist der Schmollgeist, esprit de dépit d'amour, den mir eine der vermaledeitesten Feen muß in die Nasenlöcher eingeblasen haben. Eine schlimmere Bestie von Polter- und Plagegeist ist mir in allen Dämonologien und Geisterinseln noch nicht aufgestoßen. – Ordentlich als sei das Lieben nur zum Hassen da, erboset man sich den ganzen Tag auf das süßeste Herz, sucht es sehr zu peinigen, breitzudrücken, einzuquetschen, zu vierteilen, zu beizen – – aber wozu? – Um es halbtot an die Brust zu nehmen und zu schreien: o ich Höllenhund! So gottlos hielt ich mit Freunden Haus, noch gottloser freilich mit Freundinnen. – Dreitausendzweihundertundfünfmal söhnt' ich mich mit einer thüringischen Geliebten in dem kurzen Wonnemonde unserer Liebe aus – mit andern aber öfter –; und kündigte doch gleich darauf, wie ein kopulierter Fürst, die Seelen-Trauung wieder durch Kanonenschüsse und Mordknälle an, weil ich wieder den kleinsten schönsten allerliebsten Reif der Liebe für Schnee ansah. – Bei solchen Umständen, das schwur ich feierlich, heirate der Teufel oder ein Gott; denn ist die Person nicht abwesend, die man zu lieben hat (abwesend gehts sehr; auch brieflich), oder was ebensogut ist, abgegangen mit Tod (Liebe und Testament werden durch Sterben erst ewig): so hat man nach den bekannten wenigen Flitter-Sekunden seine Blei-Jahre, bringt sein Leben wie an einem Kamin hin, halb den Steiß im Feuer, halb den Bauch im Frost, oder wie ein Stück Eis im Wasser, oben von der schönen Sonne, unten durch die Wellen zerfließend. – Und da schaue Gott den Jammer! Jeder hüte sich,[700] lehr' ich oft genug, vor dem sauern Schmoll- und Salzgeist, weils keinen schlimmern gibt. – Daß ich immer abreisete von alten Menschen zu neuen, muß ich eben tun, um nicht zu zanken, sondern noch zu lieben. Der Himmel weiß, wie ich Dich peinigen werde. Aber vorausgesagt hab' ichs hier in bester Laune; und dann sei dieses Blatt, wenn es aufgemacht wird, mein Schirm-, mein Feigen-, mein Ölblatt.
Q. H.«
12 | Das Freudental in Walhalla. |
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