31. Zykel

[150] Auf einmal tritt in diese Schilderungen und Genüsse der Thronfolger, oder vielmehr der Nachwinter des kalten Greises ein, Luigi. Mit einem flachen Schnitzwerke des schwammigen Gesichts, auf dem sich nichts ausdrückte als der ewige Mißmut der Lebens-Verschwender, und mit einigem reifen Grauwerke auf[150] dem Kopfe (als Vorläufer der Weisheitszähne) und mit der unfruchtbaren Superfötation eines voluminösen Unterleibes ging er mit der größten Höflichkeit auf Albano zu, in der ein flacher Frost gegen alle Menschen vorstand. Er stäubte sogleich mit der Kleie von leeren schnellen unähnlichen Fragen um sich und eilte stets; denn er hatte fast noch mehrere Langweile, als er machte, wie sich überhaupt für keinen das Leben so widrig verlängert als für den, der es verkürzet. Luigi war durch die Erde so schnell wie durch ein Puderstübchen gelaufen und war wie in diesem gehörig grau geworden; die Milchgefäße seines äußern und innern Menschen hatten sich, weil sie Sahne- oder Rahmgefäße sein sollten, eben deswegen in Giftgefäße und Leidensbecher verkehrt. Sooft ich vor einer gemalten Fürsten-Suite in einem Korridor vorbeigehe, so verfall' ich stets auf mein altes Projekt und sage ganz überzeugt: »Vermöchten wir nur wie die Sparter und alle ältere Völker es durchzusetzen, daß wir einmal einen Regenten gesund auf den Thron hinaufbrächten: so hätten wir einen guten obendrein, und alles ginge. Aber ich weiß, es sind die Zeiten nicht dazu. Sündlicherweise assistieren nur bei der Tortur, nicht bei der Freude Chirurgen und Ärzte, die auf den Grad der Freude wie der Folter und auf die unschädlichen Stellen genau hinweisen.«

Albano, fremd vor und in dieser Menschenklasse, sah anfänglich die Kluft zwischen sich und Luigi flacher gegraben, als sie war; bloß unbehaglich und drückend wurd' es ihm, wie gewissen Leuten, wenn ohne ihr Wissen eine Katze im Zimmer ist. Die fortgehende moralische Entkräftung und Verfeinerung wird alle unsere Außenseiten noch so absäubern und ausgleichen – und zwar nach demselben Gesetze, wornach physische Schwächung die Hautausschläge zurückjagt und in die edlern Teile verweiset –, daß wahrhaftig ein Engel und ein Satan zuletzt in nichts zu unterscheiden sind als im Herzen. – Alban brachte schon von Wehrfritz, den er immer die Rechte der Landschaft gegen den Fürsten verfechten hörte, Abneigung gegen den Nachfolger mit; desto leichter entbrannte in ihm ein moralischer Grimm, da Luigi sich gegen die Bilder kehrte und die Vorhänge oder Bergleder von[151] einigen der indezentesten wegzog, um ihren artistischen Gehalt nicht ohne Geschmack und Kenntnis auszuwägen. Eine kopierte Venus von Tizian, auf einem weißen Tuche liegend, war nur die Vorläuferin. Obgleich der unschuldige Erbprinz die voyage pittoresque durch diese Galerie mit der artistischen Kälte des Galerieinspektors und Anatomikers machte und mehr seine Kenntnisse zu zeigen als zu bereichern suchte: so nahm doch der unerfahrene Jüngling alles mit einer tauben und blinden Entrüstung auf, die ich mit nichts, nicht einmal mit der Gegenwart der Prinzessin zu verteidigen weiß, um so mehr, da erstlich diese ihre Seele nur zwischen der Gipsbüste und deren Kopie arbeitend teilte und da zweitens in unsern Tagen Damenuhren und Fächer (wenn sie geschmackvoll sind) Gemälde tragen, gegen die Albano wieder Fächer nehmen würde. Die zwei Flammen des Zorns und der Scham überdeckten sein Angesicht mit einem glühenden Widerscheine; aber sein unbehülflicher Trotz kontrastierte gegen die Gewandtheit des Lektors, der mit seinem kalten, ebenso bestimmten als leichten Tone Selbstständigkeit bewahrte und Reinheit schützte. »Sie gefallen mir alle nicht,« (sagt' er barsch) »ich gäbe sie für ein einziges Gewitter von Tempesta weg.« Luigi lächelte über sein schülerhaftes Auge und Gefühl. Als sie in das zweite Bilder-Zimmer traten, hörte Albano die Prinzessin fortgehen. Da ihm dieses Gemach mit noch mehrern zerrissenen Vorhängen des Allerunheiligsten drohte: so nahm er seinen Abschied ohne sonderliche Zeremonie und ging ohne den Lektor zurück, der heute vorzulesen hatte.

Nie faßte Schoppe seine pulsierende Hand herzlicher an als diesesmal; der Anblick eines verschämten Jünglings ist fast holder (seltener zumal) als der einer verschämten Jungfrau: jener erscheint weiblich-sanfter, wie diese männlich-stärker durch das zugemischte Zürnen der Tugend. Schoppe, der wie Pope, Swift, Boileau Heiligkeit des Geschlechts mit Zynismus der Kleidung und Sprache zusammenzwang, leerte die größten Zornschalen über jede Libertinage aus und fiel als eine satirische Bellona die besten freien Leute an; dasmal aber nahm er sie mehr in Schutz und sagte: »Die ganze Gattung liebt fremde Schamröte entschieden[152] und bekämpfet sie lieber als Schamlosigkeit, so wie (und aus einerlei Gründen) Blinde die Scharlachfarbe vorziehen. Man kann sie den Kröten vergleichen' die den kostbaren Krötenstein (ihr Herz) auf kein anderes Tuch wie auf ein rotes setzen.«

Der Lektor, der bei aller Reinheit und Zucht doch dem Scarron ohne Bedenken an der Ode auf das Gesäß einer Herzogin hätte schreiben helfen, wußte – als er die Flucht des Grafen behandeln wollte – gar nicht, wie ihm geschah, als ihn dieser mit einigem Rosenessig ansprengte und sagte: »Der Vater liegt dem schlechten Menschen auf dem Brette, und ihm liegt eines vor der eisernen Stirn: o der Schlechte!« – Allerdings hatte die physische und moralische Nähe der zwei schönen weiblichen Herzen und die Liebe dafür den Grafen am meisten gegen Luigis artistischen Zynismus empört. Der Lektor versetzte bloß: »er werde bei dem Minister und überall dasselbe hören; und seine falsche Delikatesse werde sich schon noch geben.« – »Die Heiligen« (fragte Schoppe) »wohnen nur auf, nicht in den Palästen?« Froulays seiner trug nämlich auf seiner Platteforme einen ganzen Kordon von steinernen Aposteln; und auf einer Ecke stand eine Marienstatue, die zwischen lauter Dächern aus Sphexens Hause zu sehen war.

Junger Zesara! wie jagt dir diese marmorne Madonna Blutwellen durchs Gesicht, gleichsam die Schwester deiner schönern, oder die Schutz- und Hausgöttin derselben! – Aber er beschleunigte den Eintritt in dieses Lararium seiner Seele, die Abgabe des väterlichen Empfehlungsschreibens, mit keinem Laute aus Scheu des Argwohns: so viele Fehltritte tut der Gute schon im Heidenvorhofe der Liebe; wie soll er im Weibervorhofe bestehen, oder im finstern Allerheiligsten fußen?

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 3, München 1959–1963, S. 150-153.
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