13. Zykel

[80] Ich würde mehr aus Albanos Gedächtnismahl machen, das er wie ein Erwachsener im Stübchen tranchieren und mit seiner Hausgenossenschaft teilen und wozu er sich selber einschenken konnte, ging' ich nicht wichtigern Begebnissen entgegen, die während dem Zurücktragen des Tafelgeschirres vorfielen. Albano ging hinaus, indem das ganze Meer seines Innern vom Wein und vom Vormittage phosphoreszierend leuchtete, und der blaue Himmel flatterte heftiger wehend um ihn – er hatte das Gefühl, als sei der Morgen schon seit langem vorüber, und er erinnerte sich desselben mit weicher Regung, wie wir uns alle in der Jugend der Kindheit, im Alter der Jugend, sogar abends des Morgens –, und die Bilder der Natur rückten näher heran und bewegten ihre Augen wie katholische. So bringt uns die Gegenwart nur Bilder zu optischen Anamorphosen, und erst unser Geist ist der erhabne Spiegel, der sie in schöne Menschen-Formen umstellet. Mit welchem süßen Untertauchen in Träume tat er, wenn er dem östlichen Wehen entgegenging, die Augen zu und zog das Getöse der Landschaft, das Schreien der Hähne und Vögel und eine Hirtenflöte gleichsam tiefer in die verschattete Seele hinein! Und wenn er dann am Gestade des Berges die Augen wieder öffnete, so lagen friedlich drunten im Tale die geweideten weißen Lämmer neben dem Flötenisten, und oben am Himmel lagerten sich die glänzenden Lämmerwolken über sie hin!

Inzwischen mocht' ers einmal versehen und blind zu weit in das Gärtchen – die Blinde sah ohnehin nicht – tappen, die Arme offen voraushaltend, um sich nichts auszustoßen; – als an seiner Brust eine zweite anlag, und er aufsehend das bebende Mädchen so nahe an sich fand, das seitwärts abgebogen stammelte: »Ach nein, ach nein!« – »Ich bins nur,« (sagte der Unschuldige, sie fassend) »ich tue dir ja nichts« – Und er hielt sie, als sie demütigfurchtsam vertrauete, noch ein wenig fest und schauete auf den gebückten Kopf mit süßer Regung nieder.

Herzlich gern hätt' er der Erschreckten Schmerzengelder und Benefiziate in dieser Komödie für die Armen gegeben; er hatt'[80] aber nichts bei sich, bis ihm zum Glück seine Schwester Rabette – von welcher Bandagistin er irrig schloß, daß mehrere Mädchen des Teufels auf Bänder sind und sie wie Taschenspieler verschlingen, aber nicht wiedergeben – und sein neues Zopfband einfiel. Er spulte freudig das lange seidne Wickelband von seinem Kopf an ihren. Aber die liebliche Nachbarschaft, das Flechtwerk eines feinern innern Bandes, und die Süßigkeit zu geben und das Vivace seines angebornen Übermaßes machten, daß er ihr gern das Dresdner grüne Gewölbe in die Schürze gegossen hätte; als ein Schnurrjude mit seinem kleinern seidnen auf dem Magen und mit einem Sack voll eingekaufter Haare auf dem Rücken die Pestitzer Straße hinzog. Der Jude ließ sich wohl herrufen, aber nichts ableihen, trotz allen ausgestellten Wechseln auf Eltern und Taschengelder. Ach ein herrliches rotes Haubenband hätte Leas blinden Augen so gut wie eine rote Aderlaßbinde der Wunde getan! Denn eine blinde Frau putzet sich so gern als eine sehende, sie müßte denn eitel sein und mehr sich im Spiegel gefallen wollen als andern außer demselben. Der Handelsmann ließ gern das Band von ihr befühlen und sagte, er handle auf den Dörfern Haare ein, und gestern hätten ihm die Wirtskinder durch einen brennenden Schwamm seinen ganzen Sack voll Chignons in kurze Wolle verkrümelt, und wenn ihm die junge Herrschaft ihr braunes Haar bis an das Genicke ablassen wolle, so solle sie das Band und einen noch sehr brauchbaren ledernen Zopf aus der würzburgischen Fabrik auf der Stelle dazu haben. – Was war zu tun? Das Band war sehr rot – Lea wars vor Hoffnungen – der Jude sagte, er packe ein – der Haarzopf lief ohnehin bisher wie ein zweites Rückgrat über das ganze erste hinab und wurde für Alban durch das langweilige Einwindeln an jedem Morgen ein Sperrstrick und eine Trense seines Feuers – – Kurz der arme Rupfhase trat dem Juden die königlich-fränkische Insignie ab und schnallte die würzburgische Scheide an.

Und nun schüttelte er ihre Hand recht derb auf und ab und sagte mit einem ganzen Paradies voll liebender Freudigkeit auf dem Gesicht: »Das Band ist dir wohl recht lieb, du armes blindes Ding!« Jetzt bestieg der unaufhörliche Mäzen gar den Kirschbaum,[81] um droben für Lea als ein lebendiger Popanz den Spatzen die Kirschen zu verleiden und ihr als ein Fruchtgott mehrere Paternoster- und Fruchtschnüre von letztern herunterzuwerfen.

Beim Himmel! droben unter den Herzkirschen schienen ordentliche Wolfskirschen auf den Kopf des Knaben zu wirken; wie die Erde ihre finstern Mittelalter hatte, so haben oft Kinder finstere Mitteltage voll lauter Kapuzinaden und Gickse. Auf den hohen Ästen schimmerten ihn die wachsende Landschaft und die auf die Berge niederfallende Sonne und besonders die Pestitzer Turmspitzen so himmlisch an, daß er sich jetzt nicht Höheres denken konnte als die – Vogelstange neben ihm und keinen glücklicher-thronenden Kron-Adler als einen auf der Stange....

Aber nun bitt' ich sämtliche Leserinnen, entweder in das Schießhaus einzutreten oder sich mit der Soldatenfrau daraus die fortläuft und den Frevel der gnädigen Frau anzeigt – mit wegzumachen, weil wenige von ihnen es neben mir aushalten, daß unser Held, der Stammhalter des Titans, von einigen Pachters-Knechten – denen noch dazu Albine das Remarsch-Reglement seines eiligern Kommens mitgegeben – auf ein Querholz, das unterhalb des Hakens der Vogelstange eingefuget ist, festgesetzet und, mit dem Unterleibe an diese angebunden und so in der Luft waagrecht liegend, allmählich durch den weiten Bogen aufgehoben und mitten im luftigen Himmel aufgestellet wird. Es ist arg; aber die Knechte konnten den Bitten seiner mächtigen Augen, seinem malerischen Willen und Mute und den angebotnen Rekompensen und Krönungsmünzen unmöglich widerstehen, und dabei wog er ja nur halb so viel wie der letzte Vogel.

Ich bin dir doch gut, Kleiner, trotz deinem starren, zwischen Kopf und Herz gebauten Wagehals! Deine monströsen Barock-Perlen von Kräften wird die Zeit, wie im grünen Gewölbe Künstler physische Perlen, schon noch zum Bau einer schönen Figur verbrauchen!

Die Reichsgeschichte unsers Reichsadlers auf seinem Stativ, die sich zugleich über die Ereignisse ausbreitet, welche auf dem[82] Berge vorfielen, als der Schachtelmagister und der Landschaftsdirektor zufällig zur besetzten Vogelstange kamen, soll ungesäumt gegeben werden, wenn wir den 14ten Zykel haben.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 3, München 1959–1963, S. 80-83.
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