[577] Rom ist wie die Schöpfung ein ganzes Wunder, das sich allmählich in neue Wunder zergliedert, in das Coliseo, in das Pantheon, die Peterskirche, in Raffael u.s.w.
Mit dem Durchgang durch die Peterskirche fing der Ritter den schönen Lauf durch die Unsterblichkeit an. Die Fürstin ließ sich von der Kunst mit dem Männer-Kreise verbinden. Da Albano mehr von Gebäuden als von jedem andern Kunstwerk ergriffen wurde: so sah er mit heiligem Herzen von weiten das lange Kunst-Gebürg, das wieder Hügel trug – so trat er vor die Ebene, um welche zwei ungeheuere Kolonnaden wie Korsos laufen, ein Volk von Statuen tragend; in der Mitte steigt der Obeliskus und zu seiner Rechten und Linken ein ewiges Wasser auf, und von den hohen Stufen schauet die stolze Kirche der Welt, innen mit Kirchen besetzt, auf sich einen Tempel gen Himmel reichend, auf die Erde herunter. – Aber wie waren in der Nähe ihre Säulen und ihre Felsenwand ungeheuer aufgestiegen und flohen den Blick!
Er trat in die Zauberkirche, die der Welt Segen, Fluch, Könige und Päpste gab, – mit dem Bewußtsein, daß sie wie das Weltgebäude sich immer mehr erweitere und entferne, je länger man in ihr ist. Auf zwei Kinder von weißem Marmor, die eine Weih-Muschel von gelbem hielten, gingen sie hin; die Kinder[577] wuchsen durch das Nahen, bis sie Riesen waren. Endlich standen sie am Hauptaltar und dessen hundert ewigen Lampen – welch eine Stelle! – Über sich das Himmelsgewölbe der Kuppel, auf vier innern Türmen ruhend, um sich eine überwölbte Stadt von vier Straßen, worin Kirchen standen. – Am größesten wurde der Tempel durch Gehen; und wenn sie um eine Säule traten, so lag ein neuer vor ihnen, und heilige Riesen schaueten ernst herab. Hier wurde dem Jüngling nach langer Zeit das große Herz gefüllt: »In keiner Kunst« (sagt' er zu seinem Vater) »wird die Seele so gewaltig vom Erhabnen angefasset als in der Baukunst; in jeder andern steht der Riese in ihr und in den Tiefen der Seele, aber hier steht er außer und dicht vor ihr.« – Dian, dem alle Bilder deutlicher waren als abstrakte Ideen, sagte: »Er hat vollkommen recht.« – Fraischdörfer versetzte: »das Erhabene stecke auch hier nur im Kopfe, denn die ganze Kirche stehe doch in etwas Größerem, nämlich in Rom und unter dem Himmel, wobei wir ja nichts empfänden.« Auch klagt' er, »daß dem Erhabnen der Platz in seinem Kopfe sehr verengt werde durch die unzähligen Schnörkel und Monumente, die der Tempel zugleich mit sich in ihn hineintreibe« Gaspard sagte, alles mit einem großen Sinne nehmend: »Steht nur einmal das Erhabne wirklich da, so verschlingt und vertilgt es eben seiner Natur nach alle kleinen Zierden um sich her.« Er führte zum Beweise den Münsterturm und die Natur selber an, die durch ihre Gräser und Dörfer nicht kleiner werde.
Die Fürstin genoß unter so vielen Kunstverständigen schweigend.
Das Ersteigen der Kuppel riet Gaspard einem regen- und wolkenlosen Tage aufzuheben, um die Welt-Königin Roma auf und von dem rechten Throne zu schauen; er schlug dafür sehr eifrig den Besuch des Pantheons vor, weil er es gern schnell hinter den Eindrücken der Peterskirche wollte folgen lassen. Sie gingen dahin. Wie einfach und groß tut sich die Halle auf! Acht gelbe Säulen tragen ihre Stirn, und majestätisch wie das Haupt des Homerischen Jupiters wölbt sich sein Tempel! Es ist die Rotonda oder das Pantheon. – »O der Niedrigen,« (rief Albano) »die uns neue Tempel geben wollen! Hebt die alten aus dem Schutte höher,[578] so habt ihr genug gebauet.«175 – Sie traten hinein; da wölbte sich ein heiliges, einfaches, freies Weltgebäude mit seinen hinaufstrebenden Himmelsbogen um sie, ein Odeum der Sphärentöne, eine Welt in der Welt! – Und oben176 leuchtete die Augenhöhle des Lichts und des Himmels herab, und das ferne Flug-Gewölk schien die hohe Wölbung zu berühren, über die es wegschoß! Und um sie her standen nichts als die Tempel-Träger, die Säulen! Der Tempel aller Götter vertrug und verbarg die kleinlichen Altäre der spätern.
Gaspard befragte Albano über sein Gefühl. Dieser zog die größere Peterskirche vor. Der Ritter billigte es und sagte, »daß überall der Jüngling gleich den Völkern das Erhabene besser empfinde und leichter finde als das Schöne, und daß der Geist des Jünglings vom Starken zum Schönen reife, wie der Körper desselben vom Schönen zum Starken; indes zieh' er selber das Pantheon vor.« – »Wie könnten auch Neuere« (sagte der Kunstrat Fraischdörfer) »etwas bauen, außer einige Berninische Türmlein?« – »Dafür« (sagte der verletzte Land-Baumeister Dian, der den Kunstrat verachtete, weil dieser niemals eine gute Figur machte als in der ästhetischen Richterstube als Richter, nie in dem Ausstellungssaal als Maler) »sind wir Neuern ohne Widerrede in der Kritik stärker, wenn wir auch in der Praxis samt und sonders Lumpe sind.« Bouverot merkte an: »Die korinthischen Säulen könnten höher sein.« Der Kunstrat sagte: »er wisse doch nichts dieser schönen Halbkugel Ähnlicheres als eine viel kleinere, die er im Herkulanum in Asche ausgedrückt gefunden – vom Busen einer schönen Flüchtlingin.« Der Ritter lachte, und Albano trat unwillig zur Fürstin.
Sie fragte er um ihre Stimme über beide Tempel. »Hier Sophokles, dort Shakespeare; aber den Sophokles fass' ich leichter«, versetzte sie und blickt' ihm mit neuen Augen in das neue Angesicht. Denn die überirdische Erleuchtung durch das Zenith des Himmels – nicht durch einen dunstigen Horizont – verklärte ihr[579] das schöne bewegte Gesicht des Jünglings; und sie setzte voraus, der Heiligenschein der Kuppel hebe auch ihre Gestalt. Da er ihr antwortete: »Sehr gut! Aber in Shakespeare steckt auch Sophokles, aber in Sophokles nicht Shakespeare – und auf der Peterskirche steht Angelos Rotonda!« so ging plötzlich das hohe Gewölk, wie durch den Schlag einer Hand aus dem Äther, entzwei, und die entrückte Sonne schauete, wie das Auge der durch den alten Himmel ziehenden Venus, die sonst auch hier stand, aus hoher Tiefe mild herein – da füllte ein heiliger Glanz den Tempel und brannte auf dem Porphyr des Bodens, und Albano sah betroffen und entzückt umher und sagte mit leiser Stimme: »Wie ist jetzt alles so verklärt an dieser heiligen Stelle! Raffaels Geist geht in der Mittagsstunde aus seinem Grabe, und alles, was sein Widerschein berührt, erglänzt göttlich!« Die Fürstin sah ihn zärtlich an, und er legte leicht seine Hand auf ihre und sagte wie überwältigt: »Sophokles!«
Am nächsten mondhellen Abende darauf bestellte Gaspard Fackeln, damit das Coliseo mit seinem Riesen-Kreis zuerst im Feuer vor ihnen stände. Dem Ritter, der nur allein mit dem Sohne düster im düstern Werke, wie zwei Geister der alten Zeit, umhergehen wollte, drang sich noch die Fürstin auf, aus zu lebhaftem Wunsch, mit dem edlen Jüngling große Minuten und wohl gar ihr Herz und seines zu teilen. Die Weiber begreifen nicht genug, daß die Idee, wenn sie den männlichen Geist erfüllt und erhebt, ihn dann vor der Liebe verschließe und die Personen verdränge, indes bei Weibern alle Ideen leicht zu Menschen werden.
Sie gingen über das Forum auf der via sacra zum Coliseo, dessen hohe zerspaltene Stirn unter dem Mondlicht bleich herniederschauete. Sie standen vor den grauen Felsenwänden, die sich auf vier Säulenreihen übereinander hinaufbaueten, und die Flammen schossen hinauf in die Bogen der Arkaden, hoch oben das grüne Gesträuch vergüldend; und tief in die Erde hatte sich das schöne Ungeheuer schon mit seinen Füßen eingegraben. Sie traten hinein und stiegen am Gebürge voll Felsenstücke von einem Sitze der Zuschauer zum andern; Gaspard wagte sich nicht zum sechsten oder höchsten, wo sonst die Männer standen, aber Albano[580] und die Fürstin. Da schauete dieser über die Klippen auf den runden grünenden Krater des ausgebrannten Vulkans herunter, der einst auf einmal neuntausend Tiere verschlang und der sich mit Menschenblut löschte – der Flammenschein fuhr in das Geklüft und ins Geniste des Efeus und Lorbeers und unter die großen Schatten des Mondes, die wie Abgeschiedne sich in den Höhlen aufhielten – in Süden, wo die Ströme der Jahrhunderte und der Barbaren hereingedrungen waren, standen einzelne Säulen und geschleifte Arkaden – Tempel und drei Paläste hatte der Riese mit seinen Gliedern genährt und gefüttert, und noch schauete er lebendig mit seinen Wunden in die Welt.
»Welch ein Volk!« (sagte Albano) »Hier ringelte sich die Riesenschlange fünfmal um das Christentum – Wie ein Hohn liegt drunten das Mondlicht auf der grünen Arena, wo sonst der Kolossus des Sonnengottes stand – Der Stern des Nordens177 schimmert gesenkt durch die Fenster, und der Drache und die Bären bücken sich. Welch eine Welt ist vorüber!« – Die Fürstin antwortete, »daß zwölftausend Gefangne dieses Theater baueten und daß noch weit mehrere darauf bluteten«. – »O die Bau-Gefangnen haben wir auch,« (sagt' er) »aber für Festungen; und das Blut fließet auch noch, aber mit dem Schweiß! Nein, wir haben keine Gegenwart, die Vergangenheit muß ohne sie die Zukunft gebären.«
Die Fürstin ging weg, um einen Lorbeerzweig und blühenden Güldenlack zu brechen. Albano versank ins Sinnen – der Herbstwind der Vergangenheit ging über die Stoppeln – auf dieser heiligen Höhe sah er die Sternbilder, Roms grüne Berge, die schimmernde Stadt, die Cestius-Pyramide, aber alles wurde zur Vergangenheit, und auf den zwölf Hügeln wohnten, wie auf Gräbern, die alten hohen Geister und sahen streng in die Zeit, als wären sie noch ihre Könige und Richter.
»Zum Andenken der Stelle und der Zeit!« sagte die kommende Fürstin, ihm den Lorbeer und die Blumen gebend. – »Du Gewaltige, ein Coliseo ist dein Blumentopf, dir ist ja nichts zu groß und nichts zu klein!« sagte er und brachte die Fürstin in einige[581] Verwirrung, bis sie merkte, daß er die Natur meine. Sein ganzes Wesen schien neu und schmerzlich bewegt und wie fern entrückt – er sah nach dem Vater hinab und suchte ihn auf – er blickte ihn scharf an und drückte heftig seine Hand und sprach diesen Abend über nichts mehr.
Ausgewählte Ausgaben von
Titan
|
Buchempfehlung
Erst 1987 belegte eine in Amsterdam gefundene Handschrift Klingemann als Autor dieses vielbeachteten und hochgeschätzten Textes. In sechzehn Nachtwachen erlebt »Kreuzgang«, der als Findelkind in einem solchen gefunden und seither so genannt wird, die »absolute Verworrenheit« der Menschen und erkennt: »Eins ist nur möglich: entweder stehen die Menschen verkehrt, oder ich. Wenn die Stimmenmehrheit hier entscheiden soll, so bin ich rein verloren.«
94 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro