5. Ueber die Reime

[87] bey Gelegenheit der im Christmonate der, »Belustigungen« des Jahres 1742 auf der 504. S. enthaltenen Ode.1


Bis hieher hab' ich noch, nach deutscher Dichter Sitten,

Den Rest der Barbarey, den tollen Reim geduldet.

Zwar weiß ich es noch nicht, ob je sein Schellenklang

Mit Feuer und Vernunft in strenge Fesseln schloß,

Und ob ich was gedacht, das ich für schön erkannte,

Und das sein Eigensinn nur aus dem Liede jagte.

Wie er Den, der ihn sucht, mit so viel Angst bemüht,

So flieh' ich jetzt vor ihm, wenn er mich auch nicht scheut,

Ja wenn er mich verfolgt. So dient der spröden Schöne

Oft eines Buhlers Brunst zum grausamen Gespötte,

Des Buhlers, den hernach der Rache Lust ergötzt,

Wenn der nur Kälte zeigt, der sie in Flammen bringt.


So wagt' auch ich vielleicht, den Dichtern nachzusprechen,

Die, neuer Kühnheit voll, des Reimes Fesseln brechen,[87]

Doch zweifelnd, ob ihr Fuß die rechte Bahn betritt,

Erwähl' ich noch den Weg, den Opitz auch beschritt.

Der Dichtkunst Barbarey hat er zuerst verlassen;

War Reimen Barbarey: so muß er Reimen hassen.


Du, dem es schimpflich dünkt, dem Opitz nachzugehn,

Was hast du für ein Recht, die Reime zu verschmähn?

»Es ist ein Kinderwerk, den Vers mit Reimen zieren,

Was denk' ich, wenn mein Ohr zwo Sylben ähnlich rühren?

Man nennt den Bock, den Stock, ich weiß es, was man spricht,

Doch was das ock erklärt, weiß meine Seele nicht.«


So? denkest du denn nicht, wenn du nicht Wörter hörest?

O lerne, wie man denkt, eh' du uns dichten lehrest.

Nicht Alles, was in uns die Seele wirken kann,

Zeigt ein bestimmter Hauch durch Zung' und Lippen an.

Wie mag der Tonkunst Macht des Kenners Ohr entzücken?

Wie rührt des Malers Werk, das Farb' und Leben schmücken?

Dies weiß man, daß es stets dem Geiste Lust erweckt,

Wenn er was Neues sieht, was Aehnliches entdeckt,

Das Maaß im Sinne trägt, die Größen zu vergleichen.

Was ihn vergnügen soll, muß Stoff zum Wirken reichen,

Zum Sprechen eben nicht. Was ist es, das man spürt,

Wenn uns ein gleicher Klang das Ohr gedoppelt rührt?

Nur Ordnung, Aehnlichkeit, zwar einfach, bald zu fühlen,

Doch zu was Edlerm gut, als nur zu Kinderspielen.


Und warum schilt dein Zorn, den nur der Reim entflammt,

Nicht auch das Sylbenmaaß, wenn er den Reim verdammt?

Sieh' die vermischte Reih' von kurz- und langen Tönen;

Was denkst du denn bey der? auch die mußt du verhöhnen.


Ich glaube, daß nur die zur Gattinn dir gefällt,

Vor der man Hekuben noch schön und reizend hält.

Was dächte wohl dein Geist, selbst bey Helenens Zügen?

Du wirst nicht kindisch seyn, und dich daran vergnügen.


Die Regel hat man längst den Dichtern fest gesetzt,

Es werde durch ihr Werk Verstand und Ohr ergötzt.

»Doch sprichst du, was für Kunst hört man im Reime schallen?

Die Ziege blöckt und reimt, es reimt der Flegel Fallen,[88]

Wenn Hans mit Märten drischt.« Wie sinnreich ist dein Hohn!

Doch höre: Phylax heult, und ändert stets den Ton;

Singt er ein reimlos Lied? Was hat den Reim erhoben,

Als wär er das allein, warum wir Dichter loben?

Nein, Reim und Sylbenmaaß, und Feuer und Verstand,

Die machen erst vereint des Dichters Geist bekannt,

Der, wenn er Wort und Ton nach strengen Regeln schränket,

Dabey doch schöner denkt, als man in Prosa denket.

Dann rührt er mit der Lust, die uns ein Tänzer bringt,

Wenn sein verwegner Schritt auf schwankem Seile springt;

Es würde sich kein Volk vor seiner Bühne häufen,

Wollt' er den trägen Fuß auf fester Erde schleifen.

Wie ähnlich wär er Dem, der, da kein Reim ihn zwang,

So matt und elend singt, als kaum ein Reimer sang!


Nun hör' auch, ob den Reim, der dich so sehr beleidigt,

Vielleicht ein stärkrer Grund, als der Gebrauch, vertheidigt

Durch künstlich Sylbenmaaß hat sonst ein römisch Lied

Zugleich das Ohr ergötzt, des Dichters Geist bemüht.

In Ordnung mancher Art sah man die Füße stehen;

Da hüpft ein Daktylus bey schleichenden Spondeen.

Des Deutschen ernsten Vers ziert ein gesetzter Schritt,

Der nicht jetzt hurtig läuft, und jetzt bedachtsam tritt.

Stets soll ein kurzer Ton bey einem langen klingen;

Mehr Wechsel, und mehr Kunst ist nicht in ihn zu bringen,

Als daß der Dichter Volk, zur Freyheit angewöhnt,

Jetzt lange Sylben kürzt, jetzt kurze Sylben dehnt.

Der muntre Daktylus läßt sich nur selten hören,

Und man fängt jetzt fast an ein sapphisch Lied zu lehren.

Wie Ordnung nicht ergötzt, die man zu sehr versteckt:

So macht die wenig Lust, die sich zu bald entdeckt.

Mehr Ordnung und mehr Kunst wird da das Ohr empfinden,

Wo sich zwo Zeilen stets durch gleiches Ende binden.

Der schreibt, der dichtet nicht, der Zeil' auf Zeilen häuft,

Wo der entreimte Vers so leicht wie Prosa läuft.


Ich lobe nicht den Reim, ich will ihn nur beschützen:

Sonst würd' ich mich vielleicht auf Morhof's2 Ansehn stützen.[89]

Er schilt das Sylbenmaaß, erhebt des Reimes Klang;

Den lehrt uns die Natur, das ist der Künstler Zwang.


»Was Schönes muß uns auch in jeder Sprach' ergötzen.

Die Reime kann man nicht wie Lieder übersetzen.

Drum sind die Reime nichts.« Sieh! wie du dich vergehst,

Und kühn auf Gründe bau'st, davon du nichts verstehst.

Nur bloß des Einfalls Werth kann deine Regel zeigen;

Des Ausdrucks Reiz und Kraft bleibt jeder Mundart eigen.


Doch, warum thust du uns des Reimes Ursprung kund?

Zum Scherze fehlt das Salz; zum Ernste fehlt der Grund.

Nein, treibt dein Eifer dich, den Reim nur auszurotten,

So zeige mehr Verstand, und witzerfülltes Spotten.

Komm, weise, wie der Reim des Dichters Geist umschränkt;

Wie Haller, weil er reimt, nicht philosophisch denkt;

Wie uns noch mancher Scherz im Hagedorn entzückte,

Wenn der verhaßte Reim nicht allen Witz erstickte.

Wo einst dein reimlos Lied der Beyden Reimen gleicht:

So glaube ganz gewiß, daß es den Reim verscheucht.


Doch, wohin eilten wohl des Reimes bange Schritte?

Verjagt ihn nicht bereits der Welsche, wie der Brite?

Kaum daß des Franzen Ohr, das sich so zärtlich nennt,

Das Sylbenmaaß verhört, und nur den Reim erkennt.

Zu diesem dürft' er fliehn, doch Mothen3 müßt' er meiden.

O Volk, das Fremde liebt, nimm Theil an meinem Leiden!

Der Deutsche hat mich nur von seinem Lied entfernt,

Damit er etwas thu', das er von dir nicht lernt.


Doch nein, er darf auch noch durch Meer und Alpen reisen;

Wenn man ihn minder schätzt, wird man ihn nicht verweisen.

Wahr ist's, des Briten Geist, der stärker denkt, als fühlt,

Verachtet's, ob der Reim in seinem Liede spielt;

Der Welsche, der nicht ganz das alte Rom vergessen,

Hat ein geübter Ohr, die Sylben abzumessen.

So zart hört Deutschland nicht, wiewohl es doch noch hört;

Dies ist es, was den Reim den deutschen Dichter lehrt.
[90]

So lerne denn was mehr, als trotzig nachzusagen,

Was mit Bescheidenheit gelehrt're Männer wagen!

Die Reimer hat ihr Spruch verachtungswerth erkannt,

Doch niemals so wie du die Reime ganz verbannt;

Bis einstens der Gebrauch ein Sylbenmaaß bekräftigt,

Das mehr den Geist bemüht, den Dichter mehr beschäftigt.


Horatius:


Si concedere nolis,

Multa poetarum veniet manus, auxilio quae

Sit mihi: nam multo plures sumus, ac veluti te

Iudaei cogemus in hanc concedere turbam.


Fußnoten

1 Man wird leicht sehen, daß die Absicht ist, die Reime zu vertheidigen, nicht als nothwendig anzupreisen. Auch waren um dieselbe Zeit noch nicht so viel gute reimfreye Gedichte bekannt, als wir seitdem erhalten haben.


2 Unterr. von der deutschen Sprache und Poesie. 8. Capit.


3 Houdart de la Mothe. Siehe die Vorrede zum zweyten Bande der Oden der deutschen Gesellschaft.


Quelle:
Abraham Gotthelf Kästner: Gesammelte poetische und prosaische schönwissenschaftliche Werke, Theil 1 und 2, Teil 2, Berlin 1841, S. 87-91.
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