Alzindor und Lucinde

[29] Ein Romanze


Alzindor und Luzinde

Genossen lange Zeit,

Beschützt von Cypris Kinde,

Das Glück der Zärtlichkeit:

Der Mutter bliebs verborgen,

Wie lieblich manche Nacht

Bis an den grauen Morgen

Die Tochter zugebracht.
[30]

Der Jüngling stieg behende

Zum Fenster ein und aus:

So klettert an die Wände

Und auf das Taubenhaus

Die blickbeflammte Katze

Des Nachts mit kühner List,

Wie er zu seinem Schatze

Hinaufgeklettert ist.


Was sie dort alles thaten,

Von Wonne ganz berauscht,

Das mögen die errathen,

Die nie der Mond belauscht

Bey schlaugestohlnen Küßen,

Die niemals nachgedacht,

Was ohne Vulkans Wissen

Mars bey der Venus macht.
[31]

Doch großes Glück ist, leider!

Wie aller Welt bekannt,

Nicht ohne bittre Neider,

Nicht frey von Unbestand.

Alzindors Freund, voll Tücke,

Gab insgeheim sich Müh,

Das er ihr Herz berücke;

Und ihn verschmähte sie.


Da sucht er sich zu rächen,

Nach Art der jungen Herrn,

Die viel aus Prahlsucht sprechen

Von Schönen, die sie gern

Durch Schmeichelkunst betrogen. –

Hört, wie der Höllenbrand

Alzindors Ohr belogen

Und leichten Glauben fand!
[32]

Von Bosheit angetrieben,

Spricht sein verwünschter Mund:

Lucind' hat mir geschrieben,

Daß ich den Liebesbund

Mit ihr vollziehen solle,

Und daß sie schon darzu

Ein Mittel finden wolle,

Wie man es heimlich thu.


Alzindor wird durchdrungen

Von gräulich wilder Wuth. –

Wie nach Verlust des Jungen,

Die Löwinn Jägerblut

Im Walde brüllend fodert,

So fodert er voll Glut,

Die schröcklich in ihm lodert,

Lucindens Busenblut.
[33]

O! Weh, o! Schreck, o! Jammer,

Mit bloßem Degen kömmt

Er schnell in ihre Kammer,

Und stürzet, ungehemmt

Von ihrer süßen Stimme,

Wie Sturmwind auf sie zu;

Und fragt mit Donnerstimme:

Sag' an: Wem schreibest du?


Lucinde spricht gelassen:

An deinen Freund schrieb ich.

Ha! nun mußt du erblassen,

Ruft er; und mörderlich

Fährt ihr bey sanften Lächeln

Der Degen stark und tief

Ins Herz; und ach! mit Röcheln

Lallt sie: Hier ist – der – Brief.
[34]

Sie sinkt, und läßt im Sinken

Ihr Auge, brechendmatt,

Noch seine Blicke trinken.

Er liest das Unglücksblatt:

Dem Lügner war geschrieben:

Herr, plagt mich länger nicht!

Nur einen kann ich lieben,

Und dieser seyd ihr nicht.


O Scheusal! – ruft er plötzlich:

Stirb nach, hier liegt dein Weib!

Drauf sticht er sich entsetzlich,

Wie Kato, durch den Leib;

Fällt auf Lucindens Leiche,

Stirbt ächzend, und verflucht

Nunmehr in Plutos Reiche

Den Zorn der Eifersucht.

Quelle:
Anna Louisa Karsch: Neue Gedichte, Mietau und Leipzig 1772, S. 29-35.
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